Nr. 25.
Die Gleichheit.
13. Jahrgang.
Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3189) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mr. 2.60.
Mittwoch den 2. Dezember 1903.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
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Juhalts- Verzeichnis.
Verlängerte Mittagspause oder früherer täglicher Arbeitsschluß für die Arbeiterinnen. III. Von Klara Zetkin . Was sollen wir lesen? Von Paul Br. Die zweite österreichische sozialdemokratische Frauerffonferenz. Von Adelheid Popp . Aus der Bewegung. Feuilleton: Mumu, das Hündchen des Taubstummen. Erzählung von J. S. Turgenjew . Aus dem Russischen übersetzt von 2. A. Hauff.( Schluß.) Notizenteil: Der Zehnstundenkampf der Textilarbeiter in Crimmitschau . Frauenbewegung. Frauenstimmrecht.
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Verlängerte Mittagspause oder früherer täglicher Arbeitsschluß für die Arbeiterinnen?*
III.
Die Grundlage der Vorteile, welche der weiter vorgerückte Arbeitsschluß der Arbeiterin bringt, bilden zwei Tatsachen. Das frühere tägliche Ende der Ausbeutungsmacht des Stapitalisten über die proletarische Erwerbstätige. Der Umstand, daß die Zeit, in welcher diese sich selbst, in der sie den Ihrigen gehören darf, nicht in fleine Bruchteilchen zersplittert, vielmehr zu einem Ganzen fristallisiert ist.
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Während der Mittagspause- auch wenn sie 11/2 Stunde beträgt ist die Herrenmacht, das Herrenrecht des Unternehmers über seine Hände" nur für eine so kurze Frist unterbrochen, daß die Unterbrechung von der Arbeiterin gar nicht als ein Entronnensein aus dem Bannkreis der kapitalistischen Ausbeutung empfunden werden kann. Die Proletarierin wird in dieser Zeit von dem Gedanken beherrscht, zur bestimmten Stunde wieder am Arbeitsplaz stehen zu müssen, um im Lärm, in der dumpfigen, oft ver= unreinigten Luft des Fabriksaals, der Werkstatt, müder, abge= spannter als am Vormittag die Lohnfron fortzusetzen. Er hält fie mit feinen, unzerreißbaren Fäden an den Betrieb gefesselt, läßt ihr all seine Anforderungen, alles, was in ihm sie hubelt, büttelt, kränkt und schädigt, gegenwärtig bleiben. Die Arbeiterin fühlt sich in der Mittagspause nicht frei, nicht als eigene Herrin, sondern als Ausgebeutete, der eine furze Stlavenrast vergönnt ist. Erst der Schluß der Arbeit gibt ihr das Bewußtsein, daß wenigstens für den einen Tag der unmittelbaren Herrschaft der ausbeutenden Macht über ihre Person ein Ziel gesezt ist. Mit dem Feierabend bei der Erwerbstätigkeit tritt die bittere, demütigende Empfindung in den Hintergrund, lediglich die von fremdem Reich tum ausgenußte Arbeitskraft, das lebendige Anhängsel des toten Räderwerks zu sein, die Wünsche und Bedürfnisse des Menschen der Rücksicht auf den kapitalistischen Profit unterordnen zu müssen. Je früher am Tage die Arbeiterin von dieser Empfindung erlöst wird, je ansehnlicher der Teil desselben ist, in welcher der Mensch, die Mutter, die Gattin in ihr zum Wort kommen kann, um so größer ist der Gewinn. Die entsprechende Stimmung ist eine wichtige Vorbedingung dafür, daß die erwerbstätige Proletarierin innerlich zum Ausruhen und Ausspannen kommt, daß sie ihres Menschentums froh wird, Kopf und Herz frei für die Aufgaben hat,
* Erscheint wegen chronischen Raummangels verspätet und an dieser Stelle. Siehe Nr. 17 und 18 der„ Gleichheit".
Buschriften an die Redaktion der" Gleichheit" sind zu richten an Frau Klara Bettin( 3undel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
die ihrer in Heim, im öffentlichen Leben, im Kampfe ihrer Klasse
warten.
Das Zusammenfallen der freien Zeit zu einem größeren geschlossenen Ganzen aber ermöglicht seinerseits eine bessere Einteilung und Ausnutzung derselben, sowohl für die nötige Erholung und Ruhe der Arbeiterin, als für die Erfüllung ihrer außerberuflichen Pflichten. Dieser Umstand ist nicht nur materiell von größtem Vorteil man erinnere sich, welche qualvolle Unrast das Bemühen für die Arbeiterin schafft, die zersplitterten Teilchen freier Zeit den häuslichen Aufgaben dienstbar zu machen, und welch Stückwerk troß allem das Resultat dieses Bemühens ist! sondern er übt auch einen erzieherischen Einfluß aus, der nicht zu unterschäßen ist. Er wirkt der kopflosen Zersplitterung und Vergeudung
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der Kräfte, dem Obenhin und Ungefähr der Leistungen entgegen und gewöhnt an planmäßige, vorbedachte Verwendung der Stunden, welche der kapitalistischen Ausbeutung entzogen sind, sowie an gründliche, sachgemäße Erledigung vorliegender Aufgaben. So schafft er äußere und innere Vorausseßungen für ein vollkommeneres Ausruhen der Arbeiterin, aber auch für ihre vielseitigere, volltommenere Betätigung. Es sei in dieser Beziehung nur auf zwei günstige Folgen verwiesen. Neben der häuslichen, der mütterlichen Pflicht vermag die Pflicht zur Selbstbildung, zur tätigen Anteilnahme an der Gewerkschaftsbewegung, am politischen Kampfe sich fräftiger durchzusetzen. Die Nachtruhe kann etwas früher den zweifachen Arbeitstag ablösen. Es erübrigt sich wohl, die einzelnen Vorzüge des früheren Arbeitsschlusses selbst zu erörtern. Sie sind allgemein bekannt und gerade in dieser Zeitschrift wiederholt ge= würdigt worden. Aus ihrer stattlichen Reihe sei indessen einer herausgegriffen, weil er oft übersehen wird. Die Annehmlichkeit für die Arbeiterinnen, welche auswärts oder weit vom Betriebe wohnen, den Heimweg der zumal bei schlechter Witterung oft wohnen, den Heimweg eine harte Strapaze ist noch bei Tageslicht zurücklegen zu können.
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Sind jedoch die summarisch aufgezeigten Vorteile um den Preis der bloß einstündigen Mittagspause nicht zu teuer erkauft? Ich glaube nein! Meines Dafürhaltens ist es für den Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschußes äußerst wertvoll, daß der trügerische Schein zerstört wird, als könne bei einer längeren als achtstündigen Arbeitszeit eine Unterbrechung des Schaffens von anderhalb, ja sogar von zwei Stunden dem Ruhe- und Schonungsbedürfnis des Organismus der Arbeiterin, der Rücksicht auf ihren Mutterberuf, ihre übrigen Verpflichtungen genügend Rechnung tragen.
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Ist dieser Schein zerstört, so deuten die nackten Tatsachen mit um so zwingenderer Gewalt auf die Notwendigkeit des möglichst frühen täglichen Arbeitsschlusses hin, auf die Notwendigkeit des Achtstundentags, zunächst wenigstens für die Arbeiterinnen. Und wenn die Ausbeutenden und Herrschenden die Sprache dieser Tatsachen nicht verstehen wollen, so wird sie bei den Ausgebeuteten offenes Ohr und offenes Hirn finden. Uebrigens dürfte dafür sprechen Erfahrungen das Unternehmertum einer Berkürzung des Arbeitstags weniger Widerstand entgegenseßen, wenn sie mit einer Zusammendrängung der Pausen Hand in Hand geht. Mag es zunächst die steigende Leistungsfähigkeit der Arbeitskräfte bei kürzerer Arbeitszeit unterschäßen oder leugnen, mit der Ersparnis an Betriebskosten für Beleuchtung, Beheizung usw., der kürzeren, aber intensiveren Ausnuzung der betriebstechnischen Einrichtungen wird es rechnen. Der Verzicht auf die Verlängerung der Mit