4

Die Gleichheit

weitere Entwicklung nicht zum mindesten auch gerade dank der Neuorganisation zuweisen wird. Die proletarische Frauenbewegung hat einen Grad der Stärke erreicht, der es verbietet, daß sie betreffs ihrer Arbeiten, ihrer Aktionen gleichsam aus der Hand in den Mund lebt, sie muß solche Arbeiten und Aktionen vor­aussehen und für sie möglichst gut gerüstet sein. Daher können sich ihre leitenden Organe nicht mehr damit begnügen, den Anforderungen zu entsprechen, die an sie herantreten. Nein, sie selbst müssen neue Bedürfnisse zu gesteigerter und besserer Betätigung der Genossinnen allerwärts anregen, müssen das ihrem Wirken erschlossene Tätigkeitsgebiet möglichst überall in Angriff nehmen und dem proletarischen Befreiungstampf nuz bar machen. Mit einem Wort: sie dürfen die Gelegenheit zur energischsten Betätigung nicht bloß abwarten, fie müssen sie vielmehr in noch höherem Maße aufsuchen, als das seither mög­lich war. Kein Wunder, daß die Frauenkonferenz für diese Sachlage volles Verständnis erwies. Die Delegierten wurden durch die Fruchtbarkeit ihrer eigenen Arbeit wie durch das glühende Verlangen nach weiterem erfolgreichen Wirken dazu gedrängt, die Leistungsfähigkeit der Zentralstelle zu steigern und damit der kraftvollen Weiterentwicklung der proletarischen Frauenbewegung die Bahn zu ebnen. Mit sicherem Urteil ent­schieden sie auch darüber, daß die rechten Genossinnen auf den rechten Platz gestellt wurden, indem sie mit der Leitung des Bureaus Ottilie Baader und Luise Ziet betrauten, die beide arbeits- und kampfeserprobt in jahrelangem Wirken bewiesen haben, daß sie den verantwortungsreichen Aufgaben ihres Amtes gewachsen sind.

-

Dem für die Neuorganisation der Genossinnen durchge­führten Prinzip entsprechend sollten diese auch in der obersten Leitung der Sozialdemokratie, im Parteivorstand, eine Ver­tretung erhalten. Es erübrigt sich, die mancherlei Gründe dar­zulegen, welche es als wünschenswert, ja als notwendig erscheinen laffen, daß das weibliche Mitglied des Parteivorstandes gleich zeitig auch die proletarische Frauenbewegung mit leitet. Sie springen ungesagt in die Augen. Es war mehr als das Gebot selbstverständlichen Taftes, es war der Ausdruck gleich hoher Wertschätzung, welche die beiden in die Zentralstelle der prole­tarischen Frauenbewegung entfendete Genossinnen genießen, daß die Konferenz auch beide in Vorschlag für die Mitgliedschaft im Parteivorstand brachte. Der Parteitag hatte wie über den Organisationsvorschlag überhaupt in letzter Instanz zu entscheiden. Seinen Delegierten wäre sicherlich die Wahl zwi­schen den Genossinnen Baader und Zieh nicht minder schwer gefallen wie den Vertreterinnen der proletarischen Frauen­bewegung. Genoffin Baader entschied selbst die Frage, indem fie auf das bestimmteste ihre Wahl in den Parteivorstand ab­lehnte und sich in diesem ihrem Entschluß nicht erschüttern ließ. Er wurde ihr von der Überzeugung diktiert, daß unter Um ständen neue Aufgaben auch neue Persönlichkeiten erfordern, wie von dem Wunsche, sich ungeteilt, mit ganzer Kraft den Aufgaben ihres Amtes in der Zentralstelle widmen zu können. Die vom Parteitag vollzogene Wahl einer Genossin in den Parteivorstand wie bereits mitgeteilt, ist Genossin Zietz als Beisigerin in ihn eingetreten bedeutet gleichzeitig die Durch­setzung eines Prinzips und die Würdigung der praktischen Wichtigkeit, der Leistungen der proletarischen Frauenbewegung. Die Genoffinnen dürfen sich ihrer in jeder Hinsicht als einer wohlverdienten Frucht ihrer Betätigung erfreuen. Die grund­sägliche Anerkennung der Gleichberechtigung der Geschlechter durch die Sozialdemokratie hat sicherlich den Boden für die Wahl einer Genossin in den Parteivorstand bereitet. Die ziel­flare, opferfreudige und geschickte Arbeit der Genossinnen in der Bewegung hat jedoch redlich das Ihrige dazu getan, daß das Prinzip in die Praxis umgesetzt worden ist.

Genossin Dunckers Referat über die sozialistische Er­ziehung der Kinder im Heim vermittelte in eindrucksvoller Form anregende, fruchtbare Gedanken über die sittliche Pflicht der Eltern, ihre Kinder im Geifte der sozialistischen Welt anschauung zu erziehen. Beispiele aus der alltäglichen Er­ziehungspraxis der Mutter illustrierten und belebten die Ge­

Nr. 1

dankengänge des Vortrags und zeigten den Genossinnen den Weg zur Erfüllung ihrer Aufgabe. In ihrem Referat über die sozialistische Jugendbewegung begründete Genoffin Zetkin eingehend die Leitsätze und die Resolution, welche den Leserinnen der Gleichheit" aus Nr. 19 bekannt sind. Der Begründung ging ein Hinweis voraus auf den inneren Zusammenhang, der zwischen dem erzieherischen Walten der Mutter im Hause und der Betätigung der Genofsinnen zur Förderung der sozia­ listischen Jugendbewegung besteht. Die Mehrheit der Delegierten erklärte sich gegen eine Diskussion der Referate. Bedenkt man die vorgeschrittene Zeit, in welcher die beiden Fragen zur Be­handlung standen, die durch intensive Arbeit herbeigeführte Abspannung der Delegierten, den Ausblick auf die bevorstehen­den bedeutsamen Verhandlungen des Parteitags: so wird die Entscheidung begreiflich. Bedauerlich erscheint sie uns jedoch nichtsdestoweniger. Die Beratungen und Entscheidungen einer Frauenkonferenz sind von Ausnahmefällen abgesehen nicht mit der Stellungnahme einer Volfsversammlung zu einer Frage zu vergleichen, die schon durch vorausgegangene Erörte rungen genügend aufgehellt ist, und der gegenüber es sich gleich­sam nur um ein Bekenntnis, eine Willenskundgebung handelt. Sie sollen aufgerollte Fragen erst flären, insbesondere aber auch den Genossinnen Richtlinien für ihr Wirken ziehen. Dazu sind Debatten unerläßlich, welche Gelegenheit geben, die Ver­handlungsgegenstände von den verschiedensten Seiten zu be­leuchten, das Für und Wider der Beweisführungen, die Schluß­folgerungen für die Praxis unserer Bewegung gegeneinander abzuwägen. Die Frage der sozialistischen Erziehung des prole­tarischen Nachwuchses ist bisher im Lager des kämpfenden Proletariats noch feineswegs ihrer Bedeutung entsprechend er­örtert worden. Uns will aber bedünken, daß diese Frage einen regen Meinungsaustausch der Genossinnen geradezu heraus­gefordert hätte. über die Erziehung im Heim wäre eine Debatte sicherlich nicht ohne eine reiche Fülle von Anregungen aus den per­sönlichen Lebenserfahrungen der einzelnen geblieben. Und die noch recht widerspruchsvollen Ansichten über die Jugendorganisation hätten eine Auseinandersehung darüber dringend nötig gemacht. Daß eine solche unterblieben ist, empfinden wir um so lebhafter als einen Mangel, als auch der Parteitag entgegen den gehegten Erwartungen nicht zu einer Diskussion über die sozialistische Jugendbewegung kam. Mit gespannter, um nicht zu fagen leidenschaftlicher Aufmerksamkeit folgten die Delegierten der Frauenkonferenz den Referaten und bekundeten dadurch ihr starkes Interesse an den beiden Fragen. Wir sind überzeugt, daß eine fleißige Lektüre des Protokolls der Nürnberger Ver­handlungen die Genosfinnen und auch die Genossen zu ein­gehender und dauernder Beschäftigung mit ihnen anregen wird, welche zum Handeln treibt. Die beschlossene Herausgabe von Genossin Dunckers Referat als Broschüre dürfte insbesondere in großen Kreisen der proletarischen Mütter in diesem Sinne wirken. Zusammen mit dem vortrefflichen Schriftchen von Heinrich Schulz Die Mutter als Erzieherin", dessen Erwäh­nung sich in diesem Zusammenhang aufdrängt, muß das Referat als ein Mahnruf und Ratgeber zugleich unter die Maffen gehen.

-

Wir haben bereits in der letzten Nummer dieses Blattes kurz hervorstechende Züge der Frauenkonferenz sfizziert. Es seien dieser Würdigung einige Striche hinzugefügt, welche das Bild vorwärtsdrängenden gesunden Lebens unserer Frauen­bewegung vervollständigen. Bei aller Einheitlichkeit der Grund­auffassung trugen doch die Ausführungen der einzelnen Dele­gierten ein durchaus persönliches Gepräge. Nie wirkten fie daher als der einförmige Abklatsch eines Klischees. Deutlich ließ sich auch die Ursache der erfreulichen Erscheinung erkennen: es ist die Arbeit im Dienste der Idee, im Dienste der prole­tarischen Interessen, welche die Geister und Charaktere schult und den Anforderungen des proletarischen Klassenlebens ent­sprechend in reicher Mannigfaltigkeit zur Entfaltung bringt. Auffallen mußten auch die große Arbeitsfreudigkeit und Ar­beitsfähigkeit der Genossinnen, der frische Hauch warmen Lebens, begeisterter persönlicher Hingabe, der durch die Kon­ferenz wehte und nicht den leisesten Anflug jener fühlen, rein