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Die Gleichheft

Nr. 14

g

Wunsch.*

Bon Otto Krille  .

Aus der Tiefe muß es quellen, Wenn das Wasser dich soll laben, Alle Schächte muß es füllen, Soll's den Felsen untergraben, Aber in kristallner Helle Muß es sonnenfreudig steigen, Um der Heimat stolze Reinheit,

Rühle Reuschheit uns zu zeigen. übervolle Herzenstiefe Tränke deinen Lebensbecher, Geistesstärke, Wissensbreite Werde dir zum Felsenbrecher, Aber reich aus deinem Innern Ström' in ungetrübter Klarheit Stets bekenntnisfreud'ge Wahrheit.

Die alte Jsergil.

Von Marim Gorki.

Und endlich begann sie zu erzählen:

( Schluß.)

,, Lebte einst, weiß nicht wo, in alter Zeit ein Volfs­stamm. So viel nur weiß ich, daß große, undurchdring­liche Wälder von drei Seiten die Zelte dieses Volkes umgaben; auf der vierten Seite lag die Steppe.

Es waren fröhliche, starke und kühne Menschen, die nicht viel bedurften... Zigeuner waren es wohl. Und fiehe, es tam einmal über sie eine gar traurige Zeit: andere Völker kamen von irgendwo her und trieben die früheren in die Tiefe des Waldes hinein.

Dort waren Sümpfe und Finsternis, denn es war ein uralter Wald, und so dicht ineinander verflochten waren seine Aste, daß man zwischen ihnen hindurch den Himmel nicht sah und die Strahlen der Sonne sich faum einen Weg durch das dichte Laub hindurch zu dem Sumpfe bahnen fonnten. Sobald jedoch ihre Strahlen auf das Wasser der Sümpfe fielen, erhob sich ein Best­geftant, von dem die Menschen einer nach dem andern hinftarben.

offenbar die Sage von Dankos brennendem Herzen schon| Feuers!... Sie aber bachten, da sie dies sahen, daß oft erzählt; die Säße, in denen sie sprach, rollten wie Wut ihn erfaßt habe, wovon seine Augen nun so hell lange, glatte Bänder aus ihrem Munde. Sie sprach in und heiß funkelten, und sie spizten gleich den Wölfen singendem Tone, und ihre hohle knarrende Stimme die Ohren, in der Erwartung, daß er mit ihnen kämpfen malte deutlich das Rauschen jenes Waldes, in dem die werde, und drängten sich dichter an ihn heran, daß sie unglücklichen, vertriebenen Menschen an dem giftigen um so leichter Danko paden und töten könnten. Er Hauche des Sumpfes hinstarben. aber hatte ihre Seele schon durchschaut, und noch heißer

Danko war ein Mann jenes Stammes. Jung und entbrannte davon sein Herz, da das, was sie planten, schön war er, und die schönen Menschen sind allezeit ihn mit Kummer erfüllte.

auch kühn. Und also sprach er zu seinen Volksgenossen: Der Wald aber sang noch immer sein düsteres Red, " Nicht kann man einen rollenden Stein aufhalten und der Donner rollte, der Regen floß hernieder... durch einen Gedanken. Wer nichts tut, dem kann nicht Was soll ich tun für die Menschen?" schrie Danko geholfen werden. Was verschwenden wir unsere Kraft so laut, daß er den Donner übertönte.

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in Grübeln und Trauern? Brecht auf und laßt uns Und plötzlich riß er mit den Händen sich die eigene diesen Wald durchschreiten er muß doch ein Ende Brust auf, riß sein Herz heraus und hielt es empor hoch haben, wie alles auf der Welt! Nun denn, vorwärts! über seinem Kopfe. Laßt uns gehen!"...

Sie schauten ihn an und sahen, daß er der Tüchtigste war von allen, da in seinen Augen viel Kraft und lebendiges Feuer leuchtete.

So führe du uns!" sprachen sie. Und er führte sie..."

