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Textilmagnaten der Gegend zahlen nämlich Löhne, welche jeder Beschreibung spotten, Hungerlöhne in der verwegenſten Bedeutung des Wortes sind. Sonntags fehren die jungen Proletarierinnen in ihre Heimatsdörfer zurück. Wieviel Gesundheit, wieviel Lebenskraft haben sie nicht hinter sich, in Fabrik oder Werkstatt zurückgelassen, Gesundheit und Lebenskraft, die sich in klingenden Gewinn verwandelt haben. Für wen? Nicht für sie selbst, die sich sauer mühten, nein, für den fremden Ausbeuter! Der Verdienst der jungen Mädchen ist ein so färglicher, daß sie für Kost und Logis nur sehr wenig aufwenden können. Kost und Logis sind denn auch danach. Kaffee, Kartoffeln, Brot sind die Hauptnahrungsmittel oder richtiger die hauptsächlichsten Magenfüllmittel. Und das Quartier, in welchem die abgerackerten Arbeiterinnen Ruhe, Erholung, Erquickung von harter Tagesfron finden sollen! Das Herz dreht sich einem fühlenden Menschen im Leibe um, wenn er einen Einblick in ihre Unterkunftsverhältnisse gewinnt. Da sind Quartiere, wo mehrere Arbeiterinnen ein Bett teilen müssen und so viele Betten in einem Raume stehen, als nur darin untergebracht werden können. Da sind Quartiere, in welchen 15 bis 20 junge Mädchen„ wohnen", das heißt auf dem Fußboden eine Massenlagerstätte haben! Welchen schweren Gefahren diese jungen Menschenkinder in gesundheitlicher und sittlicher Hinsicht preisgegeben sind, das brauche ich Dir, liebe Otti, nicht auseinanderzusetzen. Als ich von der Göbelbaude aus Landeshut erblickte, das vom herrlichsten Mondlicht umflossen still und friedlich da lag, hätte ich nicht geahnt, welche Unsumme von Leid und Elend sich in seinen Mauern verbirgt. Von Landeshut aus ging es per Geschirr nach Liebau. Ein wundervolles Panorama entrollte sich vor meinen bewundernden Augen. Rechts und links wird der Horizont von den Ausläufern des Riefengebirges umkränzt. Auf die Freude an der Fahrt folgte leider ein Enttäuschung. In Liebau, wo Glasfabrikation und Textilindustrie die Haupterwerbszweige sind, konnte keine Versammlung, nur eine Besprechung stattfinden. Und doch täte gerade hier fräftigste Förderung der gewerkschaftlichen Organisation bitter not. Nach Schluß der Besprechung ließen wir den Plan zur Tat werden, die Schneefuppe zu besteigen. Ich werde ein anderes Mal von den überwältigenden Eindrücken erzählen, die ich dadurch erhielt. Unauslöschlich haben sie sich meiner Seele neben den ebenso unauslöschlichen Bildern düsteren Elends eingeprägt, die mir unter der arbeitenden Bevölkerung Schlesiens auf Schritt und Tritt entgegengrinsten.
Meerane . Wie es scheint, haben die Crimmitschauer Polizei-| Pfennige an die Unternehmer der Leinenindustrie zu verkaufen. Die heldentaten in Meerane Schule gemacht. Am 5. November fanden hier zwei öffentliche Arbeiter- und Arbeiterinnenversammlungen mit der Tagesordnung statt:„ Der Grimmitschauer Kampf und was lehrt uns derselbe?" Referenten waren Genosse Pokorny Zwickau und Genosse Grenz- Leipzig. Die eine Versammlung verfiel noch vor Eintritt in die Tagesordnung der Auflösung. Nach der Bureauwahl verlangte der Überwachende die Ausweisung der Minderjährigen. Genosse Pokorny widersprach diesem Ansinnen, da die Tagesordnung keine politische sei und er als Referent auch feine politische Frage streifen werde. Der Vorsitzende fragte nun den Beamten, ob er auf seinem Verlangen bestehe. Dieser bejahte es. Ein Genosse erhielt darauf das Wort zur Geschäftsordnung, aber noch ehe ein Laut über seine Lippen gekommen, löste der Überwachende die Versammlung auf. Warum das, da sich doch der Vorsitzende nicht geweigert hatte, die Minderjährigen auszuweisen? Polizeiweisheit geht offenbar vor Versammlungsrecht. Die Auflösung der Versammlung fordert zum lebhaftesten Protest heraus; daß Beschwerde gegen sie geführt werden muß, ist selbstverständlich. Mit der agitatorischen Wirkung der als gesetzwidrig empfundenen Maßregel dürfen wir vollauf zufrieden sein. In der Versammlung waren auch Crimmitschauer Ausgesperrte anwesend. Sie ballten schweigend die Fäuste, aus ihren Blicken sprach das Gelöbnis, trotz aller Polizeischifanen weiter zukämpfen. Ihre stumme Zeugenschaft von der Ausbeutung und Knechtung des arbeitenden Volkes ist verstanden worden, denn sie befanden sich unter Brüdern und Schwestern. Die zweite Versammlung, die von tausend Personen besucht war, nahm nach dem vortrefflichen Referat des Genossen Grenz eine Resolution an, in welcher sie den Crimmitschauer Kämpfern moralischen und finanziellen Beistand versprach, die Gewerkschaften, wie die Generalfommission der Gewerkschaften zu kraftvoller Unterstützung derselben aufforderte und gegen das Vorgehen der Behörden auf das entschiedenste protestierte. Nach einer ausgiebigen Diskussion sprach Genosse Pokorny das Schlußwort. Er konnte jedoch seine Ausführungen nicht beenden, da der Überwachende ihm das Wort entzog und die Versammlung auflöſte. Das sächsische Juwel" strahlte wieder einmal im hellsten, ordnungsretterischen Glanze. Nun, trotz aller Versammlungsauflösungen können gerade wir Meeraner Sklaven und Sklavinnen des Textilkapitals mit den Crimmitschauer Ausgesperrten fühlen. Vor zwei Jahren warf uns das christliche Unternehmertum gerade zum Weihnachtsfest, dem„ Feste der allerbarmenden Liebe", aus unserer Arbeit. Allerdings war die AusSperrung nicht von langer Dauer, dafür mußten wir aber vor Jahresfrist einen dreizehnwöchigen Kampf bestehen. Wir Meeraner wissen also aus eigener Erfahrung, welch blutige Striemen und Wunden solch ein Kampf den Ausgebeuteten, den Armen schlägt. Wir bewundern deshalb euren Mut, ihr Crimmitschauer Brüder und Schwestern, euer heldenhaftes Dulden, euere treue Solidarität. Unser Herz schlägt höher, wenn wir eures Kampfes gedenken, bitter verwünschen wir die wirtschaftliche Schwäche, die uns der Genugtuung beraubt, euch so zu helfen, wie wir es möchten. Aber getrost, was wir allein nicht vermögen, das vermag die Kraft der gesamten deutschen Arbeiterklasse. Sie wird euch beistehen, daß ihr den prozigen Schlotbaronen die eine Stunde mehr entreißt, in der ihr als Menschen leben wollt. Das Unrecht darf nicht über das Recht triumphieren. Kopf hoch und weiter gestritten!
Es wälzt sich wie in Riesenbränden Heut' die Erkenntnis durch die Welt, Es muß des Goldes Herrschaft enden, Die uns bedrückt und niederhält. Die Arbeit muß das Szepter führen, Knecht soll nur sein, wer müßig geht, Die Arbeit muß die Welt regieren, Weil nur durch sie die Welt besteht.
Eine Agitationstour in Schlesien für den Textilarbeiterverband gibt mir Gelegenheit, wiederum mit Dir über schlesische Verhältnisse zu plaudern. Diesmal führte mich meine Tätigkeit nach Landeshut und von da nach dem Bergarbeiterdörfchen Rotenbach. Die Versammlung, die hier stattfand und dem Verband 44 weibliche Mitglieder zuführte, war von gegen 500 Männern und Frauen besucht. Mit gespannter Aufmerksamkeit folgten sie dem Referat; gar manche Träne wurde verstohlen zerdrückt, denn allzu hart ist für die Bevölkerung des Ortes der Kampf um das Dasein. In Rotenbach, wie in anderen benachbarten Dörfern, erblickt man wochentags kein junges Mädchen. Die Töchter der Bergarbeiter wandern Montags in aller Frühe in die Städte Landeshut , Liebau usw., um ihre Arbeitskraft für wenige
Von der Schneekuppe nach Görlig, mit anderen Worten: aus dem Reiche erhabenster, herrlichster Naturschönheit in das Reich der sozialen Not, der Ausbeutung und Knechtschaft. Besonders in der Textilindustrie und in der Knopffabrikation sind hier die proletarischen Frauen der schamlosesten Auswucherung der Arbeitskraft ausgeliefert. Die Heimarbeiterinnen der Knopffabrifation erwerben oft pro Woche nicht mehr als 6 Mart. Für 100 Gros Knöpfe werden sie mit 2,70 Mark entlohnt, das ergibt einen Stundenverdienst von 2,7 Pfennig! Noch geringer ist die Entlohnung für das Aufnähen der Knöpfe. 3 Pfennig ist der Satz, der für das Aufnähen von 2 Gros Knöpfen gezahlt wird. Eine fleißige Arbeiterin bringt es auf einen Tagesverdienst von 60 Pfennig. Mit Löhnen, an denen Tränen und Hunger hängt, werden auch die Heimarbeiterinnen der Wäscheindustrie abgespeist. Für das Säumen eines Dutzend Taschentücher setzt es 4 Pfennig, sage und schreibe vier Pfennig deutscher Reichswährung, und von diesem„ Schlemmerverdienst" muß noch der nötige Faden gezahlt werden! In der Textilindustrie sind Stundenlöhne von 13 bis 17 Pfennig nichts Seltenes. Die Herren Fabrifanten„ pfeifen" manches liebe Mal auf die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Arbeiterinnen. Kurz in jeder Hinsicht fordern die Arbeitsbedingungen das segensreiche Eingreifen der gewerkschaftlichen Organisation. Trotzdem macht diese nur langsame Fortschritte. In den drei Versammlungen, in denen ich in Görlitz referierte, gewann der Textilarbeiterverband 60 neue Mitglieder. In Lichtenau, liebe Diti, sprach ich unter neuen, eigenartigen Umständen. Eine Schmiede war das Versammlungslokal, ein Amboß diente als Rednertisch. Etwas für Freunde der„ Romantik!", Rein Wirt im Orte hatte gewagt, die gewerkschaftliche Versammlung zu beherbergen! Diese Tatsache allein schon redet Bände von der Abhängigkeit des werktätigen Volkes in Schlesien . 64 neue Kämpfer und Kämpferinnen war der Gewinn, den die Versammlungen in Langenbielau , Lauban und Gebhardsdorf dem Verband brachten. Die Versammlung in Ewersdorf in Böhmen , hart an der Grenze Deutschland und Österreich sind hier nur durch einen schmalen Steg getrennt hatte ein bemerkenswertes Vorspiel. Zwei Görlizer Genossen hatten auf österreichischem Boden Handzettel zur Versammlung verbreitet, waren aber dabei verhaftet und als Ausländer vier Tage in Numero Sicher behalten worden. Geschlossen wurden die„ Missetäter" durch Friedland nach dem Bahnhof geführt,
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