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Tütje Kranje.

Eine Selgoländer Geschichte von Wilhelm Holzamer  .

Es war zur heißen, stillen Mittagszeit. Drunten schlief das Meer. Hier oben schliefen die Toten.

Der alte, welke Küfter stand an ihr Kreuz gelehnt. Ich riß ein paar welke Blätter vom Rosenstock, der auf ihrem Grabe blühte. Es war schade um sie, die arme Tütje, Herr. Sie war so jung gewesen und schön. Und so munter, Herr. Sie hätten sie nur sehen sollen."

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Der alte Küfter schwieg eine Weile und blickte traurig auf das verwahrloste Grab. Da liegt sie nun, und kein Mensch fümmert sich mehr um sie. Sie ist eine Schlechte geworden. Aber Herr, sie war nicht schlecht. Ich hab' ste von Klein Kind auf gekannt. Sie war nicht schlecht, Herr. Aber sie ist nun eine Schlechte geworden. Sehen Sie hindas ist ihre Mutter, Herr!"

Die Gleichheit

Da ging ein bös Gerede auf Helgoland von der armen Tütje Kranje. Die Weiber guckten sie scharf an, die Burschen blickten verstohlen.

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Nr. 4

Dann war sie still. Und sie saß am Fenster bis tief in die Nacht und hielt still ihre Schmerzen aus und ihre Reue. Und sehnte sich.

Sie schlug ihnen aber die Augen nicht nieder. Wie Dann war der Mond aufgegangen und stand hoch zum Trotz nicht, die Tütje. Sie hatte ja den Fremden überm Meere. Und auf der Insel war's still. Nur so gern gehabt. Was ging's die andern an? Und sie drunten die Wellen am Strande sangen ihre eintönige weinte, und weinte Nächte um ihn und grämte sich. Melodie. Kein Mensch mehr auf dem Ausguck". Mochten's die Leute ihr ansehen! Daß sie recht hatten Ein paar leichte Wolfen zogen am Mond vorbei. mit ihrem Gerede- ja, sie hatten ja recht sie wollt's Ihre Schatten strebten übers Wasser und über unsere tragen. Sie wollt' alles aushalten. Sie wollt' alles er- ftille Insel. dulden. Wenn er nur wiederfäme! Sie hatte ihn so gern. Da schlich die Tütje hinaus. Hinauf zum Lummen Hier hat sie einmal bei mir gestanden, an der Kirchhofs- felsen ging ste. Noch einmal stand sie und sah nach tür. Ich hab' freundlich zu ihr geredet. Hamburg   zu. Noch einmal dachte sie an ihn". An " Ich gäb' mein Leben für ihn, Küster," sagte sie. sonst was dachte sie wohl nicht mehr. Sie griff sich ins Mein Leben!" Haar und weinte. Dann troch sie hinaus- äußerste Spitze des Felsens.

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Ich sah sie groß an und war still.' 3 ist so was die Liebe und wenn man jung ist.' 3 ist so was, wie Wellen im Meeresie tragen fort und fort und rollen Ich stand einen Moment starr gebannt. An der weißen hin und brechen am Strande, aber sie laufen zurück und Friedhofsmauer hin bewegte sich etwas Schwarzes. Nichts kommen wieder, und brechen wieder und kommen wieder. weiter zu sehen, als ein schwarzes Dreieck, das mit leisem Und sie geben dem Meere das Leben. Wellen nennen Auf und Nieder an der Mauer entlang außen weiter wir's im Meere, in unserem Herzen, in unserem Leben schritt. Und kein Tritt hörbar. Nur dann und wann nennen wir's Liebe. Ich hab's bei der Tütje Kranje ein Hüfteln. Und nun ein Halten. Eine leise Drehung- gesehen, Herr. Ich tu mein Käppchen davor ab. Da nun ein matter Schimmer eines Menschenantlizes sichtbar, sind wir machtlos. Das geht über Menschengewalt. ein Streifchen Stirne und dann wieder in die alte Und' s wär noch gut geworden. Warum nicht! Aber Stellung und langsam an der weißen Kirchhofsmauer da war die Mutter. Tag und Nacht lag sie ihr in den außen weiter. Ein Gespenst. Des Schicksals schwarze Ohren. Tag und Nacht quälte sie die arme Tütje. Und Gestalt, der Tod!

Ich starrte mit großen Augen.

Und nun trat eine alte, gebückte Frau an das Gitter der Kirchhofstür, ganz in Schwarz, die große Helgoländer  Haube auf dem Kopfe. Sie blieb an dem eisernen Tore stehen und sah eine kurze Weile herein auf den Friedhof, hin nach dem Grabe, an dem wir standen dann ging fie wieder weg- und draußen über der weißen Friedhofs­mauer bewegte sich wieder das unheimliche Dreieck, die große, schwarze Helgoländer   Haube hin, mit leisem Auf

und Nieder, unhörbar.

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Das war ihre Mutter, Herr! Die kommt immer zum Mittag. Aber herein geht sie nicht. Das getraut sie sich nicht. Die hat an allem Schuld, Herr! Die sollt' da liegen, und die Tütje sollt' leben. Ja, so ist's, Herr, wie ich sage. Ich bin ein alter Mann über siebzig Jahre, lang drüber und ich sag' das.

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Die Tütje war ja kaum fiebzehn. Schön war fie. Wie Milch und Blut. Und drunten im Unterland der Jasper Jöhren mocht' fie gern leiden. Und sie versprach fich ihm auch. Aber der Jasper war ein Matrose ges worden in Hamburg   auf einem großen Dampfer, der nach New York   fuhr. Da war er halt immer fort. Er schrieb ja manchmal, selten genug. Und einmal im Jahre fam er auch heim. Da waren die zwei denn schön vergnügt. Sie waren beide so junge, schöne Menschen, die Tütje und der Jasper. Und sie hatten beide einander so gern.

Aber dann reiste der Jasper ab und die Tütje war wieder allein. Lange, lange allein. Und war doch so jung und schön, Herr. Da denken Sie!

" Tütje!" rief ich ihr zu.

auf die

Ich hatte nicht schlafen können die Nacht und es hatte mich hinausgetrieben. Über den Kirchhof war ich gegangen, dann hinauf nach dem Leuchtturm zu. Und nun hatt' ich sie gesehen.

" Tütje!" rief ich noch einmal. Da sprang sie hinab. Es tat drunten einen Schlag. Dann war's still. Und auf der Insel war's still.

Und ich ging über den Kirchhof und schritt die Gräber hin. Ich suchte einen Platz für sie aus. Sie sollte schön ruhen. Schön und gut ruhen, die arme Tütje. Sie war keine Schlechte. die litt doch schon genug. Aber die Mutter ruhte nicht. Wer die Liebe hat, hat das Leben, sagt der Apostel, Sie sprach von Jasper und der Schande. Das dumme glaub' ich. Da liegt sie nun. Ich hab' ihr den Rosen­Weib! Es war doch nun einmal nicht zu verbergen. stock gepflanzt. Und der Kranz hier ist vom Jasper Jöhren.

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Sie behielt die Tütje zu Hause. Die Tütje sei ab­gereist, brachte sie das Gerede auf Helgoland  . Aber kein Wir haben sie nämlich doch begraben. Und auch Mensch glaubte es ihr. Wir lächelten alle nur. Aber wir unser alter Pastor war mitgegangen. dachten doch nichts Schlimmes, bis eines Tages drunten Ruhe sanft, Tütje Kranje  ! Sie hätten sie kennen am Strande unter der Brücke das Kind gefunden wurde. sollen, Herr! Sie war jung und schön gewesen- und Eine schreckliche Sache, Herr! Und denken Sie die starb um ihre Liebe. Da muß man Respekt haben, Herr. Tütje war plötzlich wieder da- und war munter und Aber die Menschen nennen das schlecht..." lächelte. Die arme Tütje, was mag sie da erst ausgehalten haben! Keine Amme bei der Geburt, gar niemand.

Und das Kind im Wasser unter der Brücke. Man fragte die Mutter. Sie wisse von gar nichts, sagte sie. Und auch die Tütje leugnete. Und als es Abend ward, ging sie hin zum alten Leuchtturm und weinte. Sie sah nach Hamburg   hinüber, weit übers Meer, und weinte. Ich traf sie selbst droben. Ich muß sterben, Küster," sagte sie. Sterben muß ich." Und sie erzählte mir alles. Die arme Tütje, Herr.

Ich weiß zu schweigen, Herr. Gott   richtet. Aber ich sage die Mutter sollt' hier liegen, und die Tütje sollt' leben. Das sag' ich, Herr.

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Und die Tütje ist doch keine Schlechte gewesen. Nur die Menschen machen die Menschen schlecht. Keiner macht sich selbst schlecht.

Ich bin mit der Tütje heimgegangen. Und gleich drauf hört' ich sie singen. Sie sang so hell und froh. Am Fenster, das offen war, daß ich's hören sollt', daß es alle Leute hören sollten.

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Es war drüben in der grünen Meereswoge". Es Die arme Tütje! Und sie wußte, daß sie sterben müsse. war Tanz. Da hatte sie mit ihm" getanzt. Wir wissen Und sie verriet nichts. Niemand sollte von ihr ver­seinen Namen nicht. Er war ein Fremder. Er war ein raten werden. Sie sang, hell und froh sang sie: Hamburger oder ein Berliner  . Ein städtischer, feiner Herr. Und sie hatten viel miteinander getanzt. Alle Tänze. Und auch Kim mien Moddefen". Den haben Sie ja wohl auch schon gesehen? Den hatten sie auch miteinander getanzt.

Und bei dem einen Mal blieb's nicht. Immer tanzten sie drüben in der grünen Meereswoge". Zweimal jede Woche. Und auch sonst trafen sie sich. Droben am Nordkap  , wenn die Sonne unterging drüben auf der Düne, wenn die Badezeit vorbei war.

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Du sprächst mi uhn, off ick min Hunn Net dien uhn affer lay,

sägst, ick benn de Bast ühp'd Lunn, Enn wellst mi djiarom frey?

( Du sprichst mich an, ob meine Hand Ich legen will in dein',

Nennst mich die Best' auf Helgoland  , Und willst mich darum frein?)

Der Lump. E

Bon Theodor Storm  .

Und bin ich auch ein rechter Lump, So bin ich dessen unverlegen, Ein frech Gemüt, ein fromm Gesicht, Herzbruder, sind ein wahrer Segen. Links nehm' von Chrifti Mantel ich Ein Zipfelchen, daß es mir diene,

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Und rechts du glaubst nicht, wie das deckt- Rechts von des Königs Hermeline.

Streikposten.

Kalt und düster der ganze Morgen. Durch die Häuser­reihen fegt der Sturm, und in Strömen fällt der Regen. Die glühende Stirn an die kalten Fensterscheiben gedrückt, sehe ich schon seit Stunden dem patrouillierenden Posten zu. Von Zeit zu Zeit schüttelt der Sturm die hagere Gestalt, und sein grauer Bart flattert zerzaust um das welfe Gesicht. Doch trotz des Unwetters bewacht er mit Späher­augen den Eingang der Ausbeutungshöhle, in welcher auch er seit Jahren sein höchstes Gut, seine Arbeitskraft hingegeben für ein Entgelt, das nicht ausreichte, sein Leben durchzuvegetieren. Seine Zeit ist um, schon steht die Ablösung hinter ihm. Auch ich trete vom Fenster zurück. Ein wildes, bitteres Weh in der Brust, eine un­endliche Sehnsucht, unter ihnen zu sein, die da kämpfen Immer ganz allein. Auch hier gingen sie oft vorbei. Die Mutter war noch einmal aufs Amt gerufen worden. um des Lebens Nahrung und Notdurft. Schnell ein Tuch Und die Tütje hatte eine Haube mit rosa Blumen und Aber sie blieb dabei- sie wisse nichts. Nun sollte die um die Schultern geschlungen und hinaus in den faltent Spigen wie die feinen Damen, die Fremden, und schöne Tütje geholt werden. Aber man wollte gut zu ihr sein. Novembermorgen, in das Viertel, wo sich die Ausbeutungs Kleider und einen feinen Hut und einen goldenen Ring Man wollte die Nacht vorübergehen lassen. Es war nie höhlen aneinanderreihen. Da um die Ecke biegen zwei am Finger. Und sie sah nur noch schöner aus, Herr, so streng auf Helgoland  . Besonders früher nicht. Man Schuyleute, das beste Zeichen, hier werden sie kontrollieren. sehr schön war sie. sitzt ja doch gefangen hier. Unbemerkt kann keiner fort. Richtig, dicht hinter den Hütern der Geseze kommen auch Die Tütje Kranje  - sie war doch nicht schlecht. Sie Und es war ein guter junger Herr auf dem Amt. Er sie zu zweien. Ganz, wie man es von zielbewußten Ar denn beitern erwartet, tun sie ihre Pflicht. Ein furzer Gruß, hatte ja den Jasper Jöhren vergessen. Aber der Jasper war noch nicht lange aus England gekommen war nie da, der fuhr nach New York  , und nur dann und damals gehörten wir noch den Engländern. Es sind ja ich eile an ihnen vorüber, weiter die Fabritreihen ent wann schrieb er einmal und die Tütje war doch jung, nun schon die fünfzehn Jahre. Und die Tütje war damals lang. Da plöglich stockt mein Fuß: Ein Streifpoften." Herr. Und der Fremde mußte sie doch lieb haben, mußte faum siebzehn. Achtzehn höchstens. So jung, Herr! Ein Weib, vom Regen durchnäßt, vom Sturm das Haar sie denken, er tat so gut zu ihr und gab ihr so viel und Die Mutter hielten sie freilich fest. Man glaubte ihr zerzauft, vom quälenden Husten die sieche Gestalt gerüttelt, machte sie so fein. Und sie hatte ihn gewiß lieb. Sie doch nicht. Es war ja unmöglich, daß sie nichts wisse. lehnt sie mit dem Rücken an einem Laternenpfahl, um war ein gutes Kind gewesen, und sie war gewiß nicht Es war doch ihr Kind, mit dem sie in einem Hause den Eingang der nächsten Fabrik zu bewachen. Ein schlecht. Ich hab' sie gut gekannt, Herr! wohnte. Sie hielten die Mutter fest. Und die arme Schauer überläuft mich, ich schließe die Augen und eile Tütje, mit ihrem Leid und ihren Schmerzen und ihrer vorüber. Weiter, immer weiter, hinaus aus dem Häuser Neue, denken Sie, Herr, in der Angst, was nun kommen meer, bis das Rauschen des Waldes mich erinnert, daß tönnte, Gericht und Strafe. Und sie war doch so gut, hier die Freiheit wohnt. Freiheit, Luft und Licht zum und hielt dran fest, nichts zu verraten. Sie sang noch:

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Die Zeit ging um und der Fremde reiste ab. Nun war sie allein, die Tütje. Wenn's Abend ward, ging fie hinauf zum alten Leuchtturm. Da stand sie angelehnt und sah hinüber, nach Hamburg   zu, und träumte sich zu dem Fremden und weinte leis in sich, weil er fern war. Und alle Abend stand sie oben..

Aber der Fremde kam nicht und ließ auch nichts von fich hören.

Monate gingen herum.

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So flütt wi dann met Mütt en Hart, llers Treu bett to be Doad

( So schließen wir mit Mund und Herz, Unsere Treue bis zum Tod--)

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Leben. Allmächtige Natur, die aus ihrem Schoß die Krone alles Lebens, den Menschen gebar. Den Menschen, der da sein soll: Gleich, frei und brüderlich."

II. R.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zelfin( Sunded), Wilhelm 935 Post Dezerloch bei Stuttgart  .

Druck und Verlag von Baul Tinger in Stuttgart  .