62 Die Gleichheit Nr. 11 Triumphes kommen lassen. Mehr als je werden sie vor den sich sammelnden, zum Kampfe formierenden Massen erzittern. Die Sozialdemokratte war, ist und wird sein. Sie spottet der Bollwerke, welche die Reaktion errichtet, um sie von den Parlamenten auszuschließen. In unermüd­licher Werbearbeit wird sie die Entrechteten und Ent­erbten sammeln, bis ihre Macht soweit erstarkt ist, aller Reaktion und Ausbeutung ein Ende machen zu können. Wir Frauen wollen bei dieser Arbeit freudig und be­geistert mit Hand anlegen, wie wir freudig und begeistert alle Kämpfe der Sozialdemokratie teilen. Die weibliche Gewerbeaufsicht im Deutschen Reichs Von Emanuel Wurm  . V. Hamburg  . Den Schluß in der Zusammenstellung der Reichsberichte bildet Hamburg  , wo seit dem 1. April 1903 eine wissen­schaftlich vorgebildete Assistentin, Fräulein Elben, amtiert. Ihre Tätigkeit erstreckt sich namentlich auf die Konfektions- und Nahrungsmittelindustrie. Nach dem Bericht für 1903 hatten die Arbeiterinnen bisher nur in ganz geringem Maße Gelegen­heit genommen, ihre Wünsche der Assistenrin auszusprechen oder um deren Fürsorge nachzusuchen". Die Assistentin ist aber auf dem richtigen Wege, sich das Vertrauen der Arbeiterinnen zu erwerben, indem sie in Arbeiterinnenversammlungen Vorträge hielt. In derGleichheit" vom 27. Januar v.J. ist über einen dieser Vorträge berichtet und ausdrücklich be­tont, die Hamburger Gewerbeaufsicht habe dadurch nur ge­wonnen, daß ihre Beamtin in einer Gewerkschaft eine sozial­politisch fortschrittliche, arbeiterfreundliche Auffassung vertrat. Erklärte sie doch eine neunstündige Arbeitszeit an­statt der jetzt gesetzlich normierten von elf Stunden für Ar­beiterinnen in Hamburg   als ganz den Verhältnissen an­gemessen und fordette die Arbeiterinnen auf, sich gewerk­schaftlich zu organisieren und aus Konkurrentinnen zu Mit­arbeiterinnen ihrer Berufsgenossen in dem Streben nach einer Verbesserung ihrer Lebenslage und höherer Kultur zu werden. Gewerberat Giesecke meint in seinem Bericht etwas gries­grämig:Wenn auch diese Vorträge von der Zuhörerschaft und von der Arbeiterpresse freundlich aufgenommen würden, so haben dieselben doch nicht dazu gefühtt, daß die Arbeite- rinnen in nähere persönliche Beziehungen zu der Assistentin getreten sind." Erstens geht das bei dem Mißtrauen, das durch die Polizei­schikanen bei den Arbeitern gegen Staatsbeamte überhaupt herrscht, nicht so rasch. Und zweitens ist es auch gar nicht nötig, daß die Arbeiterinnen persönlich sich mit der Assistentin in Verbindung setzen; vielmehr ist dazu das Ge­werkschaftskartell, respektive das Arbeitersekretariat oder die weibliche Vettrauensperson da. Wir zweifeln nicht, daß Fräulein Elben sehr bald den richtigen Weg finden wird, um zum Schutze der Arbeiterinnen tätig sein zu können. Die eingehende Schilderung der für das Jahr 1903 er­statteten Berichte der weiblichen Gewerbeaufsicht erschien uns notwendig, um einen orientierenden Überblick über deren bisherigen Erfolge und Mißerfolge zu geben. Aus den Berichten geht deutlich hervor, daß die von unserer Partei aufgestellte Forderung: Der Arbeiterschutz den Ar­beitern! sich durch die Tatsachen selber als vollauf be­rechtigt erwiesen hat. Gewiß ist es ein Fortschritt, wenn auch eine weibliche Gewerbeaufsicht geschaffen wird. Aber die tüchtigste Beamtin ebenso wie der tüchtigste Beamte kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn sie sich an die Arbeiterorganisationen wendet. Da es immer noch viele Gewerbeaufsichtsbeamte im Deutschen   Reiche gibt, welche jede Gewerkschaft als überflüssig und schädlich bettachten und es ablehnen, als monarchische Beamte in offiziellen Verkehr mit denUm­stürzlern" zu treten, muß die Gewerbeaufsicht zunächst be­weisen, daß sie diesem Polizeigeist entwachsen ist. So lange ist es ja noch gar nicht her ja in einigen Gegenden ge­schieht es noch heute, daß Gewerbeaufsichtsbeamte es direkt ablehnen, vonfremden Leuten", als welche die Ge­werkschaftsvertreter bezeichnet werden, Beschwerden anzu­nehmen. Dank der unablässigen Arbeit der Gewerkschaften und den scharfen Kämpfen, die unsere Fraktion im Reichstag hierfür ausfocht, haben sich die Arbeiterorganisationen immer mehr Anerkennung errungen. Aber noch sind die meisten Bundes­staaten von der Haltung, wie sie Bayern   und Württemberg  gegen die Gewerkschaften einnehmen, weit entfernt. Es gilt also weiter zu kämpfen, um auch für die Gewerbeauf­sicht ersprießliche Zustände zu schaffen. Nur durch Mit­arbeit der Arbeiter und Arbeiterinnen kann diese zur Schutzwehr gegen Willkür und Terrorismus des Unternehmertums werden. Gewiß der kapitalistische Staat wird den Kapitalisten nicht die Augen aushacken. Aber so­weit er durch die politischen Verhältnisse gezwungen wurde, Arbeiterschutzgesetze entstehen zu lassen, soweit kann er auch dahin zu bringen sein, daß er für strikte Durchführung dieser Gesetze sorgt. Vorläufig lehnt er es noch ab, daß die Arbeiter direkt an der Gewerbeaufsicht beteiligt werden und ihre eigenen * Siehe Nr. 2, 4, ö und 8 derGleichheit". Vertteter wählen. Deshalb haben die Arbeiter dafür zu sorgen, daß sie inzwischen wenigstens von den Gewerbe­aufsichtsbeamten zur Aufklärung herangezogen werden müssen! Wie notwendig dies besonders für den Schutz der Ar­beiterinnen ist, haben die hier besprochenen Berichte ein sichtsvoller Beamten und Beamtinnen gezeigt. Auch in England, wo seit 1893 Jnspektorinnen angestellt sind, treten diese mit den Gewerkschaften in nutzbringende Verbindung. Aber auch dort fordern die Trades Unions, daß Arbeiterinnen dieses Amt bekleiden. In einer Studie von Helene Simon: Die Fabrik- und Sanitätsinspektorinnen in England(SchmollersJahrbuch für Gesetzgebung usw. XXI. Jahrgang, 3. Heft) gibt sie die Ansicht erfahrener Trade Unionisten wieder, die dahin geht, daß die ehemalige Ar­beiterin ihre frühere Genossin naturgemäß am besten ver steht, am meisten Verttauen bei dieser findet und auch am schärfsten hinter die Kulissen sieht.Welche Fähigkeit, wie viel Kraft und Eifer auch die bürgerliche Frau dem Beruf zubringen mag, es fehlt die intime Kenntnis der Arbeiterinnen im Guten und Bösen; sie weiß weder von ihren Schlichen, noch von ihren scheuen Tugenden, noch von den tausend Hintertüren, durch die sich Gesetzesüberttetungen hinein- und herausschleichen, je nachdem die Inspektion naht oder den Rücken dreht." Deshalb befürwortet Helene Simon mit Rück­sicht auf möglichst vollständige und vollkommene Leistungen der Gewerbeaufsicht, abgesehen von der Anstellung von Assistentinnen aus der Arbeiterklasse, daß Jnspekto­rinnen aus proletarischen und solche aus bürgerlichen Kreisen als gleichberechtigte, koordinierte Beamtinnen neben- und miteinander wirken. Klara Zetkin  , die die Simonsche Studie in derNeuen Zeit"(XVI. Jahrgang, 1. Band, Seite 434) besprach, ergänzt diese Forderung dahin, daß aus den bürgerlichen Kreisen besonders Arztinnen zur weib­lichen Fabrikinspektion herangezogen werden sollen. In Deutschland   haben wir noch manchen Kampf mit den Scharfmachern und der Reaktion auszufechten, bis wir zur Verivirklichung dieser Forderung gelangen, so selbstverständ­lich sie auch eigentlich ist. Zunächst müssen wir hier dafür sorgen, daß die Zahl der vom Staate eingesetzten Assi­stentinnen vermehrt und nicht, wie man in manchen Bundes­staaten möchte, vermindert wird. Ferner ist für eine rege Tätigkeit der von den Gewerkschaften gewählten Ver­trauenspersonen zu sorgen. Ihre Zahl ist ohnehin noch viel zu gering, sie bettägt nur 26. In folgenden Orten waren Ende 1903 solche Vettrauenspersonen vorhanden: in Altenburg  , Apolda  , Berlin  , Burg bei Magdeburg, Cannstatt, Frankfurt   a. M., Gießen  , Göppingen  , Görlitz  , Hanau  , Heil­ bronn  , Köln  , Ludwigsburg  , Magdeburg  , Offenbach  , Reichen­ bach   i. S., Reutlingen  , Schönebeck   a. E., Schwerin  , Stral­ sund  , Striegau  , Ulm  , Werdau  , Wismar  , Zeitz  , Zuffenhausen  . Sache der Arbeiterinnen ist es, dafür zu sorgen, daß überall, wo sich Gewerkschaften befinden, auch weibliche Ver- ttauenspersonen gewählt werden, welche der Gewerbeaufsicht die Beschwerden der Arbeiterinnen übermitteln. Ohne diese Vertrauenspersonen wird die weibliche Gewerbeaufsicht den Arbeiterinnen nicht die erforderliche Hilfe bringen, sondern ein Trugbfld bleiben. Der Zehnstundentag. Die deutsche Sozialpolitik zögert ebensosehr, wie die deutsche Agrarpolitik hastet. Dieser Gegensatz kennzeichnet scharf die deutsche Wirtschaftspolitik, die alle Liebe, allen Eifer den Junkern und anderen Großgrundbesttzem zuwendet, während die Machthaber aus den Erwägungen, Nachprüfungen, Be­denken und sonstigen Mitteln, Zeit zu gewinnen und die Entscheidung hinauszuschieben, nicht hinauskommen, wenn es gilt, auf den mit Prellsteinen übersäten Weg des sozial­politischen Fortschritts ein Schrittchen vorwärts zu machen. Besonders dann ist man bedächtig, wenn es sich um Forde­rungen handelt, die sich mit einer neuen Nummer der Ge­setzessammlung nicht erledigen lassen. Beim Kinderschutzgesetz sehen wir, und die Berichte der Fabrikinspektoren beweisen es, daß es unausgeführt bleibt. Ganz anders wäre es bei einem seit langem in Aussicht gestellten Gesetz, das die Höchstdauer der Beschäftigung der Arbeiterinnen vermindern würde. Da würden die Gewerkschaften schon dafür sorgen, daß den Gesetzesbestimmungen der Respekt der Unternehmer nicht fehle. Als vor einem halben Menschenalter für die Arbeitszeit der erwachsenen Fabrikarbeiterinnen die Grenze von elf Stunden festgelegt wurde, war in der deutschen   Fabrik­industrie, von der Textilindustrie abgesehen, die Arbeitszeit noch in mehr als der Hälfte der Betriebe unter elf Stunden gesunken. Nun, wo man Enquete auf Enquete über die Ar­beitszeit der verheirateten und dann aller Fabrikarbeiterinnen folgen läßt, ist die Arbeitszeit in vielen deutschen   Fabriken, von einem Teile der Textilbetriebe abgesehen, aus zehn und weniger Stunden gesunken, so daß der endlich bewilligte, vorerst aber nur verheißene Zehnstundentag für die Frauen, der Mehrzahl der Fabrikarbeiterinnen, keine Verkürzung der Arbeitszeit bringen würde. Dies beweisen auch die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten, die eben unter dem TitelDie Arbeitszeit der Fabrikarbeiterinnen" vom Reichsamt des Innern herausgegeben wurden(Berlin   1905. R. v. Deckers Verlag. Preis 13.S0 Mk.ü). Es hatten von S13S60 Fabrikarbeiterinnen, für die am 1. Oktober 1902 die regelmäßige tägliche Arbeitszeit festgestellt wurde, 9 Stunden und weniger gearbeitet... 86191 910-........... 347814 Somit höchstens 10 Stunden...... 434005 Dagegen über 10-...... 379555 Unter je 1000 Fabrikarbeiterinnen arbeiteten höchstens 9 Stunden......... 106 9-10-......... 427 1011.......... 467 Unter je 1000 Fabrikarbeiterinnen arbeiteten höchstens 10 Stunden: In Preußen........... 622 (- Groß-Berlin......... 890) - Bayern  ........... 466 - Sachsen  ........... 417 (Im Aufsichtsbezirk Zwickau  ..... 138) In Württemberg  ......... 538 - Hessen  ........... 707 - Lübeck  ........... 900 - Bremen  ........... 933 - Hamburg  .......... 249 Wählen wir eine Bettachtung nach Gewerbegruppen, so finden wir, daß die Textilindusttie die längste Arbeitszeit hat und, da sie die größte Zahl von Arbeiterinnen(348533) beschäfttgt, an der hohen Prozentzahl der mehr als zehn Stunden tätigen Fabrikarbeiterinnen die Schuld trägt. Das wird man sofort erkennen, wenn wir die Verufsgruppen nach der Stärke der beschäftigten Fabrikarbeiterinnen gruppieren: Berufsgruppe Zahl der Be­schäftigten gStund. und weniger Unter je Ivvo Fabrtlarbctiertnnen arbeiten über g U> über 1011 Stunden Textilindustrie......... 348538 20 272 708 Nahrungs- u. Genußmittel. 119744 130 535 335 Bekleidung u. Reinigung.. 93635 192 541 267 Industrie der Steine u. Erden 49917 105 530 365 Metallverarbeitung...... 44349 20 567 313 Papierindustrie........ 44160 187 538 275 Polygraphische Gewerbe.. 25231 518 447 35 Maschinen, Werkzeuge, In­strumente, Apparate.... 23715 176 670 154 Holz- u. Schnitzstoffe..... 18697 151 517 332 Chemische Industrie..... 14380 112 648 240 Lederindustrie......... 9805 102 679 219 Fette, Ole  , Firnisse usw... 5749 60 600 320 Sehen wir von der Textilindustrie ab, so beschäftigen bloß fünf Jndusttiegruppen rund ein Drittel der Fabrikarbeite­rinnen länger als zehn Stunden, in allen anderen Jndusttie­gruppen ist nur für kleinere Bruchteile der Arbeiterinnenzahl eine über zehn Stunden ausgedehnte Beschäfttgungszeit fest­gestellt worden. Selbst in der Textilindustrie würde fast für ein Drittel der Fabrikarbeiterinnen die Einführung des Zehn- stundentags nur die gesetzliche Bescheinigung der schon bisher geltenden Dauer ihrer Arbeitszeit bedeuten. Wie verschieden die Verhältnisse in der Textilindustrie sind, bei dessen Unter­nehmertum der Hauptwiderstand gegen die Einführung des gesetzlichen Zehnstundentags für die Fabrikarbeiterinnen zu suchen ist, geht aus der nachstehenden Zusammenstellung hervor. Es arbeiteten unter je 1000 Textilarbeilerinnen über 10 bis 11 Stunden: In Anhalt........... 1000 - Sachsen-Meiningen  ....... 982 - Oldenburg  .......... 979 - Mecklenburg-Strelitz  ...... 958 - Baden  .......... 910 - Elsaß-Lothringen  ........ 895 - Bayern  ........... 855 - Sachsen  (Königreich)...... 750 - Hessen-Darmstadt....... 743 - Württemberg......... 630 - Preußen........... 603 Für die Textilarbeiterinnen würde die Verkürzung der Ar­beitszeit auf zehn Stunden einen Fottschritt bedeuten. Wir fürchten aber, daß durch Übergangs- und Ausnahmebestim­mungen die Interessen der Textilindustriellen mehr gewahrt und geschützt werden als die Interessen der Arbeiterinnen. Wenn man die Enquete des Reichsamtes des Innern kritisch durchnimmt, gewinnt man den Eindruck, daß die überwiegende Masse der Unternehmer in allen Industrien, mit Ausnahme der Textilindusttie, in der Einführung des Zehnstundentags für die Fabrikarbeiterinnen keine Schädi­gung ihrer Interessen erblicken kann. Die Regierung ist somit bei der Verschleppung dieser seit langem nöttgen Maß­nahmen noch mehr von Unternehmerinstinkt erfüllt, wie das Unternehmertum selbst. In der Untersuchung sind die Gründe für die Verkürzung der Arbeitszeit nicht nur weit gewichtiger als die, welche die Erhallung des bestehenden Zustandes be­fürworten, sie nehmen auch bedeutend mehr Raum ein Wir finden eine ganze Anzahl alter Bekannter darunter, viele Gründe, die unsere Agitation und unsere Presse immer wieder vorgeführt haben. Doch wir wollen uns bei der natürlich nicht offen ausgesprochenen Anerkennung unserer Auffassung nicht aufhalten, weil uns an ihr herzlich wenig liegt. Wir lassen vielmehr einen Überblick über den gutachtlichen Teil der Untersuchung folgen, soweit das weitschichtige Material dies im engen Rahmen eines Zeitungsartikels zuläßt. Von denjenigen Aufsichtsbeamten, welche sich für die ge­setzliche Einführung des zehnstündigen Maximalarbeitstages aussprechen, wird meist mit Nachdruck hervorgehoben, daß die Herabsetzung der elfstündigen Beschäfttgungsdauern aus sittlichen und gesundheitlichen Rücksichten dringend geboten ist. So sagt der Aufsichtsbeamte zu Breslau  :Der in der Herabsetzung der Arbeitszeit liegende Forffchritt ist so be­deutend und für die Kultur, Gesundheit und Sittlichkeit der ganzen Arbeiterbevölkerung auf die Dauer von so heilsamem Einfluß, daß dessen Einführung entschieden befürwortet