122Die GleichheitNr. 14eure weizhctt.von I. s. fischet-.Ich sah am liebsten hoch im TurmWeit nach den blauen Landen.Bin jauchzend bei dem lauten SturmDes Glockenschwungs gestanden.Ich kam Hernleder, dort emporSchlägt noch mein Herz nach Iahren.So blieb ich immer euch ein Tor,Die niemals droben waren.Rote Ostern.Historisches Gemälde aus dem Bauernkriege.Von Robert Schweichel.(Schluß.)Kaum der zehnte Teil war auf der Wiese, und HansWinter vom Odenwald führte über diese den Oberbefehl.Die Gefangenen wurden in den Kreis der Bewaffnetengeführt, und Jäcklein Rohrbach verkündete ihnen dasTodesurteil: sie sollten durch die Spieße gejagt werden.Das war die Strafe, welche das Kriegsrecht jener Zeitauf Verrat und Ehrlosigkeit setzte. Da wurden die stolzenGesichter bleich, und die Gräfin stieß einen Schrei desEntsetzens aus. Sie wäre in Ohnmacht gefallen, wennGraf Ludwig sie nicht gehalten hätte.Hans Winter ließ die Gasse bilden; Hans Waldnervon Neckargartach schlug die Trommel, wie es bei Hin-richtungen dieser Art alter Brauch war. Jäckleins Tra-banten waren vorn daran. Der Knecht des KonradSchenk von Winterstetten begann den Reigen durch dievorgestreckten Spieße und wurde sogleich niedergestoßen.Ihm folgte sein Herr. Jetzt war die Reihe an demGrasen von Helfenstein. Dreißigtausend Gulden bot erden Bauern als Lösegeld. Umsonst!»Und wenn duuns zwei Tonnen Goldes geben würdest, so mußt dudoch sterben," ward ihm zur Antwort.„Gnade! Gnade!"schrie verzweifelnd die Gräfin; aber sie fand nur taubeOhren, und das junge Herrlein erhielt selbst einen leichtenLanzenstoß in die Brust, wovon es zeitlebens die Narbetrug. In diesem Augenblick gewahrte die Gräfin dieSchwarze Hofmännin, und vor ihr auf die Knie sichwerfend, flehte sie in herzzerreißenden Tönen:„Du bistein Weib; du mußt mit mir fühlen: Gnade für denVater meines Kindes!"Die dunklen Augen der Hofmännin funkelten; sieatmete tief auf, und ihre hagere Gestalt höher und höheraufrichtend, sprach sie:„Gnade? Schau die Männerdort! Deine Schönheit, dein Unglück, deine Tränenrühren sie nicht; denn sie gedenken, wie sie umsonst dieKnie ihrer Herren umfaßt, wenn diese ihren Vater, ihrenBruder, ihren Sohn um ein Geringes in die tiefen Ver-ließe ihrer Türme hinabwarfen, wo sie ohne Speise undTrank verschmachteten und ihr Flehen und Heulen undErbieten kein Gehör und kein Erbarmen fanden. Siegedenken, wie oft sie von den Herren mit Hunden gehetztworden sind wie Hunde, und sie gedenken, wie auf ihremdurch Hunger und Fronden abgemagerten Rücken diePeitsche erbarmungslos geschwungen wurde. Gnade?Ja, ich fühle mit dir. Du bist die Tochter eines Kaisersund ich nur ein arm, elend Weib aus dem Volke, aberich bin Mutter wie du— ich war es, und darum fühleich mit dir, und dein Schmerz ist mir Wollust. Ach,was hatte mein armer Bub' denn getan, daß er in denTod gehetzt wurde? Das Rotwild äste unsere Saat, derEber wühlte unsere Frucht aus dem Acker. Da hat ermit seinem Handrohr das Wild gescheucht und einenHirschen geschossen. Dafür ward er mit den Füßen ge-schmiedet an das Geweih eines Hirschen und festgebundenauf seinem Rücken. Umsonst Hab' ich im hellen Jammerden Edelmann angefleht; umsonst lag ich wie du mitblutigen Tränen im Staub vor der Edelfrau. Mit demFuße stieß sie mich fort wie einen winselnden Hund, undich folgte den Hunden, die meinen Knaben jagten. Undich fand ihn, fand ihn nach vielen Tagen im Dickicht,ihn und den Hirschen, sein bleiches Gebein festgeschmiedetan dem Geweih, zerrissen von den Wölfen, mein Kind,mein einziges Kind! Meine salzigen Tränen haben denTod nicht erweicht; aber mein Gebet um Rache hat denHimmel erbarmt. Bei dem zerfleischten Leichnam meinesKindes Hab' ich gelobt, nicht eher zu ruhen und zu rasten,als bis ich dies Messer in die Brust eines adeligenSchelmen gestoßen."Sie kehrte der Gräfin mit einer abweisenden Hand-bewegung den Rücken. Der Stolz und Hochmut derschönen Kaiserstochter war zermalmt für alle Zeit.Soweit die Worte der Hofmännin vernehmbar ge-wesen waren, blickten die Bauern mit einer staunendenBewunderung auf ihre Führerin. Hatte sie doch aus-gesprochen, was alle gelitten hatten und fühlten. JäckleinRohrbach, der unbändige Geselle, hatte einen feuchtenSchimmer im Auge, und er bewilligte dem Grafen, daßer erst beichten durfte. Der Graf habe so viel unschuldigBlut auf der Seele, äußerte er, daß seine ewige Ver-dammung gewiß sei; daran wollten sie nicht schuld sein.Jakob Leutz, vor dem Aufstand Pfarrverweser von Winz-hosen und jetzt oberster Feldschreiber der Bauern, welchermit anderen, worunter mancher Stadtbürger, von demWirbeln der Trommel auf die Wiese gelockt worden,hörte des Grafen Beichte. Dieser schenkte ihm zum Danksein Paternoster, welches er fortan am Arm trug. Alsder Graf zum letztenmal Weib und Kind umarmte—die Frau konnte nur mit Jammerblicken reden—, tratMelchior Nonnenmachcr, des Grafen Spielmann, auf ihnzu und höhnte:„Ich Hab' Euch oft mit meiner Zinkeergötzt, wann Ihr fröhlich tafeltet und tanztet, und Ihrhabt mir dafür manche Gabe verehrt. So will ich Euchdenn jetzt auch zum rechten letzten Tag aufspielen!" Einelustige Weise blasend schritt er dem Grafen voraus bisan die Gasse. Der Graf folgte ihm in fester Haltung,und Urban Metzner aus Waldbach stieß ihn in die Spieße.Die Hofmännin stürzte auf die Leiche zu, stieß ihr dasMesser in die Brust und rief, die gerötete Klinge zurSonne erhebend:„Grafenblut für Bauernblut!"Helfensteins Knappe und sein Hofnarr fielen zunächst,und so ward einer nach dem anderen in die schrecklicheGasse gestoßen, unter dem Dröhnen und Tönen der Trom-mein. Pfeifen und Zinken, welches den Schmerzens- undTodesschrei der Gerichteten übertäubte. Als die Sonneim Mittag stand, war die Blutarbeit vollendet.Die Grafen von Hohenlohe schickten noch selbigenNachmittag des zweiten Osterfeiertags zwei Feldschlangenund etliche Zentner Pulver und Steinkugeln, welche dieBauern bisher trotz aller Drohungen nicht von ihnenhatten erhalten können, mit einem geschmeidigen Schreibennach Weinsberg. Auch die beiden Grafen von Löwen-stein stellten sich jetzt dort und erboten sich, in den Bundzu treten. Als ein Stadtbürger vor ihnen den Hut zog,schlug ihm ein altes Bäuerlein mit dem Schaft seinerHellebarde über den Rücken und rief:„Dummkopf, diesind nimmer keine Herren nicht mehr!" Und die edlenGrafen lüpften vor dem alten Männlein, das sich darüberschier totlachen wollte, wieder und wieder auf sein Geheißdie Hüte. Aber der Bauernrat bedeutete ihnen, daß manjetzt nicht Zeit hätte, sich mit ihnen zu beschäftigen, undsie mußten in dem Haufen zu Fuß mit nach Heilbronnmarschieren.Dorthin brach nach dem Osterfest das Heer auf.Voran schritt auch jetzt die Schwarze Hofmännin, jedochnicht düster grübelnd, gesenkten Hauptes wie sonst, sondern stolz und frei. Die Vergeltung, welche sie an derLeiche ihres Sohnes gelobt, war vollzogen, gerochen dasLeid ihres Volkes, das sie wie keine in ihrem Herzenmit heißem Schmerz getragen, und ihr runzeliges Antlitzleuchtete wie verklärt. Gott hat es gewollt!J***Auf der Stelle, wo den Grafen Ludwig Helferichvon Helfenstein die Vergeltung für seinen Leichtsinn undseine Untteue ereilte, steht eine kleine Kapelle. Sie istaus den Steinen der Stadt erbaut, welche der TruchseßGeorg von Wäldburg mit Feuer und Schwert bis aufden Grund zerstörte. Etwa hundert Schritte davon steht,eingeschlossen von einem Steinkranze, der auf steinernenPfeilern ruht, eine Linde. Unter dieser Linde soll derRat seine Versammlungen gehalten haben, bis ihm er-laubt wurde, die Stadt wieder aufzubauen. Ob daswahr ist? Ich glaub's nicht. Die Linde befindet sichder ehemaligen Stadtmauer zu nahe, als daß sie schondamals dort gestanden haben könnte. Ich meine, siewurde wohl von einem, dessen Herz der Freiheit un-verloren blieb, als Protest gegen das Grabkirchlein heim-lich an der Stelle gepflanzt, wo einst den Edelleuten dasUrteil gesprochen worden. Das alte Welfenschloß aufder Höhe ist aus seinen Trtimmcrn nicht wieder auf-erstanden, ebensowenig wie die zahllosen Raubnester desAdels, welche von den Bauern niedergelegt wurden; dieTotenkapelle ist zur Rumpelkammer geworden, aber dieLinde grünt noch. Nur die unteren Zweige, welche einstauf dem Steinkranz ruhten, sind verdorrt und abgehauen,während in ihrem grünen Wipfel noch heute die Sommer-winde spielen. Eines Tages stand ich unter ihr, und indem Rauschen der Blätterkrone über meinem Haupte ver-nahm ich die Geisterstimme der Blutzeugen des Jahres 1525.„Nicht sind wir vergebens gestorben," so rauschte undflüsterte sie,„denn eine bessere Zeit haben wir herauf-geführt, trotz allem. Uns hat die Mordaxt gefällt, aberder Saft der Freiheit quillt noch lebendig in Stammund Zweigen des deutschen Volkes."Sittlichkeit.Von Anna Julia Wolff.„Ach, gnädige Frau, haben Sie doch Mitleid, dasElend bei uns ist ja so groß!"„Das ist ja recht betrübend, aber schließlich kann mandoch nicht jedem Menschen helfen."„Gewiß nicht, gnädige Frau, ich dachte bloß, weil ichIhnen doch sieben Jahre treu gedient habe!"„Dafür sind Sie anständig bezahlt worden und habengute und angenehme Tage genossen."„Es ist wahr, das habe ich,''nd ich denke ja auchgern an die schöne, sorglose Zeit zurück."„Warum sind Sie nicht geblieben?"„Warum?" Die bleiche, verhärmte Frau sah mitgrenzenlosem Erstaunen auf ihre.hemalige Brotherrin.„Warum? Ja, man will doch auch mal heiraten, mansehnt sich doch auch nach einem eigenen Heim."„Und nach einer Herde Kinder, die man nicht ernährenkann, darauf läuft's ja schließlich doch nur hinaus!"In den trüben Augen der unglücklichen Frau standenschwere Tränen, und mit weher Stimme kam es vonihren Lippen:„Das ist ja eben das Furchtbare, daß man zusehenmuß, wie die Unschuldigen leiden,— ohne ihnen helfenzu können!"„Marie!" Die elegante Frau maß ihr Gegenüber mitstrengen, herrischen Blicken.„Ist es Ihnen und IhremManne nie zum Bewußtsein gekommen, daß Sie eigentlichein Verbrechen an Ihren Kindern begehen?"In den Augen der Armen flammte es auf, doch siebezwang sich und fuhr mit müder Stimme fort:„Ein Verbrechen?! Ich weiß nicht, wie Sie dasmeinen, gnädige Frau. Es ist ja so traurig, daß wirim Elend stecken, aber wir können doch nichts dafür!"„Ach so! Ihr könnt nichts dafür, daß ihr in ftevel-hastem Leichtsinn sechs Kinder in die Welt setzt, ohne fürsie Brot schaffen zu können!"„Gnädige Frau!"„Das ist ja eben das Unsittliche und Verwerfliche beieuch kleinen Leuten! Gedankenlos wie das Vieh ftöntihr nur euren Lüsten und fragt nicht: was soll darauswerden? Wenn dann das Unglück da ist, wenn ihr krankund verbraucht seid, dann sind die reichen Leute gut genug,eure Kinder zu ernähren!"„Wir haben uns doch so lieb." Wie ein Hauch kames von den Lippen des gequälten Weibes.„Das ist auch eine Logik und Entschuldigung! Aberich will Sie nicht länger plagen, hier haben Sie fünfMark, Marie, nun beherzigen Sie meine Worte undkommen Sie endlich einmal zur Vernunft."„Ich danke Ihnen, gnädige Frau!" sagte die Armemit verhaltener Bitterkeit. Nur der Gedanke an ihreKinder hielt sie davon ab, der andern das Almosen vordie Füße zu werfen.Kurze Zeit, nachdem sie gegangen war, trat der Gemahlder sittlich entrüsteten Dame ins Zimmer.„Nun, Maus,— noch nicht bei der Toilette?"„Nein, Fritz, ich gehe nicht mit zu Eschenheimers."„Du gehst nicht mit, ja, warum denn nicht, Schatz?"Die junge Frau hatte sich von der Chaiselongue er-hoben und stand mit fast feindseligen Blicken dem Gattengegenüber.„Es ist wieder einmal so weit mit mir, Fritz."„Was ist mit dir, Wera?"„Ich sehe einem sogenannten freudigen Ereignis ent-gegen."„Ach nein!"„Ach ja, mein Lieber, da wären wir wieder einmalangelangt."„Das ist fatal."„Fatal? findest du? Es heißt doch, es sei ein Segendes Himmels? Aber im Ernst, Fritz: aus der Sachewird nichts, hörst du: Ich will es nicht, und es darfnicht sein!"„Nun, dagegen läßt sich doch nichts machen!"„Meinst du? Ich will dir etwas sagen, Fritz. Zwei-mal habe ich diese Quälerei durchgemacht; fast ein Jahrlang habe ich mich von allem Frohsinn und allen Ver-gnügungen ferngehalten. Aber ehe ich diese Plage nocheinmal durchkoste, noch dazu in diesem Winter, wo füruns so viel auf dem Spiele steht, eher werfe ich allesbeiseite und mache ein Ende."„Ja, was ist aber da zu tun?"„Fritz!" Wie ein Kätzchen schmiegte sich das geschmeidigeWeib an den Gatten.„Du wirst heute abend bei Eschen-heimers mit dem Sanitätsrat sprechen, gelt?"„Aber Wera, um Gottes willen, das ist doch nichtmöglich!"„Warum ist es nicht möglich? Muß ich dich erst nochdaran erinnern, daß der Minister versprochen hat, indiesem Winter unfern Jour mit seiner Gegenwart zubeehren? Der„Kommerzienrat" ist dir sicher, wenn iches verstehe, Exzellenz zu gefallen. Nun, mein Lieber,wirst du mit dem Sanitätsrat sprechen?"Herr Fritz kaute nachdenklich und nervös an seinemSchnurrbart, dann sagte er rasch und entschlossen:„Gut,ich werde mit ihm sprechen."__«erantwortUch für die Redaktion; Fr. Klara Zetkin(Zundel), WilhelmthSh»Post Degerloch bei Stuttgart.Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart.