15. Jahrgang' vie GleichheitZeitschrift für die Interessen der ArbeiterinnenDie.Gleichheit' erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummerli) Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld SS Pfennig;unter Kreuzband SS Pfennig. Jahres-Abonnement 2,W Marl.Stuttgart den 22. März 1905Zuschriften an die Redaktion der.Gleichheit' sind zu richten an FrauKlara Zetkin(Zundel), Wtlhelmshöhe, Pos« Degerloch bei Stuttgart.Die Expedition befindet sich in Stuttgart, Furtdach-Straße lZ.Jnhalts-Verzeichnis.AuS Krähwinkel. I.— Woher kommt der Wert? I. Von JulianBorchardt.— Die weibliche Gewerbeaussicht im Deutschen Reich. III.Bon Emanuel Wurm.— Frauenrechtlerische Zweideutigkeit bei derArbciterinnenorganisation.— AuS der Bewegung: Von derAgitation.— Von dm Organisationm.— Jahresbericht derVertrauensperson der Genossinnen von Ripdorf. Von Anna Jäger.— Politische Rundschau. Von lZ. Ii,.Notizenteil: Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation.— SozialeGesetzgebung.— Fürsorge für Mutter und Kind.— Frauenbewegung.Feuilleton: Der Mensch. I. Von Maxim Gorki.— Menschenrechte.Von Friedrich Schiller.— Die Wallfahrt. Von Ludwig Thoma.Aus Krähwinkel.i.Nach Krähwinkel fühlt man sich versetzt, wenn mansich mit der Lektüre des Artikels bestrast, in welchemEdmund Fischer die grundsätzliche Forderung der Berufstätigkeit der Frau bekämpft(„Zur Frauenfrage", Märzheft der„Sozialistischen Monatshefte"). Die hervorstechendsten Merkmale der Krähwinkelei sind ihm aufgeprägt: Das kleinbürgerliche Vernarrtsein in eineSchneckenhauswelt und damit die Unfähigkeit, den breitflutenden Strom der geschichtlichen Entwicklung in seinemFluß, in seinem Woher und Wohin zu begreifen undunbefangen zu würdigen. Die philisterhafte Scheu vorden Tatsachen und dem Versuch, sie'Heoretisch zu durchdringen und zu meistern. Die Unbekanntschaft mit denIdeen und Forderungen, gegen welche Sturm gelaufenwird.In der Tat: der Artikel fällt ebenso unvorteilhaft aufdurch die Beschränktheit des Blicks, der Gedankengänge,wie durch die beschämende Unkenntnis der reichen Literaturüber die Frauen frage,"und zwar der sozialdemokratischenwie der bürgerlich- frauenrechtlerischen. Es ist bezeichnend, daß das jüngste Zitat, auf das er sich beruft,aus dem Jahre 1899 stammt! Wir schreiben 1905, undgerade in den letzten Jahren sind manche der tiefsten,innerlichsten Probleme der Frauenfrage erst aufgeworfenund geklärt worden. Nicht der reaktionär utopistischenAuffassung des katholischen Reformers Decurtins, wohlaber den sozialistischen Ausführungen über die Konfliktezwischen Mutterschaft und Berufsarbeit der Frau aufdem Internationalen Arbeiterschutzkongreß zu Zürich, 1897,und der scharfen sozialdemokratischen Kritik an der einseitigen bürgerlichen Frauenrechtelei, welche die Bedeutungder weiblichen Eigenart und weiblichen Sonderaufgabenleugnete, kommt zusammen mit den Schriften von LauraMarholm und Ellen Key das hauptsächlichste Verdienstdaran zu. Ein leidlich aufmerksames Studium derfrauenrechtlerischen Literatur läßt darüber keinen Zweifel.Für Genossen Fischer ist das alles Luft. Er erwähntdie angezogenen Ausführungen nicht einmal und hältsich für seine Polemik gegen die grundsätzliche Forderungder weiblichen Berufsarbeit auch nicht an das offizielleProtokoll des Kongresses zu Zürich, sondern an den unvollständigen Bericht des„Vorwärts". Bebels Buch„DieFrau und der Sozialismus" wird in der 9. Auflage von1891 zitiert, obgleich seither, 1903, die 34., ganz bedeutenderweiterte und umgearbeitete Auflage erschienen ist.Gewiß: dieser Umstand ändert nichts an Bebels grundsätzlicher Auffassung der Frauensrage. Aber immerhinist in der letzten Bearbeitung mancher umstrittene Gedankengang geklärt, manche Beweisführung ergänzt undstärker gestützt worden. Und für Genossen FischersArbeitsmethode, für seine Nichtvertiefung in die einschlägige Literatur bleibt es charakteristisch, daß er sichauf eine alte und nicht die vollkommenere Bearbeitungdes Problems beruft.Naiv erstaunt fragt er,„welchen Standpunkt denn"die sozialdemokratischen Frauen gegenüber den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen einnehmen könnten.„Gibt eseinen feststehenden sozialdemokratischen Standpunkt inder Frauenfrage? Oder ist nicht gerade auch in dersozialistischen Bewegung die Frauenfrage völlig ungeklärt?" Und auf diese Frage kennt er keine andere Antwort als einige Sätze aus unserem Programm, die sich aufdie volle soziale und rechtliche Gleichstellung der Geschlechter beziehen. Als ob nie ein Parteitag zu Gotha1896 über die Frauenfrage verhandelt und den Standpunkt der Partei ihr gegenüber in einer Resolution festgelegt hätte, die mit oder ohne der Billigung des GenossenFischer noch heute für die sozialdemokratische Stellungnahme maßgebend ist. Als ob nicht höher als Sätzeund Buchstaben von Programmen und Resolutionen dertiefe, lebendige Gehalt des Sozialismus stände, die fruchtbare, durch Tatsachen gestützte Einsicht in die Gesetze dergesellschaftlichen Entwicklung. Kurz: was Genosse Fischerzur Kennzeichnung des„völlig ungeklärten" sozialdemokratischen Standpunkts in der Frauenftage anführt, machtden Eindruck, aufs Geratewohl aus Onkel PhilistersZitatensack entnommen zu sein. Wir würden das nichtfestnageln, wenn nicht die souveräne Leichtfertigkeit, mitwelcher der Verfasser über die gesamte neuere Literaturzur Frauenfrage hinwegsetzt, ebenso groß wäre wie dieAnmaßung, mit welcher er von der Unklarheit des sozialdemokratischen Standpunkts spricht, um dessen„Revision"in Angriff zu nehmen.Es ist unmöglich, an dieser Stelle all den Irrungenund Wirrungen der Fischerschen Gedankenpfade nachzugehen. Banale Selbstverständlichkeiten sind mit unvollständigen, schiefen Einblicken und engen, kurzsichtigenAusblicken zu einem wahren Rattenkönig von Unklarheiken und Widersprüchen verfilzt. Wir müssen unsdarauf beschränken, das Wesentlichste herauszulösen.Genosse Fischer ist kein Unmensch. Bei Leibe nicht!Seiner Ansicht nach„muß die Frau politisch und rechtlich dem Manne gleichgestellt und ihr die Entwicklungsmöglichkeit auf allen Gebieten gegeben werden". Jedocheine Berufstätigkeit ist ihr vom Übel. Sie darf durcheine solche nicht wirtschaftlich vom Manne emanzipiertwerden und hat diese wirtschaftliche Emanzipation auchgar nicht nötig. Die Berufstätigkeit der Frau ist einÜbel der kapitalistischen Gesellschaft, eine vorübergehendeErscheinung, der von einsichtigen Sozialpolitikern entgegengearbeitet werden muß, die im„Zukunftsstaat"keinen Platz finden darf. Denn die Berufstätigkeit widerspricht der tiefften„Natur" des Weibes, die im allgemeinen einzig auf die Pflichterfüllung als Mutter undHausfrau gerichtet ist.„Wir kennen die Weise, wirkennen den Text", sie sind durch etwas modernisiertenAusputz nicht anziehender und überzeugender geworden.Was haben wir gegen diese„geklärte" sozialdemokratischeAuffassung einzuwenden?Sie sieht die Berufstätigkeit der Frau und die Mutterschaft im Lichte der kapitalistischen Ordnung und desvon ihr bedingten Um und Auf. Sie beachtet nur dieUmstände, welche innerhalb der heutigen bürgerlichenOrdnung ein harmonisches Nebeneinander beider Pflichtsphären hindern, erschweren, mit tausend Konflikten undSchmerzen verquicken, der höchsten Vollkommenheit desWirkens als Mutter und Berufstättge entgegenarbeiten.Wie jede Arbeit, jede Berufstätigkeit, so unterliegt auchdie der Frau dem Banne der Gesetze, welche aus derNatur des Kapitalismus entspringen. Sie fordert deshalb mehr von der Persönlichkeit ein, als in dem Wesender Berufstätigkeit selbst begründet ist. Das gleiche giltvon den Aufgaben der Mutterschaft, weil die auf demPrivateigentum aufgebaute kapitalisttsche Ordnung dasRecht des toten Besitzes vor das Recht des lebendigenMenschen stellt und die Gesellschaft in der Folge nurhöchst unvollkommen oder auch gar nicht ihre Pflicht erfüllt, für alle leiblichen und geisttgen Kräfte des Kindesdie günstigsten Entwicklungsbedingungen zu schaffen. AlsBerufstätige wie als Weib trägt die Frau die Sündender kapitalistischen Ordnung, welche naturgemäß im Proletariat auf's äußerste verschärft und zugespitzt in Erscheinung treten.Jedoch die kapitalistische Gesellschaft wird nicht nurvon Tendenzen beherrscht, welche der Berufstätigkeit wieder Mutterpflicht das Mal der Einseitigkeit und Unvoll-kommenheit aufdrücken. Neben ihnen setzen sich andereTendenzen durch, zeichnen sich Entwicklungslinien ab,welche in der Richtung einer harmonischen Vereinigungvon Mutterberuf und Berustsarbeit lausen. Der proletarische Klassenkampf bringt durch den erzwungenen gesetzlichen Arbeiterschutz, durch Sozialreformen überhauptund durch die gewerkschaftliche Macht auf dem Gebietder Handarbeit wie der Kopfarbeit gegenüber der Gewalt des ausbeutenden Besitzes und seiner Ordnung dasRecht des ausgebeuteten Menschen zur Geltung. Er führtdamit zu einer verminderten Versklavung der weiblichenPersönlichkeit durch die berusliche Arbeit. VerschiedeneUmstände— deren treibende Kräfte wir im Rahmendieses Artikels nicht aufzeigen können— wirken andererseits zu einer geringeren Einforderung des Weibes durchdie Segnungen und Bürden der Mutterschaft zusammen.Wohl mehren, vertiefen und weiten sich ihre Aufgabenmit der fortschreitenden Kultur. Allein diese steigert auchdie Einsichten, Kräfte und Hilfsmittel, über welche dieFrau zu ihrer Erfüllung gebietet. Der Anteil der Gesellschaft an dem Erziehungswerk wächst und wird betreffsder Ausgestaltung wie der Erziehenden mehr und mehrin Einklang mit seinem Ziel gebracht. In dem Maße,wie die Arbeit dem Kapital Konzessionen an das Menschen-tum der Arbeitenden entreißt, wird der Vater in seineRechte und Pflichten als Miterzieher der Kinder eingesetzt.Gewiß: die aufgezeigten Tendenzen können sich erst involler Macht und Reinheit durchsetzen, wenn die kapitalistische Ordnung zusammenbricht; wenn ihr giftigerHauch nicht länger die Anforderungen der Mutterschaftwie der Berufstätigkeit unnatürlich steigert; wenn in einervernünftigen sozialen Organisation die Frau als weiblicher Vollmensch Gott zu geben vermag, was Gott istund dem Kaiser, was des Kaisers ist. Sicherlich auch:die hervorgehobenen Tendenzen treten heute auf, behaftetmit Schwächlichkeit und zweckschädlichcn Begleiterscheinungen; behaftet mit allen häßlichen Muttermalen, welchedie Klassengesellschaft des Kapitalismus allen sozialenNeubildungen mitgibt. Nichtsdestoweniger sind die Entwicklungslinien und die Ausblicke, welche sie eröffnen,deutlich erkennbar und hoffnungsreich genug. Wir Sozialdemokraten haben daher nicht den geringsten Anlaß, dengeschichtlichen Werdegang bremsen zu wollen und uns,von Abscheu gegen die„zukunftsstaatliche Zwangserziehungsanstalt" geschüttelt, mit einem mitfühlendenSchluchzen an das kleinbürgerlich-freisinnige Herz desVaters der unglückseligen Strampel-Annie zu werfen.Eine Erwägung vor allem fällt schwer ins Gewicht,daß wir unsere grundsätzliche Auffassung über die Berufs!arbeit der Frau in Hinblick auf die Mutterschaft nichtmit Genoffen Fischer zusammen unter der Losung„revidieren�:„zurück auf Eugen Richter!" Die Erziehungdes Kindes muß denn doch von einem anderen Standpunkt aus bettachtet werden als dem des erhabenen Gefühls: das ist meine Frau, die in meinem Haushaltmein Kind erzieht. Das entscheidende Wort über dasProblem spricht die Rücksicht auf die höchstmögliche Vollkommenheit des erstrebten Resultats, auf die gesunde,kraftvolle Entfaltung der leiblichen und seelischen Kräftedes Kindes. Und da drängt sich die Frage aus: vermag''"die Erziehung im Heim, durch die Mutter allein dasKind zur starken, zur schönen Persönlichkeit zu entwickeln, dessen feste persönliche Eigenart mit dem klaren,lebendigen Bewußtsein des Gebundenseins an die Allgemeinheit sich paart. So hoch wir das mütterliche Wirkeneinschätzen; so unentbehrlich, ja so vertiefungsbedürftiguns der erzieherische Einfluß des Heims dünkt: wirsagen nein! �Die Erziehilng des Kindes muß das harmonisch zusammengestimmte Werk von Heim und gesellschaftlichenEinrichtungen, von Mutter und Vater sein. Die Erziehung des Kindes in öffentlichen Institutionen stellt diebestenpädagogischenKräfle,dievorzüglichstenpädagogischenHilfsmittel in den Dienst der Entwicklung der Jugend,Kräfte und Hifsmittel, über welche die Einzelfamilie nurausnahmsweise oder gar nicht verfügt./Die gemeinsame/Kindererziehung in öffentlichen Anstaltm muß das Wesendes Heranwachsenden von zarter Kindheit an demokratt-sicren, sozialisieren, mit der Überzeugung durchdringen,daß in der Allgemeinheit die starken Wurzeln der Kraftder Persönlichkeit ruhen, denn die Individualität darfnicht zur blonden Bestie des Herrenmenschen entarten."Aufgabe der Erziehung im Heim ist es dagegen, der persönlichen Eigenart ihr Recht werden zu lassen, in liebevoller, vernünftiger Weise zu individualisieren, denn das