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Du willst es wissen?...
Du willst es wissen, wer ich bin?... O kind, gib acht: Bebannt in öde Kerkersnacht hinein Bin ich, ein Vogel, mit der Schwingen Macht. Jch fehne mich nach der Gestirne pracht Und leide hier gefesselt bittre pein.
blondes Kind, gib acht.
Von Blumen träum' ich, die gepaart im Wald Jm Schatten tausendjähr'ger Bäume blühn, Don Wüsten, wo der Liebeslaut erschallt Der wilden Tiere aus dem Hinterhalt; Jch träume von der Sonne heißem Glühn Und von des Sturms Servalt.
und manchmal drängt die Wut fich kühn ans Licht, Verwünschend, bebend, mein' ich bitterlich,
Doch lachend geht die Welt und hört mich nicht. Dem Vogel gleich, der für die Freiheit ficht, Stoß an den Eisen meine Flügel ich, Doch hört die Welt mich nicht!
Wer löst sie mir, die harten feffeln hier, Wer gibt mir Licht und Unermeßlichkeit, Wer öffnet mir die fest verschloff'ne Tür?... Jch muß dahin ziehn können für und für Und such' im Rausche sonn'ger Seligkeit Tod oder Freiheit mir.
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Die Gleichbeit
Nr. 22
Was ist das, du Närrchen?" fragte die Birke. das kleine Ding doch gern." Und sie streichelte es " Ja," bekräftigte die Tanne,„ die Erde singt, und freundlich. ich höre ihr zu. In der Nacht friert es jezt schon, und Die fleine Tanne hörte nur mit halbem Ohr zu; sie der Raubfrost liegt wie eine feine weiße Decke über der hatte keinen Augenblick zu verlieren, denn es trieb sie Erbe, und wenn dann die liebe Sonne fommt und so mächtig hinauf, dem Stern entgegen. Nach und nach heiß scheint, daß einem ganz mohlig wird und man sich gewöhnten die Nachbarn sich an ihr verändertes Wesen, nach ihr reckt und streckt, dann schwindet der Raubfrost selten nur stach die alte Kiefer mit spizen Worten nach und dann höre ich ein liebliches Klingen in dem schwarz- ihr, und die gute Birte wurde es müde, immer zu er blauen Geftein, bisweilen leifer, bisweilen lauter; je mahnen und zu warnen:" Du gehst zu weit, halte Maß, fälter es aber in der Nacht war, desto fräftiger höre verachte dein Los nicht." ich den Gesang. Das ist das Lied der Erde an die Sonne."
" Hm," meinte zweifelnd die Birke, ich bin so alt und stehe hier schon so lange, aber davon weiß ich nichts. Doch mag es wahr sein. Wenn du morgen das Lied wieder hörst, dann mache mir ein Zeichen."
" Ja, das will ich," versprach das Bäumchen, aber du darfst dich dann nicht bewegen, nicht einmal Herzflopfen darfst du haben."
Die Birke lächelte vor sich hin.
" Am schönsten ist es aber doch, die Menschen hier auf der Bant zu sehen und sprechen zu hören," begann die Tanne noch einmal; ein alter Mann mit weißem Bart flettert oft herauf, stüßt die Hände auf den Stock und sieht lange, lange in die Weite, während ein kleiner Hund zu seinen Füßen liegt und mit den Augen blinzelt. Dann kommt auch eine alte Frau, die sich auf der Bank ausruht und den Staub vom Saume ihres verschossenen Kleides ängstlich abschüttelt. Vor einigen Tagen famen auch zwei junge Menschenfinder, die hielten einander bei der Hand und ließen sich erst los, als sie sich auf die Bant setzten, er an das eine Ende, sie ans andere. So saßen sie lange und sprachen kein Wort., Die drei Jahre gehen auch herum, sagte er endlich,, dann bin ich wieder da; und er brach von jener Eiche dort einen Zweig ab, den reichte er ihr, und sie nahm ihn und hielt ihn so sonderbar fest. Dann gingen sie wieder. Weißt du nicht, Birke, was aus den beiden geworden ist?"
" Nein," antwortete die Nachbarin, aber sie werden schon wiederkommen, mir ist nicht bang."
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Das tue ich nicht, wirklich nicht," verteidigte sich dann befümmert die Tanne, aber der Stern liegt mir im Sinn und deshalb spute ich mich, groß zu werden und ihm entgegenzuwachsen."
Und sie wuchs und dehnte fich fraftvoll aus. So sehr durchdrang und beseelte die Sehnsucht ihr ganzes Gein, daß selbst die Zweige fich nach oben bogen, als ob das Licht sie hiranzöge. Der Herztrieb stand traftvoll und aufrecht, und die Knospen fünftiger Zweige bildeten eine kleine Krone auf seiner Spize. Nach drei Jahren war sie weit über die Bank hinausgewachsen, und als die beiden jungen Menschenfinder wiederfamen, da war der Baum ebenso groß wie sie.
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Wie ist der Baum gewachsen!" rief der Jüngling erstaunt.
" Nächstes Jahr wird er uns die Aussicht nehmen," meinte das Mädchen.
Da sprang er von der Bank auf, faßte den Baum mit starker Hand und brach ihm das Herz aus.
Die Tanne ächzte und stöhnte, das Jungfräulein sprang erschreckt auf, und der Mann stand da und sah den verstümmelten Baum an, und es ging wie reuiges Mitleid über sein männliches Antlitz.
Lange fränkelte die Tanne; Blutstropfen und Tränen rannen an ihrem Stamme herunter, und sie wünschte sich den Tod. Die Birke tröstete sie, so gut sie nur fonnte: Faffe Mut! Wenn du auch nicht wieder in die Höhe wächst, so wirst du in die Breite gehen, und dein Stamm wird stark und holzreich werden, du erfreuſt dich wieder an dem Duft des Thymian, an den Blüten und Beeren und hörft zu, wenn Frau Sonne auf der großen Erdenharfe spielt."
Es war eine steile Straße, die am Fuße des Schieferberges stracks hinanstieg; erst auf halber Höhe wurde es besser: da zog sich der Weg an der dünn bewaldeten Berglehne hin, rechts ein lückenhafter Tannensaum, durch den die Böschung von schwarzblauem Schiefer hindurchschimmerte, links ein leichtes Geländer, über das man in ein enges Tal hinabsah, auf dessen schmaler grüner Die kleine Tanne war still geworden; sie konnte den Sohle ein kleiner Wasserlauf wie ein Silberfaden glänzte. Gedanken an die beiden nicht los werden. Und als der Wer aufmerksam genug war, entdeckte zur Rechten zwischen Abend fam, da ging sie nicht mit der Sonne zur Ruhe, Liebe, gute Birke," erwiderte die Tanne wehmütig, den Tannen am Wegrand einen schmalen, versteckten sondern sah den letzten Strahl verglimmen und das„ fieh mich doch an! Bis in den kleinsten Zweig hinein Pfad, der in kurzer Windung zu einer höher gelegenen Abendrot am Himmel verblassen, sie schlief nicht ein. ist mir die Sehnsucht nach dem Stern gedrungen.... Baumgruppe mit buschigem Unterholz führte, in dessen Als sie so stand und nach oben schaute, da sah sie hoch Streben nicht alle meine Afte nach oben? Nun soll ich Schatten eine roh gezimmerte Bank stand. Von hier über sich an der blauen Himmelsdecke ein glänzendes sie wieder nach unten biegen, der dunklen Erde zu, soll hatte man eine herrliche Aussicht über bewaldete Höhen, Licht, das kam ihr vor wie ein leuchtendes Auge. Es meinen Stern vergessen? Nein, das kann ich nicht. Ein grüne Wiesen und fruchtbare Felder in die weite lachende funkelte und strahlte und gliberte und schien sie gerade- Leben ohne Licht: das ist der Tod." Welt hinein bis zu dem fernen Höhenzuge, der sich im aus anzusehen. Der kleinen Tanne wurde ganz eigen„ Was hast du denn nun eigentlich von deinem Stern Blauen verlor. zumute, sie vergaß alles ringsum und sich selbst und gehabt?" Mit dieser Frage mischte sich jezt die Kiefer sah wie verzaubert nur nach dem glänzenden Auge, bis ein.„ Was hast du erreicht? Ist er etwa herunterder nächtliche Himmel im Osten verblaßte, rote Streifen gekommen und hat dich beschützt? Oder hat er dich als Boten der Sonne erschienen und der Morgenwind hinaufgezogen? Ich dächte doch, jetzt müßteft du geheilt die funkelnden Himmelslichter ausblies.... Traumver loren stand die kleine Tanne da, bis das Haar der Birke sie berührte. Da sah sie ernst zu ihr auf und fragte: Hast du gestern abend das große strahlende Licht am Himmel gesehen? Sage mir, was ist das?"
Vor der Bank stand eine kleine Tanne; sie hatte erst drei kurze Zweige und konnte noch nicht über die Pechnelfen hinwegsehen, die ringsum geblüht hatten und nun dürr und braun dastanden, aber das runde fleine Ding hatte einen so fräftigen Mitteltrieb, daß die anmutige Birke, die in der Nähe wuchs, zu ihrer Nachbarin, der großen alten Kiefer, bemerkte:" Gib acht, Nachbarin, aus der Kleinen wird was, der Herztrieb ist gut."
" Ja ja, ich sehe es," entgegnete bedächtig die Kiefer, die Krone ist gesund,- und das ist die Hauptsache; aber ich meine doch, das Dingelchen sieht recht zart aus. Wenn es nur nicht einen innerlichen Fehler hat!"
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Ich hab's gar nicht eilig, groß zu werden," lachte die kleine Tanne dazwischen, es gefällt mir gerade so, wie es ist. Im Winter deckt das fallende Laub mich zu und im Sommer beschatten mich eure Zweige. übrigens bin ich in diesem Jahre schon so gewachsen, daß ich die Bechnelfen fast eingeholt habe."
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Das ist was Rechtes," ficherte ein Haselnusstrauch, ,, da kannst du stolz sein!"
„ Das ist ein Stern," sagte die Birke.
„ Ein Stern? O, wie herrlich ist ein Stern! Ich wollte, er käme heute abend wieder und sähe zu mir herunter."
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fein und vernünftiger denken. Du hast ja gesehen, daß nichts dabei herauskommt. Im Gegenteil. Wäreft du nicht wild emporgeschossen, dann wäre dein überschlanker Stamm nicht gebrochen. Du selbst bist an deinem Schicksal schuld. Übrigens glaube mir: der Stern ist so hoch über dir, daß es einfach Narrheit ist, zu ihm emporzustreben."
Da war's, als ob eine Windsbraut durch die Tanne fuhr; ihre Kraft schwoll wie eine Meereswoge, stolz und „ Das wird er schon," tröstete die Birke, er wird fest richteten rings um den verstümmelten Stamm die heute und noch manchen anderen Abend wiederkommen." Zweige sich auf; eine kurze Weile stand sie still, als Die Tanne verbrachte sinnend den Tag. Gegen Abend schöpfe sie tief, tief Atem, dann rief sie zornig:„ Und recte und streckte sie sich, um den Stern fommen zu doch! Ich strebe weiter zu meinem Stern empor! Der sehen, und wirklich: da stand er am Himmel, groß Schlag hat mir den Stamm, aber nicht den Mut geund flar, und fah sie an. Das Bäumchen meinte, es brochen: ich tomme doch ans Ziel!" Sie rief es so laut, müsse stracks hinaufwachsen, so fühlte es die Sehnsucht daß die Kiefer sich getränkt zu der Birke wandte und in sich schwellen, aber am anderen Morgen war es noch bemerkte:„ Es ist einmal nicht richtig mit ihr, man muß " Ich fürchte, wenn ich so groß werde wie ihr," fuhr so flein wie vorher, und der Stern verschwand. Da Geduld haben." Die Tanne aber recte und streďte sich, das Bäumchen unbeirrt fort, dann bin ich nicht mehr faßte die Tanne der Wunsch, zu wachsen und dem Sterne und der jüngste kleine Seitentrieb richtete sich auf und dabei, wenn der Thymian duftet und die Immortellen näher zu kommen: sie wurde still und in sich gefehrt, so blühen und der gelbe Steinklee freundlich nicht, dann daß es ihren Nachbarinnen bald auffiel. sehe ich auch nicht mehr, wie die fleißigen Bienen Honig Warum bist du so schweigsam, Kleine?" fragte die schaufeln. Wißt ihr Alten noch, wie der Thymian duftet, freundliche Birke. oder seid ihr zu groß dazu? Und nach der Blüte die Beerenzeit! Ich habe blaue und rote und schwarze Beeren gesehen und weiß faum, was schöner ist: wenn die Blüte sich öffnet oder wenn die Früchte sich runden und färben. Freut ihr Großen euch auch noch über die Beeren?"
„ Das ist wirklich ein findliches Geschwäß," gähnte die Kiefer und wandte sich ab, aber man fann ja nicht mehr verlangen!" Die Birke dagegen streckte einen zarten Arm, so tief sie konnte, zu der fleinen Schwägerin hinunter und liebkoste sie.
" Ich will dir auch noch etwas sagen, liebe Birke," flüsterte die Tanne, aber auch nur dir... Weißt du: ich höre auch die Erde fingen."
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*„ Aus Wald und Flur", Märchen für sinnige Leute. Stutt gart, Rothsche Berlagsbuchhandlung. Das Bändchen feinsinniger, gemütstiefer Märchen sei wärmstens empfohlen.
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,, Ach, ich habe so viel zu denken, daß ich nicht sprechen kann," meinte die Tanne, und dann nehme ich alle Kraft zusammen, um zu wachsen."
bog sich nach der Mitte zu, wo die Krone fehlte, und wuchs an Stelle des Herztriebes stolz und frei in die Lüfte, und die Zweige alle folgten der Führung und wiesen grüßend mit der Spitze nach oben.
Die jungen Menschenkinder sah die Tanne nicht mehr Hand in Hand. Nach zehn Jahren kam der Mann allein, setzte sich auf die Bank und betrachtete lange den Da hast du ja deinen Sinn recht geändert," be- schlanken, hochgewachsenen Baum, dem er einst das Herz merkte die alte Kiefer trocken, früher ducktest du dich ausgebrochen hatte. Dann legte er in trübem Sinnen am liebsten in dein behagliches Nest."
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die Hand auf die längst vernarbte Wunde und ließ die " Ja, das tat ich," bekannte das Bäumchen, aber seit Finger sanft über die Biegung des Seitenzweiges gleiten, ich den Stern gesehen, ist alles anders. Nun will ich der die Führung übernommen hatte. Aber plötzlich hob groß werden, um ihn zu erreichen." er den Kopf, richtete sich straff auf und stieß den Stock Den Stern?" rief die Kiefer, ich glaube, du bist fest auf die Erde. Und doch strebft du mutig hinan!" verschroben. Aber habe ich's nicht immer gesagt," mit rief er in den Wald hinein. diesen Worten wandte sie sich triumphierend zu der Birke, Und doch!" , daß das fleine Ding innerlich nicht gesund ist? Nun höre doch: den Stern will es erreichen!"
„ Sei doch nicht so hart," meinte tadelnd die Birke, das Bäumchen weiß noch nichts vom Leben, es redet, wie es flug ist. Mit Hohn besserst du nichts. Ich habe
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