Beilage zur Gleichheit Nr. 17 Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit vom August 1907 bis Ende Juli 1908. Kongresse und Konserenzen. Das letzte Geschäftsjahr hat sich durch wichtige Kongresse Und Konferenzen ausgezeichnet, welche der Betätigung der Genossinnen mancherlei Anregungen brachten und neue Aufgaben zuwiesen. Sie seien daher an erster Stelle erwähnt. Die Tagung der Ersten Internationalen Sozialistischen FrauenkonferenL- war unstreitig ein bedeutsames Ereignis für die�sozialistische Frauenbewegung aller Länder. Sie fand voraufgehend dem Internationalen Sozialistischen Kongreß statt und trat am 19. August 1907 in Stuttgart zusammen. Die Konferenz war ein erster Versuch, die sozialistische Frauenbewegung aller Länder zusammenzufassen und entsprechend dem einen Ziele, das sie überall erstrebt, geschloffen in Reih und Glied der großen sozialistischen Internationale zu stellen. Ob ein solcher Versuch Erfolg haben würde, war von vornherein nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die sozialistische Frauenbewegung der verschiedenen Länder stellt nämlich nicht bloß eine bunte Musterkarte verschiedener Organisations- formen dar, sondern auch verschiedener Entwicklungsstufen der prinzipiellen Klarheit und praktischen Aktionsfähigkeit. Ob trotz dieser reichen Mannigfaltigkeit des sich regenden und betätigenden Lebens die Einheitlichkeit des grundsätzlichen Erfassens unserer Aufgabe als sozialistischer.Kämpferinnen bereit? groß und fest genug gewurzelt sei, um eine dauernde Verbindung zwischen den Bewegungen der einzelnen Länder anzubahnen und damit die Voraussetzung eines einheitlichen planmäßigen Vorgehens in der Zukunft, das wai die Frage, auf welche die Stuttgarter Konserenz eine Antwort geben sollte. Die deutschen Genossinnen hatten bereits gelegentlich des Internationalen Kongresses zu London 1897 durch eine Besprechnng der weiblichen Delegierten versucht, eine gewisse Fühlung zwischen den Sozialistinnen der einzelnen Länder herbeizuführen. Doch waren die B-mühungen erfolglos geblieben. Mit Ausnahme der Beziehungen, welche sich erfteulicherweise zwischen der sozialistischen Frauenbewegung Österreichs und Deutschlands angeknüpft hatten, und oer noch sehr losen Fühlung, welche sich zwischen der letzleren und den Schwesterbewegungen in Belgien , Finn land , Holland und der Schweiz herauszubilden begannen, war die internationale Verbindung zwischen den Genossinnen der einzelnen Länder gleich Null. Als die deutschen Genossinnen, dem Wunsche ausländischer Sozialislinnen folgend, die Initiative zur Einberufung der ersten internationalen Konferenz sozialistischer Frauen ergriffen, standen sie dem Unbekannten gegenüber. Sie mußten damit rechnen, daß unter Umständen die geringe Beteiligung an der einberufenen Tagung und der Verlauf ihrer Beratungen der Konferenz einen lediglich vorbereitenden Charakter verleihen könnten. Tatsächlich herrschte fast bis zur Eröffnung der Tagung Unklarheit darüber, ob ihr Stattsinden durch ihre Bedeutung begründet sein würde. Die meisten ausländischen Delegierten meldeten sich erst kurz vor dem Zusammentritt der Konferenz an. Die erbetenen Berichte liefen auch spärlich und obendrein noch sehr spät ein, so daß nicht einmal alle übersetzt, Zusammengestellt und gedruckt werden konnten. So fehlte «m sicherer Überblick über den Umfang der Beteiligung an der Konserenz. wie über den Charakter und Stand der Organisationen, die auf ihr vertreten sein würden. Zieht Man das alles in Betracht, so muß man die Arbeit und den Ersolg der Tagung um so höher bewerten. Fünfzehn verschiedene Nationalitäten nahmen durch insgesamt 59 Dele- Verle an ihr teil, die deutschen Genossinnen waren durch 11 Delegierte vertreten; außerdem waren als Gäste Vertreterinnen des jüdischen Frauenbundes in Rußland , der Petersburger Sozialdemokratie, der organisierten Weberinnen von Lodz und eine Jndierin aus Boinbai) anwesend. Tie Erste Internationale Frauenkonserenz hat, so hoffen wir, nicht nur einen äußeren und vorübergehenden Erfolg gehabt. Sic hat die sozialistische Frauenbewegung aller Länder in einer wichtigen Frage, der der Erkämpsung des Krauenstimmrechls auf den Boden einer scharf abgegrenzten grundsätzlichen Auffassung gestellt und ihrer einschlägigen Altion feste Richtlinien gezeichnet. In diesem Sinne zu wirken war aber wichtig, ja notwendig, weil die Wahlrechts- kämpse in allen Ländern immer mehr in den Mittelpunkt des politischen Lebens rücken, und weil damit die Frage des Krauenwahlrechts zunehmende praktische Bedeutung für die sozialistischen Parteien aller Länder gewinnt. Bon großer Bedeutung für die Entwicklung der sozialistischen Frauenbewegung überall ist auch der erste Schritt, den die Konferenz zu ihrer festeren internationalen Verbindung getan hat. Pitt der regelmäßigen gegenseitigen Information wächst auch b'e Möglichkeit, in strittigen Fragen von Anfang an eine allgemeine Verständigung und damit eine Einheitlichkeit der Auffassung und Attion, wie auch wechselseitige Unterstützung herbeiführen zu können. Die Konferenz beschloß, eine Zentralstelle für den internationalen Austausch von Informationen Anzusetzen. Ihr sollen die organisierten Genossinnen aller Länder Nachrichten, Berichte usw. einsenden über den Stand ber sozialistischen Frauenbewegung in den einzelnen Ländern, 'vwie über Ereignisse, welche von Wichtigkeit für sie, wie sär die Interessen der Proletarierinnen sind. Die Zentralstelle soll diese Informationen veröffentlichen und den angeschlossenen korrespondierenden Organisationen übermitteln. Die sozialistischen Frauenorganisationen, welche sich in dieser Weise mit dem internationalen Sekretariat der Genossinnen in Verbindung setzen wollten, hatten für die einschlägigen Arbeiten eine internationale Korrespondentin zu ernennen- Als Sitz der internationalen Zentrale wurde von der Konferenz zunächst Deutschland bestimmt, und zwar hier die Redaktion der„Gleichheit", die bereits die meiste internationale Fühlung hatte, davon abgesehen, daß die„Gleichheit" als die geeignetste Stelle für die Veröffentlichung der internationalen Korrespondenzen erschien, weil sie das sozialistische Frauenblatt ist, das in den meisten Ländern von Genossinnen gelesen wird. Es ist bis jetzt gelungen, eine mehr oder minder regelmäßige Verbindung mit sozialistischen Franenorgani- sationen in folgenden Ländern herzustellen: Osterreich , Böhmen , Schweiz , Holland , Belgien , England, Finnland , Dänemark , Vereinigte Staaten von Nordamerika (Organisationen Deutsch und Englisch sprechender Genossinnen). In der„Gleichheit" lassen sich die aus den verschiedenen Ländern einlaufenden Korrespondenzen verfolgen. Die nächste internationale sozialistische Frauenkonferenz soll wieder in Anschluß an den allgemeinen Internationalen Sozialistischen Kongreß stattfinden. Die deutschen Genossinnen verfolgen die Fortschritte der sozia listischen Frauenbewegung aller Länder mit gespannter Aufmerksamkeit und größter Freude. In ganz besonderem Maße gilt das für die österreichische Schwesterbewegung, an deren Entwicklung sie den innigsten Anteil nehmen. Der ergangenen Einladung entsprechend, sich auf der letzten österreichischen Frauenkonferenz durch eine Delegierte vertreten zu lassen, leisteten sie daher freudig Folge. Sie beauftragten Genossin Zetkin mit ihrer Vertretung bei der Tagung, die in Wien zu Ostern stattfand und unstreitig dazu beigetragen hat, das Band der Schwesterlichkeit zwischen den österreichischen und deutschen Genossinnen noch fester zu knüpfen. Die Berichte in der„Gleichheit" haben ein Bild von dem Verlauf der Konferenz und der gesunden Entwicklung der sozialistischen Frauenbewegung in Osterreich gegeben. Die Wirkung der Internationalen Frauenkonferenz zeigte sich sofort auf dem so wickMen Internationalen Sozialistischen Kongresse, der am 18. August 1907 in Stuttgart eröffnet wurdet Auf seiner Tagesordnung stand ebenfalls die Frauenstimmrxchtsfrage, und es erwies sich nun, daß zu diesem Punkt die Frauenkonferenz ihm ganz erheblich vorgearbeitet hatte. Er trat ihrer grundsätzlichen und taktischen Stellungnahme durchaus bei, deren Schwergewicht in der entschiedenen Verurteilung