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Die Gleichheit

Der Genius der Taten.

Bon J. Gottlieb Fichte.

Silvestergespenster.

Bon Otto Krille.

Als jung ich noch war, stand ich im Kampf Und ließ die Liebe weinen.

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unterwarf er alles, selbst die Liebe. Klar und deuts, verlegen um Einwände, Trümpfe und Antithefen. Michae lich lebte der Tag noch in seiner Erinnerung, der ihn horchte bald auf und fand Gefallen an seiner Art. Als von diesem allgemeinen Rechte des Armsten trennte. Es schließlich alle übrigen auf ihn eindrangen, da schlug er Sabt ihr den goldenen Flügel des Genius je rauschen war ein flarer, fternenvoller Winterabend wie dieser, als mit der Faust auf den Tisch und rief:" Ihr seid zu gehört, nicht dessen, der zu Gesängen, sondern deffen, er Abschied nahm ven dem Mädchen, dem die Glut und alt!" Und es flang wie eine ernste überzeugte Behaup­der zu Taten begeistert? Sabt ihr je ein fräftiges: 3ch 8ärtlichkeit seines jungen Herzens entgegenflammte. Mit tung. Michael stußte." Jawohl, zu alt seid ihr alle! will" eurer Seele zugeherrscht und das Resultat des- ihr zu kämpfen, sie mit seinen Idealen und Zielen zu Wer nicht an jedem Tag Neujahr feiert, wird alt. selben trotz aller finnlichen Reizungen, trotz aller Sinder- erfüllen, ihr das Herz warm zu machen mit dem Feuer, Innerlich natürlich! Herz und Geist wird alt! Ihr nisse nach jahrelangem Kampfe hingestellt und gesagt: das in jenen Tagen seine Seele erleuchtete, das war hängt euch an das, was war, das ist euer Besiz; aber Sier ist es!"? Fühlt ihr euch fähig, dem Despoten ihm damals als das Höchste erschienen. Gemeinsam mit dem neuen Tag seid ihr feindlich gesinnt, weil er euch ins Angesicht zu sagen: Töten kannst du mich, aber nicht einem Weibe, das Verstand und Gemüt gleichermaßen weh tut! An jedem Tage neu sich zu erproben, jedem meinen Entschluß ändern!"? Sabt ihr?- Könnet ihr das begeistern konnte, den Weg zurückzulegen, den er sich Tage goldene Früchte entreißen, das nenne ich jung nicht, so weichet von dieser Stätte, sie ist für euch beilig. gewählt, der Gedanke machte ihn trunken. Aus sein. Nicht fragen, was sein tönnte, nicht grübeln und solchen Träumen hatte ihn ein Brief gerissen, der ihn mit dem Schicksal schmollen, sondern mit ihm ringen vor die Wahl stellte, entweder auf Gertrud zu verzichten, und zu jeder Stunde sprechen: Ich lasse dich nicht, du ober seine politische Tätigkeit aufzugeben. Das war die segnest mich denn! Ja, zum Teufel, den möchte ich sehen, erste Probe seines Jdealismus und auch die schwerste. der da nicht etwas von dem em'gen Licht davontrüge, In langen schlaflosen Nächten hatte er sie überstanden, das die graue, Ode durchdringt, die manchmal kommt. und als der Abend kam, an dem ihm Gertrud das letzte Gelt, Herr Werner! Sie wissen's, Sie sind ja eigentlich Wiedersehen gewährt hatte, glich sein Antlitz dem frisch der Jüngste, wenn's darauf ankommt!" gefallenen Schnee, der ihm wie ein Totenlafen entgegen Michael errötete leicht. War er nicht eben ein Greis grinste. Nur wenige Worte wechselten beide. Gertrud gewesen, der sich in müder Resignation vom Kampfplas weinte still und Michael fürchtete, beim Gespräch die zurückziehen wollte? Und mußte durch diesen Jüngling mühsam errungene Selbstbeherrschung zu verlieren. Als belehrt werden! Wenn's darauf ankommt? Und jegt er dann zum letztenmal die kleine weiche Hand in der tam es darauf an. Ja, jung sein, jung bleiben an Herz seinen hielt, empfand er feinen Schmerz mehr. Es war und Geift, das war alles, das war das große Geheimnis ihm nur, als sei etwas vereist in ihm, eingeschneit wie des Lebens, über das sich viele Gelehrte die Röpfe zer­der Glanz der begrabenen Natur. Die Rechte zur Faust brochen hatten, weil sie es außer sich und nicht in sich geballt, irrte er ziellos in der Nacht umher. Er fühlte gesucht hatten. Weggeblasen war das Heer der Silvester­noch die Wärme von Gertruds Hand, drum hielt er die gespenster, eine drängende herzliche Heiterkeit stieg in seine fest geschlossen, als wollte er die letzte Glut für ihm auf. sein Leben bewahren und sich ewig daran erwärmen. Draußen fingen die Silvestergloden an zu läuter. Dann kam der Hader der Politit, in den er sich um Auf den Tisch wurde eine dampfende Bowlenschale ge­so lieber stürzte, als er bemerkte, daß er seines Herzens stellt. Man gratulierte sich und drängte Michael, eine Stimme damit zum scheinbaren Schweigen bringen furze Rede zu halten. Als er so die fröhlichen Gesichter fonnte. um sich sah und daraus die Liebe blizen, da ward es ihm sonnenklar: Nicht umsonst ist dein Schaffen. Und wenn es nur in einem Herzen die Flamme der Liebe angezündet hätte, dann wäre es föstlich belohnt. Jung bleiben, jung sein! Und gerührt stand er auf und sprach fest und stark:

