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Weihnachtsabend.

Bon Theodor Storm .

Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll, Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus. Weihnachten war's, durch alle Gassen scholl Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült, Drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr: ,, Kauft, lieber Herr!" Ein magres Händchen hielt Feilbietend mir ein ähnlich Spielzeug vor.

Ich schrat empor, und beim Laternenschein Sah ich ein bleiches Kinderangesicht; Wes Alters und Geschlechts es mochte sein, Erkannt' ich im Vorübertreiben nicht.

Nur von dem Treppenstein, darauf es saß, Noch immer hört' ich, mühsam, wie es schien: Kauft, lieber Herr!" den Ruf ohn' Unterlaẞ; Doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.

Und ich?- War's Ungeschick, war es die Scham, Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind? Eh' meine Hand zu meiner Börse kam, Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.

Doch als ich endlich war mit mir allein, Erfaßte mich die Angst im Herzen so, Als säß mein eigen Kind auf jenem Stein Und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.

Mine Anders Weihnachten.

Von Otto Krille.

Die Gleichheit

Nr. 26

Wie sie so nach Hause schritt, hatte sie bald ihren alten getan ist, aber ihrer schlichten Ausdrucksweise mangelten lebensharten Sinn wiedergefunden. die Worte dafür. Dazwischen aber drängte sich wieder Der scharfe Schneewind nahm ihr alle Grübeleien. Da die bange Frage: Kannst du allein die Kinder erziehen hörte sie, daß sich hinter ihr Schritte beschleunigten, als und beschützen? Du bist eine Frau, eine schwache Frau! ob jemand sie einholen wollte. überrascht wandte sie Wenn sie hungern, und du kannst sie nicht satt machen-! sich und blieb stehen. Als sie den Ankommenden erkannte, Du kannst krank werden. Hundert Möglichkeiten ersann wurde sie von einem Gefühl der Verwirrung und Un- ihr gequältes Hirn. Dann glitt ihr Blick wieder un­schlüssigkeit erfaßt, daß sie vergaß, den Guten Abend- bemerkt an der kräftigen Mannesgestalt nieder, die an Gruß zu erwidern. ihrer Seite ging. Als ahne ihr Begleiter, was in ihr Der Mann, eine breite, gedrungene Gestalt, faßte ihre vorging, hielt er stumm, aber erwartungsvoll mit ihr linke Hand. Sie entzog sie ihm nicht. Dann gingen sie Schritt. In ihm hatte nur das Begehren Plaz nach diesem Weibe, das in der Vollblüte der Jahre seine ent­fesselten Sinne reizte und doch in ihrer herben Mutter­schaft unsichtbare Schranken um sich gezogen hatte.

beide nebeneinander weiter.

" Du hast es vergessen?!" Halb Vorwurf und halb Frage war es.

Nein." In ihrer Stimme klang die Erregung mit. " über zwei Jahre bist du Witwe. Soll ich noch länger warten?" In die Rauheit seiner Worte floß ein liebe­voller Baterton ein. Es ist Weihnachten. Willst du nicht deinen Kindern einen- zweiten Vater schenken? Du plagst dich allein zuschanden, und ihr müßt immer noch hungern."

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" Die Kinder haben nicht gehungert," entgegnete ste scharf und verletzt.

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Aber du du ich weiß es." Sie fämpfte um Worte.

Soll der Hunger dein Brautwerber sein? Ist er dir am Tisch lieber als ich?"

Unwillig entzog sie ihm die Hand, obwohl er fie fester packen wollte. Ich kann nicht der Kinder

wegen."

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Plöglich wandte er sich, um seine Unruhe zu verbergen, mit mühsam scherzendem Klang zu dem Knaben: Nun, Paul, möchtest du mich nicht zum Vater haben?"" Und er versuchte, dem Jungen die Backen zu streicheln. Erschreckt preßte sich dieser an der Mutter Knie, daß sie im Weiterschreiten gehemmt wurde.

Laß den Buben. Komm wieder, wenn er groß ist." Der innere Kampf flang noch in diesen Worten.

Ein kurzes heiseres Lachen antwortete ihr. Dann bist du alt!"

Verständnislos schaute sie ihn sekundenlang an. Dann brannte in ihrem Gesicht. aber folgte blitzschnell die Erkenntnis. Die Schamröte

Sie bückte sich, nahm den Knaben auf den Arm und eilte vorwärts, ohne auf den Weg zu achten, durch den tiefen Schnee, immer hastiger, als würde sie verfolgt, obwohl der Mann, den sie floh, stehen geblieben war Die Kinder und immer wieder die Kinder. Ich habe und ihr kopfschüttelnd nachblickte. Das Kopftuch fiel ihr sie gern," entgegnete er gereizt. Du hast aber doch auch in den Nacken und der Wind peitschte ihr Haar. Sie no Ansprüche an das Leben. Gerade heute," fuhr er weicher wandte sich nicht um. Der Knabe begann zu weinen. Schrill über den Gutshof schallte vom Herrenhaus die fort, da ist man nicht gern allein. Weihnachten ohne Sie drückte seinen Kopf an ihre zitternde Brust. Nur Feierabendglocke. Im Gesindehaus verstummte der heftige Liebe" Ein heftiger Windstoß trieb ihm den Schnee als sie die Dorfstraße verlassen hatte und einen schmalen Wortstreit, welcher eben noch stark und leidenschaftlich ins Gesicht und verhinderte das Weitersprechen. Instinktiv Feldweg betrat, auf dem ihr ein armseliges Lichtchen weithin zu hören war, und über den schneefrei gefegten, drängten sich die beiden näher zusammen, als ob sie entgegenschimmerte, mäßigte sie ihre Schritte. Abseits gepflasterten Weg, der sich an den Ställen hinzog, klang vereint dem Schneegestöber besser Trotz bieten könnten. vom Dorfe wohnte sie mit ihren drei Kindern in einem ein Durcheinander von hastigen, holzbeschuhten Schritten. Das Gespräch verstummte für Augenblicke, und in Mine niedrigen Häuschen, in welchem ihr ein Bauer eine Stube Die Taglöhner und Frauen eilten, ihren Lohn zu holen, Anders stieg die Weiblichkeit mit sinnbetäubender Kraft vermietet hatte. der am heiligen Abend früher als sonst ausgezahlt wurde empor. Zwei Jahre Witwenleben mit aller Entbehrung, Als in dem schmucklosen Heime ihr ein Kinderruf und durch eine Weihnachtsgabe erhöht war. Vor der mit all der geheimen, ungeftillten Sehnsucht nach Bärt entgegenscholl und aus einem Rorbe sich zwei schwache Halle stapften sie die Schuhe ab und gruppierten sich lichkeiten von starken Armen erstanden vor ihrem Geiste. Armchen sich nach ihr ausstreckten, richtete sie sich hoch dann um die Treppe, welche zu der herrschaftlichen Wie ein Rausch überkam es ihr fünfunddreißigjähriges auf. Geräuschlos schob sie den Türriegel vor. Das gab Wohnung führte. blühendes Frauentum. Die mühsam errungene Selb ein Gefühl der Sicherheit. Doch als sie sich müde auf Der Inspektor, ein hagerer, sehniger Mann mit einem ständigkeit und einsame Stärke verging vor dem Hauch dem Stuhle niedergelassen hatte, kam es wie eine Er­Habichtsgesicht trat auf die oberste Stufe, blickte einige- dieses Mannes wie Schnee vor dem Sommer. Sie war schütterung über sie, und Träne um Träne floß über die mal über die Wartenden hinweg, bis das letzte Gemurmel wieder Mädchen mit mädchenhaftem Drange. Sie fühlte schwieligen Hände, die vergebens den Strom zu hemmen verftummt war, und erklärte im Tone eines Auftionators: wieder Küsse auf ihren Lippen brennen, die nicht von suchten. Befremdet blickten die Kinder auf sie. Sie hatten Die Herrschaft kann in diesem Jahre außer dem Zentner Kinderlippen stammten, und als sie einen Männerarm die Mutter noch nie weinend gesehen. Kaum aber Kartoffeln nur noch zwei Mark geben. Wie ihr wißt, an ihrer Hüfte fühlte, schauerte sie zusammen unter seinem hatte ein Händchen wie vorwurfsvoll in die Rockfalten ist die Ernte schlecht ausgefallen." Im gleichen Tonfall Drucke. gefaßt, da war Mine Anders wieder start. rief er nacheinander alle Namen auf und händigte den Da tauchte in dem Gewühl der Schneeflocken eine Bortretenden ihre Geldbeträge in fleinen Papiertaschen ein. Kleine dunkle Gestalt vor ihr auf." Mutter," flang es In der entstehenden Unruhe gingen die halblauten ihr entgegen. Das war wie eine Entzauberung. Verwünschungen über das magere Weihnachtsgeschenk Mit hartem Griff befreite sich Mine Anders von dem verloren ebenso wie das Staunen über die schlechte Arme, als schämte sie sich vor dem Kinde. Dann zog Ernte. Nur ein jüngerer Mann konnte sich nicht ent- sie den freudig aufjubelnden Buben an sich, hob ihn mit halten, als er die Halle verließ, mit höhnischer Schärfe ihren arbeitsfesten Händen hoch und füßte ihn mit heißer zurückzurufen: Und der Herrschaft ein Wohlgefallen!" Inbrunst, in der noch das erlöschende Feuer ihrer Ge­Im Gesicht des Inspektors zuckte feine Muskel. schlechtlichkeit brannte. Dann atmete fie tief auf, als Mine Anders ging zuletzt. Unverhohlen prägte sich sollte die kalte Abendluft alles fühlen, was noch von die Enttäuschung in ihren Zügen aus. Sie hatte mit jenem Verlangen in ihr glühte. einem Taler, ja ganz im stillen noch mit einer Mark Das Kind an der Hand, fühlte sie eine tiefe, wunder­mehr gerechnet, und nun hatte ihre Kalkulation ein bare Beruhigung. schmähliches Loch bekommen. Vom Feiertagsfleisch, von den Pfefferkuchen, vom Strumpfgarn, von allem mußte etwas abgerechnet werden. Das war nicht nur unan- Ein zornrasches Ach" ertönte an ihrer Seite. genehm, sondern schmerzte auch, wenn sie an die Kinder gehöre den Kindern. Ich bin es ihnen schuldig." dachte. Eine bittere Empfindung drängte ihr das Wort Sie sprach mild und leise. " Bande" auf die Lippen, aber sie hielt es zurück und ging nur etwas schneller die Dorfstraße entlang, welche schon im Halbdunkel lag.

Wir wollen nicht mehr darüber sprechen," sagte sie in gedämpftem Tone.

" Ich

Sie band das Tuch ab und zündete die Petroleumlampe an Stelle des fleinen flackernden Nachtlichtes an.

Hell und vertraulich ergoß sich das Licht über alle Gegenstände. Mine Anders aber ward fröhlich, wie nur ein Mensch werden kann, in dessen Herzen unbeirrte Ruhe eingefehrt ist. Lächelnd zog sie hinter ihrem Betf ein Tannenbäumchen hervor, das sie selbst geschnitten hatte, ohne an Forstdiebstahl zu denken.

Die Kinder jauchzten hell auf. Bald hatten sie mit der Mutter den Baum mit fleinen Lichtern besteckt, bunte Papierketten darauf gehangen und goldschaumbeklebte Tannenzapfen daran gebunden. Mine stellte vier Teller darunter, legte auf jeden zwei Pfefferkuchen, zwei Apfel und eine Handvoll Nüsse. Jedes Kind aber bekam noch ein Butterbrot mit einem Stück Wurst, das extra groß war. Dann zündete sie die Lichter an und löschte die Lampe. Mit staunenden Augen drängten sich die Kinder an die Mutter. Der jüngste Bube, den sie auf den Arm nahm, haschte mit übermütigem Jauchzen nach all den Flittern, als seien es tostbare Schäße.

Was soll aus ihnen werden, wenn du sie kaum er­nähren kannst. Werden sie dir nicht einmal sagen, daß du ihnen das Glück verwehrt hast, daß du reichliches" Du mein Christkind, mein kleiner Heiland," liebkoste Mine Anders war Witwe, und eine solche ist in einem Essen und sorgenlose Jugend eifersüchtig von ihnen die Mutter, und zu den anderen gewandt: Da, das Dorfe noch schlimmer daran als ein Ortsarmer. Sie ist ferngehalten hast. Sie werden dir nicht danken, verschenke ich euch und meine ganze Liebe," setzte sie nicht nur der Zielpunkt aller außerehelichen Galanterien wünschen werden sie dich." In leidenschaftlicher Weise, im stillen hinzu. der Männer, sondern auch das Objekt des dörflichen ohne Rücksicht auf das Kind, stieß er die Worte heraus. Als im Dorf um Mitternacht der Festtag eingeläutet Weiberklatsches. Was sie tut, will das ganze Dorf Sie schwieg betroffen. wurde, ging Mine Anders zur Ruhe. Still und fest wissen, und ihre Wirtschaftsrechnungen prüft jede Bauers-" Du hast mich doch gern. Willst du alle Lebensfreude war es in ihr geworden. Was noch verlangt hatte nach frau beim Krämer nach. über ihre Kinder aber wacht den Kindern opfern, die so klein sind, daß sie sich bald Genuß, war den heiligen Entschlüssen der Mutterschaft ein Heer von Erziehern, vom Schulmeister an bis zum an mich gewöhnen werden? Was wissen sie davon. gewichen. Ihr Leben sollte den Knaben geweiht sein, Kuhhirten. Sie lebt gleichsam im Glashaus, wo jedermann Glaubst du, sie werden später einmal an deine verden Heilanden der Zukunft, die sie selbst im Schoß ihr Tun beschauen kann. Ihr Leben gehört dem Dorfe, härmten Jahre denken und an die Sorgen, die du ihret- getragen. Für sie zu leben und zu arbeiten, daß sie einst nur die Sorge hat sie allein. Wehe dem Weib, das wegen getragen hast? Niemand fragt, was du verloren hinausgetragen würden über die Armlichkeit ihres eigenen nicht stark genug ist, dem Dorfe zu trozen, es lebt im haft. Niemand wird es dir danken. Ach, es ist ja Daseins, das erschien ihr so natürlich, daß kein anderer Gefängnis. Mine Anders hatte, seit sie ihren Mann Unsinn, das Leben so wegzuwerfen!" Gedanke mehr Raum in ihr hatte. Eine schlichte Größe verloren, einen Stolz darein gesetzt, nicht nur zu trozen," Was ich meinen Kindern gebe, ist nicht weggeworfen. erfüllte sie, von der sie selbst nichts wußte, an der die sondern zu verblüffen. Durch einen zähen Fleiß machte Sie haben mehr Anrecht darauf als du." Welt immer achtlos vorüberzugehen pflegt und die doch sie alle Berechnungen der Frauen zuschanden. Immer Eine wunderbare Wärme strömte ihr bei dem Ge- bewunderungswürdiger ist als viele Großtaten, von denen wußte sie durch ein neues Kleidungsstück für die Kinder, danken an die Kinder aus dem Herzen, ergoß sich in die Geschichte spricht. durch einen reichlicheren Einkauf dem Dorfgespräch frische jeden Nerv und erfüllte sie ganz mit mütterlicher Hin­Nahrung zu geben. Sie war eine von jenen urfräftigen gabe. Sie erkannte etwas von der großen Wahrheit, Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe Naturen, die das Leben immer zu übertrumpfen suchen. daß das, was man Kindern tut, für die Menschheit!

Post Degerloch bei Stuttgart . Druckt und Berlag von Paul Singer in Stuttgart .