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überfüllt, waren die Versammlungen in Eichlinghofen, Schwerte  , Vespel, Annen, Aplerbeck, Hengsten, Wickede  , Hombruch  , Barup, Neu- Asseln und Marten. In letzterem Orte war nicht nur der Saal, sondern auch der Garten überfüllt. Besondere Freude bereiteten uns die Versammlungen Auf dem Höchsten" und Auf dem Schnee". Die Orte sind herrlich gelegen hoch oben auf den Ausläufern der Höhenzüge des Haarstranges, von wo man die ganze Umgegend überschaut. Nur alle 5 bis 10 Minuten stößt man auf eine menschliche Wohnung. Wie waren wir deshalb erstaunt, daß in der einen Versammlung ca. 400, in der anderen mindestens 500 Personen erschienen waren. In Hörde und Niedermaßen  wohnten jeder Versammlung ca. 1000 Personen bei. In Hörde war die Empörung der Versammlungsbesucher groß ob der beleidigen­den persönlichen Angriffe, die Genossin Zietz seitens des Hörder Tageblatts", eines nationalliberalen Organs, erfahren hatte. Der ,, noble" Herr, der sich den Schmähartikel geleistet, hatte sich jeden: falls nicht träumen lassen, daß er damit für uns agitiere. Jeden an­ständig Denkenden erfüllte die beliebte Kampfesweise natürlich mit Abscheu, die auch darin zum Ausdruck fam, daß ca. 100 Personen sofort das Hörder Tageblatt" abbestellten und auf unsere Arbeiter­presse abonnierten. In Eichlinghofen wurden ca. 60 Abonnenten der Gleichheit" gewonnen, deren Zahl unsere Genossinnen in kaum acht Tagen auf 120 brachten. Außer der Aufklärungsarbeit, die ge­leistet ward, war der greifbare Erfolg zu verzeichnen, daß 4 bis 500 Abonnenten für die Arbeiterpresse und fast ebensoviele für die Gleich­heit" gewonnen wurden.

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L. Z.