des beschränkten Frauenwahlrechts liegt, wie in der Verpflichtung der sozialistischen Parteien aller Länder, bei Wahlrechts- kämpsen im Parlament wie außerhalb desselben mit allem Nachdruck auch für das aktive und passive Frauenwahlrecht einzutreten. Der betreffende Beschluß lautet:„Die sozialistischen Parteien aller Länder sind verpflichtet, für die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts energisch zu kämpfen. Daher sind insbesondere auch ihre Kämpfe für Temolratisierung des Wahlrechts zu den gesetzgebenden Körperschaften in Staat und Gemeinde zugunsten des Proletariats als Kämpfe für das Frauenwahlrecht zu führen, das energisch zu fordern und in der Agitation wie im Parlament mit Nachdruck zu vertreten ist." Ebenso verzeichnen wir mit Befriedigung, daß die Stellungnahme der beiden internationalen Tagungen vom besten Einfluß auf die Belebung und Kräftigung der sozialistischen Frauenstimmrechtsbewegung in manchen Ländern gewesen ist und ihr insbesondere eine energischere Unlcrstützung seitens der Genoffen gesicherl hat. So m der Schweiz , in Holland , den Ver einigten Staaten , Dänemark usw. Zu beklagen ist, daß der Beschlüsse der sozialistischen Internationale ungeachtet ein Teil der englischen Genossinen nach wie vor für ein beschränktes Frauenwahlrecht eintritt. Vermerkt sei, daß die deutschen Genossinnen zum Internationalen Sozialistischen Kongreß durch 12 Delegierte vertreten waren. Leider aberkannte die deutsche Delegation 2 Genossinnen, die aus Sachsen delegiert waren, die Mandate, weil sie die Form der Wahl nicht billigte. Jedoch ist erfreulicherweise später eine Einigung mit den Genossen zustande gekommen, die den Genossinnen der verschiedenen großen Agitationsgebiete in Zukunft auch ein Mandat für den Internationalen Kongreß sichert. Die Aufforderung der Vertrauensperson der Genossinnen, Delegierte zum Parteitag in Essen zu entsenden, fand gutes Gehör. 19 weibliche Delegierte wohnten ihm bei, die regen Anteil an den Verhandlungen nahmen. Nachdrücklichst wurde auf diesem Parteitag aufs neue betont, wie notwendig es sei, an der Aufklärung und Organisierung der Proletarierinnen zu arbeiten und sie als geschulte Streitkräfte dem Heer der Klaffenkämpfer zuzuführen. Insbesondere war es auch Genosse Bebel , der in seinem Referat in diesem Sinne mit Wärme für eine energische Unterstützung der proletarischen Frauenbewegung plädierte. In einer Resolution wurden die Genossen ausdrücklich verpflichtet, ebenso energisch wie für die übrigen Parteizeitungen auch für die„Gleichheit" eine intensive Agitation zu betreiben. Eine nicht vorgesehene außerordentliche Beratung der Genossinnen wurde durch den Erfolg ihrer Arbeit auf einem besonderen Tätigkeitsgebiete notwendig, dessen Beackerung sie noch nicht lange begonnen hatten. Erst im Jahre 1906 hatte in Nürnberg dank der Agitatton der dortigen Arbeitersekretärin, Genossin Grünberg, mit Unterstützung des Gewerkschaftskartells eine Dienstbotenbewegung eingesetzt, die einen klassenbewußten Charakter trug und zur Gründung eines Vereins führte, der sich nicht auf den Boden der Har- moniedusclei stellte, sondern, den modernen Gewerkschaften gleich, auf denjenigen des Klassenkampfes. Das Nürnberger Beispiel hatte bahnbrechend gewirkt. Es mehrten sich rasch die Städte, in denen ebenfalls klassenbewußte Dienstbotenvereine entstanden, überall waren es die Genossinnen, die den Löwenanteil der Arbeit leisteten, welche die Agitation unter den Dienstboten und ihren Zusammenschluß in Organisationen erforderte. An sehr vielen Orten wurden sie dabei in tatkräftigster Weise von den Gewerkschaftskartellen unterstützt, und überall fand ein harmonisches Zusammenarbeiten mit ihnen statt. Die Dienstbotenvereine nahmen an Mitgliedern zu und konnten mit Hülfe der Kartelle und der Genossinnen manches zur Verbesserung der Lage der Dienenden schaffen. Mit dem Wachsen der Bewegung unter dieser ganz besonders rechtlosen Arbeiterkategorie machte sich aber eine gemeinsame Aussprache derjenigen notwendig, welche die Agitation in Fluß hielten und sie fördern wollten. Fragen waren aktuell geworden, über die man einer Klärung durch eingehende Besprechung bedurfte, um zu einer Verständigung und einheitlichen Haltung zu kommen. So z. B. die Frage des Dienstverttages, die Errichtung eines eigenen Stellennachweises, die Beschaffung eines eigenen Organs für die Dienstbotenvereine, vor allem aber die Frage der Anbahnung einer Zentralisation aller klassenbewußten Dienstbotcnorga- nisationen, die von den verschiedensten Seiten dringend befürwortet wurde. Um den schwebenden Fragen näher zu treten, hatten auf dem Parteitage in Essen, wie bereits vorher schriftlich, eine Anzahl Leiterinnen ver Dienstbotenbewegung die Unterzeichnete aufgefordert, eine Konferenz der Genossinnen zur Erörterung der Dienstbotenfrage einzuberufen, an der auch die Vertreterinnen der Dienstbotenvereine teilnehmen sollten. Die Zentralvertrauensperson als zuständige Instanz kam dem Ersuchen nach. Sie berief auf den 19. November 1907 eine außerordentliche Frauenkonferenz nach Berlin ein, die von 25 Delegierten besucht war, welche an der jungen Dienstbotenbewegung hervorragenden aktiven Anteil nahmen. De» Verhandlungen wohnten außerdem eine Anzahl Gäste bei, darunter ein Vertreter deS Parteivorstandes, ein Vertreter des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine von Groß-Berlin und einige Vertreter von Gewerkschaften. Der Verlauf der Verhandlungen zeigte, wie dringend notwendig die Konferenz für die weitere Entwicklung der Disnstbolenbewegung war. Sie hat denn auch diese in durchaus günstiger Weise beeinflußt. Die Berichte aus den verschiedenen Gegenden Deutschlands ließen klar zutage treten, daß die Dienstbotenbewegung nur dort Aussicht auf Erfolg verspricht, wo die allgemeine sozialistische Bewegung bereits eine bestimmte Höhe erreicht hat und die sozialistische Frauenbewegung in geschulten Genossinnen die systematisch sich betätigenden Kräfte für die nötige agitatorische und organisatorische Arbeit stellt. Allseitig wurde der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die SteKenvermittlung von der Dienstbotsnorganisatio» selbst in die Hand genommen werden müsse, sie erweise sich dann als das Rückgrat der Bewegung.'Auch die Bedeutung des Dienstvertrags wurde anerkannt. Er fand seine Würdigung zunächst als wirksames Agitalionsmiitel, das geeignet sei, der Organisation zahlreiche Anhängerinnen zu gewinnen. Des weiteren wurde aber auch seine Bedeutung als Mittel anerkannt, die Gesindeordnung auszuschalten und die Lage der Dienenden zu heben. Der Stand der Dienstbotenbewegung drängt bereits nach einheitlichem Zusammenschluß, drängt zur Zentralisation. Die Konferenz wählte daher eine fünfgliedrige Kommission, mit dem Sitze i» Hamburg , welcher die Aufgabe zugewiesen wurde, die Zentralisation wie den Anschluß an die Generalkommission in die Wege zu leiten. Beschloffen wurde ferner, daß ein einheitliches Organ für die Dienstbotenorganisation zu schaffen sei. Weder die„Gleichheit" noch das„Blatt der Berliner Hausangestellten" genügt jetzt den Anforderungen, die an em Fachorgan der Dienstboten zu stellen sind. Es wurde jedoch alsäußerstwünschenswert bezeichnet, dieMädchen auch über ihre Berussinlereffen hinaus über die moderne Arbetterbewegung aufzuklären, weil die meisten von ihnen doch Arbeiterfrauen werden, welche Verständnis für den wirtschaftlichen und politischen Klassenkampf des Proletariats besitzen sollen. Die Konferenz stimmte daher der Anrcguna zu, die„Gleichheit" durch Zufügung eines bestimmten Teils so auszugestalten, daß sie auch den besonderen Ansprüchen der Dlenslbotenorganisation Rechnung trage und das solcherart ausgestaltete Blatt als deren Organ einzuführe... Die eingesetzte Konnmssion hat seither im Sinne ihres Austrages beraten und sich betrests der weiteren vorbereitenden Schritte zur Herbe. uhrung der Zentralisation mit der Generalkom- nnssion Berb.ndung gesetzt. Der 6. Kongreß der Gewerkschaften Deutschlands zu Hamburg hat sich seinerseits eben-
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19 (17.8.1908) 17
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