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Des Morgens.
Don friedrich hölderlin.
Vom Taue glänzt der Rasen; beweglicher Eilt schon die wache Quelle; die Birke neigt Jhr schwankes Haupt, und im Geblätter Rauscht es und schimmert; und um die grauen
Gewölke streifen rötliche Flammen dort, Verkündende, sie wallen geräuschlos auf; Wie fluten am Gestade wogen
Höher und höher die wandelbaren.
Komm nun, o komm, und eile mir nicht zu schnell, Du goldner Tag, zum Gipfel des Himmels fort! Denn offner fliegt, vertrauter dir mein Auge, du freudiger! zu, solang du
Jn deiner Schöne jugendlich blickst und noch Zu herrlich nicht, zu stolz mir geworden bist; Du möchtest immer eilen, könnt' ich, Göttlicher Wandrer, mit dir!- doch lächelst
Des frohen übermütigen du, daß er Dir gleichen möchte; fegne mir lieber denn Mein sterblich Tun und heitre wieder, Gütiger! heute den stillen Pfad mir!
Reisefieber.
Bon Melanie Funke.
Frau H. tritt in den Schufterladen. Der Schuster hinter dem Ladentisch macht seinen alleruntertänigsten Knicks und fragt, was die Dame in eigener Person herführe.
"
Sie werden mir doch, bitte, heute noch Reiseschuhe für mich, meinen Mann und die Kinder hinaufschicken, die Größen wissen Sie ja schon. Setzen Sie die Schuhe mit auf die letzte Monatsrechnung, die wir diesmal am 1. September begleichen werden."
Aber bitte, sehr gern, Frau H. Deswegen hätten Sie doch nicht selbst herzukommen brauchen." Adieu, Herr Müller!"
Adieu, Madame H.! Wünsche glückliche Reise!" Frau H. dankt mit einem gnädigen Kopfnicken und rauscht hinaus, um gleich darauf im nächsten Brotladen zu verschwinden.
" Guten Morgen, Herr Maier!"
Guten Morgen, Frau H.!"
Sie entschuldigen, ich wollte nur die Rundstücke abbestellen, wir verreisen morgen. Die Rechnung schicken Sie mir, bitte, am 1. September."
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" 1
" Werte Frau H., ich kann unmöglich so lange auf das Geld warten, denn mein Bäcker „ Bitte, bitte, wenn Sie nicht warten können, schicke ich Ihnen das Geld sofort herüber."
" Im voraus besten Dank und nehmen Sie es nicht übel."
Adieu!"
Adieu, Frau H.!"
Frau H. feucht die Treppen hinauf zu ihrer Wohnung wie ein gehetztes Wild und focht vor ärger. Herr H. fißt, die Zeitung lesend, im Lehnstuhl und blickt er schret auf, als seine Frau wie ein Sturmwind zur Tür Hereinfegt.
Dieser gemeine Mensch, der Brotmann!" Was ist's mit ihm?"
" Er will mit seiner Rechnung nicht bis September warten. Aber so ist es, wenn man verreisen will! Jedesmal ist der Teufel los!"
"
Aber meine Liebe, der Mann hat fünf Kinder und
muß doch leben!"
„ Er soll sein Geld ja haben, aber nach der Reise braucht er uns nicht mehr unser Gebäck zu liefern." Sei doch nicht gleich so erbost, der Mann hat uns
"
doch immer kreditiert."
Die Gleichheit
Weißt du was, ich brauche noch keinen neuen Anzug, der alte tut's noch."
„ Der alte tut's noch? So! Denkst du vielleicht, ich will mit dir an die Ostsee fahren, wenn du diesen Anzug trägst, in dem du aussiehst wie ein ganz gewöhnlicher Krämerkommis! Nein nein! Lieber bleibe ich zu Hause."
Besser wäre das wohl. Die Kinder würden sich hier auch wohler fühlen als an der Ostsee , in der steifen, förmlichen Atmosphäre eines Modebades, wo sie doch nicht tollen können, wie sie möchten."
„ Na, ich dachte mir's doch! Erst hat man monatelang zu tun, um sich das bißchen Reise zu erbetteln, und wenn man denkt, es so weit zu haben, dann fängst du mit deinen Bedenken an. Ist dir denn noch gar nicht zum Bewußtsein gekommen, was du deinem Stande schuldig bist? Aber man kann es eigentlich auch gar nicht anders von dir verlangen, du bist und bleibst der simple Handwerkerssohn. Noch nie hast du recht gewußt, was sich für deine Stellung schickt."
Das hast du mir schon oft gesagt, aber
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„ Aber, aber! Ich kenne es schon, das große Wort, mit dem du stets die Verfechtung deiner altmodischen Grundsätze einzuleiten pflegft. Ich habe genug davon. Glaubst du denn, wenn alle Leute vor ihrer Arbreise in den Sommeraufenthalt ihre Läpperschulden bezahlen wollten, daß dann viele von deinen Kollegen ins Bad fönnten?"
Frau H. sinkt erschöpft in einen Lehnstuhl und hält sich in höchster Aufregung die Hände vors Gesicht.
Aber, meine Liebe, beruhige dich. Ich werde zum Schneider gehen und mit ihm reden, daß ich den Anzug erst nach unserer Rückfehr bezahle. Der Mann ist sehr nett, und ich denke, er wird mir Entgegenkommen zeigen."
Die Kinder kommen jubelnd aus der Schule, im Vorgefühl des Glückes, an die Ostsee zu fahren. Sie haben ihren Freunden und Freundinnen alles erzählt, was sie darüber wissen, was sie davon erwarten. Die Unschuldigen! Sie ahnen nicht, welchen Kampf soeben Vater und Mutter ausgefochten haben. Mit höchstem Interesse betrachten sie strahlenden Blickes all die schönen Sachen, die auf die Reise und Stühlen liegen. Papa besorgt nach Tisch noch einen mitgenommen werden und im„ Salon" auf Tischen, Sofa Gang, dann fängt das Packen an. Lieschen hilft und Sans sieht zu, wie alles neben und aufeinander ge
Röcke und Blusen und springt dabei vergnügt in der schichtet wird. Mitunter zählt er die Strümpfe, Hosen, Stube herum. Plötzlich vermißt Lieschen ihre vier weißen Kleider und ihres Bruders Waschblusen.
„ Ach, die sind ja noch nicht da. Die Waschfrau muß sie jeden Augenblick bringen."
" Ich höre sie schon kommen. Geh schnell hinunter, Lieschen, und nimm ihr den Korb ab, geh du auch mit, Hans. Dann braucht die Frau nicht alle Treppen heraufzuſteigen. Noch eins, Lieschen! Frage, was die Wäsche fostet, und sage, daß ich das Geld hinunterschicke."
Lieschen und Hans führen ihren Auftrag zur Zufriedenheit der Mama aus; die Wäscherin, die im Keller des Nebenhauses wohnt, zieht beruhigt ab und lobt in Gedanken die Freundlichkeit der guten Frau H., die ihr das Treppensteigen erspart.
" Mama , die Wäsche kostet 6 Mart." " Schön, mein Kind!"
Da tommt Papa!„ Alles in Ordnung!" ruft er strahlend, und Mama weiß, was er damit meint. Auch für den Schneider ist es ein Glück, daß alles in Ordnung iſt. Mit der Kundschaft des Herrn H. wäre es sonst aus gewesen. Frau H.s feines Ehrgefühl versteht keinen Spaß. Der Brotmann wird daran glauben müssen.
Donnerstag früh hält eine Droschke vor der Tür des Hauses, das die Familie H. bewohnt. Der Kutscher bepackt den Bock mit Koffern und Schachteln, daß er selbst baneben kaum Platz findet. Lieschen und Hans kommen und Bapa schreiten würdevoll zum Wagen. Der Kutscher freudestrahlend die Treppe heruntergesprungen, Mama treibt die Pferde an, und heidi! fort geht's zur schönen
Sommerreise.
Kellers und wischt sich mit der Schürze ein paar Tränen Die Wäscherin steht an der Tür ihres armseligen aus den Augen, die bitter heraufgestiegen sind. Frau H. hat vergessen, die 6 Mark für die Wäsche hinunterzuschicken. Wer kann bei den Reisevorbereitungen auch solche Lappalien im Kopfe behalten! Die Wäscherin hat " Weißt du was, bestelle dein neues Kleid ab, du kannst ein frankes Kind und braucht ihr Geld, aber pah, sie es noch nach der Reise gebrauchen, übrigens hast du ja muß doch nicht an die Ostsee reisen!
" Nennst du das kreditieren, wenn er jeden Monat
sein Geld bekommt?"
Kleider gerade genug."
"
Na, na! So schlimm steht's doch noch lange nicht
um deine Garderobe! Wieviel bekommt denn der Brot
mann eigentlich?"
Lumpige 90 Mart."
Herr H. denkt nach. Plößlich erheitert sich sein Ge ficht. Er hat einen Gedanken.
All diese zahllos leuchtenden Gestirne, Von denen eines jene Erde ist, Durchwebt ein Geist der Lebenstätigkeit, Der sonder Aufhör, Grenzen und Verfall;
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Nr. 17
Der, wenn des Erdenlebens Licht erloschen Im feuchten Grabe, dort ein Weilchen schlummert, Nicht mehr vergeht, als wenn der schwache Säugling In seines Daseins trübem Dämmerschein Der ird'schen Dinge Wirkung fühlt, und alles Dem unerfahrnen Sinn ein Wunder ist; Nein, der allregsam, stetig, fort und fort Die Stürme lenkt, im Ungewitter tost, Jm Tag fich fonnt, in duftigen Hainen atmet, Im Wohlsein stärkt, in Seuchen Gift verhaucht, Und in dem Wechselsturm, der sonder Ende Das ew'ge All umbrauft und seine Feste Die nie zerfallende, erschüttert, thront, Nach unerläßlichem Gesetz bestimmend Jedwedem Ding den Plaz, wo es als Feder Und Rad des Weltgetriebes wirken soll; So daß wenn Wog' um Woge stürmisch sich Zum Himmel auftürmt, und die grellen Blizze Des aufgerißnen Meeres Schlund versengen, Indes dem Aug' des Schiffers, der, gestrandet, Auf nackter Klippe einsam wimmert, alles Ein regelloses Spiel des Zufalls scheint- Nicht ein Atom in diesem wilden Aufruhr Ein unbestimmt gesetzlos Werk erfüllt, Noch anders handelt, als es handeln muß. Ja, selbst das winzig fleinste Stäubchen Licht, Das in des Lenzes flücht'gem Sonnenstrahl Sein vorbestimmt unsichtbar Wert vollzieht, Wird von dem Geist der Welt gelenkt; und wenn Erbarmungsloser Ehrgeiz, toller Eifer Zwei Heere törichter Betrogener Aufs Schlachtfeld führt, daß sie das Grab einander Verblendet graben, und das Trauer: vert Ruhmvolle Tat benennen, so ist er'3, Der ihre Leidenschaften schürt und leitet; Nicht ein Gedanke, Wunsch, nicht eine Tat, Kein Plan der finstern Seele des Tyrannen, Kein Angstgefühl der Sklaven, welche sich Der Knechtschaft rühmen, ihre Scham zu bergen; Nicht die Ereignisse, die jeden Willen Einengen und aus langverschollner Zeit Der Tugend Allgewalt heraufbeschworen, Gehn unbemerkt und unvorhergesehn Vor dir vorüber, Weltgeist! ew'ger Quell Des Lebens und des Todes, Glücks und Wehs, Und alles dessen, was das Zauberbild Der bunten Szene schmückt, die unsern Augen Vorüberzieht im flimmernd bleichen Licht, Das nur erleuchtet unsres Kerkers Dunkel, Des Ketten wir und starre Mauern Nur fühlen, nicht schaun.
Geist der Natur, du allgewalt'ge Macht! Notwendigkeit, des Weltalls Mutter du! Ungleich dem Gott des Menschenwahns, verlangst Du nicht Gebet, noch Lobgesang; die Laune Des schwachen Menschenwillens hat nicht mehr Gemein mit deinem Tun, als seiner Brust Veränderliche, flücht'ge Leidenschaften Mit deiner ew'gen Harmonie; der Sklav , Des grauenhafte Lüfte ringsumher Elend verbreiten, und der Biedermann, Dem angesichts des Glücks, das seinen Taten Entkeimt, die Brust in edlem Stolze schwillt; Der Giftbaum, unter dessen Schatten alles, Was lebt, verdorrt; die Eiche, deren Dach Ein laubiger Tempel ist, wo sel'ge Liebe Die Schwüre tauscht, sind gleich vor deinem Blick Du nährst nicht Haß, noch Liebe, kennst nicht Gunst Noch Rache, noch die schlimmste Gier nach Ruhm; Und alles, was die weite Welt umfaßt, Ist nur dein willenloses Werkzeug, du Betrachtest alles unbestochnen Blicks Und fühlst nicht seine Lust, noch seine Leiden, Denn menschlich nicht sind deine Sinne Und menschlich deine Seele nicht.
Ja! Wenn der Reinigungssturm der Zeit Sein Todeslied gesungen auf den Trümmern Der umgestürzten Tempel und Altäre Des allgewalt'gen Dämons, dessen Name Sich schmückt mit deinen Ehren; wenn das Blut, Das seit Jahrhunderten dort haftete, Hinabfloß den befleckten Strom der Zeit, Dann wirst du leben unveränderlich; Ein Tempel, ein Altar ist dir errichtet, Den nicht der Sturmeshauch der Zeit Und nicht die endlos wogende Flut, Die über dieser Erde Flitterprunt Dahinrollt, je vernichten kann:
Die selbstbewußte Wirkenskraft der Welt; Der wunderbare, ew'ge Tempel,
Wo Schmerz und Wonne, Gutes sich und Böses Vereinen, um den Willen der gestrengen Notwendigkeit gehorsam zu erfüllen,
Und wo das Leben, vielgestaltig
Zum unbegrenzten Ziele vorwärts strebend,
Sich um die ew'gen Säulen seiner Kraft,
Der gierigen Flamme gleich, hinaufwärts windet.
Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Mara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe Post Degerloch bet Stuttgart .
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