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Die Gleichheit

so daß ihre Entfernung nicht glatt vonstatten gehen konnte. Drei der rührigsten Vorfämpferinnen für das beschränkte Frauenstimm­recht, Frau und Fräulein Pankhurst und Frau Drumon wurden angeklagt, daß sie bei einem Meeting das Volk zu Ungesetz­lichkeiten aufgereizt hätten. Der Richter verlangte von ihnen die übliche Kaution von 2000 und 3000 Mt. als Bürgschaft dafür, daß sie ein Jahr lang keine Unruhe stiften und sich das nämliche Ver gehen nicht zuschulden kommen lassen würden. Die Angeklagten erklärten, lieber ins Gefängnis zu gehen, als ihre Agitation ein zustellen. Sie wurden zu 10 Wochen Haft verurteilt und unter großem demonstrativem Lärm des Publikums abgeführt, das über­wiegend aus Anhängerinnen und Anhängern des Frauenstimm rechts bestand.

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Zu dem Kampfe der englischen Frauenrechtlerinnen fönnen wir nur wiederholen, was wir bereits früher mehr als einmal gefagt. Wir anerkennen die unbeugfame Energie, den Mut, die schöne Opferfreudigkeit, welche die Damen betätigen, aber wir bedauern lebhaft, daß diese Tugenden für ein nicht bloß fleines, sondern direkt voltsfeindliches Ziel eingesetzt werden. Zum Beweis dafür ein paar lehrreiche Zahlen, welche wir einem sehr leseng­werten Artikel der Neuen Zeit" entnehmen, auf den wir ge­legentlich noch zurückkommen werden: Zur Frage des Frauen­wahlrechts in England" von J. Sachse. Dank der geltenden Wahlrechtsbestimmungen sind in England von 12 Millionen erwachsenen Arbeitern nur 71% Millionen stimmberechtigt, das find 60 Prozent derselben. Die Verwirklichung der frauen­rechtlerischen Forderung, das Stimmrecht für die Frauen unter den gleichen Bedingungen wie es die Männer beiten", würde also unter allen Umständen eine undemokratische Maß­regel sein. Aber die materiellen Lebensbedingungen der Arbeite­rinnen und Arbeiterfrauen müßten außerdem dazu führen, daß nicht einmal 60 Prozent der Proletarierinnen das Wahlrecht erhielte. Die Suffragettes"( der raditale Flügel der eng lischen Frauenrechtlerinnen, der mit allen Mitteln für das Frauenwahlrecht tämpfen will) selbst geben in ihren Veröffent­lichungen an, daß das beschränkte Frauenwahlrecht nur anderthalb Millionen Frauen politisch emanzipieren würde, das heißt noch nicht ganz 12 Prozent der erwachsenen weiblichen Bevölkerung Großbritanniens . Es liegt auf der Hand, daß die Frauenrecht lerinnen bei ihrer Berechnung nicht zu niedrig gegriffen haben. Klar ist auch, daß bei dem Charakter der geltenden Wahlrechts­bestimmungen die anderthalb Million Wählerinnen in der Haupt­sache nur unter den Frauen der bürgerlichen Klassen und nicht unter dem weiblichen Proletariat zu suchen wären. Dieses ginge bei Verwirklichung der frauenrechtlerischen Forderung so gut wie leer aus. Sie würde als ein Pluralwahlrecht für die besitzenden Klassen wirken, und einflußreiche englische Frauenrechtlerinnen geben auch unumwunden zu, daß sie der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für alle Erwachsenen ohne Unterschied des Geschlechts entgegenwirken soll. Es gehört ein hoher Grad von Verblendung und politischer Wirrköpfigkeit oder auch von Unehrlichkeit und Un­wissenheit dazu, um angesichts der vorliegenden Tatsachen zu bes haupten, daß das beschränkte Frauenwahlrecht gleichbedeutend sei mit der politischen Befreiung des weiblichen Geschlechts und demo­fratischen Geist atme.

Freifinn und Frauenstimmrecht. Den Bestrebungen der Frauen, die gleichen politischen Rechte zu erlangen, welche die Männer besitzen, stehen die Freisinnigen bekanntlich sehr fühl oder gar direkt ablehnend gegenüber. Sie rührten bisher keinen Finger, um den Frauen das Wahlrecht erringen zu helfen. Im vorigen Winter stand in der Petitionsfommision des Reichstags eine Ein­gabe des bürgerlichen Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht, Siz Hamburg, zur Beratung, betreffend die Gewährung des aftiven und passiven Wahlrechts zum Reichstag. Mit allen übrigen bürger­lichen Abgeordneten zusammen hat da auch das freisinnige Kommissionsmitglied beschlossen, dem Reichstag übergang zur Tagesordnung zu empfehlen. Der Petition der bürgerlichen Frauen wurde also die nichtachtendste Behandlung zuteil, die im Reichstag möglich ist. Wehrmals stand seitdem diese Wahlrechtspetition auf der Tagesordnung des Reichstags, gelangte aber nicht zur Be­ratung. Als die Petition zum erstenmal auf der Tagesordnung er­schien, hat die sozialdemokratische Fraktion sofort beantragt, den Vorschlag der Kommission abzulehnen und dem Reichskanzler die Eingabe zur Berücksichtigung zu überweisen. Ein Freisinniger rührte sich für die Forderung nicht. Am ersten Tage der laufen­den Wintersession des Reichstags stand die Sache abermals zur Beratung, jedoch kam es auch diesmal nicht zur Debatte und Be­schlußfassung. Zum erstenmal tauchte aber ein Freijinniger auf, der für das Frauenwahlrecht einiges Interesse zeigte. Wohlgemerft:

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nicht die freifinnige Frattion, fondern ausgerechnet Herr Dr. Mugdan allein beantragte, den Sozialdemokraten um drei Vierteljahr nachklappernd, ebenfalls Berücksichtigung der Wahlrechtsforderung. Er versuchte damit offenbar bei den bürgerlichen Frauen ein biß­chen der freisinnigen Ehre zu retten. Trotz des schimpflichen Ver­haltens seiner Partei in der Frauenwahlrechtsfrage konnte er den Versuch leicht riskieren, weil er sicher ist, daß die bürgerlichen Parteien nichts tun werden, um den Frauen wirklich das Wahl­recht zu erzwingen.

N.

Zur vorläufigen Abwehr. Der Deutsche Verband für Frauen­stimmrecht hat ein Publikationsorgan, welches fast in jeder Nummer den Nachweis erbringt, daß es der geschichtlichen Einsicht und Charakterfestigkeit gleicherweise bar ist. Seinen Titel Zeitschrift für Frauenstimmrecht" sucht es dadurch zu verdienen, daß es mit Vorliebe der entschiedensten Vorfämpferin für volles Bürgerrecht der Frau in Deutschland , der Sozialdemokratie, feifend in den Rücken fällt. Das Gegenstück zu diesem löblichen Tun ist die Back­fischhoffnung, mit der das Blatt von der beginnenden energischen Verteidigung der Frauenrechte durch den bürgerlichen Liberalismus schwärmt, sobald nur irgend ein Politiker dieser Observanz für die bürgerliche Frauenrechtelei statt des üblichen Fußtritts einmal pa­pierne gute Worte hatte. Daß die Gleichheit" diesem sonderbaren Kämpen für das Frauenstimmrecht wiederholt auf die Finger Elopfen mußte, war selbstverständliche Pflicht. Daß die ausgeteilten Hiebe schmerzten, war das Pech der Weiblein, die sich um die traurige Standarte scharen. Es verwundert uns daher nicht, daß die Zeitschrift für Frauenstimmrecht" die tödliche Langeweile ihres Inhaltes durch eine Polemit gegen die Gleichheit" zu beleben sucht. Der übliche kleine Notizenkram, der die geistige Armut und prattische Schwäche der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland anschaulich illustriert, ist durch einen zwei Spalten langen Offenen Brief" unterbrochen, in dem eine sichere Jda Jens Hamburg mit dem Händchen eines politischen Säuglings Donnerteile sittlicher Entrüstung gegen uns entfendet. Wir be­dürfen heute des Raumes zu dringlicheren Aufgaben, als die Be­hauptungen der Dame zu widerlegen. Wir begnügen uns damit, sie vorläufig zu fennzeichnen: schief, unwissend und dreist. Das gegen darf eine Stelle des Offenen Briefes " um der Ehre unserer kämpfenden Genofsinnen willen heute schon nicht unwidersprochen bleiben. Jda Jens beruft sich auf den Brief einer Sozialdemo fratin" als Beweis dafür, daß andere gleich ihr" über die ab­scheuliche Gleichheit", ihren unangenehmen Ton", ihre Un­wissenheit", ihr" System" und anderes mehr urteilen. Ein Pracht­exemplar von Sozialdemotratin das, welche die Verfasserin des Offenen Briefes " vor den staunenden Augen ihrer bürgerlichen Leserinnen paradieren läßt! Ihr Bedürfnis nach kurzer und deutlicher Aufklärung" über den wahren Charakter des Amster damer Frauenstimmrechtstongresses, den die+++, Gleichheit" an geblich zu Unrecht kritisiert hat, teilt sie nicht diesem Blatte mit. Sie wendet sich auch nicht an eines der mehr als 60 Organe der Partei, zu der sie sich betennt. Sie sorgt weder auf die eine noch die andere Weise dafür, daß die vielen Zehntausende von Lese­rinnen und Leser richtig informiert werden, welche durch die ,, Gleichheit" angeblich irregeführt worden sind. Dafür haucht sie ihren Schmerz in die verständnisinnige Seele von Jda Jens aus und regt eine Aufklärung" in der ausgesprochen bürgerlichen " Zeitschrift für Frauenstimmrecht" an! Wie sagt doch Goethe? , Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange

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Ist sich des rechten Weges wohl bewußt."

Wir legen die Hand dafür ins Feuer, daß auch nicht eine einzige arbeitende, kämpfende Genoffin den Weg beschritten hätte, den die Sozialdemokratin" der Zeitschrift" gewählt hat. So konnte nur eine jener Schlachten bummlerinnen und Marodeurinnen im Klassenkampf handeln, die ihre Langeweile, ihren Sensations. hunger, ihre Reklamesucht oder auch ihr Geldbedürfnis hüben und drüben zu befriedigen trachten. Ihr Name ist Feigheit und Zweis deutigkeit. Wir gönnen Jda Jens und der fünfzigprozentigen Wahr­heitsredaktion des frauenrechtlerischen Blattes diese Kronzeugin. Gleich und gleich gesellt sich gern.

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Eine Frau Mitglied des Gewerbeschulrats. In den Ge­werbeschulrat der Stadt Karlsruhe wurde Fräulein Emmy Koch gewählt. Die Dame soll tunstgewerblich gut geschult sein.

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel). Wilhelmshöhe, Bon Degerloch bet Stuttgart .

Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .