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Die Gleichheit
Nr. 21
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Irrlichter.
" Wohin?" stammelte Friedel verschüchtert, wohin?... Und warum nicht hierher?"
und bewarb sich dort eifrig um die Gunst der Schenk-| auf die Schulter fallen, indes fie auf die beschmutzte wirte und Geldverleiher. Auch den sorglosen Friedel, Diele blickte. Von Ada Christen. ( Fortsetzung.) Das reiche Bürgerkind, spürte er dort auf und drängte Unhörbar fiel der Tau von Blatt zu Blatt, unhörbar fich bald so in sein Haus und in sein Leben, daß die tropfte er auf ein blondes Haupt, auf zwei weit über beiden schier unzertrennlich waren.... Er müsse das Lore strich verschmitt mit der Hand über einen dichtden Kopf geworfene Arme mit gefalteten Händen, und Leben kennen lernen, das Muttersöhnchen mit den Vor- bestaubten Stuhl, rüttelte ein wenig an dem schiefen niemand hörte, was ein junger Menschenmund der alten stadtbegriffen ausziehen, ein wenig den Jdealen leben, Schreibtisch, blies die langen Fäden eines Spinngewebes, Erde zuflüsterte, als Antwort, als Dank für alle die die Poesie in der nüchternsten Prosa aufsuchen, sagte er das von der Decke niederhing, in die Luft und sagte leisen tröstenden Stimmen... mit winselnder Zärtlichkeit. Der junge Krauskopf lachte dann gleichgültig: Noch war es so lautlos, weder in dem Walde, noch zwar über das, was sich als abgeschmackte, langweilige Weil..." sie wischte ihre bestaubten Finger an der auf der Erde, noch in den Lüften regte sich ein Ton... Verschrobenheit auffassen ließ, aber er konnte sich dennoch Schürzenecke rein,„ na!... blind sind andere Leute auch Da jubelte jählings unten in den Feldern die erfte Lerche eines gewissen Mitleids, einer unbewußten wehmütigen nicht, was?... Und Sie! Wie Sie selber aussehen, so auf, und als ob sie Langschläfer wachgerufen hätte, so Scheu ob dieser seltsamen Verkommenheit nicht erwehren... verwildert, wissen Sie?" ertönte allmählich aus den Zweigen und Büschen ein So fam es, daß er all sein Geld mit dem unzertrennschüchternes verschlafenes Zwitschern, es wurde lauter, lichen Freunde durchbrachte, daß er später Schulden auf vielstimmiger, fröhlicher und schwoll an zu einem süßen sein Haus machte, immer und immer wieder borgte, bis Lebensfreudigen Singen... Der einsame Mensch erhob es hastig mit dem gedankenlosen jungen Studenten abfein Haupt, breitete die Arme der Sonne entgegen, und wärts ging... so hastig, daß während eines lustigen über sein weiches Gesicht rann auch der Morgentau.... Ausflugs, der acht Tage dauerte, sein Vaterhaus an Seit jenem Morgen hauste der Student bei seinem den Meistbietenden verkauft wurde.„ Hat schon wieder Freunde, bei dem Polen . Er ging aus dem Walde ge- einen mit Haut und Haar gefressen, der Pole!" lachten raden Weges zu ihm, und es schnürte ihm fast die Kehle die Geldverleiher. zusammen, als er dem Lumpen sagen mußte, daß er ohne Brot und ohne Dach sei, daß er keinen Heller in der Tasche habe.
Und in der wüsten, schmutzigen, unfreundlichen Stube dieses Herumlungerers saß der arme Friedel, zermarterte seinen hübschen Kopf und dachte zum erstenmal ernstlich daran, recht bald Doktor zu werden.
" Was soll ich aber beginnen?" seufzte Friedel, ratlos geworden durch die Beweisführungen des jungen Weibes. Lore fegte mit ihrer Schürze den Stuhl, setzte sich nachdenklich nieder, nahm ihren Korb vor sich auf die Knie, schlang die Hände darüber ineinander, schaute ein Weile mit zusammengezogenen Brauen vor sich hin... atmete tief auf und sagte dann beinahe feierlich:
" Ja ja... ich habe es mir so zurecht gelegt in meinen Gedanken, und ich sehe schon, es geht nicht anders.. Kommen Sie in Gottesnamen zu uns, ich habe eine helle, saubere Stube, so, wie Sie es von Haus aus gewohnt sind, dort können Sie ruhig auf den Doktor fertig lernen, und wenn Sie Doktor sind und zu furieren anfangen, können dahin auch Kranke kommen. Vor allem aber müssen Sie sich von dem liederlichen Elend und von der spottschlechten Gesellschaft erholen."
Der Pole machte ihr eine tiefe Verbeugung und fing das Päckchen Tabak, welches sie ihm zuwarf, mit beiden Händen auf.
Wie soll ich Sie aber bezahlen, Frau Lore?" lächelte Friedel mit leichtfertigem Selbstgefühl; er fuhr sich mit allen Fingern in die krausen Locken und schaute dem jungen Weibe nahe in ihre feuchten treuherzigen Augen... „ Ich habe nichts, gar nichts mehr," setzte er hinzu. " Das wußte ich früher als Sie," erwiderte Lore, rasch einen verächtlichen Seitenblick nach Kasimir schießend, der mit doppelsinnigem, überverständnisvollem Augenzwinkern den beiden zuhorchte, seinen fahlblonden Schnurrbart drehte und an den Enden lang auszog. Wo zwei essen, findet sich auch für einen Dritten etwas... Jch borge, bis Ihnen die ersten Kranken Geld bringen, derweilen furieren Sie halt an meinem Mann herum, vielleicht will es Gott, daß gerade Sie ihm helfen sollen. Und dann... Sie, Herr Friedel, da... da haben Sie Ihren Brief wieder, das Siegel dran ist nur zufällig in meiner Kleidertasche zerbrochen, ich weiß nicht, was drin steht, wissen Sie," sagte sie halblaut,„ ich kann nicht lesen und schreiben auch nicht... tun Sie mit darum nimmer schreiben, wissen Sie."...
Er wolle das Leben anders anfassen, als er es bis jetzt getan hätte, meinte er verdüstert und erschrak dann über Der Pole kam erst abends verdrossen heim und erzählte feine eigenen Worte, denn sie waren ein absichtsloser fläglich, daß er feinen Heller Geld in der Tasche und Borwurf für den Polen . Der fahlblonde, knochenweiche fein Stäubchen Tabak in der Pfeife habe. Friedel fuhr Gefelle hieß ihn willkommen, räumte ihm seinen Platz aus alter Angewohnheit rasch in seine Tasche, aber er an dem schiefen Schreibtisch ein, zuckte gleichgültig die wurde dunkelrot und wandte sich beschämt ab, weil er Achseln ob der guten Vorsäge und trollte sich davon, dem Freunde nichts bieten konnte... Und plötzlich wurde den abgematteten Friedel bei seinen Büchern zurücklassend.| ihm die verrauchte Stube, in der er sonst manchmal gern Der alternde polnische Student lag Jahr um Jahr ein paar Stunden herumgelegen war, fremd und eng, in den Hörsälen und Kneipen herum; das Unglück seiner jetzt, da er keine andere Stelle auf der Welt hatte, wo Nation ließe ihm nicht Kopf genug, um fertig zu werden, er bleiben konnte, jetzt überkam ihn eine findische Sehnjammerte er jedem vor, aus dessen Beutel er just lebte. sucht nach dem eigenen sauberen Heim. So unzertrennAls er noch jünger gewesen, galt er für einen Rauf- lich er von dem Polen war, solange er Geld für ihn bold, weil er viel lärmte und schrie, auf der Mensur hatte, so lästig war ihm jetzt der Mensch, dessen eigenaber erkannten sie bald den Maulhelden, und diese Er- tümliche Gastfreundschaft er genoß; seine geröteten verfenntnis kostete ihm nebst dem Ruhm auch noch ein schwelgten Augen, sein aufgedunsenes graublaffes Gesicht, halbes Ohr, das ihm sein übermütiger Gegner so zum sein süßes friechendes Lächeln waren dem Studenten jetzt Spaß weghieb. Seit damals ließ er die Dreistigkeit ganz unerträglich, es verletzte ihn alles in der Stube und an beiseite, wurde ungewöhnlich schweigsam und sprach von dem Hausherrn, es war ihm zu Mute, als sei er da, sich selbst nur mit jener abwehrenden melancholischen um auf eine Beleidigung zu warten, die kommen mußte Hochachtung, mit welcher andere etwa andeuten, daß sie in dieser Stube und von diesem Manne.... nicht zuviel an einen großen, ihnen teuren Toten erinnert Der Pole schaufelte sich auf einem quiefenden Stuhle sein wollen, und dies mochte später der erste Grund ge- hin und her, nur ab und zu tauchte sein bleiches Gesicht wesen sein, um dessentwillen sich jüngere, poetisch gestimmte aus dem Halbdunkel auf, er näselte irgend eine unecht Studenten zuflüsterten, der Pole" sei ein berühmter gefühlvolle Redensart, und Friedel horchte mit einer Dichter... Er selbst sagte wenig davon, er nahm nur seltsamen Gespanntheit, so daß er zusammenschrat, als zuweilen in der Kneipe ein Büchlein mit grellrotem Um- es fräftig draußen an die Türe pochte. schlag aus der Brusttasche, riß ein Blatt heraus, zündete" Herein!" raunte der Pole. Eine schlanke Frau trat ein, wandte den feinen seine Pfeife damit an, starrte an die Decke und ließ das Büchlein unbeachtet liegen. Er tat dies meist nur dann, Kopf in alle Ecken und winkte beruhigt, als sie wenn er mit deutschen Studenten beisammen saß, denn Friedel sah: ein oder der andere nahm immer wieder den Köder auf, Tabak! Frau Lore?!... Wie ein Engel des Himmels beruhigenden Worte Verschwörung“ und„ National las auf dem Titelblatt den Namen des Polen, blätterte fommen Sie! Tabak!" jubelte Kasimir halb weinerlich, fonds" zu und rüstete sich langsam zum Aufbruch. Zu und blätterte, konnte aber nichts sonst lesen, denn das sprang auf und schob sich geschmeidig zu dem großen weilen tauchte er noch in Friedels ruhiger Stube auf, Büchlein war polnisch gedruckt. Deckelforb der Frau, während er seinen Arm um ihre um immer, wenn er fam und ging, einige derbe Worte Lores zu hören, die es nun einmal nicht sehen mochte, Hüfte legen wollte. daß ihr fleißiger Schüßling mit dem alten Studenten rauchte und trank.
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" Von dir, Kasimir?" fragte der erstaunte Jüngling dann. Lore schnellte den Arm fort, etwa wie man ein häß" Ja, von mir aus alter Zeit ist lang vorbei" liches Tier wegschleudert, dabei aber schaute sie dem lispelte der Pole, blies große Wolfen aus seiner Pfeife lächelnden Polen fest in die unsteten grauen Augen: und schaute träumerisch auf das rote Titelblatt. " Ich komme nicht zu Ihnen und bringe nichts für Sie. ,, Sonette sogar! Dora, Kamilla, Hermina, Klara!- Ich suchte den dort," und sie wies nach dem Studenten. Lauter Liebchen von dir?- Ja! Ja! Aber du mußt ja Friedel hatte Lore, seit er ihr den ersten und einzigen verflucht viel Glück bei den Weibern haben. Weißt du, Liebesbrief gegeben, nicht wiedergesehen; das Blut stieg ich hätte nie geglaubt, wieviel eigentlich in dir ist!" ihm jetzt zu Kopfe, denn es war ihm, als sei der Brief Schweigen wir davon, hier bin ich nichts, heimatloser eine Beschimpfung gewesen. Draußen im Walde kam Hund jetzt. Mein Vaterland kennt mich! Mein edles ihm auch das so in den Sinn. Bolen unheilbarer Schmerz! Gib mir die Flasche herüber." Eine tragische Gebärde folgte diesen Ergüssen, dann trank er haftig und murmelte etwas in seiner sich hin. Heimatsprache vor sich hin.
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„ Ob sie wohl kommt, um mir dasselbe zu sagen, weil ich jetzt arm bin?" dachte er und schaute troßig vor
Sie ging auch wahrhaftig auf ihn zu, blieb knapp vor ihm stehen und frug herbe:
Hat jetzt der Tanz ein Ende, junger Herr?"... " Ja, Frau Lore," sagte er kurz.
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Mit unbedeutenden Veränderungen wiederholte sich dieser Auftritt bis auf einige andere Worte jedes Jahr zwei, dreimal, und manches harmlose Menschenkind voll jugendlichem Allesglauben lief in die groben Netze des Und was nun? Wollen Sie, ehrlicher Bürgersleute Polen . Endlich aber ertappte ihn ein Schlaufopf und Kind, so herumzigeunern und in solcher Kameradschaft bewies, daß seine polnischen Verse nur stümperhafte weiterleben?" Sie zeigte mit einem halben Zurückneigen Übertragungen und verkrüppelte Nachahmereien der des Kopfes über die Schulter geringschätzend nach dem Dichtungen Byrons und Heines seien, er bekam damals Polen . ganz gemeine Prügel, und seine Geniegrimassen wurden nunmehr als mißlungene Hanswurstspässe behandelt.
Diese ganze Geschichte des edlen Polen war in der lustigen Chronika der Stammkneipe zu lesen, und irgend ein fühner Zeichner hatte unter die schlichte Darlegung jener Eigenschaften auch das Bild des Geschilderten angebracht, der ganze Abschnitt aber wurde den Füchsen als Warnungsruf gleich an ihrem ersten Kneipabend vorgelesen....
Der Pole zog sich nach allen diesen Niederlagen aus dem gewohnten Kreise in eine entfernte Vorstadt zurück
„ Aber schöne Frau Lore...," schmeichelte dieser. " Ihre Eltern drehen sich im Grab um, vor lauter Jammer über Sie, ja ja, das tun fie! Was wollen Sie denn jetzt anfangen, Herr Friedel?"
In kurzer Zeit bin ich Doktor, wenn ich fleißig nachhole."
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Und dann?" frug sie mit leichtem Spott. „ Kommen Kranfe!"
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Wohin?... Daher?..."
Frau Lore nahm bei diesen Worten ihre weißen Unterröcke sorgfältig zusammen, ließ den Kopf rechts und links
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Der Pole sagte wieder einmal, er müsse seinem be drängten Vaterland zu Hilfe eilen. Allen, welche Geld von ihm zu fordern hatten, flüsterte er geheimnisvoll die
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Friedel war nun schon eine geraume Zeit bei der braunen Frau eingemietet, und er hatte in dieser Zeit ie mehr studiert als alle übrigen Jahre zusammen, und so wie sich die helle Stube mit den klaren Gardinen, dem reinen Bette, dem alten Schreibspind und all dem andern sauberen Geräte anders anließ, als die verlumpte Stube des Polen , so sah auch Friedel anders aus. Er hatte nichts mehr an sich von dem studentischen Zeug, nichts mehr herausfordernd Nachlässiges, seine Kleider waren so in Schnitt und Farbe wie die aller Bürgerssöhne der Vorstadt, und seine ganze Art war ernster.
„ Warum bleibst du nur da in diesem Nest hocken und läßt dich von dem Hausiererweib hofmeistern," fragte der Pole einmal spöttisch.
" Ich möchte jetzt, wo ich arm bin, nirgend sonst leben als hier, wo doch noch immer mein Vaterhaus steht, und wo die Leute wissen, daß ich zwar alles durch gebracht habe, aber auch wissen, daß ich kein Her gelaufener bin. Ich will das Haus noch einmal zurüc faufen mit verdientem Gelde, sie sollen es erleben, fic sollen es erleben!... Das Weib aber meint es so ehrlich mit mir, wie es meine Mutter meinte, und schier niemand sonst..."
" Nicht auszutreiben der Philister aus solch einer Bürgerpflanze, ist stolz auf die Schollenhockerei. Dachte immer, es steckt etwas in dem Kerl...," seufzte der Bole, wenn er sich satt gegessen hatte und träg davon schlenderte. ( Forts. folgt.)
Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe
Post Degerloch bet Stuttgart . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .
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