Im V. Schleswig- Holsteinischen Wahlkreis war Genossin Zietz- Hamburg vom 2. bis 16. Juni tätig. Versammlungen fanden statt in Büsum  , Heide  , Marne  , Itzehoe  , Kellinghusen  , Wilster  , Brunsbüttlerkoog, Krempe und Lägerdorf  . In Büsum   war das Lokal viel zu klein, all die Erschienenen zu fassen. Die Arbeiter und das Bürgertum waren gleich stark vertreten. Die Erfolge der Agitationsarbeit der Kandidat, Genosse Müller, hatte zweimal in dem Orte gesprochen zeigte sich am Wahltag, wo 190 Stimmen für uns fielen gegen 23 im Jahre 1898. Die Ver­sammlung in Heide war leider schwach besucht. In Marne  , einem Landstädchen von ca. 3000 Einwohner, nahmen 800 Personen an der Versammlung teil, darunter ein großer Teil Gegner. Trotzdem Genossin Zieß scharf mit denselben ins Gericht ging, herrschte doch lautlose Stille, die immer hin und wieder durch spontan zum Ausbruch kommenden Beifall seitens unserer Freunde unterbrochen ward. In Itzehoe   war das Lokal vor der Eröffnung polizeilich abgesperrt und viele mußten umkehren. Auch in Brunsbüttler­toog erwies sich das Lokal als viel zu klein, viele der Erschienenen mußten sich hinter die Fenster postieren. Trotzdem in Wilster   am Versammlungstag mehrere Feste stattfanden, war doch die Versamm­lung gut besucht, und mit ungeteiltem Interesse folgten die Anwesenden den Ausführungen der Rednerin. Lägerdorf  , ein großes Industrie­dorf, wo vorwiegend die Zementindustrie zu Hause ist, hatte eine glänzende Versammlung, der mindestens 200 Frauen beiwohnten. Start besucht, auch von Frauen und bürgerlichem Publikum, war die Versammlung in Krempe. Der Bürgermeister, der selbst mit zur Ueberwachung erschienen war, unterbrach die Rednerin, als sie die Kolonialpolitik einer scharfen Kritik unterzog, und forderte den Vor­sitzenden auf, Genossin Zietz auf die Tagesordnung zu verweisen. Dieselbe laute: Die Abwehr der Volksfeinde am 16. Juni." Der Vor­sitzende verbat sich die Einmischung des Bürgermeisters und erteilte der Referentin aufs neue das Wort. Unter dem stürmischen Beifall der Versammelten wies Genossin Zietz dem Herrn Bürgermeister nach, daß sie sich streng an die Tagesordnung gehalten habe. Wolle man die Möglichkeit der Abwehr der Volksfeinde zeigen, so führte sie aus, so müssen doch erst diese Volksfeinde selbst und ihr Treiben charakterisiert werden. Allgemeine Heiterfeit erregte der Umstand, daß die Referentin in ihren weiteren Darlegungen recht oft das Wort " Voltsfeinde" gebrauchte, um dem Herrn Bürgermeister zu Gemüt zu führen, daß sie zur Tagesordnung spreche. Nach der Versammlung führte der Wirt unserer Genossin einen alten 48 er Freiheitskämpfer zu, der ihr für die herzerfrischenden, begeisternden Worte dankte, denen zuzuhören ihm ein Genuß gewesen sei. Am Abend vor der Wahl fand eine prächtig besuchte Versammlung in Kellinghusen  statt. Auch hier stellten die Frauen ein sehr hohes Kontingent der Versammlungsbesucher. Desgleichen waren die Lehrer und anderes bürgerliches Publifum erschienen, jedoch meldete sich troß mehrfacher Aufforderung kein Gegner zum Wort. Außer in den von uns selbst veranstalteten Versammlungen sprach Genossin Zieß noch in drei Ver­sammlungen der Nationalsozialen, um deren Kandidaten Pohlmann entgegenzutreten. In Marne   hätten die Nationalsozialen sicher nicht die 2-300 Besucher bekommen, wenn es nicht in letzter Stunde be­fannt geworden wäre, daß unsererseits ein Diskussionsredner anwesend

