Nr. 1

Die Gleichheit

die in diesen Anträgen gestellten Forderungen durchzuführen. Die Regierung hat durch die neuesten Entwürfe zur Gewerbeordnung und zum Arbeitskammergesetz offen bekundet, daß sie nicht gewillt ift, eine Sozialpolitik zu treiben, die den Widerspruch des Zentral­verbandes deutscher Industrieller hervorruft. Angesichts aller dieser Erscheinungen wird es notwendiger als je, daß das Proletariat alle seine Kräfte zusammenfaßt, um seine physische und moralische Gesundheit und Rampffähigkeit zu erhalten und zu steigern. G3 ist dringend notwendig, daß jeder Arbeiter der Gewerkschaft seines Berufs angehört. Ebenso notwendig aber ist eine energische Agi­tation innerhalb wie außerhalb des Parlaments zur schleunigen Durchführung der im letzten Abschnitt unseres Parteiprogramms sowie in der Münchener Resolution über die Arbeiterversicherung gestellten Forderung. Es ist ferner zu fordern: 1. Schaffung eines einheitlichen Arbeiterrechts für alle gegen Lohn oder Gehalt be­schäftigten Personen. 2. Schutz der staatsbürgerlichen Rechte, Frei zügigkeit, Koalitionsrecht usw., gegen Angriffe durch Privatverträge, Verbot der Konkurrenzklausel, Personalkonventionen und ähnliche Abmachungen, die die Angestellten und Arbeiter in ihrer Be­wegungsfreiheit zu hindern geeignet sind. 3. Sicherung des geistigen Eigentums an Erfindungen und Entdeckungen. 4. Gefeßliche Vor­schriften für sogenannte Wohlfahrtseinrichtungen, wodurch eine Kontrolle ermöglicht und das Eigentumsrecht der Angestellten und Arbeiter an den gezahlten Beiträgen sichergestellt wird.

Aus der Bewegung.

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Von der Agitation. Eine Reihe von Versammlungen fanden in den letzten Wochen im nordwestlichen und im vogtländischen Gaue des Deutschen Textilarbeiterverbandes statt. In ihnen allen trat flar in Erscheinung, daß die Unternehmer die gegenwärtige Krise dazu ausnügen wollen, mit brutaler Unver­schämtheit gegen die Arbeiterschaft vorzugehen. Die Arbeite rinnen haben besonders darunter zu leiden; direkt oder indirekt wird ihnen der Verdienst gekürzt. Die Bestimmungen der Ge werbeordnung stehen nur auf dem Papier, um ihre Innehaltung schiert sich fein Unternehmer. Deutlicher denn je wird den Ar beiterinnen begreiflich gemacht, daß die Herren Kapitalisten fie als Lohndrückerinnen betrachten; häufig genug werden Männer - angeblich wegen Arbeitsmangel entlassen und sofort Arbeite­rinnen an ihre Plätze gestellt. Warten auf Material ohne Ent­schädigung, Verarbeitung schlechten Materials, die gleichbedeutend ist mit erheblicher Einbuße an Verdienst, sind an der Tagesordnung. Produktionseinschränkungen werden vorgenommen, der Gang der Maschinen aber wird beschleunigt, so daß in fünf Tagen die Pro­duktionsmenge, nicht aber der Verdienst von sechs Tagen erzielt wird. Dies ist zum Beispiel in den Spinnereien von Werdau  , Crimmitschau   und Brandenburg   der Fall. zu spät merken dann die Arbeiterinnen, daß sie die Betrogenen sind, und daß ihre gesteigerte Arbeitsleistung ihnen in Zukunft verhängnisvoll werden fann. Die Mehrleistung wird durch Lohnkürzungen beantwortet werden. Wie sehr die Unternehmer sich über alle gesetzlichen Be­stimmungen erhaben dünken, beweist die willkürliche Verlängerung der Arbeitszeiten durch die Crimmitschauer   Textilproßen. Durch eine Produktionseinschränkung, die aber in Wirklichkeit dank der gesteigerten Ausbeutung der Arbeitskraft Produktionserhöhung be­deutet, anerkennen sie, daß eine Krise besteht. Gleichzeitig aber verlängern sie die Arbeitszeiten ohne vorherige Bekanntgabe, und ohne daß die Arbeiterschaft ihr Einverständnis damit erklärt hat, wie es die Arbeitsordnung vorschreibt. Auch die darüber be= stehenden Bestimmungen der Gewerbeordnung scheinen für die Crimmitschauer   Tertilbarone nicht zu existieren. In den dor­tigen Fabriken kommt neben überzeitarbeit trotz des gesetzlichen Verbots auch Sonntagsarbeit für Arbeiterinnen vor. Die Ge­werbeinspektion, die über die Durchführung der Arbeiterschutz­gesetze zu wachen hat, versagt hier vollständig. Schon bie Mög­lichkeit der Inspizierung der Betriebe verursacht den Fabrikanten Grauen. Ich habe gehört, wie einige von ihnen sich darüber aus­sprachen, ob man nicht verlangen tönne, daß die Betriebe nicht wochentags, sondern nur Sonntags von den Gewerbeaufsichts­beamten besucht würden. Und die Polizei? Die ist stets da, wo sie überflüssig ist. Sie überwacht zum Beispiel eine öffentliche Tertilarbeiterversammlung, vor der die Meister die Ausländer mit der Mär graulich gemacht hatten, sie würden von den inländischen Arbeitern hinausgehauen werden. Oder follte die Polizei etwa die friedlichen Stricknadeln der Arbeiterinnen als gefährliche Waffen ansehen? Auch im Mülsengrund pfeifen die Fabrikanten auf die Gewerbeordnung. Arbeiterinnen arbeiten dort regelmäßig

