ist nur möglich zwischen Gleichberechtigten, zwischen Freien, sie kann ihr Band nicht schlingen um den Herrn, der gnädig, leutselig nach unten schaut, und um den Knecht, der demütig und furchtsam emporblickt. So schreitet auch zu Weihnachten die Liebestat selten über den Kreis der Gleichgestellten hinaus. In dem glänzenden Salon ist nur zu oft die konventionelle Lüge, die berechnende Heuchelei ihre korrumpierende Begleiterin; in der Hofwohnung, dem Dachstübchen geht ihr gewöhnlich die Not, die Sorge zur Seite und schließt die Hand, die gern und reichlich schenken möchte. Wo aber die Liebestat aus dem behaglichen, geschmückten Haus des Reichtums in die Hütte der Armut tritt, da wird ihr meist erst recht durch Nebenabsichten und Nebenumstände der köstliche Duft echter Brüderlichkeit geraubt, da ist sie häufig nichts mehr als eine niedrige Spekulation, ein kaltes Almosen, ein billiges Schweigegeld für die mahnende Stimme des Gewissens. Nur als Symbol der Sehnsucht und Hoffnung, nicht als Zeichen der Erfüllung vermögen die vielen Millionen Proletarierinnen das Fest der Liebe, das Weihnachtsfest zu feiern. Wie sollten sie von Erlösung, von Wohlgefallen frohlocken? An Leib und Seele tragen sie die Wunden, welche die kapitalistische Ausbeutung und Herrschaft den Armen schlägt. Sie sind schmerz- durchwühlte Zeugen, wie Gatte, Vater, Bruder in harter Fron sich verzehrt, wie die zarten Kleinen unter dem Giftodem des Kapitalismus welken, sterben, an Körper und Geist verkümmern. Hunderterlei Tatsachen ihres Daseins— von dem knapp geschnittenen oder mangelnden Brot bis zur unbezähmbaren bohrenden Sehnsucht nach der freien Entfaltung der Kräfte— bringen ihnen die Unfreiheit, die Qualen zum Bewußtsein, die in der kapita listischen Ordnung ihr und der Ihrigen Erbteil sind. Und läßt nicht gerade der Weihnachtstrubel und Weihnachtsjubel die Proletarierinnen lebendig empfinden, daß kein Heiland vom Himmel stieg, das traurige Los der Mühseligen und Be- ladenen zu wenden! Hinter den Scheiben der Läden lockt in überquellender Fülle und bunter Pracht was jung und alt ergötzt, wessen jung und alt bedarf. Mit wie wenig von den aufgespeicherten Schätzen könnte die Arbeiterfrau, die Arbeiterin das heiße Drängen des Herzens befriedigen und im bescheidenen Heim, im Kreise der Verwandten und Freunde helle Freude verbreiten, die dankbar aus glückseligen Kinderaugen glänzte, die stumm und beredt im Händedruck der Erwachsenen sich äußerte. Die Proletarierin muß mit den Beweisen ihrer Liebe unter dem Weihnachtsbaum kargen, muß es als glücklichen Zufall preisen, wenn sie überhaupt ein Tännchen mit Lichtern schmücken und etwas schenken kann. Und doch war sie es, waren es die ihrigen, welche die zahllosen Herrlichkeiten schufen, die in Läden und Verkaufsständen winken. Den Armen die Weihnachtsarbeit und den Weihnachtsschmerz, den Reichen die Weihnachtsfreude, also will es die kapitalistische Ordnung, welche vom christlichen Staat beschirmt, von der christlichen Kirche gesegnet wird! Das Bethlehem der Proletarierinnen liegt nicht rückwärts in grauer Vergangenheit, es grüßt sie aus dämmernder Zukunft. Es heißt Befreiung der Arbeit vom Joche des Kapitals. Nicht als himmlische Gnadengabe wird ihnen die Erlösung von der„Tyrannei der Not und der Not der Tyrannei" zufallen, sie reift langsam am Baume der geschichtlichen Entwicklung als Frucht der zielklaren Arbeit, des zielklaren Kampfes des Proletariats. Die Befreiung der Arbeit kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein, so mahnen die Weihnachtsglocken alle, die zur Welt der Ausgebeuteten und Beherrschten gehören. Als sein eigener Messias muß das Proletariat aus Nacht zum Licht emporsteigen. Schon hat es die Sonnenwende seiner Geschichte überschritten. Aus entsagungsvoller Unterwerfung und dumpfer Hoffnungslosigkeit ist es zum Bewußtsein seiner Leiden, aber auch zur Erkenntnis von den Bedingungen seiner Befreiung erwacht. Ein dornengekrönter Dulder und ein schwertgcgiirteter Held zugleich schreitet es vorwärts, aufwärts. Sein Kampf öffnet weit das Tor, durch welches die weltumspannende Brüderlichkeit für alles schreitet, was Menschenantlitz trägt. Als Fest der Sehnsucht nach endlich erlöstem, edelstem Menschentum muß deshalb die Proletarierin das Weihnachtsfest durch das Gelöbnis heiligen, treu die Schlachten des proletarischen Klassenkampfes schlagen zu helfen. Über den Heerscharen, die ihr Erlösung künden, glänzt nicht Bethlehems Stern und Kreuz, flattert trotzig das rote Banner. Die Arbeiterinnen in den Betrieben der Heeresund Marinrverwaltung. Im Reichstag wurde bei der Beratung des Etats am 23. und 31. Januar 1902 der Wunsch ausgesprochen, eine Ubersicht über die Verhältnisse in den Betrieben des Reiches zu erhallen. In der Folge gingen dem Parlament Ende Februar Übersichten zu über die Arbeitsverhältnisse in den Betrieben der Reichsmarineverivaltung und der vier Heeresverwaltungen. Dieselben bilden ein sehr umfangreiches Werk von 327 Seiten großen Formats, ein Werk, das auch manches über die Lage der Arbeiterinnen enthält. Wir geben nachstehend die wichtigsten Tatsachen davon wieder. Marineverwaltung. Als Durchschnittslohn der Arbeiterinnen werden 2,19 Mark angegeben, während der Berdienst der männlichen Arbeiter sich zwischen 3,03 Mark und 4,37 Mark im Durchschnitt bewegt. Lehrlinge und jugendliche Arbeiter erhalten einen durchschnittlichen Lohn von 1,20 Mark. Die Zahl der Arbeiterinnen scheint sehr zu schwanken. So betrug wenigstens die Mitgliederzahl in der Betriebskrankenkasse der Marinestation der Ostsee am 1. Januar 1900 87 Arbeiterinnen, am 1. Februar 99, am 1. Juli 104, im Durchschnitt des Jahres 99. Bei der Marinestation der Nordsee schwankte die Zahl der Arbeiterinnen zwischen 73 und 92 und betrug im Durchschnitt 80. Auf der Danziger Werft wurden Arbeiterinnen überhaupt nicht beschäftigt. Die Erkrankungsfälle der Arbeiterinnen waren auf der Marinestation der Ostsee erheblich geringer, auf derjenigen der Nordsee jedoch bedeutend größer, wie die der männlichen Arbeiter. Die Krankheitstage für einen Erkrankungsfall waren für die Arbeiterinnen auf beiden Marinestationen beträchtlich größer, bei der Marinestation der Nordsee sogar mehr als doppelt so groß als bei den männlichen Arbeitern. � Preußische Heeresverwaltung. Bei den technischen Instituten der Infanterie, die ein Mädchenheim besitzen, erhält die Vorsteherin desselben 1200 Mark, die Wirtschafterin 643 Mark neben freier Wohnung und Verpflegung im Mädchenheim. Die Löhne der eigentlichen Arbeiterinnen— bei zehnstündiger täglicher Arbeitszeit— bewegen sich bei den Stücklöhnerinnen zwischen 2,30 Mark und 2,30 Mark. Sie betragen im Durchschnitt 2,70 Mark bei den Aufseherinnen, während die eigentlichen Arbeiterinnen 1,80 Mark bis 2,30 Mark, im Durchschnitt 2,26 Mark pro Tag verdienen. Die Zeitlohnarbeiterinnen haben in der einen Kategorie 1,80 Mark bis 2 Mark, im Durchschnitt 1,96 Mark; ihre schlechter bezahlte Kategorie verdient 1,50 Mark bis 2 Mark, im Durchschnitt 1,91 Mark pro Tag. Der Tageslohn beträgt bei den Aufseherinnen 2,30 Mark bis 2,S0 Mark, im Durchschnitt 2,43 Mark. In den technischen Instituten der Artillerie ist für die weiblichen Stückarbeiter als Lohnsatz nach der Lohnordnung 1,30 Mark bis 2,30 Mark verzeichnet, tatsächlich wurden aber 2,49 Mark im Durchschnitt verdient. Bei den Zeitlohnarbeiterinnen finden wir Telepho- nistinnen mit 1,30 Mark durchschnittlichem Verdienst pro Tag. Das ist jedenfalls für diese nervenzerrüttende Tätigkeit auffallend wenig, auch im Vergleich mit den übrigen Löhnen in den betreffenden Instituten. Die Ausseherinnen verdienten im Durchschnitt 2,19 Mark bezw. 2,45 Mark; 13 Arbeiterinnen im Durchschnitt 2,34 Mark; 73: 1,52 Mark; 9: 2 Mark In den Artilleriedepots und Filialarlillerie- depots waren 1742 Arbeiterinnen tätig. Die Lohnordnung bestimmte für sie einen Verdienst zwischen 1.20 Mark und 2,50 Mark, der Durchschnitt ihrer Löhne aber betrug bloß 1,49 Mark. 6 Arbeiterinnen in den Traindepots verdienten im Durchschnitt 1,58 Mark. In den technischen Instituten der Infanterie erhielten 63 Arbeiterinnen 1,50 Mark bis 1,99 Mark; 35: 2 Mark bis 2,49 Mark; 2: 2,50 Mark bis 2,99 Mark. Die technischen Institute der Artillerie zahlten an Lohn 24 Arbeiterinnen 1,50 Mark bis 1,99 Mark; 76: 2 Mark bis 2,49 Mark. In den Artilleriedepots verdienten sämtliche Arbeiterinnen 1 Mark bis 1,49 Mark, in den Traindepots betrug der Verdienst aller Arbeiterinnen von 1.50 Mark bis 1,99 Mark. Von den 303 Arbeiterinnen in den technischen Instituten der Artillerie arbeiteten 295 bis acht Stunden und 3 acht bis neun Stunden. In den Artilleriedepots hatten 133 Arbeiterinnen die achtstündige Arbeitszeit, 249 eine acht- bis neunstündige und 1310 schafften neun bis zehn Stunden täglich. Für die 6 Arbeiterinnen der Traindepots betrug der Arbeitstag neun bis zehn Stunden. Im allgemeinen scheint in den Instituten der preußischen Heeresverwaltung für die Arbeiterinnen ein ständiges Är-
Ausgabe
13 (16.12.1903) 26
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten