98 Die Gleichheit Nr. 11 Ketzerblut. Von M.®. Conrad. Schäum auf zu roter Sturmesflut, Du herrliches, deutsches Ketzerblut. Du unsrer Urväter Gewissen! O rinn nicht länger in enger Haft, Du dreimal heiliger Gottessast, Des Blühens sei beflissen! Sprüh hin in Wogen von Gau   zu Gau  , Mit pupurnem Segen erfülle die Au Unsrer alten Heimatserde! In dir ruht das Heil, in dir quillt die Kraft, In dir die zeugende Leidenschaft, Des Schöpfers heiligesWerde!" Rote Ostern. Historisches Gemälde aus dem Bauernkriege. Von Robert Schweichel.  (Fortseyung.) Rohrbach, der letzte Sprosse eines alten, im Laufe der Zeit heruntergekommenen reichsfreien Geschlechts, ritt auf einem schwarzen Pferde, das er in Lichtenstern  erbeutet hatte, und viele Prozessionsfahnen aus diesem Kloster schwankten über dem Haufen. Neben dem Führer schritt an einem weißen Stecken eine große hagere Frau; sie mochte vierzig bis fünfzig Jahre alt sein, und aus ihrem dunkelbraunen Gesicht glühten schwarze, fanatische Augen. Das war die Freundin Jäckleins, die Schwarze Hofmännin aus Böckingen  . Das Landvolk schrieb ihr geheimes Wissen zu und blickte mit Scheu und Ehrfurcht auf sie. Die schöne Gräfin von Helfenstein sah sie ge- beugten Hauptes dahinschreiten; aber keine Ahnung sagte ihr, wie fürchterlich die Frau ihr eines Tages gegenüber- stehen sollte. Ihre blühenden Lippen kräuselte ein ver- ächtliches Lächeln über die unkriegerische Haltung und Ordnungslosigkeit, in der Jäcklein Rohrbachs Haufen vorüberzog. Viele hatten aus Bequemlichkeit ihre Waffen auf die Wagen geworfen, welche die Klosterbeute nach- führten. Es war eher eine lustige Kirmesfahrt als ein Kriegszug. Anders das Fähnlein, welches nach kurzer Pause folgte, und die Augen der Gräfin blitzten zornig auf. Es marschierten in geschlossenen Gliedern etwa fünfzehn Musketiere in kleinem Abstand voraus. Die ersten Glieder trugen 16 bis 18 Fuß lange Piken, ein kurzes Schwert an der Seite und zwei Radschloßpistolen im Gürtel; dann folgte eine Rotte von fünfzig Mann mit großen zweihändigen Schlachtschwertern auf der Schulter. Die übrigen, wohl an die zweihundert Mann, waren mit Feuerröhren bewaffnet. Die Panzer und Sturmhauben des ganzen Fähnleins waren schwarz und schwarz sein Banner. Das war dieschwarze Schar", die Florian Geyer   aus ehemaligen Lanzknechlen und den kräftigsten, kriegsgeübten Bauern der Rothenburger   Land- wehr gebildet hatte. Daß ein Edelmann von seinem Stande abfallen und den aufrührerischen Bauern sich anschließen konnte, das war es, was den Zorn der Aaiserstochter aufregte. Florian Geyer  , dessen Ahnen Phon in hohen Ehren an dem Kaiserhof der Hohenstaufen geglänzt chatten, hatte seine Rittersporen abgeschnallt und sich der Sache des Volkes geweiht, für die sein Herz schon lange warm schlug. Der militärische Geist Florian Geyers hatte offenbar auch auf dasevangelische Heer", das unmittelbar auf dieschwarze Schar" folgte, Einfluß ausgeübt. Frau Margarete hatte zu häufig kriegerische Schauspiele und Aufzüge gesehen, um nicht sofort den Unterschied zu be- merken, der zwischen der Haltung dieses Heeres, dessen Fahne von Seide, gelb, braun und grün gestreift war, und der von Jäcklein Rohrbachs Haufen herrschte. Das evangelische Heer" war in vier Fähnlein geteilt und jedes Fähnlein in Rottm. Es mochte wohl 8000 Mann stark sein, und davon waren gegen 8000 mit Handbüchsen versehen; die übrigen waren mit Piken, Hellebarden, Sensen, Schwertern, Morgensternen, manche auch nur nnt Dreschflegeln bewaffnet. Was war es, das plötzlich die Augen der Gräfin blendete? Ein Sonnenstrahl hatte den Ring an ihrer weißen Hand getroffen, und die blutroten Edelsteine blitzten auf. Lag darin eine Mahnung, so war sie ver- gebens. Wohl erfüllte die gewalttge Macht, die im sonnen- vergoldeten Staube vorübertoste, die Brust der schönen Frau mit Beklommenheit, aber sie dachte nicht daran, daß Christt Blut das Siegel seiner Lehre an die Armen und Enterbten gewesen war; daß diese in seinen: Namen ihre Freiheit forderten. Hatten die Bauern sich in den zwölf Artikeln, welche ihre Boschwerden und Forderungen enthielten, von allem abzustehen erboten, was im Widerspruch mit der heiligen Schrift stünde, so luden sie nun in ihrem nach Weinsberg  geschickten Briefe die Bürgerschaft samt ihrem Obervogt und sein adeliges Gefolge ein, sich ihnen anzuschließen ,in brüderlicher Liebe", umdem Worte Gottes und der Lehre Pauli Beistand und Folge zu tun und das Übel zu strafen und auszureuten unter Geistlichen und Welt- lichen, Edeln und Unedeln". Graf Ludwig von Helfenstein   fand in dem Rathaus- saal schreckensbleiche Gesichter. Das gewaltige Heer hatte alle mit Furcht erfüllt, und es schlug den Räten das Gewissen, indem sie gedachten, wie ihr Regiment für den kleinen Bürger nicht immer das sanfteste gewesen war. Der Obervogt erhob jedoch wieder den Mut der verzagten Väter der Stadt". Die Hilfe, welche ihm die Regierung in Stuttgart   versprochen hatte, würde unter keinen Um- ständen ausbleiben, ja sie müßte jeden Augenblick ein- treffen. Inzwischen sollte man sich der Forderung der Bauern geneigt zeigen und Unterhandlungen anknüpfen, denn Zeit gewonnen hieße in ihrer Lage alles gewonnen. Demgemäß verfaßte der Ratschreiber die Antwort, worin um eine geziemende Zeit gebeten wurde, das Ansinnen der Bauern reiflich zu erwägen. Kaum war aber das Schreiben abgegangen, als Gras Ludwig seine Ritter und Reisige sich wappnen und zu Pferde steigen hieß, und sobald der helle Haufen vorübergezogen war, fiel er durch das Untertor bei dem Siechenhause auf den Troß und die Nachzügler. Da ward erstochen und erschlagen, was man erreiten konnte; Pardon durfte nicht gegeben werden. Den ganzen Tag hielt der Graf im Rücken des Heeres und färbte die Landstraße mit Bauernblut. Der Zug des Bauernheeres ging auf Neckarsulm  . Die Bürger des Städtchens empfingen die Bauern mit offenen Armen, und das Ordenshaus der Deutschherren war bald erobert. Die Wenigen Ritter ließ man ungefährdet nach Mergentheun, der Residenz des Deutschordensmeisters, entrinnen. Reich waren die erbeuteten Vorräte, und es ging fröhlich her in dem Städtchen, wo die Bürger mit ihren Befreiern zechten, und draußen auf der Wiese. Da brachten verwundete Nachzügler die Kunde von dem Überfall des Grafen von Helfenstein  , und durch das Lager auf der Wiese und durch die Straßen des Städtchens erscholl der Ruf: Verrat! Verrat! Zugleich kam Botschaft von der Donau  , wie der Truchseß Georg von Waldburg   senge und brenne und gegen die gefangenen Bauern blutig ver- fahre; von dem Blutbade, das er die Donau   hinauf unter ihren Brüdern angerichtet habe, und von der Hinrichtung des edlen Pfarrers Jakob Wehn und vieler anderer, die zu den armen Leuten gestanden, zu Leipheim  . Sieben- tausend Bauern sollte der Heerführer des Schwäbischen Bundes   bei Wurzach   hingeschlachtet haben. Diese Zahl war sehr übertrieben, absichtlich von den Herren übertrieben worden, welche durch Verbreitung solcher Gerüchte die Bauern einzuschüchtern hofften. Gerade das Gegenteil erfolgte. Die Bauern wurden zur Wut entflammt, und ihre Hauptleute und Räte sannen auf Repressalien. Sie hatten sich zu einem gerechten Krieg gegen ihre Herren erhoben und forderten, daß sie nach dem üblichm Kriegsrecht behandelt würden. Weigerten sich die Herren dessen, so müßten sie dazu gezwungen werden. Das Blut Jakob Wehns und seiner Freunde, welche der Truchseß wie gemeine Verbrecher hatte hinrichten lassen, sowie das heimtückische Morden des Grafen von Helfenstcin mußten vergolten werden, und noch an demselben Abend ging an den Bürgermeister von Weinsberg   und dessen Ober- vogt ein Ultimatum ab. Diese Nacht kam wenig Schlaf über das Lager. Die Auftegung der Bauern war gar zu groß; jeder fühlte, daß es nun Ernst wi'.«He. Ein Brausen und Tosen erfüllte die Nacht. Abseits dem Lager, an dem Ufer der Sülm, saß ein- sam die Schwarze Hofmännin. Niemand störte sie; denn jeder wußte, daß wenn sie in Sinnen versunken war, sie Zwiesprach hielt mit den geheimen Mächten, über die sie zum Wohl der Bauen: gebot. Ihre Vorgeschichte war unbekannt; aber sie mußte Schweres erduldet haben, denn in ihrer Brust loderte ein furchtbarer Haß gegen die Herren. Diesen Haß hatte sie schon lange, bevor der Aufstand losbrach, als eine Brandfackel von Hütte zu Hütte getragen. Sie haßte, wie nur ein Weib zu hassen vermag, ein Weib von starker Seele, das in seinen heiligsten Empfindungen tödlich getroffen ist. Ihre wilde Beredsam- keit war unwiderstehlich, und ihr starkes Vertrauen, daß Gott die Freiheit des armen Mannes wolle, verlieh auch den Zaghaften Mut. Mit Jäcklein Rohrbachs Haufen war sie von Sont- heim ausgezogen. Da hatte man das schwarze Weib der bewaffneten Schar vorausziehen sehen. So war sie, einen langen weißen Stab in der Hand, an ihrer Spitze auf Ohringen  , der Residenz des Grafen von Hohenlohe  , nach Schöntal  , dem reichen Zisterzienserkloster, welches von dem hellen Haufen geplündert und verbrannt wurde, und wieder nach Lichtenstern gegangen. Sie hatte die Bauern oftmals getröstet, sie sollten nur fröhlich und keck sein und gutes Mutes ziehen; sie hatte sie gesegnet, daß ihnen weder Spieß noch Hellebarde, noch Büchse zukönnten. Ein Anruf störte sie aus ihrem Sinnen auf. Ein Mann stand vor ihr, barhäuptig und im zerrissenen Wams. Es war Semmelhans, welcher glücklich aus seinem Gefängnis auf der Weibertreu entflohen war. Kurzatmig vom eiligen Gange erkundigte er sich, wo er den Bauernrat Dionysius Schmid von Schwahbach wohl fände; er brächte eine wichtige Nachricht. Und was bringst du?" fragte die Hofmännin. Dir kann ich's schon sagen, denn dich kenne ich," versetzte er und teilte ihr mit, daß auf dem Weinsberger  Schlosse nicht mehr als acht reisige Knechte lägen, und daß er eine Stelle wüßte, wo das Schloß leicht zu stürmen wäre. Da erhob sie sich langsam, schritt ihm voraus und trat mit ihm in das Haus, wo, wie sie wußte, die Haupt- leute noch im Kriegsrat versammelt waren. Semmelhans wiederholte seine Mitteilung, die freudig aufgenommen wurde. Wendel Hippler erinnerte jedoch daran, daß man dem Grafen von Helfenstein   bis Sonnabendmittag eine letzte Frist gestellt, ob er samt der Stadt zu dem Bunde schwören wollte oder nicht; so lange müßte man warten. Käme bis dahin keine Antwort, oder verweigerte der Graf das Bündnis, so möchte man in Gottes Namen Schloß und Stadt mit Gewalt zwingen. Mit Widerstreben beschloß man zu warten. Die Schwarze Hofmännin aber sagte mit blitzenden Augen: Bringet einen Wolf auf wie einen Hund, er bleibt doch ein Wolf und erwürgt euch, wenn ihr ihn nicht erschlagt. Der Wolf wird euch die Zähne schon weisen." Und er wies sie. Trotzig und verächtlich wies der Graf in seiner Antwort jede Gemeinschaft mit den Bauern zurück. Zugleich drohte er den Hintersassen seines Amtes, wenn sie sich von den Rebellen nicht lossagten und heim- zögen, so wolle er ihnen ihre Weiber und Kinder nach- schicken und ihre Dörfer verbrennen. Als diese Drohung dem Weinsberger   Fähnlein, welches sein Lager unter den Weiden hatte, bekannt gegeben wurde, schrien die Bauern. man sollte sie heimziehen lassen, oder ihnen Frieden machen. Ja, ziehet nur heim," zürnte Jäcklein Rohrbach  . Ihr kennt ja die Gnade, die ihr von dem Grafen zu erwarten habt. Und war es nicht ein lustig Leben unter den Herren? War's nicht ein sanftes Joch, das ihr trugt? Ihr bautet ihre Acker, derweil die eurigen ver- kamen. Sie tranken euren Wein und aßen euer Brot; Wasser und Kleie waren gut genug für euch. Und es war eine hohe Ehre für euch, daß sie eure Töchter um- armten und euren Toten das Beste nahmen. Gehet nur hin und leckt dem Herrn Grafen   den Staub von den Sttefeln; die Gnade von Leipheim   und Wurzach   ist euch gewiß!" Da erhob sich die Schwarze Hofmännin unter ihnen und sprach:Selbst sollt ihr euren Frieden mit dem Grafen machen. Euer Frieden erblüht aus dem Blut unserer Brüder, das er in den Staub gesäet hat. Ich Hab' diese Nacht einen Traum gehabt. Gedacht Hab' ich an all die Not und den Jammer, die wir gelitten haben von Kindesbeinen an; gedacht Hab' ich an all die salzigen Tränen, die wir geweint haben in unserer Verzweiflung, bis mir der Schlaf das herzbrechende Weh von der Seel' genommen. Da sah ich, wie aus dem Blut unserer Brüder Rosen aufwuchsen, und sie wuchsen höher und höher, bis sie den Berg und die Burg des Grafen ganz überzogen hatten. Rot war alles von Rosen, und ihr wisset, was das bedeutet. Hei, sind eure Schwerter und Sensen nicht scharf? Die blühenden Rosen, die werdet ihr schneiden, Gott   will es!" Die Weinsberger   jubetten ihr zu, sie gedachten nicht mehr daran, heimzuziehen, sondern begannen eifrig ihre Waffen instand zu setzen. Die Schwarze Hofmännin ging weiter von Lager zu Lager, und ihr Ruf war: Nach Weinsberg  ! Nach Weinsberg  ! Nun sei es an der Zeit, daß sie die Scheiden ihrer Schwerter wegwürfen; denn den schlimmsten Verrat übten sie selber an sich: das sei ihre Milde und Langmut. Die Raubtiere; die so lange ihre Zähne gierig in ihr Fleisch geschlagen hätten, müßten alle erwürgt und erstochen werden. Ihre Worte fielen zündend in die tief erschütterten Gemüter. Unterdessen hatte der Graf von Helfenstein   die ge- samte Bürgerschaft von Weinsberg   auf dem Markte versammeln lassen. Als er von seinem Ausfall auf den Nachtrab der Bauern zurückgekehrt, hatten ihn die Bürger keineswegs mit frühlichen Mienen empfangm. Der Rat und die wohlhabenden Bürger zitterten vor den Folgen seiner treulosen Tat. Das machte denjenigen, welche es heimlich mit den Bauern hielten, Mut, offener hervor- zutreten. Um diesen Geist des Aufruhrs zu ersticken, hatte der Graf die Bürgerschaft auf den Markt beschieden. Er redete nachdrücklich, weissagte ihr, statt Befreiung durch die Bauen:, Totschlag und Plünderung, wenn sie von chrer gelobten Treue gegen die Obrigkeit abfiele, und wies abermals aus die Hilfe von Stuttgart   hin, weshalb man, wenn nur jeder seine Pflicht täte, den Bauern einen Widerstand würde tun können.(Forst, folgt.) Berantwortltch sürdte RedaNton: Fr. Klara ZelNn(Zundel),WtlheUilShüh« Post Degerloch bei Tluttgart. Druck und Verlag van Paul Swger w iWnrtgort.