32 Die Gleichheit Nr. 6 gedankenlose, ergebene, mittrottcndeHerdentier" ist nicht das Ideal der Entwicklung. Und wie sich bei der Zeugung des Kindes die Eigenart von Vater und Mutter mischt, so muß sie sich bei der Erziehung dem zweiten Schöpfungsakt und oft dem wichtigsten harmonisch vereinigen, damit das Beste von beiden Seiten her zur Blüte gelangt. Je mehr Spielraum außerdem die sich wandelnden sozialen Ver­hältnisse für die Differenzierung der Geschlechter schaffen, um so bedeutsamer ist es, daß die Erziehung aus ein­seitigem Mutterwerk zum gemeinsamen Elternwerk werde. Denn dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß die Geschlechter gegenseitiges Verständnis für ihre tiefste seelische Eigenart gewinnen und ihre Fähigkeit zur gemeinsamen Lösung aller Lebensausgaben, aller Kulturarbeit, steigern. Vielleicht nimmt sich Genosse Fischer die Mühe, einmal nachzulesen, was unter dem TitelMutterschaft und geistige Arbeit" imVorwärts" vom 31. August 1901 über das Problem veröffentlicht wurde. Aber freilich, er hat das Problem nicht vom Standpunkt der Menschheitsentwicklung aus ins Auge gesaßt, sondern von dem Maulwurfshügel der Krähwinkelei. So wird statt des allgemeinen Kultur­interesses die Liebhaberei des Philisters zum kritischen Maßstab, und die wandelbaren Erscheinungsformen der kapitalistischen Ordnung gewinnen für ihn Ewigkeits­bedeutung. Wir werden das in einem zweiten Artikel noch nach anderer Richtung hin nachweisen. Woher kommt der Wert? i. Nachdem wir in der vorigen Plauderei(Nr. 1 und 3 der Gleichheit") zu der Erkenntnis gelangt sind, daß das Wort Wert" eine doppelte Bedeutung hat, und daß zwischen Ge­brauchswert und Tauschwert ein großer Unterschied besteht, werden wir die heutige Frage für jede dieser beiden Arten Wert gesondert zu beantworten suchen müssen. Zunächst also: woher kommt es, daß ein Gegenstand Gebrauchs­wert für den Menschen hat? Manche Gegenstände haben von Natur Gebrauchswert, zum Beispiel Luft, Wasser, wild wachsende Früchte usw. Es gibt aber nur wenig Gegenstände, die wir so ohne weiteres ge­brauchen können, und überdies werden sie im regelmäßigen Verlauf der Dinge niemals Waren, bleiben also in der Volkswirtschaft außer Betracht. Der gesellschaftliche Reich­tum wir haben das ganz im Anfang festgestellt besteht aus Waren. Beschränken wir also unsere Frage auf die Waren, und halten wir uns wieder an ein ganz einfaches Beispiel, etwa an einen Stuhl. Woher hat der Stuhl seinen Gebrauchswert? Die Ant­wort liegt so klar zutage, daß ein Zweifel gar nicht möglich ist: er verdankt ihn offenbar der Arbeit, die ihn geschaffen hat. Ehe des Tischlers Arbeit aus dem Holze einen Stuhl machte, hatte das Holz freilich auch einen Gebrauchswert, aber einen anderen als den des Stuhles. Erst die Arbeit war es, die den Gebrauchswert Stuhl schuf. Hätte der Tischler das Holz in anderer Art verarbeitet, so wäre viel­leicht ein Tisch daraus geworden, ein anderer Gebrauchs wert. Hätte statt des Tischlers ein Zintmermann das Holz unter die Hände bekommen, so hätte auch er etwas Nütz­liches daraus gemacht, aber wieder von anderem Gebrauchs­wert. Je nach der Art der Arbeit, die auf einen Stoff ver­wendet wird, kommt ein anderer Gebrauchswert heraus. Der Gebrauchswert einer Ware hängt von der Art der Arbeit ab, die sie geschaffen hat. Wie steht es nun mit dem Tauschwert? Nehmen wir zum Beispiel folgende Reihe: Tauschwert eines Tisches 20 Mark -» Stuhles 6- -- Paares Stiefel 12- - einer Vase---3- Man sieht auf den ersten Blick, daß hier von verschiedener Qualität gar nicht die Rede ist, sondern nur von ver­schiedener Quantität. Aus der Tatsache, daß der Tausch- ivert aller möglichen verschiedenen Waren sich in demselben Gegenstand, in Geld ausdrücken kann, folgt, daß in allen Waren ein und dieselbe Art Tauschwert steckt, nur in verschiedenen Mengen. Vom Tauschwert gibt es nur eine Sorte in allen Waren. Woher kommt nun aber der Tauschwert der Waren? Hiermit sind wir bei einer Frage angelangt, die nicht nur zu den schwierigsten der ganzen Volkswirtschaftslehre gehört, sondern die auch für das theoretische Verständnis des So­zialismus von der allergrößten Wichtigkeit ist. Sie bedarf deshalb ganz besonderer Aufmerksamkeit. Die landläufige Antwort auf unsere Frage ist diese: der Preis(das ist ja der in Geld ausgedrückte Tauschwert) richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Damit ist folgendes gemeint: eine Ware, die zum Beispiel 20 Mark kostet, wird nicht immer gerade für 20 Mark verkauft. Wenn viele Käufer sie begehren und wenig von der Ware zu haben ist, so machen sich die Verkäufer diesen Umstand zu Nutzen und erhöhen den Preis. Sie verlangen und kriegen auch 21, 22, 25, ja vielleicht gar 30 Mark. Umgekehrt, wenn wenig Nachfrage vorhanden ist und viel Ware, so müssen die Verkäufer, um überhaupt etwas los zu werden, im Preise nachlassen? sie verkaufen dann für 19, 18, 15, vielleicht sogar für 10 Mark. Es finden also Schwankungen des Preises statt, und zwar gilt das für alle Waren. Wenn demnach gesagt wird, eine Ware sei 20 Mark wert, so bedeutet das nicht, sie werde immer für 20 Mark verkaust, sondern es bedeutet: ihr Preis schwankt um den Satz von 20 Mark herum. Die verschiedenen Waren wechseln ihre Preise nicht mit der gleichen Geschwindigkeit. Manche bleiben jahr­zehntelang auf demselben Preis, andere wechseln innerhalb eines Jahres drei- bis viermal. Aber früher oder später kommt für jede Ware der Zeitpunkt, an dem sie ihren Preis ändert. Es wird nun behauptet, diese Schwankungen der Preise würden veranlaßt durch den wechselnden Stand von An­gebot und Nachfrage. Diese Behauptung ist anfechtbar, und in der allgemeinen Form, wie sie häufig aufgestellt wird, ist sie jedenfalls falsch. Man vergißt zum Beispiel leicht, daß die wachsende Nachfrage sehr oft erst eine Folge der Verbilligung ist. Ja, die wichtigste Tatsache in der Wirt­schaftsgeschichte der letzten drei Jahrhunderte ist gerade die, daß zuerst die Preise vieler Waren ermäßigt wurden aus ganz anderen Gründen, als wegen wachsenden Angebots und daß dann infolge der billigeren Preise das Angebot und hinterher, wiederum infolge des vermehrten Angebots, die Nachfrage zunahm. Man kaufte die Waren, weil zu billigem Preise viel davon angeboten wurde. Indessen können wir diesen recht schwierigen Gegenstand hier ganz außer Betracht lassen. Denn wenn wirklich die Schwankungen der Preise durch Angebot und Nachfrage erklärt würden, so ist dadurch doch nichts erklärt für den Preis selbst. Dieselben Gründe, welche den Preis eines Tisches von 20 Mark auf 21, 22, 25 Mark hinauftreiben, würden ihn auch von 1000 Mark auf 1001, 1002, 1005 Mark erhöhen. Weshalb aber schwankt der Preis des Tisches gerade um den Satz von 20 Mark herum, weshalb nicht um 1000 Mark oder um 50 Pfennig? Das ist der Sinn unserer Frage und hierüber sagt uns der wechselnde Stand von Angebot und Nachfrage offenbar gar nichts. Sie er­klären höchstens die Abweichungen vom mittleren Satz, aber nicht den mittleren Satz selbst. Mehr noch: sie er­schweren es sogar, die richtige Antwort zu finden. Weil die Preise schwanken, deshalb kann man nicht ohne weiteres sehen, wieviel eine Ware wert ist. Erst wenn gerade so viel von einer Ware angeboten wird, wie die Käufer begehren, das heißt mit anderen Worten, erst wenn Angebot und Nachfrage sich decken und somit gegenseitig ihre Wirkung auf den Preis aufheben, erst dann wird die Ware zu dem mittleren Preise verkauft, den man sich sonst erst mühsam herausrechnen muß. Also, um überhaupt erst den richtigen Wert einer Ware zu erkennen und die Frage, woher dieser Wert kommt, erst richtig stellen zu können, muß man sich dieWirkung vonAngebot und Nachfrage wegdenken. (Mit einem Fremdwort nennt man das: von Angebot und Nachfrage abstrahieren.) Die weibliche Gewerbeaufsicht im Deutschen Reich*. Von Emanuel Wurm . III. Württemberg. Weit erfreulicher wie die preußischen und sächsischen sind die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamtinnen Württembergs, wie ja überhaupt die ganze Gewerbeaufsicht dieses Landes ein fortschrittlicher Geist durchströmt. Ist doch auch im vergangenen Jahre auf Antrag unserer Genossen hin eine weitere Vermehrung der Aufsichtsbeamten beschlossen wor­den, so daß alle Betriebe jährlich wenigstens einmal revidiert werden können, während bisher nur die Hälfte besucht wurde. Auch sollen Arzte zur Gewerbeinspektion zugezogen werden. Was aber die württembergische Gewerbeaufsicht vor der aller andern deuffchen Staaten auszeichnet, ist ihr Zu­sammenarbeiten mit der organisierten Ar­beiterschaft. Die Organisationen werden als berechttgt und notwendig betrachtet, nicht wie in den Ländern des Russenkurses als Herde des Aufruhrs und der Aufhetzung. Gewerberat H ardegg schreibt im Jahresbericht für 1903 den Unternehmern folgenden Merkzettel:Man gebe sich keiner Täuschung hin, die beruflich organisierte Arbeiter­schaft läßt in ihrem Streben, die Arbeiterschaft über ihre ge­setzlichen Rechte aufzuklären, nicht nach. Im Gegenteil, sie fordert die Arbeiter bei jeder sich darbietenden Gelegenheit auf, ihre gesetzlichen Rechte zu wahren. In diesem Sinne wirkt sie agitatorisch, und die Nichteinhaltung gesetzlicher Bestimmungen gibt ihr die Handhabung dazu. Jedes neue Arbeiterschutzgesetz, das nicht mit aller Entschiedenheit ge­handhabt wird, führt zu einer Verschärfung der sozialen Gegensätze. Die Arbeitgeber haben es in der Hand, die bestehenden Gegensätze, wenn nicht zu heilen, so doch zu mildern." Entsprechend dieser Anschauung ist die württembergische Ge­werbeaussicht, als sie von den Arbeiterorganisationen dazu aufgefordert wurde, mit diesen in Verbindung getteten. Die Gewerkschaften Württembergs beschlossen am 26. Mai 1893, Vertrauenspersonen zu wählen, die die Beschwerden der Arbeiter den Gewerbeaufsichtsbeamten übermitteln und mit ihnen in steter Verbindung bleiben sollten. Alle zwei Jahre finden Konferenzen der Vertrauensleute statt, an denen die Gewerbeinspektoren aus ergangene Einladung hin regelmäßig teilnehmen. Seit 1897 werden von den Gewerkschaften auch weib­liche Vertrauenspersonen gewühlt. Gewerberat Har- degg schilderte in einem am 20. Februar 1904 in einer Stuttgarter Versammlung organisierter Arbeiter abgehaltenen * Siehe Nr. 2 und 4 derGleichheit". Vorttag(abgedruckt in derSozialen Praxis", Nr. 3335, 1904) die überaus wichtige Rolle, die den Vertrauenspersonen bei der Gewerbeaufsicht zufällt. Daß die Aufstellung der Verttauenspersonen den einzelnen Arbeiterorganisationen zusteht, erklärt er als selbstverständlich.Nur da, wo solche nicht bestanden, namentlich bei der großen Zahl der Ar-! beiterinnen, die einer Organisation nicht angeschlossen waren, noch einen solchen Anschluß suchen, sollte in der Person von Schwestern und Diakonissen der gewünschte Rückhalt gegeben werden." Im Jahre 1903 waren 94 Ver­ttauenspersonen in Württemberg tätig, davon ZV weibliche. Von letzteren waren 13 durch die Gewerkschaften gewählt, 3 durch die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, und 34 waren Privatpersonen, katholische Schwestern und Diako­ nissen . Daß die Gewerkschaften die kleinere Zahl der Ver­ttauenspersonen stellten, entspricht der leider noch so ge­ringen Beteiligung der Arbeiterinnen an der Gewerkschafts­organisation. Gewerberat Hardegg sucht die Ursache der überhaupt größeren Interesselosigkeit der Ar­beiterinnen an sozialen Bestrebungen zum größten Teil mit Recht darin, daß die Arbeiterin die Lohnarbeit nur als eine vorübergehende Tätigkeit betrachtet.Der größere Teil der weiblichen Personen," sagt er in dem schon ermähnten Vorttage,welche auf längere oder kürzere Zeit in der Fabrik Arbeit suchen, kommt aus der Landwirtschaft und ist mit ihr aufs engste verbunden. Die Idee, wieder dorthin zurückzukehren oder wenigstens bei der Verheiratung die Fabrik dauernd zu verlassen, ist bei der Mehrzahl stark vertreten, so daß sie sich wenig um die besonderen Verhält­nisse kümmert, in denen sie gerade steht. So war es denn erklärlich, daß die Arbeiterinnen der Mehrheit nach dieser sozialen Einrichtung(der Wahl und Inanspruchnahme weib- I licher Vertrauenspersonen) sehr wenig Verständnis entgegen­brachten." Die Inanspruchnahme der weiblichen Verttauenspersonen war eine recht geringe, und zwar sowohl der katholischen Schwestern und Diakonissen wie der von den Arbeiterorga­nisationen Aufgestellten, sofern diese nicht selbst in der Fabrik tätig waren. Daher kommt Gewerberat Hardegg zu dem Schluß, daß es am zweckmäßigsten ist, wie die Er­fahrung zeigt, die weiblichen Vertrauenspersonen aus den Kreisender Lohnarbeiterinnen selbst zu wählen. Selbstverständlich sehen die meisten Unternehmer darin nichts als ein Mittel, die Arbeiteraufzuhetzen" undUn­frieden zu säen". Dem entgegnet Gewerberat Hardegg im Jahresbericht für 1903:Es ist eine vollständige Verken­nung der wahren Ursachen, ungute Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in dem Vorhandensein von Verttauenspersonen zu suchen. Denn in denjenigen Gegen-! den, in denen keine Vertrauenspersonen aufgestellt sind und in denen die Arbeiter gar nicht den Mut haben, sich an die Beamten zu wenden, sind die Beziehungen zwischen Arbeit­geber und Arbeitnehmer keinesfalls besser, es hat oft nur so den Anschein. Durch die freie Zksissprache des Gewerbe­inspektors mit dem Arbeitgeber einerseits und deni Arbeiter andererseits wird dem sozialen Frieden viel mehr gedient, als wenn eine solche Aussprache durch Einschüchterung ge­hindert ist." Entsprechend dieser verständigen Auffassung der Aufgabe der Gewerbeaufsicht und der sozialen Zustände ist auch der Jahresbericht der württembergischen Gewerbeinspettions- Assi st entinnen gehalten. Ja, Württemberg ist das ein­zige Land, das überhaupt einen besonders zusammen- gestellten und dadurch auch übersichtlichen Bericht der Assistentinnen bringt. Als solche fungierte für alle drei Bezirke Württembergs Frau Grünau. Ende 1903 wurde noch eine A s s i st e n t i n, Fräulein Weller, eingestellt, über deren Tätigkeit aber erst der nächste Jahresbericht Rechen­schaft ablegen wird. Frau Grünau hat 393 Anlagen revidiert, sieben Besuche bei Verttauenspersonen gemacht und sieben Besichtigungen von Mädchenheimen, Krippen usw. vorge-. nommen. Gegen das Vorjahr ist die Zahl der Revisionen etwas geringer, weil die Beamtin mit statistischen Arbeiten beschäftigt war. Die Assistentin wurde mehrfach von Arbeitgebern belästigt; einer beschuldigte sie der Aufhetzerei der Arbeiterinnen, ein anderer ließ sie trotz Legitimation nicht in die Fabrik hinein, ltber ihren Verkehr mit den Arbeiterinnen berichtet Frau Grünau so wie in den früheren Jahren:Wenn die Ar­beiterinnen mit der Assistentin allein sind, sind sie zutraulich und kommen mit allen möglichen Anliegen; wird die Be­amtin bei der Revision vom Unternehmer oder einem seiner Angestellten begleitet, dann sind die Arbeiterinnen scheu und verlegen. Leider sind manche Arbeiterinnen so durch Not und den ständigen Druck der Furcht vor Entlassung einge­schüchtert, daß sie der Beamtin im Interesse des Unter­nehmers die Unwahrheit sagen und den Zweck der Revision dadurch vereiteln." In einer Waschanstalt entzogen sich vier Arbeiterinnen, die über die gesetzliche Zeit hinaus beschäftigt waren, der Kontrolle durch Verlassen der Arbeitsräume bei Erscheinen der Beamtin. Als es zur gerichtlichen Verhandlung kam, wurde der Arbeitgeber freigesprochen, weil er von dem Aufenthalt der Arbeiterinnen nichts gewußt habe! Die Beamtin beschwert sich, daß die weiblichen, von den Organisationen gewählten Verttauenspersonen so wenig von den Arbeiterinnen aufgesucht würden, wie überhaupt die Arbeiterinnen sehr gleichgültig gegenüber den Schutzbeske- bungen sich zeigten. Die Beamtin meint:Die Furcht vor Maßregelung allein kann es nicht sein, was die Arbeite­rinnen die bestehenden Einrichtungen nicht benutzen läßt, denn sie wissen zur Genüge, daß weder von Verttauens­personen noch von Gewerbeaufsichtsbeamten die Namen der