50 Die Gleichheit Nr. 7 Und nun dagegen die Lage der Armen? Darüber schreibt P a u l s e n unter anderem: Der moderne Arbeiter, mag er in guten Tagen ganz behäbig leben, gehört zu den Besitzlosen und Abhängigen. Mit seiner ganzen Existenz hängt er von dein Willen eines Herrn ab, ein Wort, ein Wink kann ihn jeden Tag arbeits- und brotlos machen.... Freilich, Kapital hat er nicht zu verlieren, dafür ist er dem plötzlichen Umsturz seiner ganzen Existenz jeden Tag ausgesetzt.... Dem industriellen?irbeiter liegt seine ganze Wirtschaft- liche Laufbahn von Anfang an klar vor Augen; er er- reicht vielleicht schon mit 20 oder 26 Jahren seinen höchsten Lohn und wird nun, wenn es gut geht, bis zum beginnenden Alter immer dieselbe Arbeit tun und denselben Lohn haben; seine Gesamtlage zu verbessern, ist so gut wie keine Aussicht.... Man hat wohl darauf hingewiesen, das; die Begründer der bestehenden großen Unternehmungen zum Teil mit ganz geringen Mitteln ihre Laufbahn begonnen und damit den Beweis geführt hätten, daß Tüchtigkeit und Betriebsamkeit die großen Vermögen begründeten. Man kann dem einzelnen nur wünschen, daß er sich dadurch ermutigen lasse, jene Eigenschaften sich zu erwerben; aber eine nennenswerte Wahrscheinlichkeit, daß der Erfolg derselbe sein werde, wird «uch der größte Optimist(Hoffnuugsfreudige) ihm kaum in Aussicht zu stellen wagen. Jene Fälle deS Emporkommens sind ausgewählt unter unzähligen Tausenden; die Glücklichen werden gesehen, die ungezählten Mitbewerber, die an per- sönlichen Eigenschaften hinter jenen nicht zurückstanden, die aber weniger günstige Umstände antrafen oder durch ein kleines Fehlschlagen am Ansang zurückgeworfen wurden, bleiben in ihrer Dunkelheit unbeachtet. Außerdem ist es wohl zweifellos, daß die Begründung neuer Unternehmungen das, was der Arbeiter eben nicht hat. nämlich Kapital, in dem Maße mehr voraussetzt, als die Großindustrie sich in- zwischen ausgebildet und befestigt hat... In der jungen Schonung kann noch jedes Bäumchen hoffen, sich zum Baum- riefen zu entwickeln, im Hochwatd ist die Aussicht für den jungen Nachwuchs gleich Null. Man ruft das Wort Ben- jamin Franklins den Arbeitern zu:Wer da sagt, daß ein Mensch anders zu Wohlstand gelangen könne, als durch Fleiß lmd Sparsamkeit, dem glaubt nicht, der ist ein Gift Mischer." Ganz recht und gut; obwohl es allerdings Aus nahmen gibt, und diese Ausnahmen zahlreich und sichtbar sind: Grundstückspekulation, Börsenjobberei, Lotteriespiel, Mitgift- und Erbschleicherei, von der legitimen(rechtmäßigen) Erbschaft nicht zu reden. Alles das sind ja auch Mittel, zu Reichtum zu gelangen. Aber hinzuzufügen wäre noch ein anderes: Wenn euch jemand sagt, daß Fleiß und Sparsam- keit unter allen Umständen zu Wohlstand führen, dein glaubt auch nicht, er ist ein Betrüger oder ein unverbesserlicher Optimist." Es ist uns, wie gesagt, leider nicht möglich, von den vielen treffenden Ausführungen des Berliner Universttäts- Professors, der im übrigen die Sozialdemokratie scharf be- kämpft, mehr hier anzuführen. Wir wenden uns einein anderen Schriftsteller zu. Zur Bekänipfung der Sozial- demokratie, insbesondere um den konservativen Gutsbesitzern, Lehrern, Pfarrern usw. zur Reichstagswahl den nötigen Stoff gegen uns in die Hand zu geben, hat Hermann Köhler im Jahre 1903 eine Schrift erscheinen lassen: Die sozialdemokratische Landagitation und ihr sittlich anstößiger Charakter"." Hier liest man: (Seite 76.)Auf Grund unanfechtbarer Berichte können sich Leute, die nicht von vornherein für die Interessen des Großgrundbesitzes eingenommen und ihnen zuliebe Bedürs- nisse und Rechte des arbeitenden Standes zu unterschätzen geneigt sind, der Erkenntnis nicht verschließen, daß selbst in den gesegneten Provinzen Schleswig-Holstein , Hannover , Sachsen , wie in Braunschweig , Anhalt usw. die Landarbeiter zu nicht geringem Teil ein klägliches Dasein fristen...." Es wird nun mitgeteilt, wie viel nach Feststellung der Wissenschaft(nämlich der berühmten Arzte Karl von Boit und Max von Pettenkofer ) ein Mensch täglich essen muß, um sich nur ausreichend zu ernähren. Es sind das min- destens 760 Gramm Brot, 1000 Gramn; geschälte Kartoffeln, 200 Gramm Salzhering, 200 Gramm Wurst, 50 Gramm magerer Käse. DiesesMenü" so sagt das Buch weiter dem das Kaiserliche Gesundheitsamt ausdrücklich zu- stimmt, ist unter 60 Pf. nicht zu beschaffen, während sogar auf den Gütern mit königlicher Verwaltung(nämlich die von der Ansiedclungskommission in Posen verwaltet werden) für die Tagesnahrung eines Mannes nur 40 Pf. angesetzt sind. Welche Taglöhnerfamilie aber, die nur von der Hände Arbeit lebt, kann solche Summen für die Ernährung auf- wenden! Die Höhe des ortsüblichen Taglohns..., der den ganzen Verdienst in Geld und Naturalbezügen umfaßt, steigt nur ganz ausnahmsweise, zum Beispiel im bremischen Land- gebiet, über 3 Mk., während er in Ostpreußen , Polen , Schlesien an einzelnen Stellen für männliche Arbeiter auf 1 Mk., für weibliche auf 66 Pf. herabsinkt. Für Kinder be- läuft sich der Durchschnitt etwa auf die Hälfte. Erwägt man, daß auf die Mitarbeit der Frauen und Kinder nicht immer zu rechnen ist, so wird bei einer Zahl von 260 bis 300 Arbeitstagen die Annahme, daß unter normalen Ver- Hältnissen ein Taglöhner mit Frau und 3 bis 4 Kindern über eine Gesamtjahreseinnahme von 600 bis 760 Mk. zu verfügen hat, durchschnittlich wohl zutreffen. Dann kann aber von vollwertiger Ernährung gar keine Rede sein.... Was nach Abzug der Kosten für Kleidung, Schule usw. zum Aufwand für Essen und Trinken noch übrig bleibt, ist leicht nachzurechnen. Zeiten langer Krank- * Leipzig, I. T. HinrichSsche Büchhandlung. heit und Arbeitslosigkeit dürfen nicht vorkommen, sonst nimmt das Elend überhand.... (Seite 77.)Von allen Nöten auf dem Lande die schwerste ist die Wohnungsnot.... An haarsträubenden Bei spielen von Wohnungen oder vielmehr Höhlen und Ruinen die auf dem Lande armen, besonders alten Leuten zur Be Nutzung überwiesen werden, ist kein Mangel, auch nicht an solchen zeitweiser vollständiger Obdachlosigkeit." Leider verbietet uns der Raum, von der überfülle ähn- licher Schilderungen, die vorhanden sind, hier noch viel au zuführen. Bloß einen kurzen Blick wollen wir noch werfen auf das, was des Arbeiters ganzes Leben ausfüllt, nämlich auf die Arbeit selbst. Wie lebt der Arbeiter bei der Arbeit der er täglich 10, 12, 14 Stunden widmen muß? Eine Vor stellung davon gibt schon der oben genannte Professor Paulscn, indem er schreibt(Seite 361 seines Werkes): Die Freude an der Arbeit als solcher beruht wesentlich darauf, daß durch eine Mannigfaltigkeit von Tätigkeiten ein Ganzes vollendet wird, das die Kunst des Verfertigers preist. Aus manchem alten Werkstück spricht uns die Liebe, womit es der Meister erdacht und zustande gebracht, vernehmlich an. Durch