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Märzensturm.

Von Ernst Sarder.

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Es brauset der Sturm in dunkler Nacht, Peitschet die Seele empor mit Macht Greifet in tief verborgene Schlünde, Wecket des Herzens tiefste Gründe Brüllet und pfeift, heulet und wühlt- Wie er die brennende Stirne kühlt! Schlendert vom Felsen die Trümmer hernieder Schwinget gewaltig sein dunkles Gefieder Brause, Sturmwind, brause Mächtig um meine Klause!

Brause, Sturm, du erfreuest mein Herz, Reißest die Seele himmelwärts

Jagst in taumelndem Wirbel den Staub, Schleuderst zur Höhe das dürre Laub, Jagst die Wolken in fliegendem Drang, Spielst mit den Tannen am Waldeshang, Meisest vom Aste den dorrenden Span, Brichst dem Frühling die breite Bahn. Brause, Sturmwind, durch die Lüfte, Dring in modernde Grüfte!

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So brauset empor des Volkes Macht, Daß manch ächzender Bau erkracht, Zief in morschen Gebältes Grund Keiner Glocke metallener Mund Mag dies Achzen übertönen,

Da in der Arbeit starken Söhnen Tief der nagende Gram sich wob, Mächtig zum Sturme die Stimme erhob.

Brause, Sturm, durch die Lande, Sprenge die knechtenden Bande! Brause, Sturm, ob du Tod auch bringst, über die Welt das Schwert hinschwingst! Alles, was morsch und faul sich ballt, Reißest du nieder mit Allgewalt. Bläseft gewaltig dein Wolkenhorn, Füllest es laut mit der Welten Zorn Führest die neue Welt empor, Öffnest des neuen Friedens Tor Brause, Sturm, durch die Welt einher, über die Lande, über das Meer!

Brause, Sturmwind, brause Mächtig um meine Klause!

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Der Befähigungsnachweis.*

Von Ludwig Thoma .

Ich kann mich nicht enthalten, einiges über das Bürgerliche Gesetzbuch zu schreiben. Man verliert die Achtung seiner Mitmenschen, wenn man es unterläßt. Es gehört einmal zum guten Ton, einige ergänzende oder erläuternde Bemerkungen über das bürgerliche Recht in seiner neuen Gestaltung zu machen, und niemand sollte sich dem widersetzen.

Es ist nicht gut, gegen den Strom zu schwimmen. Wirklich nicht.

Ich kann dies um so bestimmter versichern, als ich selbst durch eine traurige Erfahrung belehrt wurde. Bis vor einer Woche verkehrte ich tagtäglich im Rafeehaus mit einem Dutzend Juristen. Es waren lauter sehr nette Leute, sehr berufsfreudig und strebsam. Sie hatten für nichts Intereffe als für die Gerechtigkeitspflege, und jeder bemühte sich, an der Hand von Beispielen, Fällen und Entscheidungen zu beweisen, daß er der Gescheitere sei. Ich dachte mir oft:" Siehst du, so solltest du eigent­lich auch sein," und dann kam ich mir wieder recht ge­mein vor, wenn ich mit dem Wassermädchen eine Unter­haltung anknüpfte. Aber man legt alte Untugenden nur sehr schwer ab. Meine Tischgenossen machten sich übrigens, wie mir schien, nichts daraus, und so fühlte ich keinen zwingenden Drang nach Besserung in mir.

Die Gleichheit

Verleger? Was für ein Verleger?

Nr. 6

Zu mein' Verleger halt. Ham's denn mein Schmarren net g'lesen?

Welchen Schmarren?

No, mei Broschür!

Von dem Tage an ließ sich an unserem Tische eine wesentliche Anderung bemerken. Man hörte nur selten eine rechtliche Frage besprechen; die meisten saßen schweigend da, und in allen Gefichtern war ein nach­denklicher Zug zu bemerken. Ich sah, wie Kollega Meyerle eine geschlagene Stunde lang den glücklichen Literaten Dr. Lämmermeier mit weit geöffneten Augen betrachtete, und wie Dr. Pius Deiglmaier länger als eine Viertel- gar kein Bildungsdrang? Übrigens san's nur wieder stunde mit einem Schokoladekrapfen zwischen den Zähnen gut, ich tu's g'wiß nimmer. I hätt' die Hand überhaupt dasaß und vollständig vergessen hatte, daß er ursprüng- von dem G'schäft wegg'lassen, wenn ich net zwungen lich ein Stück herunterbeißen wollte. worden wär'. Gezwungen?

Waas? Sie auch? Da hört sich doch alles auf! Oho! Glauben's vielleicht, wir in der Provinz ham

Die folgenden Wochen brachten mir die Erklärung dieses sonderbaren Benehmens. In den größeren Tages- No ja, stellen's Ihnen vor, man fragt Ihnen recht blättern erschienen nämlich in furzer Folge rechtsgelehrte mitleidig nach Ihrer G'sundheit. Ich sag, g'sund bin i, Aufsätze, welche sämtlich von den Tischgenossen verfertigt Gott sei Dank! Jaa, nicht bloß g'sund, sondern, aah, waren. Alle diese Artikel zeigten das löbliche Bestreben überhaupt rüftig, auch geistig rüstig, verstehen Sie, ihrer Verfasser, das Laienvolk würdig auf die Ankunft geistig? Ich spür nichts, sag ich, ich bin normal. Jaa, des neuen Gesetzes vorzubereiten und ihm zu zeigen, was normal, was man so unter normal versteht. Sind Sie es nach derselben noch erwarten dürfe. Dr. Meyerle nach sorgfältigster Prüfung und Überlegung zu der über­schrieb über die Verdichtung der Gewohnheit zum Rechte zeugung gelangt, daß Sie noch frisch genug sind, zwei­mit besonderer Beziehung auf die Kaffeefünfer!". tausenddreihundertfünfundachtzig neue Paragraphen in Zwei Tage später drückte mir Kollege Bierdimpfl die fich aufzunehmen, zu behalten und zu verarbeiten?" Zeitung in die Hand, als ich mich eben auf meinen Platz Aha! Merken's was, Doktor? Hörn's mich gehn? No niederlassen wollte. Eine Spalte war mit Blauftift an- also, was wollen's denn machen? Ich hab' mir denkt, gemerkt, und ich las: Gilt das Trinkgeld als zum wenn's sein muß, schmier i halt was 3'samm. Da haben's schändlichen Zwecke gegeben? Ein Beitrag zum Ver- meinen Befähigungsnachweis! ständnisse des Bürgerlichen Gesetzbuches von Dr. Pius Deiglmaier.

Ich kann nicht sagen, daß mein Ehrgeiz durch diese literarischen Erfolge geweckt wurde. Ich bin von Grund aus gutmütig veranlagt und habe die größte Hochachtung vor gelehrten Abhandlungen. Nur muß niemand ver­langen, daß ich sie lese. Ich anerkannte also neidlos die Verdienste meiner Tischgenossen und verlieh meinen Gefühlen rückhaltlosen Ausdruck. Mit um so größerem Staunen bemerkte ich, daß sich das Benehmen der Kol­legen mir gegenüber bedenklich änderte. Ich ertrug es einige Wochen schweigend, daß man mich nicht in die gelehrten Gespräche mit verwickelte, daß man meine Fragen grundsätzlich überhörte und überhaupt tat, als wenn ich in der juristischen Welt nicht mehr vorhanden sei.

Endlich riß mir aber doch die Geduld, und ich stellte Dr. Bierdimpfl zur Rede. Er gab mir die befriedigende Erklärung, daß die Tafelrunde an meinem Charakter nichts Nachteiliges bemerkt habe, daß man aber meine Teilnahmslosigkeit sehr unangenehm empfinde. Eine kurze Spanne Zeit, sagte Bierdimpfl, welcher gerne pathetisch spricht, eine kurze Spanne Zeit nur mehr trennt uns von dem 1. Januar 1900. Und was haben Sie getan, um dem wichtigen Ereignis den Weg zu ebnen? Ja...

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Bitte, haben Sie auch nur eine Zeile über das Bürgerliche Gesetzbuch geschrieben und in Druck gegeben? Haben Sie bitte, unterbrechen Sie mich nicht haben Sie einen einzigen Paragraphen kommentiert? Haben Sie sich an der Abfassung eines gemeinverständlichen oder eines nicht verständlichen Kommentars beteiligt? Allerdings muß ich...

Haben Sie irgendwie dazu beigetragen, daß dieses gewaltige Werk ein Gemeingut der deutschen Nation werde, daß es in die breitesten Schichten des Volkes ge­tragen werde?

Herr Kollega ...

Bitte, haben Sie einen einzigen Vortrag gehalten? Haben Sie an einem einzigen Abend des Jahres dem Volfe Gelegenheit zur Vertiefung in das Gewebe der Rechtsnormen geboten?

Herr Kollega ...

Schweigen Sie! Haben Sie auch nur die Feder naß gemacht, damit der gebildete Nichtjurist in den Stand gesetzt werde, diese Übergangszeit zu ertragen? Haben Sie, frage ich, dem Geschäftsmanne, dem Familienvater, Grundbesitzer und Kapitalisten, den Vormündern, Eltern, Verlobten, Erben, Vermietern und Mietern, Darlehens­gebern, Käufern und Verkäufern die Aufgabe erleichtert? Haben Sie?

Da erschien eines Tages in einer der gelesensten Zeitungen der Hauptstadt ein Artifel, welcher die Über­schrift trug: Über die rechtliche Stellung der Latrinen­reiniger nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches " von Dr. jur. Alois Lämmermeier. Ich kann mich dunkel erinnern, daß über dem Artikel eine römische I stand, Soo? Dann werden Sie aber doch verstehen, daß was in mir den Verdacht erregte, daß noch einige Fort- wir mit Ihnen nicht mehr verkehren können? Leben setzungen kommen würden. Gelesen habe ich die Ab- Sie wohl!

Allerdings nicht, Herr Kollega...

handlung nicht. Ich interessiere mich für den Gegenstand Ich war niedergeschmettert, vernichtet. Was wollten derselben nur, soweit dies unbedingt notwendig ist, und denn diese Menschen? Man kündigt doch jemandem nicht zudem, wenn Lämmermeier über die Sache selbst etwas die Freundschaft, weil er nicht schreibt. Und überhaupt! Neues vorzubringen wußte, konnte er das auch münd- wie wenige tun dies! Es fällt doch niemandem ein, zu lich tun. behaupten, daß jeder Jurist

Meine Tischgenossen dachten anders. Der Artikel In diesem Augenblick schlug mir jemand auf die schlug unter ihnen wie eine Bombe ein. Man gratulierte Achsel. Ich drehte mich um und sah einen lieben Be­dem Verfasser zu der erschöpfenden, geistvollen Behand- kannten, den Vorstand eines hinterwäldlerischen Amts­lung dieses Themas und prophezeite ihm eine bedeutende gerichtes vor mir. Zukunft, da er so rasch und gründlich seine Fähigkeit zur Erlernung der neuen Gesetze bewiesen hatte.

* Aus ,, Assessor Karlchen und andere Geschichten". München , Albert Langen .

Grüß Gott, Doktor, wie geht's Ihnen denn? Ja, grüß Gott , Herr Oberamtsrichter, wie kommen denn Sie nach München ?

Der alte Herr drückte mir bei diesen Worten eine Broschüre in die Hand und nahm Abschied. Ich sah ihm eine Weile nach und dann las ich die Inschrift auf dem Titelblatt: Die Dachtraufe im Lichte des Bürger­lichen Gesetzbuches von Haslinger, f. b. Oberamtsrichter." Den selbigen Abend setzte ich mich hin und begann den ersten Band meiner Anmerkungen zu schreiben.

Die Heimarbeiterin.

Bon Emma Döls, Seimarbeiterin. Nur schnell die Augen ausgewischt, Herr Gott , da hat's schon fünf geschlagen; Wie kurz die Nacht, wie müd ich bin, An allen Gliedern wie zerschlagen. Schnell Feuer in den kalten Raum, Das Frühstücksbrot noch schnell besorgen, Damit man nur zum Nähen kommt, Denn liefern, liefern muß ich morgen. Dann eilt der Mann zur Arbeit hin, Die Kinder nach der Schule gehen, Und jedes braucht die Mutterhand, Da heißt's jetzt doppelt fleißig nähen. Bald kommt das Jüngste angekräht, Bald heißt's den Mittagtisch besorgen, Drum fleißig, fleißig nur genäht, Denn liefern, liefern muß ich morgen.

So geht es weiter jeden Tag In überstürztem, tollen Haften, Bis abends spät das brenn'de Aug' Gebieterisch verlangt ein Raften; So werden Blut und Nerven schlecht In der Gewohnheit dumpfer Schwere, Und manchmal nur, bin ich allein, Erkenn' ich bang des Herzens Leere.

Und dennoch ist nicht tot mein Sinn, Und Stolz läßt hoch das Herz mir schlagen: Daß mich die Kunst noch so ergreift, Wie einst in meinen Jugendtagen. Sie neigt sich liebevoll zu mir: " Bu dir, zu dir bin ich gekommen! Laß alles andre hinter dir, Ich hab' dich jetzt ans Herz genommen. Und gehst du von mir, will ich dir Den Schatz noch der Erinnrung geben, Aus deines Alltags Einerlei Will ich dir Herz und Sinn erheben, Damit du Mann und Kindern kannst Ein mutig, frohes Auge zeigen. Drum hoch den Kopf! Bergiß es nicht: Wer mich empfindet, bleibt mein eigen."

Veränderte Welt.

Bon Nikolaus Lenau .

Die Menschheit ist dahinter kommen, Trotz aller Gaukelei der Frommen, Daß mit dem Leben vor dem Grabe Man endlich Ernst zu machen habe. Zerbrochen ist des Wahnes Kette, Die Erde sei nur übungsstätte, Nur Voltigierblock sei das Leben, Aufs Roß wird uns der Himmel heben. Auf freiem grünem Erdengrunde Wird jeder bald schon hier zur Stunde, Bevor das Grab ihn deckt mit Schollen, Sein Rößlein weiden, tummeln wollen.

G'schäfts halber, G'schäfts halber. I hab' zu mein' Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe

Verleger herfahren müssen.

Post Degerloch bet Stuttgart . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .