Nr. 5
Die Gleichheit
rechtlerischen Stimmrechtsverbände, wird aus Deutschland berichtet, daß die Schlesische Frauenstimmrechtsgruppe am 10. Juni über ihr Statut zu beschließen hatte. Es war beantragt worden, ,, dem Beispiel des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht zu folgen und das allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht als Ziel der Gruppe zu erklären. Die Majorität erachtete jedoch, daß dies eine nicht strikt parteilose Haltung bedeute"; der Antrag wurde daher abgelehnt. Ausgerechnet am 10. Juni! Also unter dem Eindruck der preußischen Landtagswahl, unter dem Eindruck eines Wahlkampfes, der seiner ganzen Natur nach Wahlrechtskampf war! Die Schlesische Frauenstimmrechtsgruppe hat sich ein Statut ge= geben, das in Widerspruch steht zu dem Statut des Verbandes. Dieser hat sich bekanntlich nach jahrelangem Zaudern unter den Fußtritten der sozialdemokratischen Kritik dazu entschlossen, endlich auf seiner Generalversammlung zu Frankfurt a. M. 1907 programmatisch und offiziell das allgemeine Wahlrecht zu fordern. In welchem Verhältnis steht die Schlesische Frauenstimmrechtsgruppe zu dem Preußischen Landesverein und zu dem Deutschen Verband für Frauenstimmrecht? Auffälligerweise ist über ihre Kon ftituierung in der Zeitschrift für Frauenstimmrecht" nichts be richtet worden. Etwa weil die Vorstände sich der offen reaktionären Haltung der Gruppe schämten oder weil sie ihr den Anschluß verweigerten? Wie würde sich das aber mit der Tatsache zu sammenreimen, daß die Gründung der Gruppe stolz und ohne jede Kritik, ohne jede klärende Stellungnahme an das offizielle internotionale Organ berichtet werden konnte? Die Sachlage scheint zum mindesten dunkel und erinnert an die wißigen Verse Heines: Blamier' mich nicht, mein schönes Kind, Und grüß' mich nicht Unter den Linden. Wenn wir bei dir zu Hause sind,
Wird sich schon alles finden.
Vielleicht fragt Jda Jens einmal an tompetenter Stelle an, welche Bewandtnis es mit dem schönen Kind der Schlesischen Frauengruppe hat.
Als besonderes Verbrechen freidet uns die wackere Dame noch unseren Kommentar an zu dem Beschluß des Amsterdamer Internationalen Kongresses, daß über Finnland nicht gesprochen werden solle, weil es ein Revolutionsland sei". In ihren diesbezüglichen Ausführungen bringt sie es fröhlich fertig, auf das Schreckhorn ihrer Unkenntnis der besonderen und allgemeinen Tatsachen auch noch den Montblanc ihrer Unfähigkeit zu türmen, die treibenden Kräfte und Zusammenhänge des geschichtlichen Lebens, die großen historischen Vorgänge zu begreifen. Wir werden das beweisen. Zunächst behauptet Jda Jens, nicht die bürgerliche Gesinnung der tagenden Damen, denen der Ludergeruch der Revolution auf die zarten Nerven fiel, habe den angezogenen Beschluß gezeitigt. Bei leibe! Nur die weise Erkenntnis, bei der vorgerückten Zeit sei es unpraktisch, sich so lange bei einem Lande aufzuhalten, dessen Methoden doch nicht vorbildlich sein könnten, da das Stimmrecht eben durch eine Revolution oder zu Zeiten einer Revolution er rungen sei".
Wir kennen die Weise, wir kennen den Text,
Wir kennen auch die Verfaffer."
Die vorgerückte Stunde stellt sich wieder und wieder bei tagens den Frauenrechtlerinnen zur rechten Zeit ein, wenn die Begriffe fehlen, in denen eine entschiedene Stellungnahme zu unbequemen Fragen wurzelt. Wir stellen der vorgeblichen Rücksicht auf die vorgerückte Stunde gegenüber, wozu der Amsterdamer Kongreß nach dem uns vorliegenden offiziellen Bericht Zeit fand: Wie in einem Kinematographen ein Defilé von 2 bis 3 Minutenrednerinnen an sich vorüberziehen zu lassen, das niemand belehrte, das viele langweilte, bei dem nur Sensationsbedürfnis, Neugierde und Eitelfeit ihre Rechnung finden konnten. Eine Unmenge inhaltsloser Berichte über die unwichtigsten Begebnisse zu hören, so daß sogar Frau Cauers Frauenbewegung" verschämt von den„ öden Strecken" und den ermüdenden Strecken" der Kongreßberatungen sprach. Wiederholt und zum Teil breit über... ein künftiges Banner des frauenrechtlerischen Weltbundes zu beraten, wie über das offizielle Abzeichen, durch das sich dessen Mitglieder von gewöhnlichen Menschentindern unterscheiden sollen, eine Frage von so frauenerlösender, menschheitsbeglückender Bedeutung, daß zu ihrer Prüfung eine eigene Kommission eingesetzt wurde. In einer einzigen Woche eine recht stattliche Anzahl festlicher Veranstaltungen zu bes wältigen, die die hervorragende Leistungsfähigkeit der Damen, zu feiern und sich feiern zu lassen, ehrenvoll bezeugt. Wir zählen auf: zwei offizielle Begrüßungsfeierlichkeiten, die fast ganz von fünstle rischen und unterhaltenden Darbietungen ausgefüllt wurden; ein Nachmittagsausflug in Amsterdam und Umgebung; ein Ausflug per Dampfer auf der Amstel; drei Nachmittagsempfänge und Tee
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gesellschaften; ein allgemeines Abschiedsdiner und an den beiden Tagen nach Schluß des Kongresses noch je ein Ausflug mit obligaten Festessen usw. nach Rotterdam und dem Haag. Schiller hat recht: Dem Glücklichen schlägt keine Stunde," den Beratenden schlug sie dafür offenbar um so früher!
Jda Jens hat jedoch außer der vielberufenen vorgerückten Zeit noch eine andere Saite auf ihrer Leier. Der Kongreß durfte sich nicht lange bei einem Lande aufhalten, das im Zeichen der Revolution stand, weil seine Methoden nicht vorbildlich sein könnten. Erbarmungswürdiger fonnte sich die geschichtliche Einsichtslosigkeit unserer eifernden Frauenrechtlerin nicht enthüllen, als in dieser Außerung. Gerade die Revolutionen sind Fundgruben geschichtlicher Erkenntnis. Nicht, daß sie uns fertige Methoden an die Hand geben, die wir mechanisch nach Belieben überall anwenden können, wie Jda Jens' Kinderverstand wähnt. Wohl aber in dem Sinne, daß sie uns schärfer, flarer als die Zeiten der Evolution die geschichtlichen Kräfte erkennen lassen, welche an der Umgestaltung der Gesellschaft arbeiten, daß sie daher unsere Einsicht zu richtiger Beurteilung des historischen Vergehens und Werdens vermehren, uns dadurch in den Stand setzen, Entwicklungslinien entlang zu blicken, ihre Endpunkte zu erkennen, bereit zu sein, die Situation zu nußen, wie immer die Lose auch fallen. Außerdem: wer oder was verbürgt Jda Jens, daß nicht in dem oder jenem Lande sich begibt, was in Finnland sich ereignet hat: daß eine Wahlrechtsreform in den Stürmen und Wettern einer Revolution geboren wird, so daß auch finnische Methoden des Kampfes vorbildlich" werden können? Das Proletariat Österreichs hat die letzte Wahlrechtsreform im Feuerschein der russischen Revolution unter Androhung des Massenftreits durchgesezt, mit anderen Worten: es stand am Vorabend revolutionärer Kämpfe und mußte auf sie gerüstet sein. Die belgische Arbeiterklasse hat wieder und wieder in revolutionären Bewegungen für die Eroberung des allgemeinen Wahlrechts gestritten. Ob das Proletariat in Ungarn , in Preußen, in Sachsen usw. ohne revolutionäres Vorgehen je volles Bürgerrecht zu erobern vermag: wer würde es wagen, heute diese Frage zu bejahen! Doch: ,, Gott , der Allmächtige, blies,
Und die Armada flog in alle Winde."
Jda Jens, die Allwissende, Allmächtige tutet mit glühenden Paus bäcklein in die frauenrechtlerische Konfusionstrompete und defretiert: „ Die Revolution iſt abgeschafft".
Unsere Auffassung, daß das weibliche Geschlecht der Revolution überall unendlich viel verdankt, beantwortet die Dame mit einem blühenden Unsinn über die Revolution im allgemeinen und die große französische Revolution im besonderen, aus dem wir nur die absonderlichsten Ranken herauslösen. So die Behauptung, die Rechte der Frauen seien in Frankreich vor der Revolution weit größer gewesen als nach derselben". Sie bekundet, daß die Verfasserin des„ Offenen Briefes " feine blasse Ahnung von der Natur der Rechte hatte, welche Frauen im feudalen Frankreich ausüben fonnten, aber auch kein Verständnis für das Wesen der modernen Frauenbewegung. Die öffentlichen Rechte, von deren Ausübung durch Frauen wir vor der großen Revolution hören, waren Sachrechte, Realrechte, die an dem Grund und Boden hingen; sie haben nichts, aber auch gar nichts gemein mit den Rechten, welche die Frauenbewegung für das Weib als Persönlichkeit fordert. Für die Entdeckung, daß die französische Revolution auch Charlotte Corday ,, unendlich viel zu verdanken habe", mag sich Jda Jens um einen Orden erster Klasse für Narretei bewerben. Ein leidlich begabter und aufmerksamer Volksschüler weiß, daß Charlotte gewiß mit reinem Herzen, aber in Blindheit für die Natur der revolutionären Ereignisse Marat ermordete, einen der uneigennüßigsten, scharfs blickendsten und energischsten Helden der Revolution. Wir sind die letzten, die unterschätzen, was die Frauen für die geistige Vorbereitung der großen französischen Revolution, was sie in deren Verlauf selbst geleistet haben. Aber diesen Anteil derart zu überschätzen, wie unsere frauenrechtlerische Klio das tut, schlägt nicht nur der historischen Wahrheit ins Gesicht, sondern ist gleichzeitig lächerlich. Eins ist übrigens bezeichnend. Als Förderin der Res volution nennt Ida Jens Charlotte Corday , Madame Roland und Théroigne de Méricourt . Sie hat aber kein Wort der Erwähnung für die Hunderte und Tausende der tapferen Kleinbürgerinnen und Proletarierinnen dieses Wort mit dem nötigen Körnchen Salz verstanden, welche die Schlachten der Revolution schlagen ge holfen haben. Es sei nur der heroischen Frauen des Volkes ge= dacht, die durch den Zug nach Versailles vom 5. und 6. Oktober 1789 die tönigliche Familie nach Paris zurückführten.
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Noch ein Wort über das frauenrechtlerische Wehgestöhn von dem schnöden Undank der Revolution, welche sich mit Hilfe der Frauen durchsetzte, sie aber rechtlos ließ. Wie liegen die Dinge in