die moderne Organisation der Arbeit ist dem Arbeiter das Ganze aus der Hand genommen; er hat nur eine bestimmte einzelne Leistung, vielleicht ein paar kunstlose. in ewigem Einerlei wiederkehrende Handgriffe zu verrichten Er ist zu einem lebenden Werkzeug, zu einem Glied der Maschine geworden; tagaus tagein, jahraus jahrein besteht seine Tätigkeit darin, Kohlen in ein Ofenloch zu schütten oder ein Stückchen Blech unter einen Prügestempel zu schieben...." Weit ergreifender jedoch' weiß der große französische Dichter Zola in seinem RomanArbeit" diese Dinge zu schildern. Nur einige der gewaltigsten Stellen seien hier angegeben:" (Seite 63.)... Diese Halle, eine der größten des Werkes, war tagsüber erfüllt von dem furchtbaren Getöse der Walz- werke. Aber jetzt, in der Nacht, standen diese still, und mehr als die Hälfte des gewaltigen Raumes lag in liefer Finster nis. Von den zehn Puddelöfen waren nur vier in Tätigkeit, die von zwei Ouetschhämmern bedient wurden. Da und dort flackerte eine schwache Gasflamme im Luftzug, von den dicken Massen der Dunkelheit umlagert, welche die Halle er- füllte, und in welcher man kaum die schweren, rauchge- schwärzten Träger unterscheiden konnte, die das Dachgebälk bildeten. Wasserrauschen drang aus der Finsternis hervor, der gestampfte Boden, bucklig und durchfurcht, bildete hier eine übelriechende Lache, dort einen Hausen von Kohlenasche und Abfällen. Überall der Schmutz der vernachlässigten, aller Fröhlichkeit beraubten, der verwünschten, zum Fluch ge wordenen Arbeit in dieser schwarzen, raucherfüllten, wider- wärtigen Höhle.... (Seite 66.)Lucas kam eben dazu, wie ein Tiegelguß- ofen gefüllt wurde. Die Arbeiter ließen die Tiegel aus feuerfestem Ton, die vorher glühend gemacht worden waren, hinab und schütteten dann mit Hilfe eines Trichters die mit Stahlstücken gefüllten Blechkasten hinein: 30 Kilogramm für jeden Tiegel. In drei oder vier Stunden war der Schmelz prozeß vollendet; dann kam die mörderische Arbeit: das Herausheben und Ausleeren der Tiegel, das Ausziehen und Gießen. Und als Lucas sich einem anderen Ofen näherte, wo die Gehilfen mit Hilfe langer Stangen sich eben über- zeugten, daß der Guß gar sei, erkannte er in dem Auszieher, der die Tiegel herausziehen sollte, Fauchard. Bleich, aus- gedörrt, mit vertrocknetem Gesicht, hatte. Fauchard Riesen- kraft in den Armen und Beinen behalten. Die furchtbare, stets gleichbleibende Arbeit, die er seit vierzehn Jahren ver richtete, hatte nicht nur seinen Körper verzerrt und verbogen, sondern noch mehr seinen Geist beeinträchtigt; jede Jndivi dualität(eigenes geistiges Leben) in ihm war vernichtet, er war zur Maschine herabgesunken, die gedankenlos, mit stets wiederholten Bewegungen, ihre Arbeit verrichtete, zum seclen- losen Element, das mit dem anderen Element, dem Feuer, in unablässigem Kampfe lag. Zu allen körperlichen Schäden, den hinaufgezogenen Schultern, den hypertrophischen Glied- maßen, den von der Glut verbrannten und geschwächten Augen, war er sich auch seiner geistigen Verkümmerung be- wüßt; denn mit 16 Jahren in den Rachen des Ungeheuers gefallen, nach einer höchst unvollkommenen und plötzlich unterbrochenen Erziehung, erinnerte er sich immer noch, daß er einmal Intelligenz besessen, eine Intelligenz, die heute dem Erlöschen nahe war, vernichtet von der mörderischen, zersetzenden Arbeit, ertötet von der unbarmherzigen Tret- mühle, in der er gleich einem blinden Tier arbeitete. Er hatte nur noch ein Bedürfnis, nur noch eine Freude: trinken, seine vier Liter Wein trinken an jedem Tag oder in jeder Nacht, die er arbeitete; trinken, damit der Ofen ihm nicht seine ausgedorrte Haut wie Zunder verbrenne, trinken, uin nicht zu Staub zu zerfallen, trinken, um sich ein letztes Glücksgefühl zu verschaffen und sein Dasein in dem stumpfen Behagen eines unaufhörlichen Rausches zu verleben.... (Seite 74.)... Dort faßte wieder ein Schmiedearbeiter das glühende Stück und hob es auf den Amboß des Hammers, der im selben Augenblick mit einem heftigen Ruck auf und ab zu tanzen anfing. Es ivar ohrenbetäubend und augenblendend. Der Boden erzitterte, wie Glocken dröhnte es durch die Luft, während der Schmied, mit Lederschürze und Lederhandschuhen bekleidet, in einem dichten Funken- regen verschwand. Das Sprühen war in manchen Augen- blicken so heftig, daß es nach allen Seiten hin knatterte wie Mitrailleusenfeuer. Unbeweglich inmitten dieses wütenden * Zitiert nach der Uebersetzung von Leop. Noscnzweig, erschienen 1901 bei der Deutschen BerlagSanstalt, Stuttgart und Leipzig ; alle Zitate sind aus dem erste» Band. Aufruhrs wendete der Arbeiter die Luppe hin und her, brachte alle ihre Seiten unter den Hammer, um daraus das Jngot zu formen, den Stahlbarren, der dann dem Walzwerk überantwortet werden sollte. Und der Hammer gehorchte ihm, schlug dahin und dorthin, verlangsamte oder be- schleunigte seinen Schlag, ohne daß man etwas von den Zeichen hätte bemerken können, die er dem Hammerführer gab, der hoch oben auf seinem Sitze den Steuerhebel handhabte. Lucas, der sich genähert hatte, erkannte den jungen Schwager Fauchards in dem Hammerführer, der da hoch in der Luft unbeweglich saß, nur durch eine kleine mechanische Handbewegung lebend, inmitten des Getöses, das er ent- fesselte. Den Hebel nach rechts, damit der Hammer falle, den Hebel nach links, damit er sich hebe, und das war alles, das Geistesleben des Knaben drehte sich in diesem engen Bezirke. Einen Augenblick konnte man ihn beim Aufsprühen der Funken sehen, so klein und schwächlich, mit seinem blassen Gesicht, seinen farblosen Haaren, seinen stumpfen Augen, ein armes Geschöpf, dessen körperliches und geistiges Wachstum von der tierischen Arbeit ohne Freude, ohne freie Wahl unterbunden worden war." So weit Zola. Freilich, das ist Dichtung. Aber wer, der das Arbesterleben kennt, wollte bestreiten, daß diese Dichtung von grauenhafter Naturwahrheit ist? Welcher Arbeiter erkennt nicht, daß hier sein Leben gerade so ge- schildert ist, wie es sich wirklich abspielt? Indessen, für diejenigen, die sich durchaus an der Dichtung stoßen, sei hier zum Schlüsse noch eine kleine Schilderung aus dem Leben beigefügt. In der(nicht sozialdemokratischen) Berliner Bolrszeitung" las man am Weihnachtsabend des Jahres 1903: Arme Kinder. In allen Straßen Berlins handeln bis zum heutigen Abend Kinder des verschiedensten Alters mit Ansichtskarten, Knarren, Waldteufeln, Hampelmännern, Weihnachtsbaumschmuck, Bilderbüchern usw. Mitleidig ruhen die Augen manches Vorübergehenden auf den kleinen, blassen Gesichtern.... Wer tiefer forscht, wer jeden der kleinen Händler fragt, der kann einen Blick in das Elend der Großstadt tun, der tief erschüttert. Da steht an der Pots- damer Brücke ein kleiner Junge, kaum acht Jahre alt. Mit leiser Stimme nur, man hört es kaum, nur die flehenden Augen sprechen deutlicher, bietet er seine Ware an. Es sind Hampelmänner, die er selbst an den langen Abenden im Oktober und November gefertigt hat, um für seine best- lägerige Mutter und die vierjährige Schwester wenigstens im Weihnachtsmonat etwas zu verdienen. Er hat Hunger, großen Hunger, so gesteht er, und hastig ißt er einige Bissen des ihm gereichten Butterbrots; den Rest birgt er im Nock, Mutter soll auch etwas haben.... Ein anderes Bild bietet ein kleiner Anstchlskartenhändler von sieben Jahren. Er muß eine kranke Mutter und drei Geschwister von seinem Erlös erhalten, der den Tag etwa zwei Mark beträgt, wo- von er eine Mark verdient hat. Tiefe dunkle Ränder liegen unter seinen Augen.... Ein Geschwisterpaar, das Mädchen zehn, der Knabe acht Jahre alt, handelt mit Wachsstreich- hölzern. Noch sechs jüngere Geschwister sind daheim, der Vater liegt krank, die Mutter muß ihn pflegen. Die beiden älteren ernähren die Familie. Ein Knabe von zwölf Jahren hat Knarren und Uhren zu verkaufen, neben ihm kauert sein sechsjähriges Schwesterchen, das Bilderbücher im Körbchen hat. Die Mutter leidet an Schwindsucht, der Vater an Gelenkrheumatismus." J. B. Das Leben einer Idealistin. Von Anna Blos. (Fortsetzunz.) Diesem schweren Schicksalsschlag folgte bald ein zweiter. Die Frauenhochschule mußte geschlossen werden infolge ge- heimer Umtriebe und Verdächtigungen. Malvida verließ sie mit dem Bewußtsein, daß der Gedanke, der sie geleitet, der Frau geistige Entwicklung, mehr ökonomische Unabhängig- keit und Erlangung bürgerlicher Rechte zu sichern, nicht wieder sterben konnte. Aber sie mußte eine lieb gewordene Tätigkeit aufgeben und den Kampf ums Dasein aufnehmen. Gebieterisch verlangte ihre Familie ihre Rückkehr aus Berlin , wohin sie sich gewendet, doch sie konnte und wollte ihre Überzeugungen nicht aufgeben. An den Gräbern der März- gefallenen suchte sie sich Kraft und Trost, schlug ihr Herz doch so warm für die Tapferen, die für die Freiheit ge- 'torben. Ihr Aufenthall in Berlin sollte nur von kurzer Dauer sein; sie hatte sich demokratischer Bestrebungen ver- dächtig gemacht, und um der Freiheitsberaubung zu ent- gehen, entschloß sie sich zur Flucht. Die Zeit des freiwilligen unvermeidlichen Märtyrertums war vorüber; es galt, sich gehässigen Verfolgungen zu entziehen und seine Kräfte für eine bessere Zukunft zu retten. So ging sie, die schwache Frau, ins Exil, fast ohne Existenzmittel, aber aufrecht er- halten von der Kraft, welche reine Überzeugungen und das Bewußtsein, ihnen treu geblieben zu sein, geben. Das freie stolze Land der Briten, das schon so manchem Verbannten Aufnahme gewährt, nahm auch Malvida v. Meysenbug auf. Kein wer, woher, wohin tönte ihr ent- gegen, als sie den gastlichen Boden betrat. Ihr Herz, das noch schwer war vom Abschied von der Heimat und allem Durchlebten, fand Trost in dem Gedanken, daß sie nicht ganz verlassen war. DieGemeinde derer, die sich nie gekannt, nie gesehen, und die doch fest verbunden sind durch das gleiche Streben", sollte ihr ja hier eine Heimat geben. Vor allem war es Johanna Kinkel , die sie vertrauensvoll auf- uchte, und in deren Haus sie sich von großen und kleinen Armen umfangen und mit Jubel begrüßt sah, trotzdem sie nie in persönlichem Verkehr mit ihr gestanden hatte. Einst, bei Kinkels Gefangennahme im Juni 1849, hatte sich Mal- vidas Herz mit heißem Mitleid und tiefster Empörung er-