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Die Weihe.

Eine Szene von Otto Krille.

Es ist zwischen Mitternacht und Morgen. Ein freter Platz auf wald­umfäumtem Berge, noch halb eingehüllt von sintenden Nebeln. Kühle Morgenstimmung. Männer und Frauen geschmückt mit roten Neffen. Anna, Berta, junge Mädchen, Hildegard, fünfundzwanzig Jahre, ernst und schlicht. Hermann. Ein Greis. Ein Bursche. Anna( freudig). Fühlt ihr den Morgenwind? Berta. Er spielt mir im Haar wie kosende Finger. Anna. Und ein Duft steigt aus dem Tale. So jung! So jung! Atmet ihn doch, schlürft ihn doch. Eure Brüste röcheln nur, laßt sie stöhnen vor Lust. Das ist Leben, ewiges Leben!

Greis. Lenzwind in Kerkerluft.

( Im Hintergrund flammen Walpurgisfeuer auf.) Bursche. Die Feuer brennen schon. Es wird Morgen. Hoch der erste Mai!

Anna. Die Tannen stehen wie im Morgenrot. Bursche. Sie recken sich, als sei es die Sonne. Greis. O, sie sind flüger als die Menschen. Sie recken sich und strecken sich beim ersten Strahl und spüren den neuen Tag in allen Fasern.

Anna. Sie wachsen auch auf den Höhen und nicht in engen Stuben mit trüben Fensterscheiben.

Bursche. Auch wir wollen zu den Höhen, zu wurzel­starkem Leben, wo uns kein Sturmwind erschüttert. Greis. Und wir haben ein Feuer angezündet, das

die Welt erleuchten soll.

Bursche( zu den Mädchen). Was steht ihr da und gafft,

bis der Morgen kommt und euch in den Schoß fällt? Schafft Reisig herbei, damit das Feuer brennt, bis die Sonne es entbehrlich macht.( Bum Greis gewendet.) Sind das Narren, die da glauben, es brauche nur angezündet zu werden. Greis. So ein Feuer ist wie ein Glaube. Wenn er nicht genährt wird vom Reichtum des Herzens und Verstandes, so erlischt er, sobald der Wind des Zweifels hineinbläst.

( Alle wenden sich den Feuern zu. Von wettem Ilingen gedämpft die Strophen der Arbettermarseillaise in die Szene. Hildegard von links, will zur Gruppe der Mädchen treten, Hermann aus dem Hintergrund. Beiderseitiges herzliches Erkennen.)

Hermann( thr die Hände reichend). Du-! So bist du doch zu unserem Feste gekommen!

Hildegard. Und bin gekommen in Freude. Hermann. Siehe, ich habe gewartet auf dich.( Ernst.) Aber deine Wangen find bleich.

Hildegard. Weh und Winterfrost ist drüber gegangen. Hermann. Und wie schmerzlich dein Mund ist! Hildegard( wehmütig). Von nußlosem Bitten und Beten. Hermann. Aber deine Augen leuchten.

Hildegard Gubelnd). Von der Erkenntnis, die über mich gekommen.

Hermann. O, ihr Frauen. Um wieviel größer ist doch euer Leidensgang als unsere Bahn. Wenn wir im Zorn schäumen, duldet ihr; wenn wir fluchen, bittet ihr, und wenn wir verzweifeln, dann- hofft ihr. Eure Schwäche ist eure Stärke.

Hildegard. O, wie uns diese Stärke geschwächt hat. So sind wir dem Manne zur Fessel geworden. Wir waren Sflavinnen unserer Weiblichkeit.

Hermann. Und jetzt?

Hildegard. Will ich weder dienen noch herrschen. Hermann( lächelnd). Ganz Sozialistin!

Hildegard. Ich war wie andere Mädchen, schwankend, ein Spiel meiner Empfindungen. Wenn der Tag mir färgliches Brot brachte, war ich zufrieden. Und ein bißchen Freude am Sonntag, ein bißchen Tanz, war mir reichliche Würze. Darum verstand ich euren Kampf nicht, und der Sozialismus ging an mir vorüber wie der Bibelglaube der Schule. Aber nun komme ich freiwillig zu euch. Die Arbeit hat gelehrt. Sie sagte mir: Bist du nicht geknechtet wie sie? Arbeitest du nicht wie sie und mußt doch auch entbehren wie sie? Verkümmerst du nicht in der Fabrik wie sie? Stiehlt man dir nicht die Lebensfreude wie ihnen? Und selbst das Beste, was die Armut noch hat, will man schänden. Hat nicht diese Ordnung selbst die Liebe zu einem schmutzigen Geld­geschäft gemacht? Und wir, die wir nichts besigen, o, wie viel haben wir doch zu verteidigen!! Haben wir aber

die gleichen Leiden( su ihm aufblickend), so haben wir auch die gleichen Hoffnungen und Kämpfe. So bin ich gekommen, eine bescheidene Kämpferin für eine neue Gesellschaft. Hermann( bewegt). So liebe ich dich! Und( thr in die Augen blickend, leise) kommst du auch zu mir?

Hildegard. Auch zu dir- zwischen Nacht und Morgen. Hermann. So soll das Maifest unsere Liebe weihen. So suchte ich dich immer. Nicht nur das Weib, nein, auch die Kämpferin. Hat man uns nicht erzählt von den Frauen der Germanen, die sich selbst den Feinden entgegenwarfen, wenn es die Freiheit zu retten galt, und war es nur noch für kommende Geschlechter. Und unser Kampf fordert nur den Mut des Geistes und des Herzens. Hildegard. Wie begeistert du bist!

Hermann. Und wie schön du mir erscheinst, seit dich der Sozialismus erfüllt!

Hildegard( orolltg). Als ob er meine Wangen färbte!

Die Gleichheit

Hermann. Aber er adelt deine Seele und hält dich jung. Wo Mann und Weib für eine Sache glühen, gibt es fein Alter. Da kann sich eins am anderen aufrecht halten. Hildegard. Du schwärmst wie ein Jüngling. Hermann. Denn ich habe meine Jugend wieder­gefunden.

Ich suchte dich in hundert bangen Nächten, Auf steilen Höhen, in zerfallnen Schächten, Auf breiten Straßen und vergeßnen Stegen Ging ich in Sturm und Regen dir entgegen.

Nicht aus der Triebe Rausch ward sie geboren, Die Sehnsucht, die aus vielen dich erkoren, Und meine Liebe war ein zweifach Finden: In deinem Herz das meine zu ergründen. Nun bist du mein, nun blüht der Frühling mir, Er weht mich an in jedem Hauch von dir. Nun schließen wir, der neuen Zeit Verfechter, Den Bund des Glücks für fröhliche Geschlechter. mit dir zur Zukunft! Hildegard( einfach und groß). Mit dir zum Kampf,

Bursche( nach vorn etlend). Wie die Sonne sich zwischen die Wolfen drängt!

Anna. Es wird Tag, Maitag!

Bursche. Hinunter jetzt und alle Feigen und Halben aus dem Schlafe getrommelt! Im Zuge durch die Stadt, daß die Zipfelmützen aller Philister und Spießer vor Arger wackeln.

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Db Millionen wandeln auch im Dunkeln Das Jahr entrout! es leuchtet sonder Wahl Der Stern der neuen Zeit; hell wird er funkeln Auch ihren Seelen mit gewalt'gem Strahl. Die Priester dieser Tage fordern Knechte Und Sklaven nicht,

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ste fordern laut und frei, Daß jeder, treu dem angestammten Rechte, Hinfort ein Mensch mit freien Menschen sei.

Mutterschaft.

Bon Ada Negri.  *

Nr. 9

Es tönt aus der Tiefe empor ein Stimmchen zu mir, leis und schwach, Bist du's, ungeborenes Kind, das mich ruft aus dem Schlafe wach?

O Leben, o neues Gefühl!.... mein Inneres regt sich in Sprüngen, Ich fühl' deine Küsse darin, hör' dein Weinen daraus mir erflingen. Verborgen noch bist du. Vielleicht zu deinem verzweifelten Schmerz Nähr mit meinem Blute ich dich, bild' aus meinem Herzen dein Herz;

Doch strecke die Hände ich aus mit leisem, liebkosendem Regen, Lache Lebensberauscht einem Traum von Kraft und von Schön­

heit entgegen;

Bösen,

Greis. Du bist ein rechter Spießerschrecken. ( Ste sammeln sich alle, Männer und Frauen, und ordnen sich zum Zuge.) Da dich in die Welt ruft Natur mit heilig unsterblichem Hermann( nach hinten rufend). Heran! Sammelt euch. Ich lieb' und erfleh' dich, o kind, im Namen des Guten und Greis. Ausgeschlossen nur sei, wessen Mund schmutzig

Wesen.

ist von der Beschimpfung des Volkes; ausgeschlossen, an wessen Händen der Schweiß von fremder Arbeit flebt; und denke, wie zahllosen Frau'n, die nah ihrer Stunde der ausgeschloffen, wer das Recht beugt; ausgeschlossen, wer ein feiger Büttel großer Herren ist.

Hermann. Und ausgeschlossen alle, die den Geist Knechten wollen.

Bursche. Aber heran alle, die sich neues Leben er­kämpfen wollen.( Sich dehnend). Ah, Maitag ist Hoffnungs­tag, Zukunftstag.( Singt und alle stimmen ein:)

Noch soll ein Maitag uns erscheinen, Ein Feiertag der ganzen Welt, An dem gestillt der Armut Weinen, An dem des Unrechts Kette fällt.

Da wird, was heute staubgewendet, In hoher Menschenwürde stehn Und aus der Arbeit, ungeschändet, Des Daseins reine Freude gehn.

D Tag, nach dem wir alle trachten, O Zukunft, die kein Kerker bannt, Wirf deiner Wogen reiche Frachten An unsres Lebens öden Strand.

O stolzes Fest der Weltenwende, Dedler Freiheit lichtes Tor, Es strecken Millionen Hände Nach eurem Segen sich empor!

Ein Festlied.

Bon Georg Weerth  . Natur, mit deinem strahlenden Kolossen, Die du in Ewigkeit zur Dauer nahmst; Nur zur Vollendung bist du recht ersprossen, Seit du im Menschen zum Bewußtsein kamst. Im Menschen nur, des stürmende Gedanken Der Freiheit wunderbarstes Gut geraubt, Der auf den Trümmern jetzt von Trug und Schranken Sein eigner Gott, an dich, an sie nur glaubt.

Wohl mag sein Auge teck den Himmel fragen, Wenn Sonn' an Sonne wirbelnd sich bewegt: " Ihr fernen Welten, habet ihr getragen Ein solches Kleinod, wie die Erde trägt? Trugt Menschen ihr, die trotz der grauen Zweifel Die wild zersplittern ihre beste Kraft, Doch stets im Kampfe mit dem alten Teufel, Dem Wahne, kühn zusammen sich gerafft?"

Und die gesiegt!" Wohlan, Sieg und Triumphe Laßt schmettern eurer Krieger vollsten Chor! Es trug der Mensch aus tausendjähr'gem Sumpfe Die Freiheit jubelnd an das Licht empor, Was frühe Völker ahnend vorempfunden, Er freut sich dessen in bacchant'scher Lust; Er hat den größten Riesen überwunden, Vertilgt den Zweifel seiner eignen Brust! Der einst dem Feuer seine Knie beugte, Der Hekatomben opfernd niederschlug, Der einen Gott auf Sinai   erzeugte Triumph! der hat jetzt an sich selbst genug! Und wie der Kranich   liebt die Wolfenbahnen, Und wie der Löwe liebt der Wüste Spur: So liebt der Mensch die Fluren seiner Ahnen Und meilt entzückt auf seiner Erde nur

Schmerzen, Gleich andächt'ges Hoffen wie mir emporsteigt vom Schoße zum Herzen!... Denn Freude liegt allen im Blick und vor dem Geheimnis das Beben,

Daß ihr Schoß einem neuen Geschöpf von Fleisch und Geist Leben soll geben.

Gleich Urnen der Liebe, und hoch überm Mann und dem Wissen, dem kalten, Stellt sie wie auf einen Altar die Macht, die im Reime ent halten.

Ein heiliges All ist der Keim; Kraft, Liebe und Licht er enthält; Gesegnet der Leib, der mit Schmerz, mit bittrem, ihn bringt

zur Welt.

O denkt an die Hände, die nähn die Hüllen, die zierlichen fleinen, Indessen die Augen durchstrahlt von himmlischem Abglanz erscheinen;

An die Schauer gedenkt auch, die hart die innersten Tiefen durchbeben, Wo voll Sehnsucht nach sonnigem Licht schon atmen die fünftigen Leben;

An das letzte Martyrium, den Schrei der schrecklichen legten Minute, Wenn der Körper der Mutter zerreißt, getränkt von dem strömenden Blute;

An das rosige Kindchen, das nackt die Mutter

-

o Los zum

Erbarmen!... Auf dem Bette der Marter gebiert, dem Totenbett oftmals der Armen; Ihr Männer der Erde, was schärft ihr Messer und Schwert immer wieder Zum Kampf miteinander, o hört, o hört es.... wir alle sind Brüder.

Die Wahrheit verkünde ich euch, denn euch ist sie lange ent schwunden: Wir haben uns alle einst nackt dem Schoß einer Mutter ent­wunden.

Die Wahrheit verkünde ich euch, wollt mein flehendes Bitten mgewähren: Macht des Schoßes euch unwürdig nicht, der sich öffnete, euch zu gebären. Streut friedlich den Samen aufs Feld, das alle gemeinsam bebauen,

Indes an den Wiegen erschallt das fröhliche Lied kräft'ger Frauen;

O erntet im Sonnenschein froh die Ahren, die reifen und vollen,

Und der liebreichen Mutter Natur wollt gebührenden Dank friedlich zollen.

* Aus Mutterschaft". Gedichte von Ada Negri  . Berlin  , F. Fontane & Cie.

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe Post Degerloch) bet Stuttgart  . Druck und Verlag von Baul Singer in Stuttgart  .