Nr. 7

Die Gleichheit

Arbeiterinnen eine richtige Sonntagsruhe ermöglicht wird? Darauf antwortete derselbe Zentrumsabgeordnete Herr Dr. Fleischer: Es kann gar nicht im Interesse der Industrie gelegen sein, solche Arbeiterinnen am Montag wieder beschäfs tigen zu müssen, die tagaus tagein von früh bis in die sinkende Nacht einen Arbeitstag haben von nicht etwa zehn oder elf Stunden, sondern einen Arbeitstag, wie der Fabrifinspektor in Unterelsaß   berichtet, im günstigsten Falle von 16 Stunden, unter weniger günstigen Verhältnissen von 18, ja nahezu 20 Stunden. Es ist doch ganz undenkbar, daß unter solchen Ver­hältnissen die Industrie frische, freudige, arbeitsfähige Arbeiter erhalten kann. Die Industrie schadet sich selbst am meisten, wenn sie nicht einmal der Frau am Sonnabend die wenigen Stunden gönnt, damit ihr wenigstens der Sonntag gegeben wird. Trotzdem ist das Zentrum in dieser Frage zum Schaden der Arbeiter umgefallen. Die Zentrumsabgeordneten beantragten, daß der zweiten Bestimmung zugefügt werden soll: Jedoch ist die Beschäftigung bis zu acht Stunden gestattet, soweit betriebstechnisch dadurch die Weiterarbeit anderer Arbeiter bedingt ist.

Damit glaubten die ganz besonders" praktischen" Herren des Zentrums für die weitere Einschränkung der Arbeit am Samstagnachmittag auch die Parteien zu gewinnen, die bisher davon nichts wissen wollten. Es kam aber anders.

Gleich der nächste Redner, der nationalliberale Abge­ordnete Dr. Stresemann und später die konservativen Ab­geordneten Schmidt( Altenburg  ) und Henning bekämpften die Vorschläge genau so entschieden wie vorher der freisinnige Abgeordnete Manz. Gegen den Zusatz, den das Zentrum be­antragt hatte, machten sie geltend, daß es in der Praxis schwer festzustellen sein wird, ob in diesem oder jenem Falle durch die Arbeit einer Frau betriebstechnisch... die Weiterarbeit anderer Arbeiter bedingt ist".

Der Staatssekretär des Innern, Herr v. Bethmann Hollweg  , aber schloß aus dem Zusatz des Zentrums, daß selbst Herr Dr. Fleischer und seine Freunde eingestehen müßten, die Kommissionsbeschlüsse könnten für wichtige Zweige der Jn­dustrie nicht durchgeführt werden. Der Vertreter der säch sischen Regierung, Graf Vigthum v. Eckstädt, sagte es den Zentrumsabgeordneten ganz offen ins Gesicht, daß der Busazantrag, als ein Vermittlungs-, wenn nicht als ein Rück­zugsantrag anzusehen ist". Dann kennzeichnete der konser vative Abgeordnete Henning den Antrag des Zentrums als ,, einen Zusatz, der den Vordersatz beinahe aushebt". Schließ lich bewies der freisinnige Abgeordnete Dr. Pachnicke, daß er und seine Freunde mit der Ablehnung der sechsstündigen Arbeitszeit nur die Konsequenz aus dem Zusazantrag ziehen.

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Der Zentrums abgeordnete Dr. Fleischer sah sich daher gezwungen, noch einmal das Wort zu nehmen, um festzustellen, daß der sogenannte Abschwächungsantrag des Zentrums von allen Rednern falsch verstanden worden sei. Wir haben diesen Abschwächungsantrag nicht deshalb eingebracht, weil wir von der Undurchführbarkeit des Kommissionsbeschlusses über­zeugt gewesen wären." Kurz vorher hatte sogar der Zentrums­abgeordnete Erzberger erflärt:" Ich mache fein Hehl daraus, daß ich es als einen großen Fortschritt im Interesse unserer Volksgesundheit, im Interesse der Erhaltung der Kraft des deutschen Volkes ansehe, wenn wir dazu übergehen könnten- das müßte allmählich geschehen, wie es auch der Antrag be­zweckt, den freien Samstagnachmittag auch für unsere er­wachsenen Arbeiter herbeizuführen."

Gegenüber diesem Hin und Her des Zentrums ist es um so dankenswerter, daß der sozialdemokratische Abgeordnete Stadthagen   mit der nötigen Entschiedenheit und Klarheit auf die Sache einging. Er führte zunächst den Grund vor, wess halb die Sozialdemokraten, die den freien Samstagnachmittag für alle Arbeiter wirklich ernsthaft erstreben, sich vorläufig für die Beschlüsse der Kommission erklärt haben: Wenn Sie die achtstündige Arbeitszeit für die unverheirateten Arbeiterinnen einführen und die sechsstündige für die Arbeiterinnen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, so wird es allmählich dahin

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kommen, daß die Unverheirateten ebenfalls den Sechsstundentag und damit den freien Sonnabendnachmittag erhalten.

Hierauf wies der sozialdemokratische Redner nach, daß das Zentrum in der Tat fläglich umgefallen ist:" Ich bedaure, fuhr Stadthagen   fort, daß Herr Dr. Fleischer jetzt einen Antrag eingebracht hat, der dem Sechsstundentag am Sonnabend direkt entgegensteht. Sie meinen, es sei ein Vermittlungsantrag. Nein, wir wollen uns darüber klar sein, daß das ein direkter glatter Rückzug auch in diesem Punkte ist gegenüber der Stellung, die Sie in der Kommission eingenommen haben... Sie legen hier­durch( durch den Zusatz) fest: liegt es betriebstechnisch, also nach den getroffenen Einrichtungen, so, daß die Unver­heirateten acht Stunden arbeiten sollen, so werden auch die­jenigen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, nicht sechs, sondern acht Stunden arbeiten müssen. Der Zusaßantrag, den Sie jetzt stellen, macht es also unmöglich, daß die sechs Stunden überhaupt eingeführt werden." Dies ist deshalb durchaus zu­treffend, da wohl jeder Unternehmer schließlich seinen Betrieb einrichten kann, daß er mit gutem Recht behaupten darf, die Arbeit aller in seiner Fabrik beschäftigten Arbeiterinnen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, sei zur Weiterführung der Arbeit der anderen Arbeiter notwendig.

Die Abstimmung bewies leider, daß die Sozialdemokraten mit nur zu gutem Rechte aus dem Umfall des Zentrums einen schweren Schaden für die Arbeiterinnen befürchtet hatten. Der Verschlechterungsantrag des Zentrums wurde mit 129 gegen 127 Stimmen angenommen; der ganze Teil aber, der die sechsstündige Arbeitszeit festlegen sollte, wurde dann mit 127 gegen 135 Stimmen abgelehnt.

Diese Ablehnung wäre unmöglich gewesen, wenn im Plenum nicht die Abgeordneten der Wirtschaftlichen Vereinigung ebenfalls umgefallen wären, deren Vertreter in der Kommission des Reichstags sich ganz besonders wichtig mit ihrem Eifer für die verkürzte Arbeitszeit der verheirateten Arbeiterinnen getan hatten. Sie entschuldigten ihren Umfall mit dem schönen Vor­bild des Zentrums und beantragten, um sich auch jetzt noch ein arbeiterfreundliches Mäntelchen umzuhängen, daß für alle Arbeiterinnen an den Sonnabenden die Arbeitszeit nicht länger als sieben Stunden sein dürfe. Auch dieser Antrag wurde abgelehnt. Jedoch war die Abstimmung so zweifelhaft, daß die Bekanntgabe, der Antrag sei abgelehnt, mit Unruhe" auf­genommen wurde. Aus diesem Grunde wiederholten die Sozialdemokraten den Antrag in der dritten Lesung. Jetzt aber, da die Möglichkeit bestand, daß der Antrag angenommen werde, stimmte die Wirtschaftliche Vereinigung gegen ihren eigenen Antrag aus der zweiten Lesung. Im übrigen bestätigte die Abstimmung in der dritten Lesung die Beschlüsse der zweiten Lesung, also die Beseitigung der sechsstündigen Arbeitszeit am Samstag.

Deutschland   im Jahre 1908.

I.

Ein Krisenjahr, ein Jahr wirtschaftlicher und politischer Krise liegt hinter uns. Ein Jahr finanziellen und moralischen Bankrotts des herrschenden Systems, reich an Belegen für die wachsende Unfähigkeit der herrschenden Klasse, die wahren nationalen Interessen zu fördern und zu schützen. Ein Jahr fortschreitenden Verfalls des Liberalismus, der Scheinreformen und des Schneckentempos in der Sozialreform. Aber auch ein Jahr erfreulicher Erfolge der Arbeiterklasse, äußerer und innerer Fortschritte der Sozialdemokratie.

An der Schwelle des letzten Jahres steht der große Wahl­rechtskampf der preußischen Proletarier, der seinen Höhepunkt in den imposanten Straßendemonstrationen des 10. und 12. Ja­nuar erreichte. Sie waren die Antwort des Proletariats auf die brutale Kriegserklärung, die der preußische Ministerpräsident am 10. Januar im Abgeordnetenhaus bei seiner Erklärung zum freisinnigen Wahlrechtsantrag der Arbeiterklasse ins Ge­sicht geschleudert hatte. Während der Freisinu die blutige

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