edai D Tage voll Braus und Waffenglanz

Wenn die Sonnen des Mutes scheinen! Wie ein Adler strebte der stolze Sinn Und das Glück, es lachte dem Kühnen! Nun will meines Speeres dürrer Schaft Nicht mehr von Zaten grünen!

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Michael Werner hielt inne, schwer sank die Hand mit der Feder auf den Schreibtisch. Das war ja wie ein Abschluß! Und sollte es nicht auch ein Schluß­punkt werden hinter ein 45 jähriges Leben raftlosen Rampfes um ein Ziel, das eigentlich weit abgerückt war von seinen persönlichen Interessen?

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Aus den Briefen und Photographien, in denen Michaels Hand wühlte, stieg ein fader, welfer Geruch, etwas von der Atmosphäre, die um zerblätterte Totenfränze weht. Mit ihm famen die Gespenster der Vergangenheit und zerrten an den Schleiern, die über wehmütigen Erinnes rungen lagen. Da sprang Michael auf. Hinaus! Fort! Bur Trösterin Mutter Natur.

Die dumpfe, müde Resignation, welche über ihn ge­tommen war, hatte Michaels Blick verschleiert, so daß er die Strophen auf dem Papier wie durch trübes Glas sah, entfernt und verschwommen. So lag auch gleichsam sein ganzes Leben vor seinem Geiste, ein nebelumflortes Land, tot in der Distanz der Vergangenheit. Es fam nur noch darauf an, mit der letzten Kraft, die ihm von dem einst schier unerschöpflichen Fonds geistiger Energie geblieben war, zwischen gestern und heute eine tiefe Furche zu ziehen, über die es kein Zurüd gibt. 25 Jahre hatte er im Vordertreffen des politischen Streites geftan­den und seine ganze Persönlichkeit eingesetzt für die Fordes Als er aus der Haustür trat, faßte ihn ein eisig kalter rungen der Arbeiterklasse. Vorwärts, von Erfolg zu Windstoß. Das erfrischte und rief ihn zur Gegenwart Erfolg war die Bewegung geschritten, er selbst war immer zurück. Der Sturm sang sein ewiges Heldenlied durch die ärmer geworden. Ein reiches Wissen, ein geschulter Gassen und rief ein Dichterwort in ihm wach: Sei du! politischer Verstand und ein Name, von Freund und Sei du!" Das elektrische Licht der großen Straßen tat seinen Feind beachtet, war alles, was er errungen hatte, viel Augen weh und er wählte die engen, dunklen Gaffen, für den Ehrgeiz des Politikers, aber wenig zur seelischen wo ihn niemand beachtete, wenn er, das Geficht mit dem Befriedigung. Er hatte sein Leben an den Bau eines stolzen, äußerlich prächtigen Gebäudes gesetzt, aber den inneren Ausbau vergessen. Wer daran vorüberging, bewunderte es, rühmte seine Architektur und die kühne Geschlossenheit der Anlage, aber drinnen wohnte zwischen fahlen Wänden und unbelebten Hallen fröftelnde Ein­famfeit.

Mantelkragen verhüllt, an den niedrigen Häusern dahin­ging. Aus den kleinen Fenstern blitzte hier und da ein brennender Weihnachtsbaum auf. Dazwischen kam wieder eine Mietstaserne, deren trostloses Aussehen die Nacht nur schlecht verhüllte. Hinter weißen Gardinen, deren banale Arabesten das trübe Lampenlicht halb aufsaugten, huschten Schatten an den Fenstern vorüber. Zuweilen Je mehr der Verstand sich dagegen wehrte, um so brang auch ein Gläserklang an das Ohr des einsamen stärker flang in Michaels Herzen eine Stimme, die ihm Wanderers. Silvesterfreude! Da wohnte das Volt, sagte, daß er sein persönliches Glück einer Fata Morgana deffen Name gleichsam sein Panier in den Kämpfen ge­geopfert habe. Wofür hatte er seine besten und fraft- wesen war, das Volt, ein Begriff, weder gut noch böse, voll schönsten Jahre des Lebens hingegeben? Für den ein roher Marmorblock, der zur mächtigen Statue wer­Fortschritt? ein blutleerer Begriff, an welchem er sich den konnte, wenn die Arbeiter nicht lässig wurden, ein nicht erwärmen fonnte; oder für die Idee der Gerechtig Jungbrunnen, aus dem die Kraft geschöpft werden konnte, feit, die vielleicht in 100 Jahren ihr Gesicht gewechselt die die Kultur gesund erhält. Hier, wo noch Ursprüng haben würde, oder für die Masse, die von seinem ein- lichkeit, natürlicher Instinkt und rein menschliche Leiden ſamen Ringen nichts wußte, es niemals verstehen lernen schaften zu finden sind, hier kannst du genesen, raunte würde? Was tief in seiner Seele wie windverwehter es Michael zu. Feierte man nicht auch in den ärm Kinderschrei nach reiner innerlicher Freude rief, war lichen Stuben das neue Jahr, obwohl es schwerlich viel bisher übertönt worden vom politischen Kampf, von heller als das alte zu werden versprach. In wie viel dem harten, schrillen Klang des Streites. Unbeachtet, Hütten würde es überhaupt so viel Freude bringen, daß unterdrückt von der Stunde, war es allmählich über sich der helle Jubel lohnte, der ihm entgegenschallte? mächtig geworden. Der finnende Mann fühlte es, daß Und doch da Gesang und dort Gläserschall? War es es jetzt nicht mehr zum Verstummen gebracht werden wirklich nur sinnlose Luftigkeit, die jede Gelegenheit er fonnte. Halb unwillig zerbrückte die kräftige Faust griff, um dem grauen Dasein ein bischen Flittergold den feuchten Glanz, der verräterisch in den Augen auf- anzuhängen? Oder war es Kampfesfreudigkeit, die da stieg. Ach, die schwersten Stunden im Menschenleben sprach: Mag kommen was da will, mögen Freuden und sind nicht die, in denen die Wogen des Kampfes, die Leiden sich einstellen! Hier ist Kraft, hier ist Mut. Hier Sturzwellen des Schicksals über uns zusammenschlagen ist Zuversicht, alles zu überwinden!

und alle Kräfte des Körpers und der Seele zum ver- Gerade als Michael an einem Restaurant vorüber­zweifelten Widerstande aufrufen, sondern jene müden, von ging ward die Tür geöffnet. Ein Lichtstrahl fiel auf Haß und Liebe leeren, in denen es wie hoffnungslose die Straße, daß er stehen blieb. Windstille über uns liegt. Die Flucht erschien dem ver Es war ein Lokal, worin Gesinnungsgenossen ver grämten Manne als der einzige Ausweg aus diesem tehrten. Die vorderen Räume waren wenig erleuchtet, Widerstreit der Gedanken. Abseits treten, geräuschlos aber aus dem Hintergrunde kam eine Flut von Licht die Arena verlassen und fernab vom heftigsten Strom und ein Bild von fröhlichen Gefichtern. Rasch entschloffen der Welt ben süßen Frieden eines verborgenen Daseins trat Michael ein. Als man ihn bemerkte, erhoben sich die Gäste und einige tamen ihm entgegen und schüttelten Glanzvolle Bilder der Jugend tauchten vor Michaels ihm derb die Hand, in den Augen ehrliche Freude über geistigem Blicke auf. Mit dem rücksichtslosen Ungestüm sein Kommen. Dieser ungeheuchelte Empfang löfte eine der steigenden Kraft hatte er sich in den politischen Streit innere Wärme bei Michael aus. Das durch seinen Ein geworfen. Und der erste Erfolg hatte seinen Enthusias tritt ein wenig ins Stocken gekommene Gespräch war mus zu dem Gelöbnis gesteigert, dieses Feld der öffent- bald wieder in Fluß. Besonders ein jüngerer Genosse lichen Tätigkeit nicht mehr zu verlassen. Diesem Willen erhitzte sich bald im Streit der Meinungen und war nie|

suchen...!

Es lebe die Jugend bei den Alten und den Jungen!" Dann ergriff er sein Glas, recte sich und trant dem neuen Jahre zu.

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Lasciate ogni speranza.

Bon Leopold Jacoby . Als die jenseitlose Welt, 1 Die Welt des heitern Genießens In Trümmer sant, schuldbeladen, Wurmzerfressen von Stlaverei, Da brach für die Menschen an Ein träumendes, erdenberaubtes Dasein. Hoffnungssklaven des Himmels quälten sie sich Freudenenterbt und heimatlos

In irdischem Fluch, in irdischem Elend. Wie ein Lottospieler

Harret auf des Glückes Los,- Ausgesogen durch Hoffnung, Entzogen wird ihm durch Hoffen,

Macht und Stärke von Hand und Hirn,- So flammerten sich an Hoffnung an Die Menschenkinder

Und lebten den Tod und starben ihr Leben.

Da ein Dichter der Zeit

Auf die Hallen des Schreckens schrieb:

Die ihr eintretet, gebet die Hoffnung auf! Grauenvoll Klang das Wort

In die angsterbebenden, hoffenden Herzen. Kommen seh' ich ein neu Geschlecht pin Lebensfreudiger Menschen,

Wissend, daß sie müssen erzeugen, Wissend, was sie müssen vollenden. til Ausgeträumt ist der öde Traum, Umgestürzt der Moloch des Hoffens; Da quillt aus eigner Kraft dem Menschen Ungeahnte Segensfülle

sim

Und ein Leben in Schönheit auf Erden.

Kommen seh' ich ein neu Geschlecht,

Und, wie die Griechen einst,

Auf Weisheitshallen schreibt es die Worte auf: Renne dich selbst! Das ist:

Mach dich von Hoffnung frei! Freudig tönt das Wort

in den erwachten Herzen wieder. Hoffnungslos, vollbewußt

Der Mensch, der Berächter blinden Glücks, Ein Gebieter des Schicksals.

Birket dereinst am Weltenlauf

1 Gemeint ist die griechische Welt. Dante , in seiner Göttlichen Komödie ".

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Boft Degerloch bet Stuttgart .

Druck und Berlag von Baul Singer in Stuttgart .

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