74 Die Gleichheit Nr. 5 Ein aufgezwungener Waffengang. Bereits in unserer letzten Nummer haben wir den„Offenen Brief " festgenagelt, durch welchen Ida Jens sich in Nr. ll der „Zeitschrift für Frauenstimmrechl" zur Richlerin über das Ver- halten der„Gleichheil" zur bürgerlichen Frauenbewegung ernennt. Wir begnügten uns zunächst damit, die angeblich sozialdemokratische Kronzeugin der Dame von den Nockfalten der proletarischen Frauen« bewegung abzuschütteln. Den Inhalt des Briefes selbst charakteri« sierlen wir als:„schief, unwissend und dreist". Dieses Urteil sei in dem Folgenden durch Talsachen begründet.— Ida Jens behauptet, das Frauenwahlrecht, für welches die englischen Suffragettes kämpfen, werde fälschlicher- und böswilligerweise von der„Gleich- heit" als„Damenwahlrecht" gekennzeichnet. Als einzigen Beweis datür zieht sie eine Äußerung Keir Hardies an. die nach ihr„klipp und klar" sagt, daß mehr Frauen der arbeitenden Bevölkerung das Wahlrecht erhallen würden als die Damen. Sagt, jawohl, aber nicht beweist! Wir stellen den Worten Zahlen entgegen. Nach dem jetzt geltenden Wahlrecht, das keineswegs allgemeines Männer« Wahlrecht ist, haben von den 12'/, Millionen erivachsener Männer des Vereinigten Königreichs bloß 7'/, Millionen das Wahlrecht, das sind 60 Prozent, S Millionen, gleich 40 Prozent der erwachsenen Männer sind politisch rechtlos. Eine Ausdehnung des Wahlrechts auf das weibliche Geschlecht„unter den gleicken Bedingungen, wie es die Männer besitzen"— wie die srauenrechtlerische Forderung lautet—, würde aber bei weitem nicht einmal dem gleichen Bruch- teil der erwachsenen Frauen ihre politische Gleichberechtigung bringen. Die Bedingungen, von denen jetzt der Genuß des Wahl- rechts abhängig ist, sind in der Hauptsache zugunsten der Besitzenden zugeschilillen. Es ist aber eine männiglich bekannte Talsache, daß das weibliche Proletarial im allgemeinen wirtschaftlich noch viel trauriger gestellt ist als die Arbeiter. Die Folge davon für die politische Emanzipation der Arbeilerinnen und Arbeiterfrauen ist mit Händen zu greifen. Die englischen Suffragettes selbst schätzen in ihren Veröffentlichungen, daß die Verwirklichung ihrer Forde- rung anderthalb Millionen Frauen zu politischen Vollbürgerinnen erheben würde. In Großbritannien gibt es aber 13 Millionen erivachsene Frauen. 11'/, Millionen von ihnen würden also dank dem empfohlenen Rezepte der Gleichberechtigung nach wie vor politische Heloten bleiben. Wird Ida Jens die Stirn haben, zu behaupten, daß diese 11'/, Millionen rechtloser Frauen sich aus den Reihen der Herzoginnen, Gräsinnen, Gattinnen und Töchter von hohen staatlichen Würdenträgern und Fürsten der Industrie, des Handels, der Börse rekrutieren, und daß die anderthalb Millionen politisch emanzipierten Frauen unler den Frabrikarbeiterinnen mit einem Wochenverdienst von 9 Schilling zu suchen seien? Wie wenig Bedeutung Keir Hardies persönlicher Meinungsäußerung zukommt, beweist eine Tatsache. Die„Arbeiterpartei", deren verdienstvollster Führer er ist, hat auf drei nacheinanderfolgenden Jahreskongressen mit stets steigender, überwälligender Mehrheit die Forderung des beschränkten Frauenwahlrechts als eine undemokratische und real- tionäre verworfen und ihr die andere entgegengestellt: das Wahl- recht für alle Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts. Ida Jens genügt es aber nicht, mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen ihre totale Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse zu demonstrieren, welche ein Urleil über die strittige Frage ermög- lichen. Sie beweist obendrein, daß sie nicht richtig lesen kann oder nicht richtig lesen will. Denn andernfalls wäre ihre Bemerkung unmöglich, daß die„Gleichheit" das„Vorgehen der englischen Schwestern nur herabsetzen wolle, weil diese parteilos und nicht sozialdemokratisch sind". Wir haben ja gerade wiederholt darauf hingewiejen und kritisiert, daß leider auch Genossinnen und Ge- nossen in bester Absicht, aber in theoretischer Konfusion und mit Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse an der Damenwahlrechls- bewegung teilnehmen, ja zu ihren eifrigsten und opferfreudigsten Kämpen gehören. Nun zu dem Vorwurf, die„Gleichheit" hätte der sinnischen Baronesse Griepenberg schwere Kränkung zugefügt, und sie habe aus ihrer„Unwissenheit" heraus„von vornherein die Frauen für die Zukunft insultiert". Unser Urteil über die Baronesse Griepen- berg hat sich m der Hauptsache auf ihre Hallung auf den inter - nationalen frauenrechtlerischen Kongressen gestützt. Gerade die„Gleich- heit" ist es gewesen, die seinerzeit den borniert kapitalistischen Standpunkt der Dame in der Frage des Arbeiterinnenschuyes brand- markte, während die srauenrechtlerische Presse, die„radikale" nicht ausgenommen, diese sonderbare Vorkämpferin für die Gleich- berechligung des weiblichen Geschlechts höchst kritillos feierte. Auf keiner internalionalen Tagung aber hat sich die Baronesse Griepen- berg unseres Wissens und nach den vorliegenden Berichten alS Gegnerin des allgemeinen Wahlrechts bekannt. Ihr reaktionäres Herzchen blieb im Dunkel jener bekannten Phrase verborgen,„daß das Wahlrecht für die Frauen unter den gleichen Bedingungen wie für die Männer gewährt werden müsse". Es ist das jene Phrase, die charakteristisch ist für die Zweideutigkeit, in deren Schatten sich die bürgerliche Frauenrechtelei wohl fühlt, wie für den Klassenhochmut, der die bürgerlichen Frauen mit der Gesamt- heit des weiblichen Geschlechts identifiziert und in der Dame den Typus der Frau überhaupt erblickt. Daß die Baronesse Griepen- berg in Finnland als Reaktionärin bekannt ist, wußten auch wir trotz der tiefen Ignoranz, welche Ida Jens uns wiederholt be- scheinigt. Wir konnten bis zur Stunde aus Finnland selbst nicht erfahren, ob sich die Dame in der Wahlkampagne des ersten Land- tags des allgemeinen Wahlrechts so schroff als Gegnerin der Demokratie bekannt hat, als seither im Auslande. Jedoch eins glauben wir jetzt schon behaupten zu können: Als dies« Reaktionärin um die Stimmen der Wählerinnen warb, dürft« sie sich kaum mit der gleichen hochnäsigen Verachtung und Herabwürdigung über die Schneiderinnen, Wäscherinnen und Fabrikarbeiterinnen geäußert haben, als sie es nach der Wahl in Versammlungen und Blättern des Auslands getan hat. Die Lehre, auf welche wir mittels deS vorliegenden Falls die Aufmerksamkeit der Proletarierinnen lenken wollten, bleibt durch das Jenssche Gerede ganz unerschütlert: näm- lich daß die Zuerkennung des allgemeinen Wahlrechts innerhalb der Frauenwelt gleich Scheidewasser wirkt. Sie zerstört all« Phraien, all« unbewußten Selbsttäuschungen, alle gewollten Irre- führungen betreffs der„einen, unteilbaren Schwesternschaft" und läßt die Klaffengegensätze innerhalb des weiblichen Geschlechts mit aller Schärfe hervortreten. Ida Jens nennt die Feststellung dieses geschichtlichen Prozesses„die Frauen für die Zukunft insultieren". Sei's drum! Es ist das kein Beweis gegen unsere Auffassung, sondern nur dafür, daß die Dame geschichtliche Vorgänge vom er- habenen Standpunkt eines Streites zwischen keifenden Frau Basen würdigt. Zum„Zweck der Klassenverhetzung" soll sich die„Gleichheit" in Nr. 13 mit dem Vorgehen einer Breslauer Gruppe des Verbandes für Frauenstiniinrecht beschäftigt haben. Ter betreffenden Notiz lag die Haltung der Breslauer Frauenrechtlerinnen während des letzten Landtagswahlkampses in Preußen zugrunde. Sie kritisierte es, daß die Vorsitzende der genannten Gruppe den Frauen nicht das Ein- treten für die drei sozialdemokratische» Kandidaten empfohlen hatte, nachdem die Kandidale» der bürgerlichen Parteien sich als Gegner oder unzuverlässige Freunde des Frauenwahlrechts entpuppt hatten. Die Notiz vertrat die Auffassung, die Frauenrechtlerinnen hätten damit bekunder. daß ihnen das Interesse der bürgerlichen Klassen vor dem Recht des weiblichen Geschlechts gehe. Ida Jens bestreitet nun nicht etwa die Richtigkeil des gemeldeten Vorganges. Bewahre! Aber sie stößt die Breslauer Frauenrechtlerinnen aus der Gemein- schaft der Heiligen des Frauenstimmrechtsverbandes. Sie erklärt, daß„die in Breslau arbeitenden Frauen ganz außerhalb des Ver- bandes standen u»d stehen". Wir haben seinerzeit die Notiz von einer Korrespondentin in Breslau erhalten, die wir für gut informiert hallen mußten. Nach dem Erscheinen des„Offenen Briefes " haben wir uns sofort an sie mit dem Ersuchen um Auskunft gewendet. Es ist ihr leider bis heute noch nicht gelungen, volle Klarheit dar- über zu erlangen, in welchem Verhältnis die Gruppe Breslauer Frauenrechtlerinnen, um die es sich handelt, zu dem Verband für Frauenstimmrecht steht. Der Form nach mag sie dieser Organi- sation nicht angeschlossen sein, dagegen hat sie unstreitig bei den Landtagswahlen nach der Losung gearbeitet, welche der Verband seinen Mitgliedern gegeben hatte. Durch ihre Aktion, welche nur die logische Konsequenz der offiziell empfohlenen Taktik gezogen hat. bekundete sie. daß sie seines Wesens ist. Dies erklärt und ent- schuldigt, daß die Gruppe in der öffentlichen Meinung ohne weiteres dem Verband für Frauenstimmrecht zugerechnet worden ist. Ida Jens hat um so weniger das Recht, die Breslauer Gruppe als Sündenbock in die Wüste zu lagen, als diese gar nichts getan hat, was den Grundsätzen und der Politik des Verbandes widerfpricht. Die„Zeitschrift für Frauenstimmrechl"(Nr. 8 vom 1. August) meldet von der Ortsgruppe Bunzlau das gleiche Vorgehen. Da die bürgerlichen Kandidaten sich als unsichere Kantonisten in punkro Frauenwahlrecht erwiesen,„blieb den Mitgliedern natürlich nichts anderes übrig, als Enthaltung von der Wahlarbeit zu proklamieren". Diese Notiz ist unter„Verbandsnachrichten" nach- zulesen, ein Beweis dafür, daß die Bunzlaner Gruppe nicht außerhalb der allgemeinen Organisation steht. Überhaupt scheinen zwischen dem Verband und„den ,n Schlesien arbeitenden Frauen" eigenlümllche Beziehungen zu herrschen. Im„llus Lutkragii" (Sir. 12 vom 15. August), dem internationalen Organ der frauen -
Ausgabe
19 (7.12.1908) 5
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