Die Erhebungen über die Arbeitszeit erwachsener Fabrikarbeiterinnen in Preuhen im Jalzre 19l)2. il. Höchst lehrreich sind in den Einzelheiten der Erhebungen zunächst die Widerlegungen, welche hier königlich preußische Beamte gegen die alten Ladenhüter unternehmerlicher Weisheit vorbringen, beweisen und mit tatsächlichen Erfahrungen belegen, daß die Verkürzung der Arbeitszeit keinen dauernden Lohnverlust und keine nicht sich ausgleichende Produktionsverminderung nach sich zieht. Im Gegenteil! Der Wert der meisten niitgeteilten Erfahrungen, der Mehrzahl dieser Urteile liegt nun freilich wieder nicht in ihnen selbst. Er besteht vielmehr nur darin, daß wir hier neue Bestätigungen für sehr alle Wahrheiten aus behördlichem Munde hören Selbst unter allen auch nur halbwegs vorurteilslosen bürgerlichen Ökonomen gibt es längst keinen ernsthaften Streit mehr über die in Betracht kommenden Fragen. Einige Urteile verdienen aber doch auch um ihrer selbst willen weiteste Verbreitung. Wir greifen aus ihnen nur zur Charakteristik heraus. Da sagt zum Beispiel der Berichterstatter für einen der industriellen Regierungsbezirke, für den Regierungsbezirk Arnsberg , daß für die Verkürzung der Arbeitszeit schon so zahlreiche Gründe vorgebracht worden seien,„daß es sich erübrigt, diese zu wiederholen". Es hat sich nach seinem Wissen„noch immer— auch in der Textilindustrie — erwiesen, daß eine Herabsetzung der Arbeitszeit nicht eine einsprechende Verminderung der Produktionsfähigkeit nach sich gezogen hat." So kommt er unzweideutig zu dem Schlüsse: „Ebensowenig wie die Arbeiterschaft wird auch die Industrie eine nennenswerte Schädigung durch diese Maßregel erfahren und von einer dadurch verursachten Erschwerung des Wettbewerbes mit dem Ausland kann füglich wohl keine Rede sein." Dazu passen wie eine fortsetzende Beweisführung die Ergebnisse und Urteile, zu denen der Berichterstatter für den Regierungsbezirk Hildesheim kommen muß. Er stellt zunächst fest, daß die Arbeiter der Betriebe mit zehnstündiger Arbeitszeit in der Lage waren, den anfänglich natürlich vorhandenen Lohnausfall„durch bessere Ausnutzung der Arbeitszeit und intensivere Arbeit allmählich vollkommen auszugleichen", und daß weiter die Arbeitslöhne in den Betrieben mit elfstündiger Arbeitszeil„in der Regel nicht höher, vereinzelt sogar niedriger" als in den Betrieben mit zehnstündiger Arbeitszeit zu sein pflegten. Derselbe Berichterstatter, wie alle übrigen, die sich darüber positiv äußern, stellt fest, daß die Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeilers wie des betreffenden Betriebs mit der Verkürzung der Arbeitszeit in keiner Weise abnahm, sie„hatte vielmehr meistens besser geschulte und ordnungsliebendere Arbeiter sowie eine Verbesserung der Betriebseinrichtungen im Gefolge, wodurch die Konkurrenzfähigkeit nur noch gestärkt wurde". Mit etwas anderen Worten heißt dies alles weiter nichts als das, was unsererseits so tausendfach schon gesagt wurde: nämlich daß die Verkürzung der Arbeitszeit auch im wohlverstandenen Interesse der Unternehmer liegt. Freilich: nur im wohlverstandenen Interesse desjenigen Unternehmers, der die immanente Entwicklungstendenz der kapitalistischen Betriebsweise zu verstehen und zu unterstützen weiß, der mit der Zeit und ihren Fortschritten geht. Unser amtlicher Bericht sagt ganz klipp und klar:„Wo allerdings noch veraltete Betriebseinrichtungen benutzt werden, die teurer arbeiten, und wo die infolgedessen hohen Herstellungskosten der Erzeugnisse vorwiegend durch niedrige Löhne auf konkurrenzfähiger Höhe gehalten werden, können möglicherweise durch eine gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit Betriebseinstellungen vorkommen, wenn die Gewerbetreibenden nicht zu durchgreifender Verbesserung ihrer Betriebseinrichtungen übergehen. Auf die Dauer werden solche Betriebe aber auch bei einer elfstündigen Arbeitszeit nicht lebensfähig bleiben und zu Verbesserungen oder zur Einstellung des Betriebes gezwungen sein. Diese Betriebe verdienen deshalb meines Erachtens nicht die von ihnen beanspruchte Rücksicht, ihretwegen auf eine gesetzliche Festlegung der zehnstündigen Arbeitszeit für Arbeiterinnen zu verzichten." Das ist gewiß ein vernünftiges Urteil, das auch zwischen den Zeilen die unsäglich traurige Halbheit unserer sogenannten„Sozialreform" enthüllt. Auf Kosten von Millionen Proletarier und Proletarierinnen schützt sie betriebstechnisch zurückgebliebene Unternehmungen und hält sie künstlich hoch, ohne doch schließlich ihren naturnotwendigen Untergang verhüten zu können, nur daß aber erst das ganze physische und psychische Sein der Proletarier und Proletarierinnen geopfert wird. Das angeführte Urteil läßt aber auch weiter unsere andere oft erwiesene Behauptung durchleuchten, daß solche zurückgebliebene Betriebe gerade durch eine Reform der Betriebe selbst zu ihrer eigenen ökonomischen Rettung geradezu gezwungen werden. Neben diesen Einzelheiten allgemeiner Tendenz und Gültigkeit werden aber auch eine große Menge ganz spezieller Beispiele für die Möglichkeit und Notwendigkeit der Verkürzung der Arbeitszeit gegeben. Diese speziellen Beispiele stammen aus ganz bestimmten, genau angegebenen Betriebszweigen und Orlen und müssen gerade deshalb so augenfällig überzeugend bei allen wirken, welche den behandelten Fragen nicht vom einseitigst bornierten Unternehmerstandpunkt gegenübertreten. So wird zum Beispiel in dem Bericht über den Regierungsbezirk Breslau von einer Tonröhren- fabrik Mitteilung gemacht, die 130 Arbeiterinnen beschäftigt und zwar nach offizieller Angabe in elfstündiger Arbeitszeit. Bei Besprechung der Angelegenheit hatte der Fabrikleiter erklärt, eine andere als elfstündige Arbeitszeit ließe sich nicht durchführen. Demgegenüber stellt der amtliche Bericht ebenso trocken wie lehrreich fest: dieser Behauptung„muß entgegengehalten werden, daß die Fabrik fast jedes Jahr eine Zeitlang den Betrieb nur zehn Stunden dauern läßt, ohne daß Störungen für diesen entstehen. Durch die Einführung der wohl möglichen regelmäßigen täglichen zehnstündigen Arbeitszeit würde der Betrieb in der Fabrik ein mehr gleichmäßiger und geregelter werden und die Arbeiterinnen würden im Jahresdurchschnitt nicht viel weniger verdienen. Auch gibt die Fabrik derartig gute Dividenden, daß eine Lohnerhöhung der ohnehin schlecht bezahlten Arbeiterinnen ebenfalls wohl möglich wäre. Aber auch in sanitärer Beziehung muß hier die zehnstündige Arbeitszeit befürwortet werden... Dies Beispiel ist typisch. Die Arbeiterpresse berichtet täglich von unzähligen Fällen, in denen von den Arbeitsbedingungen das gleiche gilt. Aber ihre Berichte werden als übertrieben, gefärbt, gefälscht usw. erklärt, obwohl sie stets die sinipelsten und leicht nachzuprüfenden Tatsachen enthalten. Die nun vorliegenden amtlichen Ergebnisse können, sofern sie wahr und vorurteilslos berichten, die vorhandenen Tatsachen nicht auf den Kopf stellen. Ihre Wirkung ist um so größer, je weniger die Berichte einfache Feststellungen noch mit Beweisführungen begleiten. Die Beweisführungen in den Berichten wirken eigentlich doch am meisten für uns, wo sie gegen uns, wenn auch auffallend vereinzelt, vorgebracht werden. Mit diesen wenigen gegen die Verkürzung der Arbeitszeit vorgebrachten„Gründen" soll sich ein Schlußartikel kritisch beschäftigen. �l.«ir. Frauenarbeit im Gartenbau. Unter obiger Überschrift erschien bereits im Jahre 1899 in Nr. 10 der„Gleichheit" ein umfangreicher Artikel, der sehr zutreffend die Lage der im Gartenbau beschäftigten Arbeiterinnen schilderte. Seit dieser Zeit hat die Beschäftigung von Arbeiterinnen immer mehr zugenommen, von einem Steigen der Löhne dagegen hat man nichts gehört. Ja, die Hauptursache der zunehmenden Beschäftigung von Arbeiterinnen ist gerade in den niedrigen Löhnen, die ihnen gezahlt werden, zu suchen. Wie erbärmlich die gelernten Gärtner und Gartenarbeiter entlohnt werden, ist allgemein bekannt, und doch suchen die Gärtnereibesitzer diese für Hungerlöhne schaffenden Arbeiter durch die noch billigere Arbeitskrast der Frauen zu ersetzen! Aber nicht nur Privatunternehmer, nein, auch staatliche und kommunale Betriebe haben es längst herausgefunden, daß die Ausbeutung der Arbeiterinnen noch einträglicher ist, wie die der Arbeiter. So berichtete seinerzeit„Die Gewerkschaft", Organ der Gemeindebetriebsarbeiter, daß die Stadtgürtnerei in Dresden aus„Sparsam- keilsrücksichten" nicht nur umfangreiche Arbeiterentlassungen vorgenommen hat, sondern auch immer mehr die so kärglich entlohnten Parkarbeiter durch Frauen zu ersetzen sucht. Schreiber dieses, der im Frühjahr 1902 auf einer Agitationstour auch Dresden besuchte, war geradezu erstaunt über die große Anzahl weiblicher Arbeitskräfte,
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13 (7.10.1903) 21
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