182folgschaft und das Vertrauen der Massen vor allem durchunsere rücksichtslose Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung und durch unser sozialistisches Zukunftsideal gewinnen. Es waren zwei grundverschiedene Theorien des politischen Kampfes, die sich gemessen haben, zwei Theorien, dieso gegensätzlich sind wie bürgerliche Reformpartei und proletarisch-revolutionäre Klassenpartei. Es ist daher keinWunder, daß eine Verständigung sich als äußerst schwierigerwies, daß aber auch die Debatten lang und bei allerSachlich-keit leidenschaftlich waren. Die Auseinandersetzung wurdeaußerdem noch dadurch ungemein erschwert und verschärft,daß die süddeutschen Genossen einen Gegensatz mehr indie Debatte hineinwarfen. Sie erklärten vom ersten Augenblick an kategorisch: was immer der Parteitag in Sachender Budgetbewilligung gegen unsere Auffassung beschließenmöge, wir fügen uns nicht. Damit wurde der prinzipielleStreit zugleich zum Streit um die Parteidisziplin, ja,uni die Einheit, um den Bestand der Partei selbst. Inder Tat: die Sozialdemokratie ist eine demokratischePartei, sie ist die Kampforganisation des klassenbewußten Proletariats. Als eine Massenpartei, diedie Befreiung des arbeitenden Volkes durch dasarbeitende Volk selbst bewirken will, muß sie naturgemäßden bewußten und klaren Willen der Mehrheit zur bindenden Richtschnur für ihre ganze Anhängerschaft macheu.Ohne Unterordnung aller Kampfgenossen vom oberstenFührer bis zum einfachen Soldaten unter den Willen derMehrheit gibt es keine proletarische Parteiorganisation,keine Sozialdemokratie. Ohne strenge Unterordnung unterden Willen der Mehrheit, das heißt der klassenbewußtenproletarischen Masse, würde die Sozialdemokratie baldzum Werkzeug von Parlamentariern, Funktionären undLiteraten werden, würde sie zu einer Karikatur auf eineProletarische Partei herabsinken und dem Ruin entgegengehen. In Italien und eine Zeillang auch in Frankreichhaben solche Unabhängigkeitsgelüste sozialistischer Parlamentarier und Literaten die proletarische Partei an denRand des Verfalls gebracht. In der deutschen Sozialdemokralle war eine offene Rebellion gegen die Parteidisziplin eine neue Erscheinung. Um so mehr galt es,dem gefährlichen Beginnen den ganzen Widerstand deralten sturmerprobten Parteidemokratie entgegenzusetzen.Und dies hat der Nürnberger Parteitag getan. Unbeirrtdurch die unausgesetzten erbitterten Drohungen mit Aus-lehnung und Spaltung nahm der Parteitag mit über-wälllgender Majorität die Resolullon des Parteivorstandesan, die die Budgetbewilligung der drei süddeutschenLandtagsfraktionm als unvereinbar mit den Grundsätzenund Beschlüssen der Partei bezeichnet und für die künstigeStellung zur Budgetsrage feste Richtlinien zieht. Daß dieResolution weder ein Mißtrauens- noch ein Tadelsvotumfür die Budgetbewilliger sein soll, wurde ausdrücklich erklärt. Wir erwarten, was wir wünschen, nämlich daßdie süddeutschen Genossen, belehrt durch den unbeugsamenWiderstand der kompakten Parteimehrheit, Schulter anSchulter mit den bisherigen Kampfgenossen in fester Geschlossenheit und Treue wie bisher weiterkämpfen werden.Jedenfalls ist die Partei aus der ersten Krise dieser Artgestärkt, gefestigt, innerlich geschlossener hervorgegangen,als sie war. Die sozialistische Internationale, die mitSpannung auf die Verhandlungen in Nürnberg blickte,kann beruhigt sein. Die deuffche Sozialdemokratie bleibt,was sie war: die treue alte Garde der Marxschen Lehredes Klassenkampfes und das Muster der rein proletarischen Parteidisziplin.Nach den heißen und anstrengenden Debatten überdie Budgeffrage fand der Parteitag noch Zeit, um nochdrei wichtige Gegenstände zu erledigen: die Sozialpolitik,die Frage der Reichsfinanzreform und die Frage der Jugendorganisation. Der Molkenbuhrsche Vortrag über dieSozialpolitik gestaltete sich zu einem rein sachlichenExempel auf die Richtigkeit jener Theorie