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Sonnabends bis 6 Uhr, die Schüßen fliegen ohne Schuh­vorrichtung zwischen den Stühlen hin und her. Was schadet es dem Unternehmer, wenn seine Arbeiter verunglücken? Einen prächtigen Verlauf nahm eine Versammlung in Fraureuth  , die erste Versammlung dort, zu der den Frauen der Zutritt gestattet war. Unter dem alten Vereinsgesetz durften sie dort überhaupt feine Versammlungen besuchen. Der Geist, der die anwesenden Arbeiterinnen beseelte, berechtigt zu den schönsten Hoffnungen. Im Nordwestgau, wo große Massen ausländischer Arbeiterinnen in den großen Wolltämmereien und Jutefabriten aus gebeutet werden, wird die Agitation durch die Wohlfahrtsein richtungen" erschwert, die eine wahre Plage für die Arbeiterinnen find. Sie hemmen jede freie Betätigung und beschränken die per­sönliche Freiheit. Ihr Zweck ist, das Gift" der Aufklärung von den Arbeiterinnen fernzuhalten. Trotz alledem beginnen diese sich rege an den Veranstaltungen der Organisation zu bes teiligen. Überall erwacht unter den Textilarbeiterinnen neues, Klassenbewußtes Leben, die ausgebeuteten Frauen sehen mehr und mehr ein, daß es so nicht weitergehen fann, daß auch sie sich rühren müssen, um ihre Verhältnisse zu verbessern. Brutale Unter­nehmerwillfür so wenig wie Wohlfahrtseinrichtungen werden die Arbeiterinnen an ihrem Vorwärtsstreben hindern können, wohl aber feftigen sie die Überzeugung, daß die Ausgebeuteten nichts von dem Wohlwollen der Unternehmer, aber alles von ihrer Dr­ganisation, dem Deutschen Textilarbeiterverband, zu erwarten haben. Martha Hoppe.

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In Freiburg   i. Br. tagte am Sonntag nach dem Nürnberger  Barteitag eine öffentliche Frauenversammlung. Die Unterzeichnete referierte über das Thema: Warum müssen die Frauen sich um Politik kümmern?" Mit regem Interesse folgten die Erschienenen dem Vortrag. In der Diskussion sprachen einige Frauen mit Ge­schick und Verständnis; fie anerkannten sämtlich die Notwendigkeit der politischen Organisation für die Frauen. Zu den 38 weiblichen Mitgliedern, die sich in einer vorhergehenden Versammlung in die Partei hatten aufnehmen lassen, gesellten sich in dieser Versamm­lung noch 12. Die Organisierung und Schulung der neuen Ge­nossinnen soll den Beschlüssen der Frauenkonferenz und des Partei­tags gemäß energisch in die Hand genommen werden. Die Ge­nossinnen Freiburgs   werden bald mit den Genossinnen anderer Orte wetteifern in bezug auf Hingabe und Arbeitsfreudigkeit für die Partei. Linchen Baumann.

Aus dem 11. sächsischen Reichstagswahlkreis. Jm 11. fäch­fischen Reichstagswahlkreis ist die Agitations- und Organisations­arbeit schwer. Der Kreis ist vorwiegend ländlich, und seine ar­beitende Bevölkerung muß hart für ihre wirtschaftliche Existenz fämpfen. Der geringe Verdienst der Arbeiter zwingt auch die Frauen in das Joch der kapitalistischen   Ausbeutung. Sie sind zum großen Teil in der Landwirtschaft tätig, wo auch die Kinder­arbeit stark vertreten ist, denn seitens der werktätigen Bevölkerung muß alles arbeiten, was Hände hat. Frauenarbeit ist auch in der Hartsteinindustrie verbreitet; in der Folge kämpfen die Unter­nehmer dagegen an, daß die Bundesratsverordnung betreffend das Verbot der Frauenarbeit bei der Rohaufarbeitung von Steinen auch für das Knackschlagen gilt. In den Städten spielt die industrielle Frauenarbeit eine große Rolle. In Wurzen  , der größten Stadt des Wahlkreises, werden viele Hunderte von Frauen und Mäd­chen in den weltbekannten Kartonnagenfabriken, in Biz, fuit und Kunstmühlenwerken wie in der Papierfabrit, der Wollwäscherei, der Teppichfabrik und der Filz­fabrik beschäftigt. Das nämliche gilt von Oschah, wo vor allem die Schuh und die Textilindustrie in Betracht tommen. Mit den Fortschritten der allgemeinen Arbeiterbewegung im 11. Kreis wuchs auch die Zahl der Arbeiterinnen, die den Ge­werkschaften zugeführt wurden. Die Zahl der organisierten Frauen und Mädchen steht jedoch in gar keinem Verhältnis zu der Zahl der beruflich tätigen Proletarierinnen. Um dem abzuhelfen, heißt es mutvoll weiterarbeiten und bei der Agitation die Lage der Proletarierinnen möglichst berücksichtigen. In Sachsen  war den Frauen bekanntlich schon unter dem alten Vereinsgefeh die Teilnahme an politischen Versammlungen gestattet, und fast jeder Versammlung wohnten Frauen bei. Aber ihre Teilnahme am ganzen öffentlichen Zeben müßte viel intensiver sein. In den neunziger Jahren wurden von den Partei- und Gewerkschafts­genoffen ab und zu Frauenversammlungen einberufen, doch bis zum Jahre 1903 fam feine nennenswerte politische Frauenorgani sation zustande. Erst in dem genannten Jahre wurde durch die Gründung des sozialdemokratischen Volksvereins für den ganzen Wahlkreis den fortgeschrittenen Frauen Gelegenheit gegeben, fich politisch zu betätigen. Um ihnen entgegenzukommen, wurde der