. N Nr. 5 16. Jahrgang Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen tSWWTMMWTW Die.Bletchheil' erschein! alle vierzehn Tag- einmal. Preis der Nummer lll Pfennig, durch die Post vterleljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband«5 Pfennig. JahreS-Abonnemen! 2,60 Mark. Stuttgart den 7. März 1906 Zuschriften an die Redaktion der.Gleichheit' sind zu richten an Frau Klara Zetkin <Zundel>, WilhelmShühe, Post Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furlbach-Sttafie 12. Jnhalts-Verzeichnis. Der sozialdemotratische WahlrechtStamps. Von<Z. l..— Heinrich Heine und die Frau. Von Ernst Almsloh.— Von der Hemv arbeiiauSstellung in Berlin : III. Buchbinderei, Portefeuille-, Karlon> nagen- und Papierwarcnindustrie. Von G. Sch.— DaS Fraum- stimmrecht im Reichstag. I.— AuS der Bewegung: Von der Agitation.— Von den Organisationen. — Die erste Konferenz deutscher sozialistischer Jugendorganisationen. — Die Behörden im Kampfe gegen die proletarischen Frauen. Bon Luise Zictz.— Politische Rundschau. Von G. L.— Gewerkschastlichc Rundschau. Notizenteil: Soziale Gesetzgebung.— Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.— Frauenstimmrecht.— Fürsorge für Säuglinge. Feuilleton: Gedichte von Heinrich Heine . Der sozialdemokratische Wahlrechts- kämpf. „Der preußische Arbeiter fühlt sich als vollberechtigter Staatsbürger, er verlangt sein Staatsbürger- und Menschenrecht, und er wird es sich nehmen, wenn man es ihm nicht gibt. Die Kugel— die ist im Rollen; sie kommt nicht eher zum Stillstand, als bis sie ihr Ziel erreicht hat, und ihr Ziel ist: politische Gleichheit und soziale Gerechtigkeit für alle, die Menschenangesicht tragen, ans dem Boden eines freien Staates. Wir erobern die Zukunft, wir erobern dieses Recht; denn unser wird die Welt— trotz alledem!" Mit diesen Worten kennzeichnete Bebel am Schlüsse seiner Rede im Reichstag zu dem sozialdemokratischen Antrag auf Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für Männer und Frauen zu allen Einzellandtagen sowohl die Situation, die sich in Deutschland herausgebildet hat, wie die Stimmung, von der die klassenbewußte Arbeiterschaft Deutschlands erfüllt ist. Denn was er vom preußischen Arbeiter sagte, gilt nicht minder von der Arbeiterschaft aller anderen Einzel- staaten. Wie könnte das auch anders sein! In Rußland kämpft seit Jahresfrist das Proletariat einen erbitterten Kampf für die Erringung politischer Rechte. In Osterreich , selbst in Ungarn steht die Gewährung eines Wahlrechts nach dem Muster des deutschen Reichstagswahlrechts unmittelbar bevor. Anders läßt sich der Doppelstaat an der Donau nicht mehr vor dem völligen Zusammenbruch retten. Die süddeutschen Staaten, Bayern , Württemberg und Baden, nehmen Verbesserungen des Wahlrechts vor. überall in unseren östlichen Nachbarländern wie daheim setzt sich die nämliche auf Erweiterung der Volksrechte gerichtete Entwicklungstendenz unwiderstehlich durch. Nur gerade in denjenigen deutschen Staaten, deren kapitalistische End wicklung am weitesten fortgeschritten ist, deren Proletariat .deshalb auch zahlreicher, klassenbewußter und in weitcrem Maße von den sozialdemokratischen Ideen erfaßt ist, in Preußen, Sachsen und den Hansastädten, halten die herrschenden Klassen hartnäckig an dem verrotteten Klassen- Wahlrecht fest oder suchen