des immerschärferen Klassenkampfes, die in den vorhergegangenenDebatten so glänzend gesiegt hatte. Bei dem KapitelSozialpolitik des neuesten Kurses, der Blockparteien, standwieder lebendigst vor aller Augen, daß die Parole derherrschenden Parteien heutzutage immer größere Reaktionund nicht sozialpolillscher Forffchritt oder Demokralle ist,und daß allein die entschlossenste Kampfstellung desProletariats der geschlossenen reaktionären Phalanx etwasRecht und Schutz für die Arbeitenden und Ausgebeutetenentreißen kann. Der Parteitag zog auch die richtigenSchlüsse aus dieser Situation, indem er die äußerstwichtige Resolution der Frankfurter Genossen annahm,wonach von Partei- und Gewerkschastskreisen eine großeumfassende Massenagitallon zugunsten der Einführungdes Neunstundentags als Vorstufe zur Erringung desAchtstundentags eingeleitet werden soll. Als ein Gegenstück und eine Ergänzung der Stellungnahme des Parteitags zur Maifeier bezeugt auch dieser Beschluß, daß dieeigentliche Kraft, die dem steinigen Boden der kapita-listischen Gesellschaft sozialreformerische Früchte zu entlockenvermag, nicht in den Parlamenten liegt, sondern in denMassen, in chrer Entschlossenheit und Kampstüchtigkeit.Die GleichheitIn der Frage der Jugendorganisation hat der Parteitag eine glückliche Lösung gefunden, die sowohl den gewerkschaftlichen wie den Parteikreisen annehmbar war.In Ubereinstimmung mit den Beschlüssen des Gewerkschaftskongresses sprach er sich für die Gründung vonörtlichen Kommissionen zur Förderung der proletarischenJugendbildung aus, zugleich aber anerkannte er dasExistenzrecht selbständiger, unpolitischer Jugendorganisationen, die aus der Initiative der jungen Proletarierselbst entstehen. Der Jugendbewegung ist also freieBahn geschaffen und die tatkräftige Unterstützung derreifen Arbeiterbewegung gesichert. Die nächste Zukunftmuß zeigen, welche Formen dieses jungen Sprosses desgroßen Klassenkampfes sich als die lebensfähigsten undzweckentsprechendsten erweisen werden.Endlich hat der Parteitag in der Frage der Frauen-organisallon den ihm vorgelegten Organisallonsvorschlagakzeptiert, die Frauenkonferenzen auch weiterhin als nützlich und notwendig anerkannt und eine Vertreterin derproletarischen Frauen, Genossin Luise Zietz als Beisitzerinin den Parteivorstand der deutschen Sozialdemokratiegewählt. Mögen die Genossinnen überall mit regstemEifer an die Arbeit gehen, um zu erfüllen, was diePartei von der festeren Eingliederung der proletarischenFrauenbewegung in ihren Heerbann erwartet: regsteAgitation unter dem weiblichen Proletariat, theorellscheund praktische Schulung der weiblichen Mitglieder.Der Parteitag klang in einem vollen Akkord internationaler Solidarität aus. Er stimmte debattelos einerResolution zu, welche der augenblicklichen wüsten Kriegshetze in England und Deutschland die Bekundung brüderlicher Gesinnung des deuffchen Proletariats entgegenstelltund dieses auftecht, mit starker Hand den bedrohtenFrieden zu schirmen.So ist die getane Arbeit reichlich und ernst. DurchKampf und Gegensätze zum festen Entschluß, zur einheitlichen Tat— das ist die geschichllich bedingte Bahndes Proletariats im großen wie im kleinen. DerNürnberger Parteitag hat als ein Moment des innerenLebens und Entwicklungsganges der Sozialdemokralledie ganze Lebensfähigkeit, Entwicklungsfähigkeit und unverwüstliche Kraft unserer Partei gezeigt. Sein Werkwird fördernd und befruchtend wirken— den proletarischen Massen zu Nutz, der herrschenden Ausbeuterwelt zum Trutz.Schulspeisung.Von Luise Kautskp.VIII.In Holland ist seit 1899 der Volksschulzwang eingeführt,und seitdem datieren auch die Bestrebungen, die Gemeindenfür den Unterhalt der bedürftigen Kinder heranzuziehen.Zahlreiche private Fürsorgeanstalten existierten bereits seitlangem, aber es erwies sich hier wie überall, daß sie gänzlich unzureichend sind, und daß die Gemeinden ihres Amteswalten müssen, wenn Einheitlichkeit und wirklicher Nutzen erzielt werden soll. Die Privatanstalten zur Fürsorge für bedürftige Schulkinder sind oft aus Mangel an Mitteln gezwungen,die Zahl der Rationen einzuschränken. Ost gewähren sienur viermal, dreimal, ja gar nur zweimal wöchentlich eineMahlzeit und haben dennoch immer mit Defizit zu kämpfen.In Dänemark wurde am 23. Mai 1992 ein eigenesGesetz über die Schulspeisung erlassen. Wir entnehmen demWortlaut desselben der gebotenen Kürze halber nur einigewichtige Stellen. 1..Das in den Schulküchen auf Kommunekosten zubereitete Essen soll in der betreffenden Schule denSchülern gewährt werden, deren Verhältnisse im Elternhause nach Ansicht der Kommunalverwaltung es erfordern;diese Speisung soll nicht als Armenunterstützunggelten. 2.„Die Kommunalverwaltung kann den Vereinenzur Speisung armer Schulkinder in den Monaten Dezemberbis März einen Beitrag gewähren, doch darf derselbe denBetrag nicht übersteigen, den die privaten Kreise selbst indiesem Zeilraum aufbringen. Die Ermächtigung zur Aus-wersung größerer Beiträge aus der Kommunalkasse wirdfür die Landgemeinden nur vom Amtsrat erteilt, für Kopenhagen und die übrigen Städte nur von dem Minister desInnern."In der Reichstagssession 1996 bis 1997 legten dieSozialdemokraten einen neuen Gesetzentwurf vor,der den zwetten Teil des Gesetzes von 1992 abänderte. Sieforderten, daß„die Schullommissionen, respektive die Schul-direttionen in jeder öffentlichen Freischule in den vierWintermonaten für warmes Essen für jedes Kind sorgen.Für arme Kinder erfolgt die unentgeltliche Speisung sogardann, wenn die Eltern nicht darum ersuchen, sondern wennLehrer oder Lehrerinnen oder sonsttge Behörden sie für notwendig erachten. Nie darf die Speisung als Armenunterstützung betrachtet werden. Die Ausgaben für die unentgeltliche Speisung sowie für die Einrichtung der notwendigenKüchen und Speiselokalitäten werden der Gemeindekasse zurLast gelegt. Die Hälfte dieser Ausgaben soll den Gemeindenaus dem Schulfonds der Staatskasse zurückerstattet werden.Dieses Gesetz tritt im Dezember 1997 in Kraft, und es wirddadurch der zweite Teil des Gesetzes von 1992 annulliert."Der sozialdemokratische Abänderungsantrag wurde einerKommission zu weiteren Erhebungen überwiesen.Nr. 20Ein Blick auf die Schulspeisung in Dänemark zeigtaugenblicklich folgendes Bild: In sämtlichen FreischulenKopenhagens, deren Zahl 25 mit 32563 Schülern beträgt,ist die Speisung eingeführt. Offiziell erfolgt sie durch einenprivaten Verein, dem die Kommune 25999 dünische Kronen(l Krone gleich 1>/° Mark) beisteuert. Im Winter 1996 bis1997 wurden 9146 Kinder von Anfang Januar bis EndeMärz täglich mit zwei warmen Gerichten gespeist. Die Gesamtausgaben hierfür beliefen sich auf 33 399 Kronen. DieKonimune gewährt allen Schulküchen Lokalitäten, Beleuchtungund Heizung unentgeltlich.In den Gemeinden der Provinz wird in verschiedenerWeist für die notleidende Schuljugend gesorgt. Die Kommunalverwaltung der drei Gemeinden Hörsholm, Torrild,Vejle hat allein, ohne Mithilfe von privaten Vereinen,die Speisung in die Hand genommen. In den acht Gemeinden Helsingör, Holbäk, Nyköbing auf Falfler,Viborg, Aarhus, Holsens, Silkeborg, Esbjerg gewährten die Gemeinden Geld und Lokalitäten usw. solchenVereinen, die die Schülerspeisung übernahmen. Die Verwaltung von weiteren elf Gemeinden stellte unentgeltlichLokalitäten, Feuerung, Licht usw. für die Vereine, die ihrerseits für die Speisung sorgten. Es erwuchsen den 22 Gemeinden infolge ihrer verschiedenen Maßregeln insgesamt38992 Kronen an Unkosten, und 6517 Kinder erhielten täglichteils zweimal warmes Essen, teils eine Mahlzeit, teils auch nurMilch und Brot. In Dänemark wurden also im Winter1996 bis 1997 zusammen 15 663 Kinder gespeist, die Aufwendungen für diesen Zweck beliefen sich aus 76482 Kronen.Bei den 22 in Betracht kommenden Kommunen handett essich um 19 städtische und 3 Landgemeinden.über die Schweiz liegen uns detaillierte Bericht« zudieser Frage nicht vor. 1895 wurde eine Enquete veranstaltet,derzufolge es 3999 Schulen mit etwa 475 999 Schülern gab.Von 26594 Zöglingen, die in der Schule aßen, wurden24566 unentgeltlich gespeist. 32 Schulen gaben dasganze Jahr, 699 nur im Winter eine Mittagsmahlzeit.14815 Schüler mußten bis zu einer Stunde weit in dieSchule gehen, 2463 mehr als eine Stunde. Einem gutenAnsatz zur sozialen Fürsorge für die Kinder begegnen wirin der Schweiz in der Einrichtung, daß Kinder, die mitnassen Schuhen und Strümpfen in die Schule kommen, dorttrockene Strümpfe und Pantoffeln erhalten. Während derUnterrichtsstunden werden die Sachen getrocknet, und das Kindkann, ohne Schaden an seiner Gesundheit zu nehmen, wiederheimkehren. Doch liegt in der Schweiz die Ernährung undBekleidung der Schulkinder fast überall in privaten Händenund wird von kommunaler und kantonaler Seite bloß mitGeldmitteln unterstützt. Ein Teil der hierfür aufgewendetenSummen wird aus dem Ertrag derSteuer auf denAlkoholgewonnen.' Eine Ausnahme macht Zürich. Einer Denkschrift zum sozialdemokratischen Kommunaltag in Zürich, �23. bis 24. Mai 1998' entnehmen wir, daß im Jahre 1997während der Wintermonate ans Kosten der Stadt 3589Kinder mit Suppe, Brot und Zulage zu MUrag gespeistwurden und 715 Kinder Frühstück erhielten. Diese Speisungkostete Zürich 47 745 Fr. Die Stadt verausgabte außerdem26 399 Fr. für I u g e n d h o r te, in denen an den Nachmittagen unter der Obhut eines Lehrers sich solche Kinderaufhalten können, die zu Hause keine Aufsicht haben. DieKinder bekommen dort ein aus Brot und Milch bestehendesAbendbrot. 773 Kinder wurden 1997 in dieser Weis« beaufsichtigt und versorgt. Außerdem wurden in Zürichwährend der Sommerferien Milchkuren durchgeführt, indenen 951 Kinder während drei Wochen täglich zweimalMilch und Brot erhielten. 1997 betrugen die Kosten dafür4737 Fr. In der Rubrik„Sozialpädagogische Fürsorge"finden wir überhaupt zahlreiche Posten, die wir gern inallen Gemeindebudgets aufgenommen sähen. Daß sie indem Etat der Stadt Zürich stehen, ist dem kräftigen Anstoßzu verdanken, den die sozialdemokratisch« Arbeiterparteiunter Zustimmung der übrigen Bevölkerung der Kommunalpolitik gegeben hat. In den übrigen Kantonen bemüht mansich nach Kräften, dem Beispiel Zürichs nachzuahmen; Ziffernüber das, was geleistet wurde, liegen uns nicht vor.Wir möchten diese Studie mit einem Blick nach demhohen Norden abschließen.Unsere tapferen finnischen Genossinnen hielten in Hel-singfors am 9. und 19. Februar 1993 ein« Konferenz ab,aus der 22 sozialdemokrattsche Frauenorganisationen durch26 Delegierte vertreten waren. Es wurden die Ausgabenund Pflichten der Gemeinden erörtert und dabei auch dieEinrichtung von Schulküchen gefordert. Es wurde beschloffen,die Forderung mit dem Antrag der sozialdemokratischenLandtagsfraktion über den allgemeinen Schulzwang zu verbinden und gleichzeitig für die gründliche Neugestaltung desSchulwesens einzutrelen. Unsere Genossinnen bekundeten alsoauch auf dem Gebiet der Sozialpolitik dieselbe klare grundsätzliche Reife der Erkenntnis, die sie in der Frage desFrauenstimmrechts betätigt haben. Sie weisen von Anfangan die bei den Bürgerlichen aller Schattierungen so beliebten Palliativmittelchen zurück, und den Bick fest auf dasGanze gerichtet, stellen sie sogleich die weitestgehenden grundsätzlichen Forderungen.Wie erbärmlich sticht davon das Verhalten der herrschenden Klasse in Öfterre ich ab, wo dieses Jahr zur Feier des69 jährigen Regierungsjubiläums Franz Josefs I. der Ministerrat der Offenllichkeit„eine große Fürsorgeaktion für daSKind" empfahl.„Der patriotischen Ops erwilligkeit und dem« S. Binck, I/alimentutiou et le Vötewent äes enkant» enäge ä'öoole. Brüssel. �' Ter GcmeindesozialismuS der Stadt Zürich. P. Pstüger,Zürich, Ärütliverein.