Nr. 6

Die Gleichheit

sation. Viele Frauen befanden sich unter ihnen und vermehrten den stattlichen Stamm der bereits organisierten Frauen Dresdens . Es hat sich gezeigt, daß es von großem Nutzen ist, von Zeit zu Zeit eine auswärtige Genoffin reden zu lassen, um neue Mitkämpfer zu gewinnen, die älteren aber anzuspornen zu neuen Taten.

ar.

In Görlig, der schönen Gartenstadt, wie sie so oft von Fremden genannt wird, ist die Lage der Arbeiter sehr traurig. Die Klassen­gegensäte treten fraß zutage. Nach der letzten Statistik wohnen am Orte 20 Millionäre. Während die Unternehmer und die zahl­reich in Görlig ansässigen Pensionierten und Rentiers frohe Feste ohne faure Wochen feiern können, ist es den Arbeitern bei den hohen Lebensmittelpreisen faum möglich, das Notwendigste für sich und ihre Familien zu erschwingen. Werden doch zum Beispiel in der Textilindustrie die Arbeiter zum Teil mit einem Verdienst ab­gespeist, der noch hinter den berüchtigten Hungerlöhnen der Eulen­gebirgsweber zurücksteht. Die Textilindustrie beschäftigt am Orte gegen 2000 Personen; vier Fünftel davon sind Frauen und Mäd­chen. Die letzteren werden von den Unternehmern zu Lohndrücke­rinnen der Männer herabgewürdigt, und sie sind durch die jahr­zehntelange Ausbeutung so abgeftumpft worden, daß es sehr schwer hält, sie für die gewerkschaftliche wie die politische Organisation zu gewinnen. Das gleiche gilt von der großen Zahl der Heimarbeite rinnen, welche in der Knopffabrikation und besonders in der Kon­fettion beschäftigt find. Schon vor ungefähr sechs Jahren scharte fich ein Häuflein Frauen zusammen, um mit Hilfe der Gleichheit" Aufklärung unter den Frauen zu verbreiten. Doch machte die Be­wegung nur langsame Fortschritte, und als die Unterzeichnete vor drei Jahren das Amt als Vertrauensperson übernahm, waren kaum 70 Abonnentinnen der Gleichheit" vorhanden. Diese Zahl stieg bis zum Infrafttreten des neuen Vereinsgesetzes auf 180. Daß die Zunahme nicht größer war, liegt zum großen Teil an der geistigen Rückständigkeit vieler Männer, welche die Organisierung der Frau für nuzlos halten und glauben, genug getan zu haben, wenn sie selbst organisiert sind. Am 1. August d. J. erfolgte der Übertritt der früher nur lose organisierten Genossinnen in den sozialdemokratischen Verein, der den weiblichen Mitgliedern gegen einen vierzehntägigen Beitrag von 10 Pf. die Gleichhett" liefert. Monatlich finden für die organisierten Genoffinnen besondere Versammlungen statt, in denen geeignete Vorträge gehalten und Fragen behandelt werden, die die Frauen besonders interessieren. Zur Aufklärung der Prole­tarierinnen fanden am 12. und 13. November zwei von den Ge­noffinnen einberufene Versammlungen in Görlig und Penzig statt. Genoffin Gradnauer- Dresden erläuterte in ihrem Referat über das Thema: Die Frau und die Sozialdemokratie" den zahl­reich erschienenen Frauen und Mädchen in leicht faßlicher Weise das Wesen und die Ziele der Sozialdemokratie. Die politische Or ganisation gewann eine größere Anzahl von Mitgliedern. Die Zahl der weiblichen Organisierten ist jetzt in ständigem Steigen begriffen. Langsamer als in der Stadt geht es freilich in den Landorten vor­wärts, mit Ausnahme von Penzig, wo schon über 40 weibliche Parteimitglieder vorhanden sind. Im ganzen beträgt die Zahl der letzteren im Wahlfreis Görlig- Lauban zurzeit 270. Wir hoffen, daß wir nunmehr vereint mit den Genossen bessere Fortschritte in der Aufklärung der Frauen machen als seither, damit diese, wenn sie einmal politische Rechte erlangen, auch befähigt sind, sie auszu Emma Klügel.

nußen.

Jahresbericht des Vereins für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse zu Potsdam . Der Verein bestand seit einem Jahre und hatte 40 Mitglieder. Vierzehntägig fanden regelmäßig Lese­und Diskussionsabende statt. In zwei öffentlichen Versamm­lungen, von denen die zweite sehr gut besucht war, referierten die Genossinnen Lungwiß und Baader. Mehrere Genossinnen haben sich an den Arbeiten für die Landtagswahl beteiligt, etwas Neues für Potsdam . Ende September hielt der Verein eine Versammlung ab, in der nach eingehender Debatte sämtliche Genossinnen ihren Beitritt zu dem sozialdemokratischen Wahlverein erklärten. Der monatliche Beitrag der Frauen an diesen beträgt 20 Pf. Es heißt jetzt für die Genossinnen eifrig für die Gewinnung der uns noch Fernstehenden tätig zu sein. Frau Kruse.

Die Kinderschußkommission der Dresdener Genoffinnen. In Nr. 18 der ,, Gleichheit" berichteten wir ausführlich über die er­folgreiche Tätigkeit, welche die Kinderschutzkommission der Dresdener Genossinnen entfaltet. Liegt es auch nicht im Machtbereich der Kommission, an den Proletarierkindern all das gut zu machen, was der Kapitalismus an ihnen sündigt, so tann sie doch in vielen Fällen die skrupelloseste Ausbeutung der kindlichen Arbeitskraft verhindern, und manche körperliche und seelische Schädigung von den Kleinen fernhalten. Oft ist es nicht ein Kapitalist, sind es die proletarischen Eltern selbst, welche ihr eigen Fleisch und Blut ver­

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wahrlosen lassen, da sie dank der Ausbeutung in Rückständigkeit dahinleben, in Roheit und Stumpfsinn versinken. So mußte die Kommission ein sechs Monate altes Kind aus einer Familie weg­bringen, weil es aus Mangel an Reinlichkeit und Pflege bei lebendigem Leibe halb verfault war.

Auf dem Gebiet der Fürsorge für die älteren Kinder haben die Genofsinnen einen neuen Erfolg zu verzeichnen. Auf ein Gesuch, das sie an die Stadtverordneten richteten, hat der Rat den aufsichtslosen Kindern für die Nachmittage einen Schulhof probeweise zur Verfügung gestellt. Hoffentlich wird die Maßregel recht bald obligatorisch auf alle Schulen ausgedehnt.

Der Kaufmann Griesbach aus Trachenberge , der sich, wie unseren Leserinnen aus dem Bericht der Dresdener Genossinnen bekannt ist, an 60 bis 70 Kindern unsittlich vergangen hat, wurde zu sechs Jahren Zuchthaus und zehnjährigem Ehrverlust verurteilt. Bei der Verhandlung war die Öffentlichkeit ausgeschlossen, nur zwei Mitglieder der Kinderschutzkommission wurden zugelassen, weil sie die ersten gewesen waren, die durch ihre Erhebungen dem furchtbaren Verbrechen auf die Spur gekommen sind. Den Be mühungen der Kommissionsmitglieder ist es zu danken, daß der Unhold in der Person des Verurteilten festgestellt und der ver­dienten Strafe übermittelt werden konnte.

Politische Rundschau.

Eine Fortsetzung des kläglichen Schauspiels, das die bürgerliche Reichstagsmehrheit bei den Verhandlungen des Reichsparlaments über das Kaiserinterview bot, war die Beratung der Anträge auf Abänderung der Reichsverfassung, die am 2. und 3. De­zember vor sich ging. Sie hat aufs neue bestätigt, daß die bürger­lichen Parteien vor jedem ernsthaften Kampf mit dem persönlichen Regiment weit mehr Furcht haben, als vor allen Gefahren, Schäden und Blamagen, die eben dieses Regiment dem deutschen Volke be= schert hat und noch alle Tage bescheren kann. Der Grund dafür tritt klar zutage: es ist ihre Furcht, daß das Proletariat einst die Macht des Parlaments für sich ausnüßen könnte. Mit Ausnahme der Konservativen beider Farben, die offen als Schildhüter des Absolutismus, als Feinde jeder Machterweiterung des Parlaments auftraten, spielten alle bürgerlichen Parteien eine jämmerliche Ko­mödie. Sie mimten die um die Ausdehnung der Parlaments, der Volksrechte Besorgten, die auf die Eindämmung des persönlichen Regiments Bedachten, während sie im Innern doch fest entschlossen sind, nichts Ernsthaftes zu tun, um ihre angeblichen Ziele zu erreichen. Keine der bürgerlichen Parteien hat es fertig gebracht, zu erklären, daß sie nicht eher an die Bewilligung neuer Steuern, an die Re­form der Reichsfinanzen gehen werde, ehe nicht die Garantien gegen das persönliche Regiment geschaffen und gesichert seien. Das aber ist der einzige Weg, um eine wirkliche Erweiterung der Volks­rechte durchzusetzen. Der Sprecher der Sozialdemokratie, Genosse Ledebour , hat das in einer vortrefflichen Rede den Bürgerlichen eindringlich und zwingend nachgewiesen. Auf dem Wege des Ver­einbarens mit der Reichsregierung wird allenfalls ein Reichskanzler­Verantwortlichkeitsgesetz zustande kommen, das das Recht des Reichs­tags auf Anklage des Kanzlers feststellt und das Verfahren dabei regelt. Es ist vielleicht möglich, daß sich der Bundesrat zu diesem Zugeständnis bereit findet, damit der allgemeine Unwillen im Volfe mit der Vorspiegelung besänftigt werden kann, es sei etwas ge= schehen gegen die Wiederkehr solcher Vorgänge, wie sie das Kaiser­interview enthüllt hat. Vielleicht darf man es als ein Anzeichen solcher Absichten deuten, daß der Kanzler den Staatssekretär des Innern zu den Verhandlungen sandte und eine unverbindliche Ver­beugung vor dem Hause machen ließ. Für einen größeren Einfluß der Volksvertretung auf die Politik des Reiches wäre aber mit einem Reichskanzler- Verantwortlichkeitsgesetz sehr wenig ge­wonnen. Ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz für sich allein ge­nügt nicht, sondern bedarf notwendig der Ergänzung durch die von der Sozialdemokratie geforderten Rechte des Reichstags, die diesen zum ausschlaggebenden Faktor des Reichstags machen. Wir meinen das Recht des Parlaments, die Entlassung des Reichs­fanzlers zu bewirken und das entscheidende Wort bei Kriegs­erklärungen zu sprechen. Ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz allein ist eine weit schlechtere Waffe gegen das persönliche Regiment als das, was die Sozialdemokratie in ihren Anträgen fordert. Aber auch dieses Gesetz könnte der Martstein einer Machtverschiebung zwischen Regierung und Parlament sein, wenn es im Kampfe gegen die Regierung vom Reichstag errungen würde, wenn es der Preis eines Ringens zwischen persönlichem Regiment und Volks­vertretung wäre. Der moralische Eindruck des Sieges würde für das Parlament viel mehr bedeuten, als das Gesetz selbst. Aber