12

Begräbnis während des Ausstandes.

Bon Ada Negri. *

Du ärmlicher und kahler Leichenwagen, Den feine Blume ziert,

Und der des alten Maurers Leiche langsam Zur Grabeskammer führt,

Gleich stolzem Trauerwagen eines Königs Zur ew'gen Ruhe zieh.

Dir folgt ein Zug so glorreich und erhaben, Wie man ihn fah noch nie.

Zehntausend find's, und scheinen doch nur einer, So wuhig, beinah mild;

Und nur ein großer, einziger Gedanke

Die dichte Schar erfüllt,

Der auch aus ihren taktgemäßen Schritten, Dem gleichen Htmen spricht;

Verklärend über Not und Leid und Sterben Ein jedes Angesicht.

,, O Kamerad, der in dem schroffen, würd'gen Konflikte mit uns war,

Und der du starbft, auf dieses Zeichen hoffend, In deiner Freunde Schar;

Schau rückwärts, sieh!

-

Kam jeder, jeder her.

Zu deiner letzten Feier

Vernichtet säh' uns erst das Licht des Tages,

Wo wir vereint nicht mehr.

Wir wissen jetzt, daß glaubensstark umschlungen Wir diese Welt erneun.

Hls Erbschaft bleibt den Schwachen und Besiegten Das zorneswüt'ge Dräun,

Der blinde Stein, der Feuersbrünste Gluten,

Wie Blut, das wüste Schrein.

-

Wir sind der Strom, der majestätisch große, Der fließt ins Meer hinein;

Der Gletscher find wir, der in weißem Schweigen Empor zum Himmel blickt

Und ganz allmählich, aber unerbittlich, Den Berg durchbricht und rückt,

Der letzten Hoffnung, letzten Hilfe Quellen Sind morgen schon versiegt.

Nur keine Furcht, Kam'rad. Die Herzen beben, Huch wenn's an Brot fehlt, nicht.

Wie fern auch noch die ruhmesreichen Kämpfe Der Arbeit mögen sein,

Bei Kindersang und knospend duft'gen Rosen Jm goldnen Frührotschein,

Wie viele Opfer noch am Wege fallen, Der rauh von Dorn und Stein,

Bei ungleichart'gem Kampf, bei endlos düftrer, Trostloser Todespein

Der Mühsal, die uns keinen Trost gewähret Und fargen Lohn nur hat,

Und hartes Brot!.... Schlaf sanft in deinem Glauben,

Du toter Kamerad!

Zehntausend sind wir heut um deine Bahre,

Millionen morgen schon.

Vorbei zieht unser Zorn nicht wie Gewitter Mit Bliz und Donnerton;

Nein, weiter geht es, fest und unaufhaltsam Durch Elend und Gefahr;

Für uns nicht, nicht für uns, nein, nur zum Segen Für unsrer Söhne Schar.

Ein Klopfen gilt's mit wucht'gen Hammerschlägen In harten Fels hinein,

Um nach und nach, schwerkeuchend bloßzulegen Das Rückgrat vom Gestein.

Und unsern Glauben tragen wir am Schwerte Als schönste Blumenzier;

Stirbt uns ein Bruder, schließen sich die Reihen, Doch weiter schreiten wir.

Unbesieglich!

Jch weiß ein Heer von unbesiegten Streitern, Die nimmer weichen und die nimmer wanken; Sie stehn im Glied, die Waffen hoch, die blanken, Und trotzen euren Schüßen, euren Reitern. Sie stürmen eure Wälle ohne Leitern, Und auferstehn, so viel auch ihrer sanken, Weil sie vom Born des ew'gen Lebens tranken­An diesem Heer wird euer Heer zerscheitern. Schon gehn sie unsichtbar um eure Hallen Und hauen euren Löwen ab die Pranken Und hauen euren Adlern ab die Krallen.

Die Gleichheit

Im Armenhauſe.

Bon Ada Christen .

Nr. 2

Was war er aber für ein gutes Kind damals; wissen Sie, noch hochwürdiger Herr, wie ihn die französische Zeichenlehrerin da so abzeichnete, wie er leibte und lebte,

"

Mit einem raschen Ruck des Kopfes blickte die Frau dem Priester fest in die Augen, und es klang nicht spöttisch, wohl aber überzeugungsvoll abwehrend, als sie er­

widerte:

