40 Die Gleichheit Nr. 5 Vision. Von Loopold Iacvby. Im Dämmergrauen der Nacht stieg ich empor, Mühsam aufwärts klimmend Die zackigen Felsenhöhn, Die das Ufer des Meeres krönen. An dem nachtblauen Firmament Des Mondes schmale Sichel erblaßte allmählich, Und abschiedfunkelnd Geisterhaft leuchteten die Gestirne. Von drunten aber tönte rauschend Der Meereswogen Nachtgesang. Auf einem Felsvorsprung saß ich nieder In der schauervollen Runde Und horchte dem Wellenlied, Bis am Horizont im Osten ein Vorschimmer aufging Und ein schmaler Streif sich spiegelte im Meer. Da kam ein Windstoß von Süden her; Er trieb die Nebelschleier herauf aus den Schluchten Und Felsabgründen, Die wogten hin und her bis zu den Gipfelhöhn. Aber wie sie sich zusammenballten, Und gegen und übereinander zogen, Da wuchs mit einem Mal der Windhauch zum Sturm Und seine Stimme zum Brausen. Und mein Ohr war wundersam aufgetan Den Tönen und Klängen über mir, Unter mir In der tobenden Sprache von Wind und Meer. Ich horchte angstvoll, da scholl es herauf Wie Weheruf aus den Tiefen, Wie weinender Laut und Ächzen und Stöhnen, Daraus ein dumpfes Grollen brach hervor Weithin widerhallend am Ufer. Da wirbelten dichter empor die Nebel, Und das Gewölk ward zum Kampfgewirr, Schreckhaft groß, übergewaltig. In tosendem Aufruhr heulte der Sturm; Steine bröckelten los von den Felsen Und stürzten ins Meer, Laut knatternd Wie Schwert wgeklirr, wie Rossegestampf, Mir war, acs hört' ich Der Zertretenen Ausschrei Und widerschallen ein Riesenschlachtfeld In dem Brüllen und Pfeifen des Frühsturms. So furchtbar stieg des Sturmkampfs Dröhnen, Daß die Erde bebte Wie mit geheimem mitfühlendem Grausen, Und es bebte mein Herz voll innerstem Anteil. »* * Siehe, da brach durch die wildringenden Massen Ein Morgenstrahl Von wunderbar lösender Gewalt. Und alsbald der Sturm heulte nicht mehr, Und der gellende Tumult ward milder und klingend, Wie die Wolken sich zerteilten; Sie schmolzen und schwanden dahin, Wie ein Steif schmilzt vor dem Hauch des MundeS, Und durch die Nebelhüllen der Blick ward frei. Da lag vor mir in Glut getaucht Der Himmelshorizont. Sprühflammen durchzuckten des Ozeans Ostrand, Und in dem letzten Grollen und Austönen des Sturmes Erschien aus den Wassern die Himmelsleuchte, Ein Sonnenausgang, Wie bisher meine Augen ihn nie gesehn. Unter mir Noch schlugen die Wellen an die Felsen, Laut schluchzend, Noch zitternd erregt von dem furchtbaren Kampfsturm, Aber sie zogen freudig dahin Ihre stolzen Meereslinien, Und Siegessanfaren rauschte ihr Morgengesang. Verklärt schimmerten die fernen Gestade Wie Inseln der Seligen in goldenem Licht, Und die Sonne stieg empor Freudig funkelnd, Als ging sie über eine neue Welt Zum ersten Male auf: Schönheitstrahlend, Segenspendend Für alle Menschen» leich auf Erden. Die Volksverbesserer.* Von Ludwig Thoma  . Man schrieb und sprach in der letzten Zeit vieles über unseren Nichterstand. Die Frage, ob von uneigent- licher Bestechlichkeit bei eigentlicher Unbestechlichkeit über- Haupt gesprochen werden könne, wurde von einem hohen Ministerium dahin beantwortet, daß dies jedenfalls nicht geschehen dürfe. * AusAssessor Karlchen und andere Geschichten". Albert Langen  , Verlag für Literatur und Kunst. München   1305. Diese Behandlung des kitzlichen Themas ist ebenso erschöpfend als maßgebend, und ich finde die hierin niedergelegte Ansicht um so erquicklicher, als sie sich voll- ständig mit der meinigen deckt. Ich habe stets unsere Richter bewundert, weil sie über alle Dinge mit der gleichen Sachkenntnis urteilen und nicht selten gerade das finden, an was niemand dachte. Dabei geht unverkennbar ein großer Zug durch unsere Rechtsprechung; man hat wirklich die Absicht, die niederen Volksschichten zu bessern und zu belehren. Wenn dies durch Anwendung väterlicher Strenge irgend niöglich ist, geschieht es sicherlich gerne, aber es fehlt auch nicht an Versuchen der gütlichen Überredung. Ich habe schon manchen jungen Amtsrichter beob­achtet, wie er im Schweiße seines Angesichtes sich ab- mühte, um einem verstockten Arbeiter klar zu machen, daß die. sozialen Verhältnisse durchaus nicht so schlimm seien, wie dieser sie kennen lernte. Erst gestern bewunderte ich die Geduld und Einsicht der jugendlichen Juristen, als die Sache des Maurers Johann Pletschacher verhandelt wurde. Der Delinquent war an eitlem Sonntage vor den Magistrat geladen worden, um seine Jnvaliditätsver- sicherungskarte abzuholen. Er hatte hierin eine unliebsame Störung seiner Sonntagsfreuden erblickt und dies sämtlichen Beamten mit erhobener Stimme so deutlich zu erkennen gegeben, daß er nunmehr auf der Anklagebank saß. Man sieht, der Fall entbehrte nicht eines gewissen sozialen Beigeschmackes. Dies mochten wohl auch die Herren am Richtertische fühlen. Der Amtsanwalt reckte sich straffer im Stuhl zurecht lind strich bedeutuligsvoll den kleinen Schnurrbart. Das jugendliche Gesicht des Vorsitzenden bekam ein finsteres Allssehen und die Stimme klang mehrere Nuancen schärfer, als er Johann Pletschacher ins Gebet nahm. Es entwickelte sich das sattsam bekannte Frage- und Antwortspiel. Im Verlauf desselben zeigte es sich deutlich, daß die Verfehlung des Münchener   Fassadenmaurers nicht auf bloße seelische Erregung, sondern auf die ganze Charakter- bildung desselben zurückzuführen war. Er glaubte hartnäckig, daß er im Rechte war; er sprach davon, daß wer die ganze Woche arbeite, am Feiertage seine Ruhe haben möchte; er stellte die Ansicht auf, daß die Beamten wegen die Leut, und nicht die Leut wegen die Beamten da seien; er versuchte nachzu- weisen, daß er sich nichts zu gefallen zu gelassen brauche, kurz, er brachte lauter Dinge vor, welche in das Politische hinüberspielten. Dabei war er auch in der Form durchaus nicht korrekt. Seine Stimme, welche durch starkes Schmalzler  - schnupfen eine unangenehme Klangfarbe angenommen hatte, war roh und verletzend; überdies schien Pletschacher zu glauben, daß seilte Gründe besser würden, wenn er sie mehrmals und immer lauter vorbrächte. Die Debatte wurde ziemlich erregt, und als der Vor- sitzende in berechtigter Entrüstung dem Angeklagten vor- hielt, daß es ja nur sein Bestes wäre, wenn der Staat für die alten Tage der Arbeiter sorge, da erklärte Plet- schacher feierlich, daß er auf die Altersrente pfeife, und daß er sie jedem im Zuschauerraum überlasse, der sie wolle. Ich fürchtete bereits, daß diese Kühnheit üble Folgen haben werde, allein zu meinem Erstaunen blieb der Vor- sitzende ruhig. Er nickte nur schmerzlich lächelnd mit dem Kopfe, wie jemand, der etwas lange Gesürchtetes bestätigt sieht. Dann warf er einen verständnisinnigen Blick zum Amts- anwalte hinüber, der mit wilder Energie den Schnurr- bart drehte. Pletschacher," sagte der Vorsitzende mit weicher Stimme,Pletschacher, gelt, Sie sind Sozialdemokrat?" Dös glaab i," erwiderte dieser,seit's Partei Hamm, bin i dabei." Ach so! Jetzt wird mir vieles klar." Der junge Amtsrichter sah bei diesen Worten so nett und so intelligent aus, daß ich ihn wirklich lieb gewann. Ich merkte, daß er keinen Groll gegen den Angeklagten hegte, und daß ihn nur ein tiefes Mitleid mit dem Un- glücklichen erfaßt hatte. Er räusperte sich mehrmals, wie jemand, der eine längere Rede vor hat, und dann fragte er gütig: Pletschacher, seh eil Sie nicht ein, wie weise dieses Gesetz ist, welches Ihnen ein glückliches Alter verbürgt?" Na! Dös siech i net." Ja, aber Pletschacher, paffen Sie mal auf, nehmen wir mal an, Sie werden alt, müde, gebrechlich, Sie werden siebzig Jahre alt..." Dös glaab i net..." Was glauben Sie nicht?" 1 »Daß i siewaz'g Johr alt wer, glaab i net." Ja, warum? Gehört das zu den Unmöglichkeiten?" I glaab's halt net..." So, Sie glauben es einfach nicht? Hm! Gut! Aber Pletschacher, selbst angenommen, Sie würden dieses Alter nicht erreichen, dann werden doch andere, Ihre Mit- arbeiter diese Wohltat genießen...» Wos brauch denn i für anderne zahl'n? Dös aibt's gar net!" Das ist es eben!" fiel hier der Amtsrichter eifrig ein,das ist es eben! Sehen Sie, Pletschacher! Da fehlt Ihnen die Einsicht, der Sinn für die Allgemeinheit, für das Ganze, für den Staat." Pletschacher nahm eine Prise Schmalzler und sah ironisch auf seinen Lehrer, der mit erhobener Stimme fortfuhr:Der Staat ist eben, ja, wie soll ich mich Ihnen verständlich machen, der Staat ist wie eine Bienenkolotüe, wie ein Bienenkorb, in Zellen eingeteilt; jede Biene hal ihre Zelle für sich, ihre Funktionen für sich, aber alle greifen zusammen. Verstehen Sie mich?" Na, und glaaben tua i's aa net." Was glauben Sie nicht?" »Daß der Schtaat wia a Bienenkorb is, glaab i net, Herr Amtsrichter. Bei die Bienen wer'n, wo nix arbet'n, umbracht, bei ins aba Hamm s' des schönste Leben. Do is grab umkehrt." Das Gesicht des Vorsitzenden hatte sich bei diesen Worten verfinstert, jede Milde war aus demselben ver- schwunden. Er sah, daß mit Vernunftgründen eine Besserung nicht zu erreichen war, und beschloß wohl, die ganze Strenge des Gesetzes anzuivenden. In der Tat wurde Pletschacher mit der höchsten Strafe bedacht. Ich fand es durchaus richtig. Der Mann hatte die Möglichkeit, von seinen Irrtümern geheilt zu werden, schnöde verscherzt. Da ist Milde von Übel. Die Spinnen und die Fliegen. Eine Fabel von Ludwig Anzengruber  . In einem Schlößchen, das verlassen Und darum halb verfallen stand, Herbergten in den öden Räumen Viel Dutzend Spinnen an der Wand Gesundheitshalber aber mochte Der letzte der Insassen hier Zerbrochne Scheiben nicht vertragen Und flickte alle mit Papier  . Er schnitt dadurch den vielen Spinnen Der Nahrung Zufuhr gründlich ab, Von außen kam nicht eine Fliege, Wie es bald innen keine gab. Die netzewebende Gemeine, Die wußte nicht, wie ihr geschah, Und war nach langem grimmen Fasten Dem bittern Hungertode nah. Da ward für den, der Kraft noch fühlte, Die Selbsterhaltung zum Gesetz; Er lud den Schwächern sich zu Gaste Und fraß ihn auf im eignen Netz. Doch als zu höchst die Not gestiegen, Da fügte sich, daß vor dem Schloß Ein muntrer Knab' vorbeigezogen, Den Langeweile just verdroß. Er raffte Kiesel auf vom Wege Und nahm die Fenster sich zum Ziel, Nur wenig heile Scheiben blieben Nach diesem ritterlichen Spiel. Und durch die Lücken schwärmten Fliegen In Hülle und in Fülle ein. Die Spinnen sagten: Gottes Güte Regierte sichtbarlich den Stein. Sie falteten die Vorderbeine Und dankten ihm, der alle nährt, Und haben dann mit frommen Sinnen Die Fliegen reinlich aufgezehrt. Doch meinte deren Schwärm hinwieder, Der rings bestrickt vom Tod sich fand, Die Scheiben habe ausgebrochen Der Satan mit selbsteigner Hand. Entging den grimmen Stricken eine, Durch Gottes Huld hielt sie sich frei, Und ward sie dennoch aufgefressen, So meint' sie, daß es Prüfung sei. Das gilt von Fliegen und von Spinnen, Die an Vernunft nicht überreich; Doch sind wir klugen Menschen ihnen Gottlob in keinem Punkte gleich. verantwortlich für dk Redaktion: Fr.«lara Zetkin(Zündet), WtlhelmShöh» Post Degerloch bei Stuttgart  . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .