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Die Gleichheit

und von welchen man annimmt, daß sie sich unermüdlich dem Studium einer reineren Theologie gewidmet hätten, wohl ge­bührt, die Obrigkeiten und den unverständigen gemeinen Mann eines Besseren zu belehren. Das bloße Geständnis schwach sinniger Weiber, auf der Folter ausgepreßt, reiche doch keines wegs aus zu einer Verurteilung derselben."

Weyers Buch gegen den Herenunfug machte ungemeines Aussehen, aber seine wohltätigen Wirkungen waren freilich nur von sehr kurzer Dauer. Das mutige Vorgehen des Arztes, der sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, fand viele Bewunderer und Nachahmer, jedoch noch mehr Gegner. Kaum hatten sie sich von der ersten überraschung erholt, so eröffneten Gesetz geber, Richter und Gelehrte von den vier akademischen Fakul­täten gegen Weyer einen dreißigjährigen Krieg, an dessen Ende das von dem tapferen Manne verteidigte Gebiet der Vernunft ein erobertes Land war, in welchem die Barbarei noch ein volles Jahrhundert hindurch ihr blutiges Panier aufpflanzte. Weyers Werke kamen auf den Index, das heißt sie wurden den Büchern zugerechnet, deren Lesen die katholische Kirche   ver bietet. Er konnte von Glück sagen, daß ihn feine härtere Strafe traf. Ein holländischer Geistlicher namens Loos, der ebenfalls im Sinne Weyers für die Heren eintrat, wurde mit harter Kerferstrafe gezwungen, seine Angriffe auf die Heren­verfolger zurückzunehmen und zu widerrufen.

Gleichsam auf Weyers Schultern stand nicht ganz hundert Jahre später der Jesuit Friedrich v. Spee, der Dichter der Truz- Nachtigall". Im Auftrag seines Ordens ging er 1627 nach Franken, wo er die Obliegenheit hatte, die zum Tode ver­urteilten Heren auf dem letzten Gang zu begleiten. Aus den tieferschütternden Erkenntnissen dieser Amtspflicht, die sein Haar ergrauen machten, erwuchs seine Schrift gegen den Herenwahn, worin er den Obrigkeiten vorhielt, daß die unter Berufung auf Gott  , auf Recht und Gerechtigkeit verübte Justiz die große Lehrmeisterin aller Grausamkeiten und Scheußlichkeiten sei, mit welchen das entmenschte Soldatenvolf den deutschen Boden schändete". Spees Auftreten blieb nicht ohne Wirkung. Ein fatholischer geistlicher Fürst, der Erzbischof Johann Philipp v. Schönborn, war der erste, der 1632 in seinem Lande die Herenprozesse abstellte.

Einer der heftigsten Gegner Weyers in Deutschland   war der berühmte Tichter Johann Fischart  , ehrenfester und hoch gelehrter Doktor beider Rechte" zu Straßburg  . Er war ein Anhänger Calvins, und die deutsche   Literatur rechnet ihn zu den größten Schriftstellern seiner Zeit. Er zeichnete sich nament­lich durch republikanische Gesinnung aus, aber er war inner lich nicht frei und durchgebildet genug, um der trostlosen geistigen Krankheitserscheinung der damaligen Zeit, dem Teufels­und Hexenglauben, Herr zu werden. Er übersetzte das Werk von Weyers Gegner, dem französischen   Juristen Bodin  , in dem dieser die Verfolgung und Verbrennung der Heren mit einer Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit empfahl, wie nur wenige Schriftsteller des sechzehnten Jahrhunderts. Fischart wurde durch den Straßburger   Buchhändler Lazarus Hetzner die Neu­herausgabe des früher erwähnten Herenhammers" übertragen. In der Vorrede sagt er, das Buch solle vorzugsweise den Richtern und Obrigkeiten bei Bestrafung der Heren dienen: nur zum allgemeinen Nutzen sei es herausgegeben und werde allen wahren Vaterlandsfreunden willkommen sein". Dieser neue" Herenhammer" verschärft noch die Beschuldigungen und Strafen des ursprünglichen Buches gegen die Heren.

Weyer erlebte es noch, daß die Verfolgungen, die durch seinen Einfluß furze Zeit geruht hatten, bald wieder in er­schreckender Weise zunahmen. Seine Gegner sorgten durch Predigten und Schriften dafür, daß der Herenglauben im Volt immer neue Nahrung fand. Von Würzburg   ist noch eine Liste vorhanden, in der die von 1627 bis 1629 mit dem Schwert gerichteten und nachher verbrannten Herenleut" aufgezählt werden. Darunter sind genannt: Ein fremd Mägdlein von zwölf Jahren; des Herrn Domprobst Vogt ein Klein Mägd­lein von neun oder zehn Jahren; ein geringeres; ihr Schwester lein; Knaben von zehn, elf und zwölf Jahren; das Göbel

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Babelin, die schönste Jungfrau in Würzburg  ; ein blind Mägd­lein; zahlreiche andere Personen jedes Alters und Geschlechts, oft gänzlich Unbekannte, oft vornehmer Herkunft. Auch ein Verwandter des Bischofs, ein Page namens Ernst v. Ehren­berg, fiel unter dem Beil des Henkers, und es geschah sogar, daß auch der Bischof von Angeklagten als Mitschuldiger be­zeichnet wurde. Da erst ließen in Würzburg   die furchtbaren Prozesse nach. Aus Offenburg   wird berichtet, daß dort in vier Jahren sechzig Personen hingerichtet wurden. Aus dem kleinen Städtchen Coesfeld   liegt der Bericht des Scharfrichters vor, der genau notierte, wieviel er bei jeder Hinrichtung einnahm. Ein berühmter deutscher Jurist, der Professor und kursächsische Geheimrat Carpzow   in Leipzig  , hat bei zwanzigtausend Todes­urteilen, meist in Herenprozessen, mitgewirkt. Dabei rühmte er sich, die Bibel dreiundfünfzigmal ganz durchgelesen zu haben. Der letzte entscheidende Kampf gegen die Herenprozesse war einem Manne vorbehalten, der mit einem durchdringenden Verstand und einer aufs Praktische gerichteten philosophischen Bildung ein für alles Gute offenes Herz und einen uner­schütterlichen Mut verband. Christian Thomasius  ' Verdienst ist es, daß, wie Friedrich II.   sagte, die Weiber in Sicherheit alt werden konnten". Thomasius   wurde 1655 zu Leipzig   geboren und wirfte später an der Universität Halle als Professor der Philosophie. Bei einem Hexenprozeß hatte er selbst als Referent noch die Folterung der Angeklagten gefordert. Er wurde aber überstimmt, und dies gab ihm den ersten Anstoß zu einer tieferen Prüfung des ganzen Gegenstandes. Sobald er die Nichtigkeit und Grausamkeit des Verfahrens gegen unschuldige Menschen eingesehen hatte, nahm er den Kampf mit den Heren­verfolgern auf. Mit heftiger Schärfe rügte er den blinden Autoritätsglauben der Juristen und Theologen und kritisierte den Aberglauben, der durch sie in die Menge getragen würde. Auch gegen Thomasius   brach der Sturm der Entrüstung los, aber die Gegner, die ihm nicht gewachsen waren, zeigten nur wenig Lust, seine Lehrfäße in offenen Streitschriften zu wider­legen. Seine Stimme mußte gehört werden, weil sie die Er­gebnisse einer fortgeschrittenen philosophischen und naturwissen­schaftlichen Bildung mit den Forderungen der Humanität in Einklang brachte. Durch Thomasius   wurden die Völker aus dem blindesten und blutigsten Aberglauben aufgeschreckt. Frei­lich verzichtete der Aberglauben auch jetzt noch nicht an allen Orten mit einem Male auf seinen langjährigen Besitz. Die Zeiten hatten sich jedoch gewandelt. Aus den Ruinen des zünf­tigen Handwerkes, der Städteherrlichkeit, des feudalen Rittertums blühte langsam das neue Leben veränderter und sich befesti­gender wirtschaftlicher und sozialer Zustände auf. Andere Zeiten, andere Lieder." Das Gefühl der Ruhe und Sicherheit, des Erkennens und Verstehens ergriff wieder vorherrschenden Besitz von den Gemütern, das Denken wandelte andere, flarere Bahnen. Der soziale Boden zerbröckelte und schwand, aus dem die furchtbare Giftpflanze des Herenglaubens und der Herenprozesse erwachsen war. Die alte Generation, die im Herenwahn ge­boren und groß geworden war, starb aus und mit ihr saut allmählich der schlimmste Aberglauben ins Grab. Die Praxis der Hexenprozesse nahm ein Ende, wenngleich der Buchstabe des Gesetzes, der sie ermöglichte, bis in die jüngste Zeit hinein im Straffoder fortgelebt hat.

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Eine der letzten Herenverbrennungen im protestantischen Deutschland   fand noch 1713 zu Tübingen   statt. In Würz­ burg   wurde 1749 eine siebzigjährige Nonne enthauptet, deren Prozeß noch einmal alle Einzelheiten des krassesten Aberglaubens in voller Blüte zeigte.* Fast gleichzeitig hörten auch in den anderen Ländern die Herenverfolgungen auf. Der traurige Ruhm des letzten Herenmordes in Deutschland   bleibt den Be­wohnern der Halbinsel Hela bei Danzig  . Dort wurde im Jahre 1836 eine vermeintliche Here von den Fischern der Wasserprobe unterworfen und, da sie nicht untersinken wollte, gewaltsam ertränkt.

* In einer jüngst erschienenen Schrift von A. Memminger sind die schrecklichen Einzelheiten dieses Prozesses enthüllt worden, und zwar auf Grund ganz neuer Forschungen.