Große Warenballen, Fässer, Eisenstangen, hochaufge- und wie der Schelm mich dann selber hinten hingestrichelt schichtete Faßdauben und sauber geschlichtete Dachschindeln hat, zum Arger der Franzosenmamsell, die seine diden liegen jetzt vor dem grauen, fahlen, langestreckten Ge- Striche nicht mehr ganz wegwischen konnte. Wer hätte bäude, welches einst das Armenhaus der Stadt war. sich damals gedacht, daß ich alles das erlebe mit dem Die kleinen Fenstern sind trübe und schmutzig und schillern Rinde, was ich erlebt habe." Der Priester griff in seine fargen weißen Haare, räus­wie schlechte Perlmutter, wenn ein Sonnenstrahl durch die hohen Bäume dringt, die das Haus umgeben. Es perte sich wieder mit verhaltener Hand leicht und sagte mag wohl jezt zu Magazinen verwendet werden, denn mit erhobener Stimme plößlich, die Frau gleichsam un­die Glocken des fleinen Kirchleins läuten nimmer, alles vorbereitet mit seiner Frage überfallend: Aber heute werden Sie doch in die Kirche kommen, ist still und öde, nur das Verwaltungshaus, das nach der Hauptstraße gelegen ist, hat helle Fenster mit reinen Frau Weiß?" Vorhängen; vielleicht ist es ein Mietshaus geworden. Die niederen alten Häuser, die rings um das Armen haus standen, sind auch abgetragen, und große palast­artige Bauten sind jetzt seine Nachbarn, aber noch immer Oho!.... haben Sie sich endlich an dem letzten Tag, ragt das lange schlichte Dach über die höchsten Dächer den ich in diesem Hause verlebe, dazu hergegeben, mich hinweg, denn das Armenhaus steht auf einer Anhöhe, zu dem zu bringen, was ich volle fünfzehn Jahre nicht mitten in einem großen Garten, und die Mauer am tat?.... Daraus wird nichts, Hochwürden, in die Kirche, Fuße dieser Anhöhe schließt es rundherum von allen wo ihr Vorgänger mich von der Kanzel herunter eine Nachbarn ab. Gotteslästerin genannt hat, in diese Kirche gehe ich nicht Jetzt steht dem alten Armenhaus ein neues gegenüber, mehr. Wenn ich gehen würde, müßte ich mich vor allen mit fünstlichen Vorbauten und Aufsätzen, mit einem vor den alten Leuten schämen, die so wie ich mit einem Fuß nehmen Schieferdache auf den zwei Stockwerken, mit in der Grube stehen, ich müßte mich vor mir selber hellen, hohen Fenstern und einem zierlichen Eisengitter, schämen, weil ich mein Wort brechen würde. Mir ist statt der Mauer, um den modernen Vorgarten. Über damals unrecht geschehen in meinem allergrößten Schmerz; dem Einfahrtstor ist eine große Uhr, die sogar nachts fein ehrlicher Mensch setzt wieder seinen Fuß über die erleuchtet wird, so daß man sie aus weitester Ferne sieht. Schwelle eines Hauses, wo man ihn hinausgewiesen hat, Prächtige Gaslaternen brennen statt der blinzelnden Öl­um so weniger aber, wenn das Haus ein Gotteshaus ist. lämpchen, die in vergangener Zeit das alte Haus trüb- Ich bin in meinem Recht." selig beleuchteten.

Die Bewohner sind längst übersiedelt, entweder sie machen sich breit hinter den breiten Fenstern des neuen Gebäudes, oder sie fuhren eine gute Strecke weiter hin­aus, nach dem Friedhofe.... wo auch ein großer, neuer Winkel für die Gräber der Armen abgegrenzt wurde.

Als das alte Haus noch bewohnt war, machte es nicht den traurigen Eindruck, den es jetzt macht, damals war es recht lebendig in dem stillen Garten, in den weißge­tünchten Gängen, auf den sandbestreuten knisternden Treppen in den langen, hellen Stuben, trotzdem nur alte Männer und Frauen dort wohnten.

" Sie hatten damals unrecht und haben es heute noch," sagte der Prister eindringlich, fast bittend.

" Nein".... erwiderte die alte Frau starrköpfig, nein, Hochwürden. Um das Ja und Nein habe ich mich mit Ihrem Vorgänger fünf Jahre gestritten, ich bin bei meinem Nein geblieben, weil mir die christliche Milde fehlt".... hat er gesagt, mir!.... Es ist schade, Hoch­würden, daß wir zum Abschiede auf die alte traurige Geschichte zurückkommen, aber Sie wollten es, nicht ich."

" Weil Sie nicht mit einem Unrecht auf dem Herzen scheiden sollen von uns."

" Hochwürdiger Herr, nicht das Wort Unrecht! Wer in so eine große Frauenstube eintrat, der freute Unrecht? Unser Herrgott weiß es besser als die Mens sich fast ob der gleichmäßigen weißen Betten, die rechts schen, ob es ein so großes Unrecht war, daß ich gesagt und links in Reihen standen und nur durch kleine Kasten, habe: Es gibt keinen Gott ", daß ich das in meiner Ver welche zugleich Tische bildeten, getrennt waren. Jedes zweiflung zum Altar hinaufgeschrien hab', wie draußen dieser Kästchen enthielt das ganze Hab und Gut der Ver- vor der Kirchtüre mein einziger Sohn mit einer Kugel armten, und zu Häupten des Bettes hing eine schwarze in seinem ehrlichen Herzen dagelegen ist.... War mein Tafel, auf welcher ihr Name und Alter stand. Es war Sohn ein Rebell? Nein.... War er ein schlechtes alles so gleichmäßig in den Stuben, daß sich selbst die Kind? Nein.... Ein böser, ein liederlicher, ein fauler Menschen auf den ersten flüchtigen Blick glichen. Die Mensch? Nein, nein, nein, er war ein fleißiger, tüchtiger alten Frauen, die herumschlurften oder auf den Stühlen Bürgersmann wie sein Vater und sein Großvater ge­vor ihren Tischchen saßen, hatten nur durch ihre breit wesen. Er hat seiner alten Mutter einen Sonntagbraten gefalteten weißen Hauben und blauen Schürzen diese bringen wollen, hat sich weder um die Soldaten, noch Ähnlichkeit bekommen, doch wer genau hinsah, die alten um die Rebellen gekümmert, die aufeinander geschossen Gesichter wohl gar studierte, der fand in den Runzeln haben, denn er hat an seine Mutter gedacht, an sein und Falten seltsame Zeichen, die manche traurige, manche Weib und Kind; und doch hat die Kugel just ihn ge­sündhafte, manche harmlose Geschichte aus diesem abgetroffen, und just da unten vor dem Gotteshaus.... nüßten, wertlos gewordenen Leben erzählte.... Mitten durch die Orgelmusik und durch das Glocken­

Am obersten Ende einer solchen langen Stube stand läuten habe ich den Schrei gehört, der mir durch Mark ein großer niedriger Tischschrank, und auf dem Schranke und Bein gegangen ist; ich habe nur gewußt, es ist zwischen zwei blankgeputzten Messingleuchtern ein eben meinem Kinde ein Unglück geschehen, ich hab' das gespürt solches Christusbild mit einem Papierblumenkranz ge- in jedem Blutstropfen, und da bin ich in meiner Seelen­schmückt. über dem Christus an der Wand hing das Bild angst hinaus und habe ihn liegen sehen, o.... Ich hab' eines Knaben. Es war eine sorgliche, feine Zeichnung, und ihn heraufgerissen an mein Mutterherz und hab' nur die alte Frau, die dem Bilde gegenüber saß, mußte auch immer gesagt:" Anton! Anton! mach die Augen auf, dabei gesessen sein, als es gezeichnet wurde, denn im Anton!".... Aber die Augen sind zugeblieben, mein Hintergrunde sah man, wenn auch verwischt, die letzten einziger Sohn war tot.... Und da bin ich in meinem Spuren der gefalteten Haube, welche die Frau noch immer ersten Schrecken, in meiner ersten furchtbaren Verzweif trug. Auch die groben Umrisse des großen knochigen lung zurückgelaufen in die Kirche und habe aufgeschrien: Gesichtes waren noch zu erkennen, und die runden Brillen- Weiber, Weiber, Leut! mein Kind! hört's auf zu beten, gläser der Alten, die jetzt zu dem Bilde hinaufstarrten, es gibt keinen Herrgott mehr!"- Ich habe mir damals konnte man in etwas verzogenen Kreisen auch wieder gedacht, er hätte die unglückselige Kugel aufhalten müssen finden. Nur die Haare, welche dort die dunkelsten dicksten mit seiner allmächtigen Hand, ich habe mir damals ge­Striche andeuteten, mochten damals nicht so weiß gewesen sein wie jetzt, wo sie die blendend weiße Haube schier beschämten; freilich war die Frau fast achtzig Jahre alt. Neben dem Weibe, gleichfalls zu dem Bilde hinauf­sehend, saß ein Priester in dem düsteren Kleide seines Standes; er drehte eine kleine filberne Tabaksdose in seiner Hand, holte zuweilen teilnahmsvoll Atem und senkte das Haupt, als die Frau mehr zu sich selber als zu ihm sprach:

" Fünfzehn Jahre ist eine lange Zeit für ein altes Weib...."

dacht, unser Herrgott hat auf eine Weile abgedankt...." Die alte Frau zitterte vor Erregung und fant in sich zusammen, als sie geendet hatte, ihr zahnloser Mund aber bebte, als wiederholte er lautlos dem eigenen Herzen diese alte Leidensgeschichte.

Der Priester drehte die kleine Dose immer schneller in seinen weißen, fetten Händen, holte immer hastiger und hilfloser Atem, und endlich klopfte er die Frau auf die Schulter, als wollte er sie aus ihrem Brüten erwecken, dann schob er sein glattes, rotangehauchtes Gesicht vor, strich mit dem Daumen über seine weißen Brauen, wies aber dabei hinter sich auf die schweigsam umhersißenden Weiber. ( Schluß folgt.)

Sie fnotete einen großen Bündel, der zu ihren Füßen lag, fester zusammen, schob ihn beiseite, nahm ihre Brille ab und putzte sie mit ihrer Schürzenecke, steckte sie zögernd auf, schaute prüfend durch und sagte zu dem Priester ge Ludwig Pfau. wendet, der unruhig wie sie selbst allen ihren Bewegungen Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe

Ihr Heerschild blitet, und die Tempel schwanken, Ihr Schlachtrus donnert, und die Burgen fallen Kennt ihr die Streiter?

-

Das sind die Gedanken.

* Aus ,, Mutterschaft". Berlin , F. Fontane& Cie.

folgte:

Post Degerloch bei Stuttgart . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .