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Maria Lwowna Berditschewskaja.* tum ( Erschoffen von der Soldatesta beim Barrikadenbau am Petersburger

Blutfonntag, 22. Januar 1905.)

Von Otto Krille.

Die Welle will ich preisen, die im Sand verrinnt, Der trägen Flut das Erdreich zu erweichen. Ruhmloser Tod, wenn Sonne oder Wind Die Knospe streift vom Baum, dem blütenreichen! Es mag der Schmerz um jedes Schicksal weinen, Um jedes Leben, grabbedroht,

Doch tränenlose Ewigkeit für deinen,

dys Für solchen Rettertod.

"

In jenes Mordes frechem Bacchanale War deine Tat ein leuchtendes Erkennt!" Die Barritade ward zum Rächermale, Worauf des Rechtes ew'ge Flamme brennt.

sid

Du Mädchen von der Helden großem Stamme, Dein Blut verraucht, dein stürmisch Herz versinft,

An deiner Asche noch entzündet sich die Flamme, Die Rußlands   Freiheit bringt.

Irrlichter.

Von Ada Christen  .

( Fortsetzung.)

Die Gleichhett

Nr. 22

Friedel war etwas geworden". Gleich in den nächsten Wüßte nicht warum," war die ruhige Erwiderung. Wochen hing das Doktorschild unter seinem Stubenfenster. Als der Brauer später diese farge Antwort wieder­Diese Tatsache stimmte sogar den alten Gerichtsboten erzählte und der ganze Bürgertisch seine Ansichten dar­versöhnlich, er ging hin und sah zu, ob es auch wirklich über aussprach, da sagte die Schneidermeisterin, welche wahr sei, und als er dem jungen Doktor danach selber stets statt ihres fleinen Mannes redete, gewichtig und begegnete, zog er mit verzeihender Milde seinen alten, entschieden:

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formlos gewordenen Amtshut. Bald tamen auch Kranke," Nein, er hat nichts mit ihr, er ist ein moralischer jene Aufgegebenen, an welchen mancher Arzt vergeblich junger Mensch geworden, und sie ist auch ein ordentliches sein Heil versucht; dann die Geizigen und Armen, welche Frauenzimmer, wenn sie auch hausieren gehen tut. Hätte wissen, daß ein rufloser Anfänger bescheiden in seinen ich sonst meine Buben hinüber geschickt in die Unter­Forderungen ist. Später trieb die Neugierde manchen richtsstunden? Was halten Sie denn von mir?!" alten Bekannten von Vaterszeiten heran, ihn bei Der Brauer schupfte drei-, viermal die Achseln, zog leichten Fällen rufen zu lassen, und überall bewies sich den Mund schief, ging hinter seinen Schenktisch, stützte Friedel flug und tüchtig. die geballte Hand auf und schaute mit verdrießlicher " Ist etwas Rechtes aus ihm geworden, hätte es nie überlegenheit auf die anderen Männer, welche der Frau, | geglaubt, ein Bursche, der sein Vaterhaus verlumpt wenn auch rückhaltsvoll, beiſtimmten. hat!..." ſagte der Braumeister in seiner mürrischen Art, als er mit den alten Bürgern in seiner Schenkstube Der erste Krankenbesuch, welchen der junge Doktor an dem vornehmen Stammgästetisch saß. iu kodi? seit einiger Zeit an jedem Tage machte, galt einem Der Zunft und Bäckermeister Brand, der Friedels einstigen Studiengenossen. Obwohl der Kranke schon Haus gekauft hatte, erwiderte ablehnend, daß man leicht wieder ganz genesen war, suchte ihn Friedel doch gern sinnige Studentenstreiche für immer vergeben und ver- auf, er bedauerte fast, daß er in früheren Tagen diese gessen müsse, denn der Doktor habe sich jetzt wirklich als etwas fühle, aber vornehme Natur fallen ließ und sich ein ganzer Mann erwiesen, der unter ganz elenden Ver- an den verbummelten Polen   anschloß.... Es war eine " Ich kann nicht begreifen, daß Sie den Menschen hältnissen was Ehrliches zuwege gebracht hätte. verhängnisvolle Stunde, in welcher er flüchtig entschied, auch nur sehen mögen, Herr Friedel. Er redet immer Und der Bäckermeister freute sich auch wirklich, daß den Morgenbesuch aufzuschieben, eine verhängnisvolle nur nichtsnuziges Zeug zusammen und riecht nach es mit Friedel so gefommen war, denn seine Tochter, Stunde, als er später zur Mittagszeit ermüdet die Treppe Schnaps... der...," brummte Frau Lore und lüftete die blonde Hanne, wußte wohl, warum ihr die ganze hinanstieg. Schon auf den ersten Stufen hörte er lustiges gereizt die Stube, wenn der unliebsame Gast draußen Gasse wie ausgestorben schien, seitdem Friedels Haus einfältiges Lachen und Schreien aus der Studierstube war. Zu ihrer Freude wurden aber die freundschaft- unbewohnt war. niedertönen, und je höher er schritt, desto lauter wurde lichen Besuche immer seltener, endlich kam Kasimir durch Es wär doch besser gewesen, der Herr Vater hätte der Lärm junger übermütiger Stimmen; als er aber die Monate nicht, und von dem Schenkwirt im Nachbarhause das Haus drüben nicht gekauft," seufzte sie an demselben Türklinke in seiner Hand hielt, konnte er deutlich den hörte sie, er sei bei Nacht und Nebel davongegangen. Morgen, an welchem Friedel bei dem Polen   seinen spöttisch- zärtlich ausgesprochenen Namen: Lore!- unter­Nun arbeitete Friedel ohne jede Störung weiter, nur Einzug hielt. scheiden. Haftig öffnete er, warf einen Blick in das zwei Stunden des Tages gab er den halbwüchsigen Buben Wenn ich es nicht gekauft hätt', so wär ein anderer Zimmer, stürzte quer hindurch und drängte sich neben einer Nachbarin Unterricht; er müsse sich das Geld, das gekommen," schmunzelte der dicke Bäcker breit, tätschelte die Frau, welche zornbebend zwischen fünf blutjungen er zu seinem Doktorwerden" brauche, verdienen, sagte die große Hand seines Kindes und meinte pfiffig:" Ich Burschen stand, die sich mit täppischer Zudringlichkeit er ruhig zu Lore. laffe die alte Baracke drüben niederreißen, baue ein um fie bewarben und ihr fecke doppelsinnige Schmeiche schönes Haus hin, mit großen Spiegelscheibenfenstern leien zuriefen. und einem Altan, da kannst du dann selber herausschauen da drüben... und ein anderer... wenn er wirklich gut tut... neben dir... He! Hanne... neben dir!" Der andere aber, an welchen die zwei Menschen fast immer dachten, saß daheim bei dem franken Josef, redete mit ihm in seiner schlichten Sprache, pflegte ihn und hatte seine Freude daran, wenn er dem geduldigen Was ist das, Hans? Du duldest eine solche Roheit Manne   auch nur ein wenig sein Leiden erleichtern fonnte, in deinem Hause?" schrie Friedel und wies die jungen doch so viel Glück er sonst mit allen seinen Kranken Leute mit einer heftigen Handbewegung zurück. hatte, bei Josef war seine Kunst verloren.

Die junge Frau nahm aber die Sache anders auf, fie frug erst ihren Mann um Rat, ob der Herr Friedel nicht zu viel Zeit verlöre mit dem Unterrichtgeben, und ob es für so einen Herrn keine Schande sei, wenn er den Schneiderbuben" etwas lehre.

Der franke gelähmte Mann hörte aufmerksam zu, bann sagte er gemessen:

Kann das schon tun, unser Herr Friedel, haben oft große Herren, Minister und Professoren Unterricht für das tägliche Brot gegeben, wie sie noch Studenten waren, mußt ihm das nicht verleiden."

Mein Mann meint auch, es ist keine Schande, wenn Sie Unterricht geben; Sie haben doch recht, meintm ein Mann, gelt Josef?"... bedeutete Lore, als die Drei ihr bescheidenes Abendbrot nahmen, und schon am nächsten Tage tamen die Söhne der reichen Schneidermeisterin zu den Unterrichtsstunden.

Sie schien nichts von alledem zu hören, unwillkürlich hielt sie ihren Korb wie zur Abwehr und schaute mit zornsprühenden Augen auf den Hausherrn, der matt in einem Lehnstuhl lag, mit seinen schlanken Fingern auf einem Marmortischchen trommelte und für das beleidigte Weib nur ein gleichgültiges Lächeln hatte.

"

Grüne Bursche, die jede Schürze aus Rand und Band bringt," erklärte der Hausherr und streckte Friedel die Hand entgegen.

" Die Gicht kommt immer höher hinauf, von den Füßen bis in sein gutes altes Herz"... klagte Lore. Es half keine Pflege und fein Mittel mehr, wie sich auch Gassenbuben!" flog es jetzt rauh von Lores Lippen, Friedel Mühe gab, das flackernde Leben anzufachen, es sie riß ihren Korb an sich, rannte durch die Stube und erlosch doch einmal in aller Stille, und vier Männer trugen warf die Türe dröhnend hinter sich zu. den einfachen Sarg hinaus zu der letzten Heimstätte.... und konntest du den ungeschlachten Burschen da nicht Der Winter ging so hin, und der Frühling überraschte Hinter dem Sarge gingen Lore und Friedel und zu sagen, daß diese Frau nicht zu jenen zählt, die sonst auf den jungen Krauskopf mit bleichen eingefallenen Wangen, nächst dann die Menge Nachbarn, welche sich leise darob eure Stuben tommen?" frug Friedel gereizt. mit dunklen Ringen unter den blauen Augen. Friedel verwunderten, daß der alte Josef so lange gelebt habe. Bist du dessen gewiß?" war die ruhige Erwiderung, hatte die Sache gar ernst genommen, er war fast erkrankt Durch den Tod des Mannes war plötzlich alles ver- und gedehnt setzte der bleiche ernste Mensch dem fieber­über seinen dicken Büchern, die Lore immer mit einer ändert im Hause. Lore, die früher nie zu Atem kam haft Aufhorchenden auseinander, daß, wer sich in die bewundernden Scheu betrachtete. Aber alle Mühe war ver- von all dem Waschen und Plätten für fremde Leute, Höhle des Löwen begibt, darin umfommt... daß die gessen, als er einmal mit hochroten Backen heimgeeilt fam. von all dem Putzen und Fegen in der Wirtschaft, von Frau alt und häßlich sein müßte, wenn sie unangefochten " Was ist denn geschehen, Herr Friedel...?" fragte all der Pflege und Mühe mit ihrem seit Jahren ge- Tag für Tag von einer Studentenstube in die andere Lore betroffen. lähmten Manne; dieselbe bewegliche, rasche, laute Lore gehen könnte, nicht aber solche Augen haben dürfe, welche

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Er antwortete zuerst nicht, legte nur ein Pergament saß jetzt in einem Winkel, hatte die Hände in ihrem nichts weniger als die einer Heiligen wären...." Aber mit bunten Schnörkeln auf den Tisch, packte ihre beiden Schoß liegen und dachte an keine Arbeit. Friedel schaute ich bitte dich," schloß Hans leidenschaftslos, hast du Hände und rüttelte sie, als ob er sie aus den Gelenken nur auf das leere Bett, wenn er kam und ging. Wollte dieses Weib noch niemals genau angesehen?" ziehen wollte, und dann gluckste er nur heraus damit, er die Witwe anreden, so zuckten und zitterten seine Angesehen?" wiederholte Friedel, nein... ja...," so daß seine Stimme anders flang als sonst: Lippen, er fand vor lauter eigener Betrübnis kein trösten- und dabei horchte er noch immer, denn die gleichmütige ,, So, alles ist gut gegangen, jetzt jetzt bin ich des Wort für sie.... Die Stuben, die ihnen sonst fast flare Stimme flang, als tomme sie von weit her, etwa Doktor, und jetzt kann ich euch bald heimzahlen, was zu klein wurden, waren ihnen nun viel zu groß, und von der Straße herauf, durch kurze Windstöße zum ihr Gutes an mir getan habt, Lore, ich dann" er allüberall fehlte das freundliche Gesicht, das geduldige Fenster hereingeweht... und dazwischen saufte und konnte nicht weiterreden... er schluckte... atmete... Lächeln des armen Verstorbenen.... brodelte noch etwas fort und fort, als ob die Diele sich und preßte seine Stirne an die Fensterscheibe. Die Stunden, welche Friedel sonst neben dem Kranken- fenkte und die ganze Stube unter Wasser stünde.... " Herr Doktor!" rief es leise und schelmisch von dem bett daheim verbracht hatte, wußte er jetzt auch schwer Er schaute allen den Menschen, die um ihn standen, Krankenlager her. auszufüllen. Widerwillig suchte er zuweilen einen Studien- nacheinander in die Augen und dachte dabei an die " Josef!..." Mit einem Sage war Friedel bei dem genossen auf, oder ging in eines jener Bürgerhäuser, brennenden Augen des Weibes, die er längst vergessen Kranten, er richtete ihn stramm- sizend in die Höhe, gab wo er im Laufe der Zeit als Hausarzt aufgenommen hatte... er mußte jetzt plöglich immer an sie denken, ihm einen schallenden Kuß auf die Stirne und legte ihn worden und stets willkommen war. Aber auch dort saß hinter seinen Klopfenden Schläfen zerarbeitete das hastende behutsam, wie etwas zerbrechliches, wieder in die Kissen, er still und in sich gefehrt, und die drallen jungen Hirn nur einen fast förperlich- schmerzenden Gedanken: dann drehte er sich auf dem Absatz um, lachte fröhlich, Mädchen, die sonst über seine luftigen Reden ficherten wie seit langer Zeit nicht mehr, und lief in seine Stube. und wenn er der Türe den Rücken fehrte, sich neckten, Lore nahm das Pergament sorgsam mit den Finger- welche von ihnen Frau Doftor" würde, diese jungen Diese Worte tickte ihm seine Uhr zu, die er mit einem spitzen und legte es auf die Bettdecke ihres Mannes. Obenhinaus meinten, der Doktor müsse nun wirklich Male in der Hand hielt, ohne zu wissen warum. Er " Lies mir das jetzt einmal vor," sagte fie, beugte sich zu recht verliebt sein, denn so traurig wäre man nicht um sah die Zeiger weiterrücken.... er fühlte ihre zitternde ihm nieder und fuhr mit dem Finger von einem Worte Sprache, denn er hielt sie nahe an seinem Herzen, und zum anderen: wie ein Echo wiederholte das geängstigte Herz: Er lügt... Er lügt... Er lügt....

" Ja, Weib...," meinte Josef nach langem, mühseligen Buchstabieren, das ist die lateinische Sprache, die kann ich nicht lesen, das Ganze ist halt so eine Schrift, die einer friegen tut, wenn er was wird."

* Aus ,, Welt und Einsamkeit", ebichte von Otto Krille  . Berlin  

1906. Johann Sassenbach  . Wir werden auf diese Sammlung noch zurückkommen

irgend eines toten Mannes willen.

Allmählich fam alles wieder in das alte Geleise, die Witwe und Friedel lebten ruhig nebeneinander weiter, nur sahen sie sich weniger wie früher, weil die trau­lichen Abendstunden, die sie zu Dreien zugebracht hatten, jetzt fehlten; sie wußten allein nichts zu reden miteinander.

" Ich ihr Brot!"

"

Er lügt... Er lügt... Er lügt..."

" Du lügst!" stieß Friedel halb unbewußt und tonlos, nur seiner Uhr nachsprechend, heraus. Friedel!"

( Forts. folgt.)

Sie werden sich doch jetzt anderswo einmieten, Herr Doktor?" fragte der mürrische Braumeister hinterhältisch, Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Zundel), Wilhelmshöhe als Friedel eines Abends bei ihm in der Schenke saß.

Post Degerloch bei Stuttgart  . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .