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Die Gleichheit

rungen, die auch im Interesse des Proletariats liegen, reaktionärer Betätigung geopfert werden, gab einer Rückwärtskonzentrierung der bürgerlichen Stimmrechtsgarde ihren Segen. Ermögliche man es den fonservativen Feindinnen des allgemeinen Wahlrechts, sich dem Landesverein für Frauenstimmrecht anzuschließen, so könne man dann einen erziehlichen" Einfluß auf sie ausüben. Mit diesem famosen Gedanken suchte Fräulein Lüders die Preisgabe des all­gemeinen Wahlrechts mundgerecht zu machen. Ein echt liberaler, freisinniger Gedanke, der den politischen Krebsgang der bürger­lichen Demokratie ins Lager der Reaktion widerspiegelt. Daß die Forderung des allgemeinen Wahlrechts nicht gleich auf der General­versammlung aus dem Statut gestrichen wurde, ist allein dadurch vereitelt worden, daß ein solcher Beschluß nur von der General versammlung des Verbandes, nicht von einem einzelnen Verein gefaßt werden kann. Die liberalen" Vorfämpferinnen für ein Frauenrecht, das unter ihren Händen zum Damenrecht zusammen­schrumpft, reden sich ein, sie fönnten auch bis in die äußerste Linke" hinein Anhängerinnen für ihren Verein werben! Die Prole­tarierinnen werden ihnen, wie es sich gebührt, ins Gesicht lachen! Der Klassengegensatz trennt wie die Männer so auch die Frauen in Unterdrücker und Unterdrückte. Auch für sie gibt es nur ein Hüben und ein Drüben!

m. w.

Bürgerliche Frauenrechtelei und Frauenstimmrecht. Vom Vorstand des Preußischen Landesvereins für Frauenstimm­recht erhielten wir diese Zuschrift:

In der Nummer 5 Ihres geschätzten Blattes beschäftigen Sie sich in einer Auseinandersetzung mit Fräulein Jda Jens- Hamburg auch mit der Organisation des Preußischen Landesvereins für Frauen­stimmrecht und bitten auf Seite 75 um Aufklärung über sein Ver­hältnis zu dem Schlesischen Verein für Frauenstimmrecht. Auf die Auseinandersetzung mit Fräulein Jens wollen wir nicht eingehen, dagegen gestatten Sie uns wohl, als den Nächstbeteiligten, die Aus­funjt über Schlesien zu geben.

Der Preußische Landesverein besitzt in Schlesien eine Ortsgruppe ( Bunzlau ) und eine ganze Anzahl Einzelmitglieder, die sich auf die Sagungen des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, die das allgemeine, gleiche, dirette und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen fordern, verpflichtet haben. Daneben besteht der Schlesische Verein für Frauenstimmrecht, der nur das aktive und passive Wahl­recht fordert und es seinen Mitgliedern überläßt, für diese oder jene Form des Wahlrechts einzutreten.

Wir stehen zu diesem Verein in keinerlei Beziehung und haben es abgelehnt, ihn in unsere Organisation aufzunehmen eben wegen seiner Stellung zum Wahlrecht."

Auch ohne daß der Vorstand des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht den Schwurfinger erhoben, hätten wir nicht daran gezweifelt, daß zwischen dieser Organisation und dem Schlesischen Verein feine formelle Gemeinschaft besteht. Eine solche ist durch das Statut des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht aus­geschlossen. Damit sind aber keineswegs offiziöse", freundnachbar­liche Beziehungen zu der reaktionären Organisation in das Reich der Unmöglichkeit verwiesen. Wir haben nirgends gelesen, daß der Landesverein die Verantwortlichkeit für das wahlrechtsfeindliche Verhalten der Bunzlauer Ortsgruppe abgelehnt hat, die in der Praxis übte, was der Schlesische Verein im Prinzip bekennt. Die Vorstandsdamen des Preußischen Landesvereins haben gewiß den ehrlichen Willen, die Forderung des allgemeinen Wahlrechts pro­grammatisch festzuhalten. Aber ob sie die Kraft haben werden, auf die Dauer die Tendenzen zu hemmen, welche das Prinzip des all­gemeinen Wahlrechts geopfert wissen wollen, steht auf einem anderen Blatte. Nach den Verhandlungen der Generalversammlung des Landesvereins ist es gelinde gesagt eine Naivität, Glauben an die unerschütterliche Treue dieser Organisation in der Wahl­rechtsfrage zu verlangen.

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Vom Frauenstimmrecht in der Schweiz . In mehreren Kan­tonen der Schweiz , wie zum Beispiel in Basel und Zürich , be­fizzen die Frauen das Recht, in die Schulkommissionen gewählt zu werden, ohne jedoch gleichzeitig selbst zu diesen Körperschaften wählen zu dürfen. Auch im Kanton Neuenburg ist jüngst an­läßlich der Revision des Schulgesetzes auf Antrag der sozialdemo kratischen Fraktion des Großen Rates mit 45 gegen 39 Stimmen beschlossen worden, daß Frauen in die Schulkommission gewählt werden dürfen. Bei dieser Gelegenheit wurde aber die Ungleichheit in der Besoldung der Lehrerinnen und Lehrer bestätigt. Man er­höhte das Minimalgehalt der Lehrer von 1600 auf 1800 Fr., das der Lehrerinnen von 1080 auf 1200 Fr. Diese Ungleichheit in der Besoldung ist durchaus ungerechtfertigt, weil die Lehrerinnen die gleiche Arbeit wie ihre männlichen Kollegen leisten. Im Kanton St. Gallen find 4064 Unterschriften gesammelt worden, 1274 von

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Männern, 2495 von Frauen, zur Unterstützung einer Eingabe an die Behörden, daß die Lehrerinnen zu den oberen Volfs- und Realschulen zugelassen werden und die Frauen die Wählbar. keit zu den Schulbehörden erhalten sollen. Die Eroberung der vollen Gleichberechtigung für das weibliche Geschlecht hängt auch in der Schweiz davon ab, daß die Massen der Bevölkerung für die betreffenden Forderungen eintreten. Aufgabe der Schweizer Ge­nossinnen muß es daher sein, eine energische sozialdemokratische Agitation zu entfalten, welche die arbeitenden Massen über die Be­deutung des gleichen Rechtes für Mann und Weib aufklärt.

Die Einführung des aktiven und passiven Frauenwahl­rechts zu den Gewerbegerichten beschloß die belgische Ab­geordnetenkammer am 19. Dezember 1908 bei der ersten Lesung der Gewerbegerichtsnovelle. Der dahingehende Antrag der Sozialisten wurde mit Eifer von Genossen Troclet verfochten und gelang trog der ablehnenden Haltung der Regierung mit 62 gegen 29 Stimmen bei drei Enthaltungen zur Annahme. In derselben Sigung wurde die Einführung der Wahlpflicht ebenfalls mit starker Majorität beschlossen. Die sozialistischen Anträge auf Ausdehnung der Gewerbegerichtsbarkeit auf die Handlungsgehilfen, Kontor­angestellten, Dienstboten und Landarbeiter wurden von der bürgerlichen Mehrheit abgelehnt. Die Zahl der Arbeiterinnen, die fortan an den Wahlen zu den Gewerbegerichten teilnehmen dürfen und sogar teilnehmen müssen, dürfte mindestens 100000 be­tragen. Die an sich bescheidene Reform kann als erster Schritt zur Erringung des politischen Frauenwahlrechts für die proletarische Frauenbewegung große Bedeutung erlangen. d. m.

Vom Kampfe für das Frauenstimmrecht in Ungarn . Die ungarischen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen haben alle Abgeord­neten des Parlaments aufgefordert, in den üblichen Tätigkeits­berichten an ihre Wähler sich auch über das Frauenstimmrecht zu äußern. Die Damen erwarteten von der Erfüllung ihres Ansuchens eine gute agitatorische Wirkung. Sie bemühen sich des weiteren, durch persönlichen Einfluß Anhänger für das Frauenstimmrecht unter den Parlamentariern zu gewinnen. Der Abgeordnete Szasz 3sombor hatte die Absicht, eine Liga von Parlamentariern für das Frauenstimmrecht zu gründen.

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Weibliche Assistenzärzte au Berliner Jrrenanstalten. Einem Beschluß der städtischen Deputation für die öffentliche Jrrenpflege in Berlin entsprechend, sind an den beiden städtischen Jrrenanstalten probeweise weibliche Assistenzärzte angestellt worden.

Als erste Dozentin an einer deutschen Hochschule wirkt Frau Dr. Altmann Gottheiner aus Frankfurt a. Mt. Sie wurde an die Handelshochschule zu Mannheim berusen und hält dort Vorlesungen über Sozialpolitik. In diesem Winter behandelt sie die Arbeiterinnenfrage.

Drei weibliche Schulärzte waren in Preußen nach dem Be­richt der Medizinalabteilung des Kultusministeriums für das Jahr 1906 tätig. Das ist eine lächerlich geringe Zahl. Die Städte Breslau , Charlottenburg und Hannover sind es, die bis zum Berichtsjahr weibliche Schulärzte angestellt hatten. Ob ihrem Beispiel seither von anderen Stadtverwaltungen nachgeeifert worden ist, darüber liegen uns leider feine Angaben vor.

Eine Leiterin des hauswirtschaftlichen Unterrichts in den Hamburger Volksschulen ist im legten Sommer angestellt worden. Fräulein Günther, das in dieses wichtige Amt berufen wurde, stand mehrere Jahre lang der Fachschule für Dienstmädchen vor, ciner Gründung des Hamburger Hausfrauenvereins". In dieser Fachschule werden jährlich gegen 80 Schülerinnen systematisch in der Theorie und Praxis der Wirtschaftsführung unterrichtet. Was den Haushaltungsunterricht in den Hamburger Volksschulen anbelangt, so ist er vor ungefähr zwei Jahren versuchsweise in zwei Schulen eingeführt worden. Die Neuerung bedeutet den ersten bescheidenen Schritt zur obligatorischen Aufnahme dieses Lehrfachs in den Plan der Volksschulen.

Ein weiblicher Detektiv zur Ueberwachung der Nahrungs. mittelfälschung ist in einem Londoner Vorort von der Gemeinde angestellt worden. Die Notwendigkeit, den entsprechenden Posten zu schaffen, ist bezeichnend für das Wesen der tapitalistischen Ords nung, die vom Profitinteresse des einzelnen beherrscht wird. Die Gier nach Gewinn hat die gesundheitschädliche Verfälschung der Nahrungsmittel einen großen Umfang annehmen lassen.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerioch bet Stuttgart .

Druck und Berlag von Paul Singer in Stuttgart .