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Die Gleichheit

reform vorgelegt worden, die das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht bedeutete. Kristoffy mußte gehen, und mit ihm verschwand die Wahlrechtsreform. Es kam die Koalis tionsregierung, und alles, was in Ungarn   volksfeindlich ist, vereinigte sich, um die Wahlrechtsreform zu verschleppen. Die Arbeiter sind in Ungarn   gedrückt und gefnechtet, wie wohl sonst nirgends in Europa  . Ungarn   hat keinen gesetzlichen Ar­beiterschutz, die Arbeitszeit ist schrankenlos, soweit es nicht den gewerkschaftlichen Organisationen gelungen ist, ihr Grenzen zu ziehen. Streifende werden eingesperrt und brutal miß­handelt. Jeder Gendarm fühlt sich als Herrgott, und Folte rungen, barbarischste Mißhandlungen in den Romitatsarresten sind nichts Seltenes. Die Beherrscher Ungarns   aber prunken im Ausland mit liberalen Phrasen, triefen von Humanität und find Teilnehmer an allen bürgerlichen Friedenskund gebungen.

Die ungarische Sozialdemokratie hat einen schweren Eristenz­fampf zu führen, und die Eroberung des allgemeinen Wahl­rechts ist ihr unerläßlich. Sie braucht die Parlamentstribüne, um dort das Schandregiment der ausbeutenden Klassen zu geißeln. Seit Jahren haben in Ungarn   wiederholt Demon­strationen, imponierende Straßenfundgebungen des Proletariats für das Wahlrecht stattgefunden. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Demonstrationen in Blut zu ersticken, die Organis sationen der Arbeiter sind aufgelöst, die Vereinsgelder konfisziert worden. Die sozialistische Bewegung konnte trotz alledem nicht er­drosselt, der Kampf der Arbeiter für das Wahlrecht nicht ein­gedämmt werden. An den Demonstrationen nahmen auch Frauen teil, Arbeiterinnen, Arbeiterfrauen, soweit sie schon mit der Sozialdemokratie empfinden. Die letzte große Kundgebung der Arbeiter haben die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen be­nutzt, um für das Frauenwahlrecht zu agitieren. Im Demonstrationszug verteilten sie entsprechende Flugblätter. Einige bürgerliche Politiker haben ihnen auch Versprechungen gemacht, so daß besonders gläubige Gemüter wirklich den Gedanken hegten, das Frauenwahlrecht werde in Ungarn   dem­nächst greifbare Gestalt gewinnen. Nun wurde bekannt, welches Wahlrecht die ungarische Regierung plant. Mit Zustimmung desselben Kaisers und Königs, der der Einführung des all­gemeinen Wahlrechts in Österreich   zugestimmt hat, soll Ungarn  das niederträchtigste Pluralwahlrecht erhalten, das je ersonnen wurde. Wie nicht anders zu erwarten war, soll sich die Wahlrechtsreform nur auf das männliche Geschlecht er strecken, soweit seine Angehörigen über 27 Jahre alt sind. Analphabeten( Personen, die nicht lesen und schreiben können) erhalten nur ein indirektes Wahlrecht, und zwar derart, daß zehn von ihnen zusammen einen Wahlmann wählen, der eine Stimme abzugeben hat. Sie werden also zu Wählern mit einer Zehntelstimme degradiert. Außer den Wählern mit einer Stimme gibt es auch solche mit zwei und mit drei Stimmen, die sich natürlich aus den Kreisen der Besitzenden refrutieren. Die Infamie dieses Pluralwahlrechts wird noch verschärft durch die Härte, mit der es die nationalen Mi­noritäten in Ungarn   trifft, was folgende Ziffern illustrieren:

Von den 217791 Wählern mit dreifachem Stimmrecht sind Magyaren 71,7 Prozent, Deutsche 16,9 Prozent, Slowaken 3,1 Prozent, Rumänen 3,7 Prozent, Ruthenen 0,2 Prozent, Kroaten   0,5 Prozent, Serben 3 Prozent, andere 0,9 Prozent.

Von den 866267 Wählern mit Doppelstimmen sind Ma gyaren 63,3 Prozent, Deutsche 16,7 Prozent, Slowaken 10,1 Prozent, Rumänen 5 Prozent, Ruthenen 0,2 Prozent, Kroaten  1,2 Prozent, Serben 2,3 Prozent, andere 1,2 Prozent.

Von den 1534 443 Einzelstimmen gehören den Magyaren 58,6 Prozent, den Deutschen   13,5 Prozent, den Slowaken 13,5 Prozent, den Rumänen 9,1 Prozent, den Ruthenen 0,6 Pro­zent, den Kroaten 1,3 Prozent, den Serben 2,1 Prozent, den anderen 1,3 Prozent.

Von den 1270924 Urwählern, welche an den Wahlen in­direkt teilnehmen, sind Magyaren 32,2 Prozent, Deutsche 4,8, Slowaken 10,3, Rumänen 38,8, Ruthenen 5,7, Kroaten 1, Serben 3,8, andere 3,4 Prozent.

Nr. 1

Es liegt auf der Hand, daß die ungarische Sozialdemokratie diese Spottgeburt einer Wahlrechtsreform mit der äußersten Energie bekämpfen muß. Die Parteivertretung der österreichischen Sozialdemokratie berief nun eine Reichskonferenz zu dem Zwecke ein, der ungarischen Bruderpartei in ihrem schweren Kampfe für das Wahlrecht einen festen Rückhalt zu sichern. Die Konferenz mußte auf jeden einen überwältigenden Eindruck machen und eine Vorstellung von der sieghaften Macht des sozialistischen  Gedankens geben. Das ist das Große daran. Die Konferenz war eine Verkörperung der sozialistischen   Internationalität. Jm selben Österreich  , wo sich zur Stunde das Bürgertum der verschiedenen Nationalitäten im wilden Chauvinismus über­bietet, wo Landtage nicht tagen können, weil sich Deutsche und Slawen gegenseitig zerfleischen, wo der Nationalitätenhader gewiffenlosen Offizieren Gelegenheit bietet, sich im Morden zu üben: beherbergte das Ottakringer Arbeiterheim   in Wien  deutsche, tschechische, polnische, italienische, slowenische Sozialdemokraten zu gemeinsamer Kundgebung für die Brüder in Ungarn  . Und als Gäste der Sozialdemokraten aller Nationen in Österreich   saßen einträchtig die Delegierten der Sozialdemo fratie in Ungarn   unter ihnen, der Sozialdemokratie, die auch in diesem Lande wieder verschiedene Nationen vereinigt und ihre Vertreter nach Wien   entsendet hatte: Magyaren, Deutsche, Slowafen, Serben, Kroaten  . Dazu kam noch ein Bevollmächtigter der Sozialdemokraten Bosniens  . Lebens­äußerungen der sozialistischen   Jdee wie diese Konferenz sind geeignet, in allen Herzen hellflammendste Begeisterung zu ents zünden und die Überzeugung von dem endlichen Sieg des sozialdemokratischen Zukunftsideals zu befestigen

a. p.

Resolutionen und Beschlüsse des Parteitags zu Nürnberg  .

V. Budgetbewilligung.

Der Parteitag bestätigt von neuem die Resolutionen von Lübeck  und Dresden  , die aussprechen:

daß der Staat, solange er sich in den Händen der besitzenden Klassen befindet, ein Organ der Klassenherrschaft darstellt und ein Mittel zur Niederhaltung der besitlosen Volksmassen bildet, daß die politische Aufgabe des proletarischen Klassenkampfes die Eroberung der Staatsgewalt durch überwindung der Gegner ist, daß jede Politik des Entgegenkommens an die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung abgelehnt werden muß. angesichts der Tatsache, daß die Gesamtabstimmung über das Als notwendige Folge dieser grundsätzlichen Auffassung und Budget als Vertrauensvotum für die Regierung aufgefaßt werden muß, ist jeder gegnerischen Regierung das Staatsbudget bei der Gesamtabstimmung zu verweigern, es sei denn, daß die Ablehnung desselben durch unsere Genossen die Annahme eines für die Arbeiter flasse ungünstigeren Budgets zur Folge haben würde.

berg, Baden und Bayern   ist daher unvereinbar mit den Resolu Die Bewilligung des Budgets in den Landtagen von Württem

tionen von Lübeck   und Dresden  .

kommen der Klassenlage der befitlosen Voltsmaffen, die eine un­Die grundsätzliche Verweigerung des Budgets entspricht voll­versöhnliche Opposition gegen die bestehende, dem Kapitalismus  dienende Staatsgewalt notwendig macht.

Die arbeitenden Klassen immer wieder nachdrücklich darüber auf­zuklären, ist eine unerläßliche Aufgabe unserer agitatorischen Arbeit. VI. Sozialpolitik.

Die technische Entwicklung der Industrie führt zur beschleunigten Konzentration des Kapitals, die in den Kartellen und Syndifaten ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Die Konventionen, Kar­telle und Syndikate, die zur Truftbildung führen, sind notwendige Erscheinungen der kapitalistischen   Entwicklung. Durch die Kartell­bildung und die Gründung von Berufsgenossenschaften sind jene Unternehmerorganisationen gestärkt, die ihre Spitze gegen die Inter  essen der Angestellten und Arbeiter richten, und bestrebt, die An­gestellten und Arbeiter völlig zu entrechten, um die Ausbeutung steigern zu können. Die bürgerlichen Parteien, die in den letzten Jahren eine große Anzahl sozialpolitischer Anträge gestellt haben, deren Inhalt sie aus früher von Sozialdemokraten gestellten An­trägen entnehmen, haben weder die Fähigkeit noch den Willen,