134 Die Gleichheit Nr. IS Kampstveise. Bon John Senry Mackay. Der kleine Geist läßt sich in Händel ein. Der große kennt den Kampf nur um die Sache. Und weithin flammt fein Wort wie Wetterschein, Daß eS zur Tat die Schwächlichen entfache. Laß sie doch unten laut vorbei dir treiben Mit hohlen Phrasen und mit rohem Spott. Du wirst, der stets du warst, auch immer bleiben: Vornehm und frei— ihr Gott ist nicht dein Gott! Das fernste Land der Wünsche— kühn betritt es, Selbst wenn kein andrer noch den Pfad betrat. Wie werden mühlos einst und leichten Schrittes Die Enkel ernten unsere herbe Saat!... Am Tore der Wissenschaft. Von A. R.' Die Universität lag vor mir; es waren schmucke Ge- bäude aus Backsteinen mit hohen, hellen Fenstern. Da- zwischen lagen Gärten mit vielen Rosen, gelben und roten. Und die Rosenblätter fielen auf blanke, harte Wege. Junge Leute gingen zu dem ernsten Tore aus und ein und trugen blaue Hefte in ihren Händen. Ich fand nicht den Mut, auch in die Hochschule zu gehen, und schritt langsam an dem starken Gitter auf und nieder und wunderte mich, was für ein starkes Gitter die Wissenschaft nötig hat. Ich blickte durch die eisernen Stäbe nach den Fenstern; dahinter saßen gewiß die Ge- lehrten und sprachen von tiefen und heiligen Dingen, und mein Herz wurde heiß. Ein Professor ging vorüber; er ging mit müdem Schritt und langsam. Gewiß hatte er viel zu denken. Ich trat zurück, dicht an das Gitter, und hielt meinen Hut mit beiden Händen vor die Brust, wie es fromme Pilger vor Heiligenbildern ttm. Der alte Herr sah in mein heißes Gesicht und lächelte und grüßte leicht. Sein freundliches Gesicht gab mir Mut, und ich schritt durch das Tor und kam in die Vorhalle, und ging leise wie in einer Kirche und trug den Hut in der Hand. Mitten in der Halle stand Frau Wissenschast. Die war eine schöne junge Frau aus Marmor. Ein weiches Licht fiel von oben auf ihr lächelndes Gesicht und ihre nackten Arme. Und sie trug die Schale der Erkenntnis in ihren weißen, feinen Händen. Frau Wissenschaft nickte mir zu und schaute auf ihre Schale, als wollte sie sagen:„Da trink, du durstiger junger Mensch." Ein Mann in Uniform fragte, was ich wollte, und wies mich in ein Zimmer. An der Tür stand mit schwarzen, großen Buchstaben: Sekretariat der Universität. Dort saß ein ttockener, langer Mann an einem großen Schreibtisch, und die Sonne schien auf das grüne Tuch und blinkte von dem gläsernen Lineal. Der Mann sah auf und fragte: „Sie wünschen?" „Ich möchte studieren." „Gut. Haben Sie Zeugnisse?" „Nein!" „Wo haben Sie Ihr Abiturium gemacht?" „Was gemacht? Wie meinen Sie?" „Ich denke, Sie haben doch ein Gymnasium besucht und Ihr Examen bestanden, ehe Sie abgegangen sind?" „Ich bin auf keinem Gymnasium gewesen." „Dann auf einer Realschule?" „Auch nicht." „Ja, was wollen Sie denn hier, wenn Sie kein Examen bestanden haben?" Der Mann drückte auf einen elekttischen Knopf. Der hing von der Decke herab. Es war eine harte, magere Hand, die da drückte; mir war es, als drückte sie mit eisernem Griff mein junges Leben zusammen. Ich hatte Tränen in den Augen.„Studieren will ich,— und fleißig bin ich immer gewesen und klug auch." Unterdessen kam der Mann in der Uniform herein. Der Mann am Schreibtisch griff nach einem Aktenstück mit großem Siegel. Vielleicht war das ein Zeugnis. So eins hatte ich nicht. „Das hilft hier alles nichts, ob Sie fleißig sind oder nicht oder klug. Wir verlangen ein Zeugnis.— Und Sie, Jäger"— das galt dem Mann in der Uniform— „ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, daß nur Studenten zu mir kommen dürfen, verstanden?" „Jawohl, Herr Sekretär!" Nun konnte ich gehen. Der Mann am Pult schrieb schon wieder. Ich schritt schnell an der Wissenschaft im Vorhof vorüber; die lächelte noch immer. Ich war zornig und sah zu Boden; da waren schwarze und weiße Platten. Ich kam auf die Straße und mochte das Gitter und die Gebäude dahinter und die Rosen nicht mehr sehen. Ich * Nachdruck nur mit Genehmigung des Versaffe«». ging nach Hause, einen langen, staubigen Weg. Nun mußte ich weiter Rechnungen auf dem engen Kontor der schmierigen Ziegelei schreiben. Ich hatte kein Zeugnis. Wenn man kein Zeugnis hat, da darf man nicht studieren. Geschlafen habe ich nicht in dieser Nacht. Im Saal. Von Theodor Storm ." Am Nachmittag war Kindtaufe gewesen; nun war es gegen Abend. Die Eltern des Täuflings saßen mit den Gästen im geräumigen Saal, unter ihnen die Groß- mutter des Mannes; die anderen waren ebenfalls nahe Verwandte, junge und alte, die Großmutter aber w c ein ganzes Geschlecht älter als die ältesten von diesen. Das Kind war nach ihr„Barbara" getauft worden; doch hatte es auch noch einen schöneren Namen erhalten, denn Barbara allein klang doch gar zu altfränkisch für das hübsche kleine Kind. Dennoch sollte es mit diesem Namen gerufen werden; so wollten es beide Eltern, wie viel auch die Freunde dagegen einzuwenden hatten. Die alte Groß- mutter aber erfuhr nichts davon, daß die Brauchbarkeit ihres langbewährten Namens in Zweifel gezogen war. Der Prediger hatte nicht lange nach Verrichtung seines Amtes den Familienkreis sich selbst überlassen; nun wurden alte, liebe, oft erzählte Geschichten hervorgeholt und nicht zum letztenmal wieder erzählt. Sie kannten sich alle; die Alten hatten die Jungen aufwachsen, die Altesten die Alten grau werden sehen; von allen wurden die an- mutigsten und spaßhaftesten Kindergeschichten erzählt; wo kein anderer sie wußte, da erzählte die Großmutter. Von ihr allein konnte niemand erzählen; ihre Kinderjahre lagen hinter der Geburt aller anderen; die außer ihr selbst etwas davon wissen konnten, hätten weit über jedes Menschenalter hinaus sein müssen.— Unter solchen Gesprächen war es abendlich geworden. Der Saal lag gegen Westen, ein roter Schimmer fiel durch die Fenster noch auf die Gipsrosen an den weißen, mit Stukkatur- arbeit gezierten Wänden; dann verschwand auch der. Aus der Ferne konnte man ein dumpfes eintöniges Rauschen in der jetzt eingetretenen Stille vernehmen. Einige der Gäste horchten auf. „Das ist das Meer," sagte die junge Frau. „Ja," sagte die Großmutter,„ich habe es oft gehört; es ist schon lange so gewesen." Dann sprach wieder niemand; draußen vor den Fenstern in dem schmalen Steinhof stand eine große Linde, und man hörte, wie die Sperlinge unter den Blättern zur Ruhe gingen. Der Hauswirt hatte die Hand seiner Frau gefaßt, die still an seiner Seite saß, und heftete die Augen an die krause altertümliche Gipsdecke. „Was hast du?" fragte ihn die Großmutter. „Die Decke ist gerissen," sagte er,„die Simse sind auch gesunken. Der Saal wird alt, Großmutter, wir müssen ihn umbauen." „Der Saal ist noch nicht so alt," erwiderte sie,„ich weiß noch wohl, als er gebaut wurde." „Gebaut? Was war denn früher hier?" „Früher?" wiederholte die Großmutter; dann ver- stummte sie eine Weile und saß da wie ein lebloses Bild; ihre Augen sahen rückwärts in eine vergangene Zeit, ihre Gedanken waren bei den Schatten der Dinge, deren Wesen lange dahin war. Dann sagte sie:„Es ist achtzig Jahre her; dein Großvater und ich, wir haben es uns oft nachher erzählt— die Saattür führte dazumal nicht in einen Hausraum, sondern aus dem Hause hinaus in einen kleinen Ziergarten; es ist aber nicht mehr dieselbe Tür, die alte hatte Glasscheiben, und man sah dadurch gerade in den Garten hinunter, wenn man zur Haustür hereintrat. Der Garten lag drei Stufen tiefer, die Treppe war an beiden Seiten mit buntem chinesischem Geländer versehen. Zwischen zwei von niedrigem Bux eingefaßten Rabatten führte ein breiter, mit weißen Muscheln aus- gestreuter Steig nach einer Lindenlaube, davor zwischen zweien Kirschbäumen hing eine Schaukel; zu beiden Seiten der Laube an der hohen Gartenmauer standen sorgfältig aufgebundene Aprikosenbäume.— Hier konnte man sommers in der Mittagstnnde deinen Urgroßvater regel- mäßig auf und ab gehen sehen, die Aurikeln und hol- ländischen Tulpen auf den Rabatten ausputzend oder mit Bast an weiße Stäbchen bindend. Er war ein strenger, akkurater Mann mit militärischer Haltung, und seine schwarzen Augenbrauen gaben ihm bei den weißgepuderten Haaren ein vornehmes Ansehen. „So war es einmal an einem Augustnachmittag, als dein Großvater die kleine Gartentreppe herab kam; aber daznmalen war er noch weit vom Großvater entfernt.— Ich sehe es noch vor meinen alten Augen, wie er mit schlankem Tritt auf deinen Urgroßvater zuging. Dann * Au» Theodor Storni, Sämtliche Werke. Braunschweig, George Wcstermann. Wir verweisen auf das, was wir schon früher zur Empfehlung der Werke eineS unserer Besten geschrieben haben. nahm er ein Schreiben aus einer sauber gestickten Brief« tasche und überreichte es mit einer anmutigen Verbeugung. Er war ein feiner junger Mensch mit sanften freundlichen Augen, und der schwarze Haarbeutel stach angenehm bei den lebhaften Wangen und dem perlgrauen Tuchrocke ab.— Als dein Urgroßvater das Schreiben gelesen hatte, nickte er und schüttelte deinem Großvater die Hand. Er mußte ihm schon gut sein; denn er tat selten dergleichen. Dann wurde er ins Haus gerufen, und dein Großvater ging in den Garten hinab. „In der Schaukel vor der Laube saß ein achtjähriges Mädchen; sie hatte ein Bilderbuch auf dem Schoß, worin sie eifrig las; die klaren goldenen Locken hingen ihr über das heiße Gesichtchen herab, der Sonnenschein lag brennend darauf. „,Wie heißt du'? fragte der junge Mann. „Sie schüttelte das Haar zurück und sagte:.Barbara.' „.Nimm dich in acht, Barbara; deine Locken schmelzen ja in der Sonne.' „Die Kleine fuhr mit der Hand über das heiße Haar, der junge Mann lächelte,— und es war ein sehr sanftes Lächeln.-- ,Es hat nicht not,' sagte er;.komm, wir wollen schaukeln.' „Sie sprang heraus:.Wart, ich muß erst mein Buch verwahren.' Tann brachte sie es in die Laube. Als sie wiederkam, wollte er sie hineinheben..Nein,' sagte sie, .ich kann ganz allein.' Dann stellte sie sich auf das Schaukelbrett und rief:.Nun zu!'— Und nun zog dein Großvater, daß ihm der Haarbeutel bald rechts, bald links um die Schultern tanzte; die Schaukel mit dem kleinen Mädchen ging im Sonnenschein auf und nieder, die klaren Locken wehten ihr frei von den Schläfen. Und immer ging es ihr nicht hoch genug! Als aber die Schaukel rauschend in die Lindenzweige flog, fuhren die Vögel zu beiden Seiten aus den Spalieren, daß die über- reisen Aprikosen auf die Erde herabrollten. „.Was war das?' sagte er und hielt die Schaukel an. „Sie lachte, wie er so fragen könne..Das war der Jritsch,' sagte sie, ,er ist sonst gar nicht so bange.' „Er hob sie aus der Schaukel, und sie gingen zu den Spalieren; da lagen die dunkelgelben Früchte zwischen dem Gesträuch..Dein Jritsch hat dich traktiert." sagte er. Sie schüttelte mit dem Kopfe und legte eine schöne Aprikose in seine Hand..Dich!' sagte sie leise. „Nun kam dein Urgroßvater wieder in den Garten zurück..Nehm Er sich in acht,' sagte er lächelnd, ,Er wird sie sonst nicht wieder los.' Dann sprach er von Geschäftssachen, und beide gingen ins Haus. „Am Abend durfte die kleine Barbara mit zu Tische sitzen; der junge freundliche Mann hatte für sie gebeten. — So ganz, wie sie es gewünscht hatte, kam eS steilich nicht; denn der Gast saß oben an ihres Vaters Seite; sie aber war nur noch ein kleines Mädchen und mußte ganz unten bei dem allerjüngsten Schreiber sitzen. Darum war sie auch so bald mit dem Essen fertig; dann stand sie auf und schlich sich an den Stuhl ihres Vaters. Der aber sprach mit dem jungen Mann so eifrig über Konto und Diskonto, daß dieser für die kleine Barbara gar keine Augen hatte.— Ja ja, es ist achtzig Jahre her; aber die alte Großmutter denkt es noch wohl, wie die kleine Barbara damals recht sehr ungeduldig wurde und auf ihren guten Vater gar nicht zum besten zu sprechen war. Die Uhr schlug zehn, und nun mußte sie gute Nacht sagen. Als sie zu deinem Großvater kam, fragte er sie: .Schaukeln wir morgen?' und die kleine Barbara wurde wieder ganz vergnügt.— ,Er ist ja ein alter Kindernarr, Er!' sagte der Urgroßvater; aber eigentlich war er selbst recht unvernünftig in sein kleines Mädchen verliebt. „Am anderen Tage gegen Abend reiste dein Groß« vater fort. „Dann gingen acht Jahre hin. Die kleine Barbara stand oft zur Winterszeit an der Glastür und hauchte die gefrorenen Scheiben an; dann sah sie durch das Guckloch in den beschneiten Garten hinab und dachte an den schönen Sommer, an die glänzenden Blätter und an den warmen Sonnenschein, an den Jritsch, der immer in den Spalieren nistete, und wie einmal die reifen Aprikosen zur Erde gerollt waren, und dann dachte sie an einen Sommertag und zuletzt immer nur an diesen einen Sommertag, wenn sie an den Sommer dachte.— So gingen die Jahre hin; die kleine Barbara war nun doppelt so alt und eigentlich gar nicht mehr die kleine Barbara; aber der eine Sommertag stand noch immer als ein heller Punkt in ihrer Erinnerung.— Dann war er endlich eines Tages wirklich wieder da." „Wer?" fragte lächelnd der Enkel,„der Sommer« tag?" „Ja," sagte die Großmutter,„ja, dein Großvater. Es war ein rechter Sommcrtag." „Und dann?" fragte er wieder. (Schluß folgt.) vcranlworlltch für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin (Zündet), Wtlhelmshöh» Post Degerloch bei Ttuttgan. Druck und Berlag von Paul Singer in Stuttgart .
Ausgabe
16 (19.9.1906) 19
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