Die Alte schwieg und schaute in die Steppe, wo das Dunkel immer dichter wurde. Die Funken von Dankos brennendem Herzen blinkten in der Ferne und erschienen wie bläuliche Blüten der Luft, die nur für einen Augen­blick fich öffneten.

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Es flammte so hell wie die Sonne, und heller noch als die Sonne, und der ganze Wald schwieg, von dieser Fackel der großen Menschenliebe durchleuchtet, und die Finsternis floh vor dem Lichte und fiel zitternd, tief, tief im Walde, in den moderigen Rachen des Sumpfes.

Die Menschen aber standen erstaunt da, starr wie die Steine.

" Kommt!" rief Danko und stürzte vorwärts auf seinen Führerplay, das flammende Herz emporhaltend und den Weg der Menschen mit seinem Lichte erhellend. Sie zogen hinter ihm her, voll Begier des Neuen, So führte sie denn Danko. Sie zogen mit ihm, alle und wie vom Zauber gebannt. Da rauschte abermals miteinander, und sie vertrauten ihm. Ein schwieriger der Wald und schüttelte die Wipfel, doch ward sein Weg war das! Dunkel war es, und auf jedem Schritt Rauschen übertönt vom Stampfen der eilenden Men offnete der Sumpf seinen gierigen, stinkenden Rachen, schen. Rasch und mutig schritten alle daher, von dem um die Menschen zu verschlingen, und die Bäume wundersamen Schauspiel des brennenden Herzens be­hemmten den Weg wie eine gewaltige Mauer. Wie geistert. Auch jetzt noch starben so manche hin, doch Schlangen waren ihre Zweige ineinander verflochten, starben sie ohne Klagen und Tränen. Danko aber schritt überall traten ihre Wurzeln aus dem Boden, und viel immer voraus, und sein Herz, das flammte und brannte! Schweiß und Blut kostete jeder Schritt die Wanderer. Und siehe, plöglich zerteilte der Wald sich vor ihm Lange gingen fie so... Immer dichter wurde der Wald, immer mehr schwanden ihre Kräfte. Und da be­gannen sie zu murren gegen Danko und sagten, daß er, der Jugendliche und Unerfahrene, sie irregeführt habe. Danko aber schritt rüftig und unbeirrt weiter.

und blieb hinter ihm zurück eine stumme, dichte Maffe. Danko aber und alle, die mit ihm waren, tauchten unter in ein Meer von Sonnenlicht und reiner, vom Regen erfrischter Steppenluft. Das Gewitter stand dort, hinter ihnen, über dem Walde und hier strahlte die Sonne, Da begannen die Frauen und Kinder jenes Volkes Eines Tages jedoch brach ein Gewitter über dem atmete die Steppe, gligerte das Gras von Regenperlen zu weinen, und die Väter verfielen in Grübeln und Walde los. Da ward es im Walde so dunkel, als ob und schimmerte golden der Stromlauf... Abend war's, Schwermut. Sie mußten diesen Wald verlassen, und alle Nächte, die seit seinem Entstehen verflossen waren, und rot erglänzte der Strom von den Strahlen der da gab's nur zwei Wege: der eine führte wieder zurück, sich in ihm vereinigt hätten. Die kleineren Menschlein sinkenden Sonne  - so rot wie das Blut, das als heiße dahin, wo die starken und bösen Feinde waren, der an- schritten unter Bliz und Donner zwischen den großen Flut aus Dankos zerrissener Brust quoll. dere vorwärts, wo die Riesenbäume standen, die sich Bäumen dahin, und die Baumriesen fnarrten und Und einen Blick warf vorwärts in die Steppenweite gegenseitig mit ihren gewaltigen Asten umschlungen dröhnten und heulten ihre zornigen Lieder, und die der sterbende Danko, der Stolze und Kühne hielten und ihre knorrigen Wurzeln tief in den zähen Blige flammten über den Wipfeln des Waldes, erhellten freudigen Blick ließ er gleiten über das freie Land, das Sumpfschlamm getrieben hatten. Schweigend und un- ihn für kurze Augenblicke mit ihrem talten bläulichen vor ihm sich dehnte. Hochgemut lachte er auf, fiel hin beweglich, wie wenn sie von Stein wären, standen diese Feuer und verschwanden ebenso schnell, wie sie aufge- und hauchte den Geist aus.

einen

Bäume tagsüber in grauem Halbdunkel und schienen zuckt waren, und schreckten und reizten die Menschen. Leise flüsterten die erstaunten Bäume, die hinter ihm gegen Abend, wenn die Lagerfeuer aufflammten, um und die vom kalten Feuer der Blizze erhellten Bäume geblieben, flüsterte das Gras, das von Dankos Blut ge­jene Menschen noch dichter zusammenzurücken. Und zu schienen lebendig geworden und fest entschlossen, die den färbt war.

jeder Zeit, am Tage wie in der Nacht, war rund um Fesseln der Finsternis entweichenden Menschen mit ihren Die Menschen aber, voll der Freude und Hoffnung, sie herum ein Ring gezogen, der sie, die an die Steppe langen, neßartig verflochtetenen Armen in ihrem Banne merkten nicht seinen Tod und fahen nicht, daß neben Gewöhnten, gleichsam zu ersticken drohte. zurückzuhalten. Und aus dem Dunkel des Geästes starrte Dankos Leiche noch immer sein mutiges Herz flammend Noch graufiger aber war's, wenn der Wind über die den Dahinschreitenden ein graufiges, faltes, finsteres Et- dalag. Nur einer von ihnen, ein vorsichtiger Mensch, Wipfel der Bäume hinfuhr und der ganze Wald dumpf was entgegen. Furchtbar war dieser Weg, und die er bemerkte es und trat, irgend etwas fürchtend, auf das tönte, wie wenn er jenen Menschen, die sich vor ihren matteten Wanderer verloren den Mut. Aber sie schämten stolze Herz mit dem Fuße... Und da sprühte Dantos Feinden in ihm verborgen hatten, Drohungen zuriefe fich, ihre Schwäche zu bekennen, und so murrten sie denn Herz in hellen Funten auf und verlöschte... oder ein Grablied sänge. Und doch waren es starke im Arger und Zorn wider Danko, den Mann, der Das ist der Ursprung der bläulichen Funken, die vor Menschen, und sie hätten den Kampf mit dem Feinde, ihnen voranschritt. Und sie warfen ihm vor, daß er es einem Gewitter in der Steppe erscheinen!" ber sie besiegt hatte, wohl aufnehmen können, aber sie nicht verstehe, sie zu leiten.

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Die Alte hatte ihre prächtige Sage beendet. In der Steppe war es unheimlich still geworden, als ob auch sie erstaunt wäre über die Seelenstärke des kühnen Recken Danko, der um der Menschen Willen sein Herz verbrannte und starb, ohne von ihnen einen Dank zu begehren. Mit dem Rücken gegen die Körbe voll Wein­trauben gelehnt, war die Alte entschlummert und fuhr von Zeit zu Zeit aus dem Schlafe auf. Ich schaute sie

burften nicht untergehen im Kampfe, da sie ein heiliges Mitten im wilden Triumphgeheul des finsteren Wal­Vermächtnis zu wahren hatten, das mit ihnen verloren des machten sie Halt, ermüdet und voll Grimm, um gewesen wäre, wenn sie der Tod ereilt hätte. Und dar- Danko zu richten. um saßen sie da und grübelten während der langen Du bist ein elender Mensch, der uns ins Verderben Nächte, beim dumpfen Rauschen des Waldes, in dem stürzt," sprachen sie. Du hast uns hierher geführt, uns giftigen Besthauch des Sumpfes. Sie saßen da, und der Kraft beraubt darum mußt du sterben!" bie Schatten, welche die Lagerfeuer warfen, hüpften Und Blitz und Donner bestätigten ihr Urteil. rings um sie in stummem Tanze, und allen schien es," Ihr sagtet: Führ uns! und ich führte euch," daß nicht Schatten tanzten, sondern daß die bösen sprach Danko, ihnen fühn entgegentretend." Ich fühlte an und dachte bei mir: Wieviel Sagen und Erinne Geister des Waldes und Sumpfes über sie triumphierten... mich Manns genug, euch zu führendarum tat ich's. rungen mögen noch in ihrem Gedächtnis aufgespeichert Sie saßen da und grübelten. Nichts aber, weder die Und ihr? Was tatet ihr zu eurer Rettung? Ihr liegen? Und ich sann nach über das große, flammende Arbeit noch die Weiber, ermüdet Leib und Seele der brauchtet nur zu gehen und seid doch nicht Manns ge- Herz Dantos und über die Phantaste der Menschen, die Menschen so sehr, wie schwermütige Gedanken, die gleich mug, einen längeren Weg zu gehen! Ihr ginget nur, so viel schöne, gewaltige Legenden erdichtet hat, über den Schlangen das Herz aussaugen. gingt, wie eine Herde Lämmer."

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die alte Beit, in der es Helden und Heldentaten gab, Und sie wurden schwach von dem ewigen Grübeln Aber diese Wortę machten sie nur noch zorniger. und über die traurige neue Zeit, die so arm ist an starken und Sinnen. Furcht entstand in ihrer Mitte und Du mußt sterben! Du mußt sterben!" brüllten sie. Menschen und großen Geschehnissen und so reich an faltem, lähmte ihre starken Arme, banges Grauen erzeugte das Und das Stöhnen und Heulen des Windes begleitete alles belächelndem Mißtrauen diese klägliche Zeit der Schluchzen der Weiber, die über den Leibern der an ihr Geschrei, und Blize zuckten dazwischen, die Finster- armseligen Menschen mit den totgeborenen Herzen... Sem Sumpfgift Verstorbenen wehklagten und das Schick- nis zerreißend. Danko schaute jene an, um derentwillen Der Wind blies und entblößte unter den Lumpen al der Lebenden, von der Angst gefesselten, beweinten. er so viel Mühe übernommen hatte, und er sah, daß sie die magere Brust der alten Jsergil, die immer fester Und feige Worte ließen sich vernehmen in dem Walde, wie wilde Tiere waren. Dicht gedrängt umstanden ihn entschlief. Ich bedeckte die Blöße ihres alten Körpers zuerst schüchtern und leise und dann immer lauter und die Menschen, auf ihren Gesichtern aber lag nichts von und legte mich selbst neben ihr auf den Boden nieder. lauter... Schon wollten sie zum Feinde gehen und Edelmut, und er durfte feine Schonung von ihnen er- Ju der Steppe war es still und dunkel. Am Himmel zogen ihm sich selbst samt ihrer Freiheit zum Geschenk dar- warten. Da brauste auch in seinem Herzen der Unwille immer noch die Wolken dahin- einförmig, langsam... bringen, und feiner fürchtete mehr, vor lauter Todes- auf; weil er jedoch Mitleid mit ihnen hatte, erlosch sein Das Meer rauschte so dumpf und traurig. Die alte angst, das Leben in Knechtschaft. Da aber erschien Grimm sogleich wieder. Er liebte diese Menschen und Isergil war fest eingeschlafen... Sie konnte vielleicht Danto, und er allein rettete sie alle."- Die Alte hatte dachte, daß sie ohne ihn untergehen könnten. Und sein nie mehr aus dem Schlafe erwachen. Herz entflammte im heißen Feuer des Wunsches, sie zu * Aus Welt und Einsamkeit". Gedichte von Otto Krille  . retten und auf einen besseren Weg zu führen, und in Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe Berlin  , Johann Saffenbach, 1906. feinen Augen erglühten die Strahlen dieses gewaltigen

Post Degerloch   bet Stuttgart  . Druck und Berlag von Paul Singer in Stuttgart  .