es gar noch mehr zu ver- kümmern, wo es seinen Zweck, das Proletariat- rechtlos zu machen, nicht in dem gewünschten Maße erfüllt. Wie könnte es da anders sein, als daß der sozial- demokratischen Arbeiterschaft dieser Länder endlich die Geduld reißt. Würde nicht das Reichstagswahlrecht es den deutschen Arbeitern ermöglichen, wenigstens auf einen Teil der öffentlichen Angelegenheiten einen Einfluß aus- zuüben, so hätten wir längst auch in Deutschland Wahl- rechtskämpfe ernstester Art gehabt. Die wachsende Macht der sozialdemokratischen Partei drängt ihr aber die Auf- gäbe auf, auch in den Landtagen den Einfluß des Prole- tariats zur Geltung zu bringen. Ein großer Wahlrechts- kämpf war so für die deutsche Sozialdemokratie zu einer geschichtlichen Notwendigkeit� geworden. Die russische Revolution war nur der äußere Anstoß, der die Volks- bewegung gegen das Dreiklassenunrecht zum Durchbruch brachte. Auf den ersten Blick erscheint es ja paradox, daß die wirtschaftlich minder entwickelten Staaten des Deutschen Reichs sich der Erweiterung des Wahlrechts günstig, die höher entwickelten aber gerade ungünstig gegenüberstellen. Dieser scheinbare Widerspruch hat jedoch seine natürliche Erklärung darin, daß mit der wirtschaftlichen Entwick- lung auch die sozialdemokratische Bewegung in jenen Staaten so weit angewachsen ist, daß sie den herrschenden Klassen jenen Grad von Furcht einflößt, der nur noch in der Rechtsverweigerung und in schroffen Unter- drückungsmaßregeln einen Damm gegen die wachsende Flut erblickt, während die herrschenden Klassen der minder entwickelten Staaten immer noch hoffen, durch Konzessionen beschwichtigendes Ol auf die schwellenden Fluten gießen zu können. Auch im Reichstag kam diese Stimmung gegenüber dem sozialdemokratischen Antrag zum Durchbruch. Weniger bezeichnend dafür ist die brutale Rechtsveriveigerung durch die ostclbischen Junker Normann, Oldenburg , Kar- dorff und den Talmijunker Arendt, die von alters her sich gleichgeblieben sind in ihrer Feindschaft gegen die Demokratisierung des Staatswesens. Die Situation er- hielt vielmehr ihr Gepräge durch die Stellungnahme der sämtlichen anderen bürgerlichen Parteien und der Re- gierungsvertreter. Ihnen allen war der„rote Sonntag" in die Glieder gefahren. In mehr oder minder ge- wundenen Redensarten lehnten sie den Antrag der „Revolutionäre " ab. Graf Posadowsky verknüpfte die Regierungsabsage mit der väterlichen Nkhnung an die preußischen Arbeiter, wenn sie darauf rechneten, Ver- treter in den preußischen Landtag entsenden zu können, müßten sie vorher die sozialdemokratische Partei und all ihr antimonarchisches Teufelswerk abschwören. Bezeichnend für die unausrottbare Verblendung unserer Gegner ist es, daß selbst diesem in seiner Art immerhin gescheiten Minister für Sozialreform es nicht in den Sinn gekommen ist, wie skurril eine solche Mahnung auf jeden Geschichts- kenner wirken muß. Die reaktionäre preußische Regie- rung hat das Dreiklassenunrecht dem preußischen Volke aufoktroyiert, längst, ehe es eine sozialdemokratische Partei in Deutschland gab, und hat es trotz seiner er- kannten Elendigkcit und Widersinnigkeit aufrecht erhalten ein halb Jahrhundert lang, ohne daß sie sich je bemüßigt gefühlt hätte, den arbeitenden Klassen die Anteilnahme am parlamentarischen Leben Preußens auch nur durch ernstliche Reformversuche zu ermöglichen. Eine Regierung, die mit einer solchen geschichtlichen Vergangenheit belastet ist, hat das Recht verwirkt, sich als arbeiterfteundlich aufzuspielen. In plumpster Weise kehrte der Vertreter der Hansa- städte, Herr Klügmann, den Machtstandpunkt heraus, indem er die Wahlrechtsverkümmerung durch den herrschen- den Kaufmanns- und Juristenklüngel in Hamburg und Lübeck verteidigte. Das Verhalten dieser Sippe berührt um so widerwärtiger, da die Macht, auf die sie pochen, nicht auf ihrer eigenen Kraft beruht, sondern auf den preußischen Bajonetten, die ihnen zur Verfügung stehen gegen das Proletariat. Tiefer als in Hamburg und Lübeck kann das deutsche Bürgertum im Geldsacks- egoismus nicht mehr versinken. Das Zentrum und die liberalen Parteien suchten wenigstens den Schein gemäßigter Reformfreundlichkeit zu retten. Die Nationalliberalen bemühten sich, die Auf- deckung ihrer reaktionären Gesinnung und ihres Verrats aller liberalen Grundsätze durch eine von Herrn Büsing exekutierte kkriegervereinsrede zur Verherrlichung des „Glockenklanges von Kaiser und Reich" zu überdröhnen. Das Zentrum retirierte sich eiertänzelnd hinter die beliebte Schutzmauer der Kompetenzbedenken, die es unbedenklich selbst über den Haufen zu rennen pflegt, wenn ihm das, wie beim Toleranzgesetz, in den Kram paßt. Die Freisinnigen aber fanden den Vorwand zur Ver- werfung des sozialdemokratischen Antrags in dessen Forderung, auch den Frauen das Stimmrecht genau wie den Männern zu gewähren. Der erste Redner der sozialdemokratischen Partei, der Abgeordnete Bernstein , hatte es unterlassen, die Forde- rung des Frauenstimmrechts in unserem Antrag zu be- gründen. So gingen denn auch die nächsten Redner überhaupt nicht auf dieselbe ein. Erst der Abgeordnete Träger, der namens der freisinnigen Volkspartei die Annahme des ersten Absatzes, der das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht überhaupt fordert, begründete, wie die Ablehnung des Frauenstimmrechts im zweiten Absatz, zog dieses in die Debatte. Seine Argumente waren charakteristisch für die Partei. Er machte den Frauen etliche dichterische Komplimente, meinte, in der Zukunft könne man vielleicht einmal an eine solche kühne Neuerung wie das Frauenwahlrecht denken, wenn die Frauen„reifer" geworden seien, jetzt aber würde der gute Bürger durch den geforderten Fort- schritt doch zu sehr aus seiner Ruhe aufgeschreckt werden. Auf einen solchen Philisterstandpunkt ist die bürger- liche Demokratie gekommen. Die Ruhe des guten Bürgers schiebt sie dem Verlangen der weiblichen Hälfte des Volkes nach Gleichberechtigung in den Weg! Alle diese Schein- argumente wurden von Bebel zertrümmert. Er ließ keinen Zweifel darüber bestehen, daß unsere Forderung: „Gleiches Recht für alle" kein leerer Schein ist. Auch die Frauen, wie alle Unterdrückten, werden von der Sozialdemokratie stets die Vertretung ihrer Rechte er- warten können. Die Bewegung ist im Fluß. Sie läßt sich nicht mehr dämmen, nicht mehr hemmen. Werden ihr Hinder- nisse bereitet, so gewinnt sie in deren Überwindung nur neue Kraft. Je länger ihr Sieg sich verzögert, um so gewaltiger wird er wirken. Verweigern die herrschenden Klassen dem Proletariat gleiches Recht im Gegenwarts- staat— nun, um so früher wird dieses kapitalistische Staatswesen selbst in Trümmer gehen. G. L. Heinrich Äeine und die Frau. Wohlgemerkt: Heine und die Frau, nicht Heine und die Frauen. So leicht es wäre, über Heines ernste und flatter- hafte, sinnliche und sinnige Beziehungen zum weiblichen Ge- schlecht ein umfangreiches und interessantes, wenn man will auch pikantes Feuilleton zu schreiben, so undankbar und wenig ergiebig ist die Aufgabe, über Heines Stellung zur Frauenfrage im sozialistischen Sinne Untersuchungen anzu- stellen. Es ist, als hätte Heine den Frauen persönlich immer zu nahe gestanden, so daß ihm oft das rechte Augenniaß für die Frauenfrage als soziales Problem fehlte. llber bürgerliche Vorurteile freilich war Heine auch in Beziehung auf Liebe und Ehe weit hinweg. Er hat früh geliebt, und er hat viel geliebt, und niemals ist es ihm ein- gefallen, in heuchlerischer Prüderie seine Liebesleidenschaften öffentlich abzuleugnen und im stillen dafür um so mehr zu sündigen. Seine zahlreichen Liebesgedichte beweisen, daß er aus seinem Herzen keine Mördergrube schuf, sondern daß er in echt künstlerischer Offenherzigkeit aus seinen„großen Schmerzen die kleinen" Lieder machte. Und keineswegs war der zärtlich besungene Gegenstand seiner Liebe immer eine engelreine Tugendrose; die Mucker machen es Heine noch bis auf den heutigen Tag zum herben Vorwurf, daß er viele seiner schönsten Gedichte Grisetten und anderen Vertrete- rinnen der außerehelichen Liebe beinahe im wörtlichen Sinne auf den Leib geschrieben hat. Aber bei alledem war Heine nichts weniger als ein liederlicher Lüstling.„Glauben Sie mir," so sagte er, als er schon an sein langjähriges Krankenlager gefesselt war, zu seinem Freunde Meißner,„ich habe moralischer gelebt, als die meisten der Menschen, die mich fortwährend der Jmmo- ralität zeihen. Nie habe ich eine Unschuld verführt oder eine Ehefrau zur Untreue verleitet. Können viele Menschen dasselbe von sich sagen? Wird es mir jemand glauben? Und doch ist es so. Ja, ich habe mir am Abend meines Lebens keine Vorwürfe zu machen. Ich habe nie ein Mädchen verführt und nie eins verlassen. Ich war nie der erste Lieb- haber und nie der letzte." Auch durch fem eheliches Verhältnis zu Mathilde Mira! hat Heine gezeigt, wie wenig er sich um das Gerede der Welt und um die hausbackenen Vorurteile der fpießbürger- lichen Moralprediger kümmerte. Im Frühjahr 1836 erwachte seine Leidenschaft zu diesem lustigen, anspruchslosen, hübschen, aber geistig unbedeutenden Pariser Mädchen. Er zog bald mit Mathilde zusammen und stellte sie fortan seinen Freunden als Madame Heine vor, ohne daran zu denken, dieser Ehe die formelle bürgerliche und kirchliche Sanktion zu geben. „Unter dem Worte ,W«ib'," bemerkte Heine einmal in einem Briefe an Campe, in dem er von diesem Verhältnis spricht, „verstehe ich etwas Edleres als eine durch Geldmäkler und Pfaffen angekuppelte Ehefrau;" und in einem Briefe an Lewald heißt es:„Mathilde ist eine gute Hausfrau gewor- den, trotz ihrer tollen Laune, und unser Ehestand ist ebenso moralisch wie der beste in Krähwinkel ." Zu Fanny Lewald sagte er im Frühjahr 1848 über seine Ehe:„Kein Versprechen, kein Zwang äußerer Verhältnisse band uns aneinander, und erst spät habe ich, um meine Frau nach meinem Tode sicher,
Ausgabe
16 (7.3.1906) 5
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten