208

Garn, das die Arbeiterinnen aus ihrer Tasche zahlen müssen. Auch| eine nette Gepflogenheit das, zugunsten der ausbeutenden Fabrikanten! Wenn diese Herren für das Garn aufkommen müßten, so würden die Aufseherinnen sich schön hüten, tadellose Streifen wieder abzu­reißen, aber da es auf Kosten der Näherinnen geht, lassen sie ihrem Belieben die Zügel schießen. Außer dem Garn muß jede Maschinen­nadel von den Arbeiterinnen gezahlt werden, und die Nadeln brechen oft, weil in der Regel alte, abgenügte Maschinen verwendet werden. Daß es an solchen Maschinen immer zu reparieren gibt, iſt selbstverständlich. Für die Reparaturen ist ein einziger Arbeiter angestellt. Da in dem Betrieb mehr als 200 Arbeiterinnen schaffen, kann der Arbeiter unter Umständen nicht rasch genug allen an ihn herantretenden Anforderungen genügen. Die Arbeite rinnen, deren Maschine repariert werden muß, stehen dann herum, warten und warten, bis sie wieder weiterarbeiten können, und am Wochenschluß bringen sie vielleicht nur die Hälfte von dem färglichen Lohne   nach Hause, auf den sie gerechnet hatten. Ein weiterer Übel­stand ist, daß die Lohnauszahlung Montags erfolgt, wahrscheinlich um in väterlicher Fürsorge zu verhüten, daß die Arbeiterinnen über Sonntag ihren Schlemmerlohn" verjubeln. Die paar sauer ver­dienten Mark müßten bereits am Freitag ausgezahlt werden, damit die Näherinnen Samstags ihre Einkäufe besorgen könnten und Sonntags etwas im Hause hätten. So trifft es sich oft genug, daß der Tag, der ein Ruhe und Sonnentag sein soll, Stunden der schwersten und schwärzesten Sorge bringt. Wie wenig bei den Arbeits­bedingungen auf die Gesundheit der Näherinnen Rücksicht genommen wird, das zeigt ein Umstand. Es ist eine bekannte, von jedem Arzte bestätigte und verurteilte Tatsache, daß die vornübergebeugte Haltung beim Maschinennähen sehr ungesund ist, doppelt ungesund für junge Mädchen, die noch in der Entwicklung stehen. Damit unsere Korsett­näherinnen sowenig als möglich in die Versuchung geführt werden, diese ungesunde Haltung für einen furzen Augenblick aufzugeben, die schmerzende Brust, den schmerzenden Rücken in bequemerer Stellung ausruhen zu lassen, hat der erfinderische Kopf der Unternehmer die Lehne an den Sigen abgeschafft. Über die Maschine geneigt, muß die Lohnsklavin weiter schaffen. Daß sie rastlos schuftet und schanzt, dafür sorgt außerdem schon das Akkordsystem, bei dem jede kurze Rast eine Verminderung des Verdienstes zur Folge hat. Im Tage­lohn stehen nur die Aufseherinnen, die kein Gefühl dafür zu haben scheinen, wie bitter es die Näherinnen am Lohne   empfinden, wenn sie nicht weiterarbeiten können, weil sie auf Arbeit, Zutat usw. warten müssen. Ein weiterer schwer empfundener Mißstand. Bei Rosenberg& Herz steht eine Fabrikordnung in Kraft, welche jede Arbeiterin unterzeichnen muß. In derselben ist für jede neueintretende Arbeiterin die Hinterlegung einer Kaution von 10 Mark festgesetzt, des weiteren sechswöchige Kündigung. Wenn eine Arbeiterin die Kündigungsfrist nicht einhält, so geht sie ihrer Kaution verlustig. Diese Kaution ist eine Kette, welche die Näherinnen an den Betrieb fesselt, sie veranlaßt, wochenlang Arbeits­bedingungen zu ertragen, die sie vielleicht schon nach wenigen Tagen als höchst ungünstig erkannt haben, und denen sie sich möglichst bald entziehen möchten. Arbeitsverhältnisse, wie die geschilderten, haben natürlich entsprechend traurige Lebensverhältnisse zur Folge und sind einer Großstadt wie Köln   unwürdig. Sie können nur dadurch ver­bessert werden, daß die Korsettnäherinnen die Wahrheit des Spruches begreifen: Einigkeit macht start", daß sie, die einzeln zu schwach sind, bei ihren Herren höheren Lohn und vorteilhaftere Arbeitsbedingungen im allgemeinen durchzusetzen, sich zusammenschließen, ihrer Gewerk schaftsorganisation beitreten und durch die Macht derselben ihre Interessen wahren. Des weiteren steht die Gründung eines allgemeinen Arbeiterinnenvereins bevor, der seine Mitglieder mit Wissen ausrüsten und an der Besserung ihrer Lage arbeiten wird. Wenn die Fabri­kanten der Korsettindustrie mit organisierten aufgeklärten Näherinnen rechnen müssen, werden sie es nicht mehr wagen, ihr Profitgelüfte so schrankenlos, gewissenlos auf Kosten der ausgebeuteten Arbeite­rinnen zu befriedigen, wie es leider heute noch der Fall ist. Wollen die Näherinnen den Feind im Erwerbsleben besiegen, so müssen sie zuerst den schlimmsten Feind in ihrem eigenen Innern überwinden: ihre Verständnislosigkeit, ihre Gleichgültigkeit gegen Aufklärung und Organisation. Eine ehemalige Korsettnäherin.

weiblicher Arbeitskräfte möglich ist, werden solche herangezogen. Niemand fragt danach, ob die verlangten Leistungen den weiblichen Organismus gefährden, die Gesundheit in kürzester Frist untergraben, wie dies zum Beispiel besonders bei der Arbeit am Brennofen der Fall ist. In der Hauptsache entscheidet nur ein Umstand über die Einstellung von Arbeiterinnen: der Hungerlohn, mit welchem diese sich abspeisen lassen. Ein Hungerlohn im wirklichen Sinne des Wortes, denn er ist bedeutend geringer als der Verdienst der Arbeiter, welcher auch schon niedrig genug ist und für die meisten eine austömmliche Lebenshaltung ausschließt. In Arzberg  , Hohenberg, Schön­wald und anderen Orten wird der Durchschnittsverdienst der Por­zellanarbeiter auf 12 bis 15 Mark in der Woche angegeben. Gewiß ein armseliger Lohn für einen Familienvater. Die Herren Unternehmer halten ihn jedoch offenbar noch für zu hoch. Sie stellen immer mehr Arbeiterinnen ein, die im Afford bei elfstündiger Arbeitszeit 80 Pfennig, 1 Mart, 1,20 Mart pro Tag verdienen. Sehr flinke und geübte Arbeiterinnen sollen es auch auf einen Tagesverdienst von 1,50 Mark bringen. Aber um ihn zu erzielen, müssen sie fieberhaft darauf los­schlagen und ihre Kräfte aufs äußerste anstrengen, ohne Rücksicht darauf, daß die Gesundheit dadurch in kurzer Zeit ruiniert wird. Die Unternehmer haben nur Augen für den fetten Profit, der aus der Verwendung weiblicher Arbeitskräfte herausspringt, sie sind blind für die Schädigungen, welche die kapitalistische Ausbeutung über die Frau verhängt. Von ihrer Einsicht ist keine Besserung der Arbeits­bedingungen der Arbeiterinnen zu erhoffen. Eine solche muß von den ausgebeuteten Frauen und Mädchen selbst in Gemeinschaft mit ihren Berufs- und Klassengenossen erkämpft werden. Die gewerk­schaftliche Organisation und die Gesetzgebung müssen die knechtende, verderbliche Macht des ausbeutenden Mammon beschränken und den Arbeiterinnen zu besserer Entlohnung und besseren Arbeitsbedingungen verhelfen. Um die Fahne des Verbandes und der Sozialdemokratie sich zu scharen und opferfreudig zu arbeiten, zu kämpfen, das sei auch die Losung der Porzellanarbeiterinnen. M. G.

Weibliche Fabrikinspektoren.

Als zweite Assistentin der württembergischen Fabrik­inspektion wurde Frl. Lina Weller angestellt. Die Dame war bisher Schriftführerin des Schwäbischen   Frauenvereins und Vor­steherin der Wanderkochkurse, die dieser organisiert hat. Ihre An­stellung ist zunächst provisorisch erfolgt, wie die der drei männlichen Gehilfen ohne höhere Vorbildung, um welche der Stab der Gewerbe­aufsichtsbeamten vermehrt worden ist. Ein Eisendreher aus einer Misch und Knetmaschinenfabrik zu Cannstatt  , ein Werkführer aus einer Holzwarenfabrik zu Laupheim   und ein Mechanifer und Mon­teur aus einer elektrischen Werkstatt zu Stuttgart   wurden auf die neugeschaffenen Posten berufen.

Frauenstimmrecht.

Das Frauenwahlrecht zu den gesetzgebenden Körperschaften der einzelnen Bundesstaaten hat die Sozialdemokratie abermals zusammen mit anderen Reformen zur Demokratisierung der Landtage im Reichstag gefordert. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion brachte einen Antrag ein, daß die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesstaaten auf Grund des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts zusammengesetzt werden müssen, das allen groß­jährigen Staatsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts zustehen soll. Wird der Verein für das Frauenstimmrecht" in der Tasche- noch länger das Märchen verbreiten, daß die Sozialdemokratie nur in der Theorie, nicht in der Praxis für die volle Gleichstellung der Geschlechter eintrete, und daß der bürgerliche Freifinn- in der Jammer­ecke der einzig berufene und verläßliche Vorfämpfer für das Frauenrecht sei?

Für das kommunale Frauenwahlrecht trat der sozialdemo­fratische Abgeordnete Kloß in der Kommission des württember= gischen Landtags ein, welche den Entwurf eines neuen Gemeinde­ordnungsgesetzes berät. Kloß befürwortete die Wahlberechtigung der Einwohnergemeinde und betonte dabei ausdrücklich, daß auch den Frauen das Wahlrecht zuerkannt werden müsse. Sein entsprechender Antrag erhielt nur seine eigene Stimme. Auch die der Kommission angehörenden Volksparteiler stimmten gegen ihn. Und die Volks­partei repräsentiert noch den fortgeschrittensten Flügel der bürgerlichen Demokratie!

Die niedrige Entlohnung der weiblichen Arbeitskräfte in der Porzellanindustrie bewirkt ein rasches Umsichgreifen der Frauen­arbeit. In der Porzellanindustrie von Wunsiedel  , Arzberg  , Tirschenreuth   und anderen Orten der Gegend ist die Zahl der verwendeten Arbeiterinnen stetig in Zunahme begriffen. Es gibt keine Branche, in der nicht Frauen und Mädchen beschäftigt würden. Frauen und Mädchen arbeiten in der Gießerei, Druckerei, Glasur, Malerei und am Brennofen, sie sind als Dekurarbeiterinnen, Sor­tiererinnen, Packerinnen tätig; überall, wo irgendwie die Verwendung Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. h.) in Stuttgart  .

Alle für die Redaktion der Gleichheit" bestimmten Sendungen sind zu adressieren: Frau Klara Zetkin  ( Zundel) Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  .