sein werde. Genoffin Zieß ging scharf mit dem nationalsozialen Kandidaten ins Gericht und zeigte, wie seine Partei sich überall als Schrittmacher der Reaktion erwiesen, und daß schon ihr Programm sie als solchen kennzeichne. Da Herr Pohlmann nicht im stande war, die erhobenen Anklagen zu entkräften, griff er zu Verleumdungen und unterstellte, daß die Sozialdemokraten bei der Nachwahl in Duisburg   die Parole ausgegeben hätten, in der Stichwahl für den Nationalliberalen Beumer zu stimmen. Genossin Zietz, die selbst bei der Nachwahl im Kreise Duisburg   mitgearbeitet hat, brandmarkte diese Behauptung sofort als unwahrheit und wies nach, daß, weil Nationalliberale und Zentrum gleich reaktionär seien, die Sozial­demokratie Stimmenthaltung proklamiert habe. In Averlack war die Versammlung fast ausschließlich von Kleinbauern besucht. Herr Pohlmann, der jedenfalls wähnte, er habe die Leute mit seinen tonfusen Vorschlägen bezüglich einer Reform" des Hypothekenwesens gefapert, wollte Genossin Zieß nur circa 20 Minuten zur Diskussion gewähren. Dieselbe mußte sich durch ein lebhafte Geschäftsordnungs­debatte, bei welcher sie aufs fräftigste von den Versammelten durch Zwischenrufe unterstützt ward, erst Redefreiheit erkämpfen. Der Kandidat der Nationalsozialen förderte dann bezüglich der Sozial­demokratie solchen Blödsinn zu Tage, daß die Geduld der Versamm­lung auf eine harte Probe gestellt ward. Auf die Hauptfragen Zoll­tarif, Handelsverträge, Militarismus und Wahlrecht ging er über­haupt nicht ein. Keine Hand rührte sich nach Beendigung seiner Salbadereien. Genossin Zieß erklärte unter lebhaftem Beifall, daß es ihrer Ansicht nach die Versammelten beleidigen hieße, wolle sie auf all den Unsinn des Redners eingehen, vielmehr werde sie nach­holen, was der Redner ganz ignoriert, was aber just die wichtigsten Fragen seien, die bei der Wahl zur Entscheidung ständen. Einzeln ging Rednerin die verschiedenen Punkte durch und zeigte an der Stellungnahme der Nationalsozialen deren volksverräterisches Treiben. Jubelnder Beifall lohnte ihr und von allen Seiten streckten sich ihre Hände zum kräftigen Druck entgegen. Recht kläglich fiel das Schlußwort des Herrn Pohlmann aus. Die Erschienenen wollten. dasselbe nicht mehr anhören, sondern sich sofort entfernen als Ge­nossin Zietz geendet. Letztere mußte erst durch die Aufforderung einspringen, doch bis zum Schlusse zu bleiben und die Ruhe zu wahren. Auch in dem Dorfe Westermoor ward Herrn Pohlmann eine kräftige Abfuhr durch unsere Genossin zu teil. Die Zuhörer, wieder fast lauter Kleinbauern, spendeten nicht nur lebhaften Beifall, sondern äußerten auch nachher im Privatgespräch ihre Zustimmung zu den sozialdemokratischen Ausführungen, und einer der Bessersituierten unter ihnen spendete fünf Mark für die Parteikasse. Man sieht, der ,, antikollektivistische" Bauernschädel wird mehr und mehr den Ideen des Sozialismus zugänglich auch ohne Agrarprogramm. L. Z.

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Versuchte Mohrenwäsche.

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Aus den Kreisen der radikalen Frauenrechtlerinnen geht uns betreffs der Aktion des sonderbaren Vereins für Frauenstimm­recht", der im Wahlkampf die Forderung des Frauenwahlrechtes zag­haft und schamhaft fallen ließ, folgende Berichtigung zu:

Der Leitartikel der Gleichheit" vom 20. Mai enthält folgenden Passus:" In Hamburg   haben Frl. Heymann und Frl. Augspurg, die beide dem Vorstand dieser Organisation( Deutscher Verein für Frauenstimmrecht) angehören, in Artikeln wie in öffentlichen Frauen­versammlungen die bürgerlichen Frauen aufgefordert, der freisinnigen Volkspartei fräftige Wahlhilfe zu leisten."

Dazu ist zu bemerken:

Es ist nicht richtig, daß der Vorstand des Vereins für Frauen­stimmrecht die bürgerlichen Frauen der freisinnigen Volkspartei zu­führen will. In einem Rundschreiben, in welchem der Vorstand die Mitglieder zu politischer Betätigung auffordert, heißt es:

,, Dem Vorstand steht es nicht zu und es liegt ihm fern, die politischen Überzeugungen der Mitglieder beeinflussen zu wollen, es darf jedoch erwartet werden, daß letztere nur für solche Kandidaten wirfen, welche sich verpflichten, als Reichstagsabgeordnete für die Forderungen der Frauenbewegung prinzipiell einzutreten." gleiche Frauenbewegung" vom 1. Mai, Parlamentarische Beilage.) Ferner heißt es in der Frauenbewegung" vom 1. Juni in einer vom Verein für Frauenstimmrecht ausgehenden Nachricht:

( Ver­

,, Demnach können Frauen sich nun mehr den Parteiorganisationen der sozialdemokratischen, der nationalsozialen und der freisinnigen Volkspartei in Hamburg   anschließen, tatsächlich gehören auch bereits Mitglieder des Vereins für Frauenstimmrecht allen drei genannten Parteien an."

Aus diesen Belegstellen, die authentischer sind als irgend welche Zeitungsberichte über Versammlungen 2c. geht hervor: