Jahres 40000 Mark Einlagen mehr abgehoben, als im nämlichen Monat 1902. Die Zahl der erloschenen Konten war doppelt so groß, die der neuen Einlagen weit geringer als im Vorjahr. Ohne Prophet zu sein in Israel kann man behaupten, daß es nicht kämpfende Arbeiter und Arbeiterinnen sind, die ihre Spargroschen zurückholen und feine neuen deponieren. Die Textilarbeiter haben nichts auf die hohe Kante zu legen. Dagegen sind es die kleinen Geschäftsleute, die infolge stockenden Absatzes nichts auf die Seite bringen können und auf ihre Einlagen zurückgreifen müssen. Da eine Besserstellung der Arbeiter -ihrer Hauptfundschaft von großer Wichtigkeit für sie ist, stehen sie mit ihren Sympathien auf Seiten der Ausgesperrten. Die neuerlichen Versuche der Unternehmer, die Arbeiter der einzelnen Betriebe zur Wiederaufnahme der Arbeit. unter den alten Bedingungen zu bestimmen, sind kläglich gescheitert. So blitzte zum Beispiel der Inhaber der Firma Schmidt& Bilz ab, welcher seine Arbeiter" unter dem Deckmantel einer„ Besprechung in Krankenkassenangelegenheiten" eingeladen hatte, aber statt von Kassenfragen von den aufhehenden Führern redete und das hohe Lied der Fabrikanten sang, denen das Wohl ihrer Arbeiter am Herzen liege. Überflüssig zu bemerken, daß die löbliche Polizei pflichteifrig gegen jeden Streitposten einschreitet, durch den sich ein Fabrikant„ belästigt" fühlt. Die Ausgesperrten lassen sich weder zur Mutlosigkeit schrecken, noch zu Ausschreitungen provozieren. In würdiger Ruhe und Entschlossenheit harren sie aus, wollen sie den Kampf bis zu einem zufriedenstellenden Ausgang führen. Möchten sie, gestützt von der proletarischen Solidarität, bald einen ehrenvollen, vorteilhaften Frieden erstreiten.
Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation.
Fortschritte der Textilarbeiterorganisation in Meerane i. S. Was lange Jahre mühevoller Agitationsarbeit nicht durchzusetzen ver mochte, das hat die Profitsucht der Herren Schlotbarone mit einem Schlage vollbracht. Nichts war bisher imstande gewesen, die Arbeiter und Arbeiterinnen der Meeraner Spinnereien aus ihrer dumpfen Lethargie aufzurütteln. Sogar die Aussperrung und der große, erfolgreiche Weberstreit am Ort waren spurlos an ihnen vorübergegangen, hatten sie nicht veranlaßt, sich ihrer Organisation anzuschließen. Und doch tut ihnen deren Schuß bitter not. Schwer, allzuschwer lastet die mächtige Faust ihrer Ausbeuter auf ihnen. Endlich wurde in jüngster Zeit in den Indifferentismus der Meeraner Spinnereiarbeiterschaft Bresche gelegt. Und zwar trat ein ganz unerwarteter und unfreiwilliger Bundesgenosse der gewerkschaftlichen Hezzapostel" in die Schranken. In Crimmitschau wurden mit den Webern zusammen auch die Spinner und Spinnerinnen ausgesperrt, um durch Stockprügel auf den Magen von der Forderung des Zehnstundentags furiert zu werden. Dieser Umstand gab auch unserer Arbeiterschaft der Spinnereien zu denken und machte ihr den Wert gewerkschaftlichen Zusammenschlusses flar. Aus ihrer Mitte liefen Anmeldungen zur Mitgliedschaft bei dem Textilarbeiterverband ein, so daß sich die örtliche Leitung der Organisation zu dem Versuche ermutigt fühlte, dieser in einer öffentlichen Versammlung der Spinner und Spinnerinnen Anhänger zu werben. Die Versammlung fand am 16. September statt, war start besucht, und auch die Besitzer und Leiter der hiesigen Spinnereien wohnten ihr bei. Genosse Glanzmann Leipzig referierte über 3 weck und Nußen der Arbeiterausschüsse in den Betrieben". Von den Übelständen in den hiesigen Spinnereien gut unterrichtet, ging er mit den Herren Unternehmern scharf ins Gericht. Eindringlicher noch als der gespendete Beifall bewiesen die zahlreichen Anmeldungen zum Tertilarbeiterverband, daß er mit seinen Ausführungen ins Schwarze getroffen. In der Diskussion ergriff Genossin Fiedler das Wort und feuerte mit martigen Sägen namentlich die Frauen und Mädchen der Spinnereien an, sich neben ihre Arbeitsschwestern der Webereien, neben ihre Arbeitsbrüder in Reih und Glied der Organisation zu stellen.„ Seht euch um in eurem Kreise", so rief sie den Genossinnen zu. Was hat die Profitgier der Unternehmer aus euch gemacht? Wandelnde Leichen. Ausgemergelte Gestalten. Statt dem Rot der Gesundheit, dem Schimmer der Jugendkraft habt ihr den Stempel der Krankheit, frühzeitigen Welkens auf dem Antlitz. Wollt ihr, daß es so weiter geht? Nein, und tausendmal nein, das dürft ihr nicht wollen. Deshalb Hand ans Werk, eine jede von euch. Eine jede von euch muß im Dienste der Gewerkschaft Agitatorin, Organisatorin werden." In der weiteren Dis fussion wurde ein Bild der traurigen Arbeits- und Lohnverhältnisse in den Spinnereien entrollt. Wir berichten darüber demnächst an anderer Stelle und schließen hier mit der Hoffnung, daß die oben mitgeteilten zündenden Worte nicht ungehört verhallt sind, daß vielmehr die endlich in Fluß gekommene Bewegung andauert und dem Textilarbeiterverband zahlreiche Spinner und Spinnerinnen als treue Mitglieder zuführt.
176
Die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen von Chicago ist sehr gut entwickelt. Mr. Grant, der Hilfssekretär des staatlichen Schiedsgerichts von Illinois , anerkennt die Tatsache in einem Bericht. Er weist nach, daß die Arbeiterinnen von Chicago dank ihrer guten gewerkschaftlichen Organisation bereits begrüßenswerte Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen erreicht haben. In verschiedenen Gewerben, so zum Beispiel in der Papierindustrie, wurde durch das Eingreifen der Gewerkschaft ein Minimallohntarif festgelegt. Aus diesen Tatsachen sollten die deutschen Arbeiterinnen lernen, die noch immer nicht dem Beispiel ihrer aufgeklärten Schwestern gefolgt sind und der Organisation leider noch fernstehen.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
Für die zweite Konferenz der österreichischen Genossinnen, welche am 9. November in Wien zusammentritt, ist eingegangenen Anträgen entsprechend eine etwas veränderte Tagesordnung festgelegt worden. Sie umfaßt nun folgende Punkte: 1. Organisation und Agitation, Referentinnen die Genossinnen Lippa und Boschet; 2. Arbeiterinnenschutz, Referentin Genossin Popp; 3. Die Presse, Referentin Genossin Pohl; 4. Die politische Betätigung der Frauen, Referentin Genossin Schlesinger; 5. Die Bedeutung der Konsumvereine für die Arbeiterklasse, Referentin Genossin Nowat; 6. Eventuelles.
Frauenbewegung.
Die zweite Generalversammlung des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine und im Anschluß an sie die erste Generalversammlung des deutschen Vereins für Frauenstimmrecht haben vom 27. September bis mit 2. Oktober in Hamburg und Altona stattgefunden. Die erstgenannte Tagung hat sich mit verschiedenen wichtigen Reformfragen beschäftigt, so mit der Mutterschaftsfürsorge, der Arbeiterinnenorganisation usw. Wir werden auf die Verhandlungen der beiden Organisationen zurückkommen, sobald in der frauenrechtlerischen Presse zuverlässige Berichte darüber vorliegen. Elf weibliche Doktoren verschiedener Fakultäten haben im Studienjahre 1901/1902 an deutschen Universitäten promoviert, davon fünf in Heidelberg , zwei in Halle und je eine in Berlin , Freiburg , München und Straßburg . Vier Medizinerinnen errangen den Doktortitel, die anderen promovierfen Frauen studierten Philosophie, Philologie, Kunstgeschichte, Nationalökonomie, Geographie und Zoologie. Die 22. Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins hat unter dem Vorsitz von Helene Lange vom 27. bis 30. September in Köln a. Rh. getagt. In folgendem seine Tagesordnung: 1. Geschäftsbericht über die zweijährige Wirksamkeit des Vereins, erstattet von Helene Lange ; 2. Geschäftsbericht über die vom Verein gegründeten und geleiteten Gymnasialkurse für Mädchen, erstattet von Käte Windscheid; 3. Bericht der Stipendienfommission, erstattet von Anna Schmidt; 4. Die Schule im Kampfe gegen den Alkohol, Bericht über die einschlägige Tätigkeit der nordamerikanischen Frauen; 5. Bericht über die Kommission für Rechtsschutz; 6. Bericht über Reform- und Organisationsversuche auf dem Gebiete weltlicher Krankenpflege, erstattet von Elsbeth Krutenbug; 7. Antrag des Vorstandes:„ Der Verein wolle sich in der nächsten Geschäftsperiode die Aufgabe stellen, für die unbeschränkte zu= lassung der Frauen zu den Pflichten und Rechten der kommunalen Verwaltung, insbesondere auf dem Gebiete der Armenund Waisenpflege und der kommunalen Schulverwaltung zu wirken"; 8. Wie denken wir uns die Zukunft des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins?", Vortrag von Julie Eichholz. Die Generalversammlung erledigte außerdem noch die übrigen Geschäfte und eine Reihe von Anträgen. In Verbindung mit der Generalversammlung fand am 28., 29. und 30. September ein öffentlicher Frauentag statt mit folgenden Vorträgen:„ Wie erzieht das Haus für das soziale Leben?", Helene v. Forster;„ Frauenlöhne", Alice Salomon ; Sozi le Frauentätigkeit im Osten Deutschlands ", Marie Hecht; Moderne Sittlichkeitsprobleme", Ita Freudenberg ;„ John Stuart Mill und die Frauenbewegung", Marie Gothein;„ Die Frau als Bürgerin", Helene Lange . Wir werden uns mit den Arbeiten der Generalversammlung noch beschäftigen.
"
"
Zur Beachtung.
Alle auf die Agitation unter den proletarischen Frauen bezüglichen Briefe und Sendungen sind zu richten an: Difilie Baader
Vertrauensperson der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands Berlin SW., Blücherstraße 49, Hof II.
Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Bundel), Wilhelmshöhe , Post Degerloch bei Stuttgart. - Druck und Verlag von J. H. W. Diek Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart .