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Die Gleichheit
und machte ihm Nahrungsmittel genießbar, die er bis dahin nicht hatte nützen können. So brauchte er weniger Zeit und Kräfte für die Nahrungsgewinnung und gewann Muße für andere Beschäftigungen, zu denen die Erfahrungen der neuen, erleichterten Lebensweise führten. Die neuen Nahrungsmittel verlangten Gefäße, die Fischerei brauchte Netze. Er lernt flechten und fertigt Gefäße aus Holz; um diese feuerfest zu machen, bedeckt er sie mit Lehm und erfährt, daß die Lehmform auch ohne das Holzgefäß hält und dieselben, ja noch bessere Dienste leistet. Damit ist der Anstoß zur Entwicklung der Töpferei gegeben, durch welche die bildende und insbesondere die plastische Kunst mächtige Antriebe erhalten hat. Das Feuer hilft beim Hüttenbau und beim Anfertigen von Booten. Die Menschen erfahren, daß es die Metalle schmilzt, und daß diese dadurch leichter zu bearbeiten sind. Sie fangen an, Werkzeuge und Waffen statt aus Stein aus Metall anzufertigen; das Feuer gibt ihnen also die Schmiedekunst, mit der die Entwicklung der plastischen Kunst ebenfalls eng verbunden ist. Nur der enge Busammenhang, in dem der Gebrauch des Feuers mit den ersten Anfängen der bildenden Kunst steht, vermag uns zu er flären, daß Prometheus , der Erzeuger des Feuers, später als Gott und Beschützer erst der Töpfer- und Schmiedefunst, dann der bildenden Kunst überhaupt verehrt werden konnte.
Aus dem Tiermenschen, der, Nahrung und Schuß suchend, in Horden die Wälder durchschweifte und nur notdürftig das nackte Leben fristete, ist allmählich der ansässige, tätige, bewußt zwecktätig handelnde Mensch geworden, dem Tätigkeit und gehäufte Erfahrungen die Sinne schärfen, und der für alles ihm wunderbar Erscheinende eine Erklärung sucht, den alles, was um ihn her vorgeht, immer mehr zum Nachdenken anregt. Je komplizierter die Tätigkeiten sind, um so mannig faltiger müssen auch, den einzelnen unbewußt, die Vorstellungen der Gesellschaft werden. Die Vorstellung und rückblickende Bes trachtung der eigenen Tätigkeit und ihrer die Dinge verändern den Wirkung, die eigene menschliche Tätigkeit, die sich im Rampfe mit der umgebenden Natur aus dem bloßen Instinkt nach Erhaltung des Lebens mehr und mehr entwickelt und Zwecke setzt: wird begleitet und ermöglicht von der Entwick lung der Vorstellung von Ursache und Wirkung, eines Kausal zusammenhanges zwischen den Erscheinungen. Und wie die Menschen bewußt Ursachen und Zwecke setzen, die Natur bes einflussen lernen, so schließen sie auf eine ihnen selbst ähnliche verursachende Kraft, wenn sie gewaltige Naturerscheinungen sehen, die ihnen unerklärlich sind. Sie verehren in ihnen Wesen, die mächtiger als sie selbst und trotzdem ihnen wesensgleich, nur stärker als sie sind. Die Naturgewalten erweisen sich ja als stärker wie die Menschen, sie beherrschen und verändern die Natur, ihr eigenes Schicksal. Das Feuer wird nicht mehr als das Geschenk der Wolfe betrachtet, sondern als das eines Gottes.
Diese Personifizierung bedeutungsvoller, aber unerflärlicher Erscheinungen hilft religiöse Vorstellungen bilden und Götter gestalten schaffen; in ihr tritt uns mit ein erstes Aufteimen von Jdeologien entgegen; in ihr äußert sich, wie der betrach tende Geist erlebend und rückblickend zu selbst Erlebtem und zu vergangenem Geschehen sich stellt; wie er es je nach seinem besonderen Standpunkt und nach seinen Fähigkeiten bewertet.
Die Vorstellungen der Menschen sind aber eng verbunden mit ihrer Tätigkeit, ja sie sind von ihr abhängig. Nur durch feine Tätigkeit, seine Arbeit verändert der Mensch selbst seine Lebensweise. Unmerklich, ihm selbst unbewußt, nehmen mit diesen fortwährenden Umgestaltungen seine Vorstellungen immer neue Richtungen und Formen an, erweitern und verändern fich mit den Formen seiner Tätigkeit und befruchten ihrerseits wieder die menschliche Arbeit.
Die Umwandlungen der Mythen, dieser ältesten Vorstel lungskomplexe, die verschiedenartigen Bedeutungen, in denen die Göttergestalten aufgefaßt und dargestellt werden, müssen wir also vor allem in ihrer Abhängigkeit von der menschlichen Arbeits- und Wirtschaftsweise verstehen.
Engels, Ursprung der Familie, Seite 3.
II.
Nr. 8
Der griechische Mythus nach Hesiod . Auf griechischem Boden, wo die Menschen früh eine hohe Kulturstufe erreichten, entspringt eine neue Form des Mythus von der Feuererzeugung. Es ist der Mythus , der als Prometheussage am bekanntesten geworden ist: die Erzählung von Prometheus , der den Feuerfunken vom Altar des Zeus raubt. Prometheus wird von den Menschen, denen er mit dem Feuer die höchsten Gaben und die Künfte gebracht hat, als Beschützer verehrt, von dem Gotte aber für seinen Frevel bestraft, bis schließlich Herakles ihn von Strafe und Dualen befreit.
Bei den Griechen finden wir in diesem Mythus zum ersten Male die Vorstellung von einem Raube des Feuers und von der Bestrafung und Befreiung des Räubers. Das ist für unsere Untersuchung von besonderer Wichtigkeit.
Versuchen wir uns den neuen Charakter zu erklären, den der Mythus angenommen hat. Je mehr die menschliche Tätigkeit sich steigert, je mehr der Mensch die Erzeugung seines Lebensunterhaltes erweitert, vereinfacht und beherrscht, desto mehr werden auch seine geistigen Fähigkeiten wachsen. Und wenn der menschliche Geist eine gewisse Stufe der Entwicklung erreicht hat, wird er, auf das Werden des Menschengeschlechts zurückschauend, neben dem Walten seiner Götter auch die Bedeutung der eigenen, der menschlichen Tätigkeit in diesem Werden erfennen. Sein Selbstbewußtsein muß sich entwickeln, das Erkennen und Bewußtwerden der eigenen Kräfte muß wachsen. Sieht der Mensch nicht, wie er selbst täglich das Feuer in der Hand hat, wie er es zu brauchen und zu beherrschen, in tausendfacher Weise zu nutzen versteht? Gibt er sich nicht Rechenschaft darüber, wie er mit seiner Hilfe das Leben schöner und leichter gestaltet; wie er seiner Gewalt und Kraft immer mehr abtrott, bei aller Gefahr, die sie ihm bringen kann?
Alles das Große und Nügliche, was der Mensch dem Feuer verdankt, alles was das Ergebnis einer jahrtausendelangen langsamen Entwicklung ist, die der einzelne während der Dauer seines Lebens nicht aus eigener Anschauung fennen zu lernen vermag, muß als die Folge eines ungeheuren gewaltigen Schrittes erscheinen, als die Frucht der großen Tat eines einzelnen. Dem Himmel, den Göttern mußte dieser die Kraft abtrogen, deren großen Nutzen für das menschliche Geschlecht er erkannt hatte. Der Feuererzeuger erscheint als der Kulturbringer, denn mit der zunehmenden Nuzbarmachung der Flamme fieht der Mensch die wichtigsten Fortschritte verknüpft und damit auch das Wachsen der geistigen Kräfte und Fähigkeiten. Daher finden wir bei den Alten die Vorstellung, daß die menschliche Geistestraft mit der Flamme verwandt sei, und wie diese aus der Sonne ihren Ursprung nehme. „ Nach Sappho entzündet Prometheus an den Rädern des Sonnenwagens die Fackel des unsterblichen Geistes, jenes Feuers, das Emuns in Epicharmo als Hic de sole sumptus ignis( Dies Feuer ist von der Sonne genommen) bezeichnet." 1
Noch ist der Feuererzeuger der Griechen nicht der Mensch selbst, aber auch nicht mehr der gefürchtete Gott. Schon ist er von menschlichem Fleisch und Blute; ja, er steht dem Gotte feindlich gegenüber, als Freund und Beschützer der Menschen, der ihnen viel näher verwandt ist als der Gott, und der ganz menschlich für seinen Frevel leiden muß.
So sehen wir den Prometheus auf alten griechischen Vasenbildern dargestellt, wie er in gequälter Haltung an einen Felsen geschmiedet die größten Schmerzen erduldet, die noch dadurch vermehrt werden, daß ein Adler ihm die Leber zerfleischt. Neben ihm steht auf der einen Seite Herakles , im Begriff, mit seinen Pfeilen den Adler zu erlegen; auf der anderen steht ruhig zuschauend Zeus , der mächtige Gott.
Durch Hesiod ( Theogonie) lernen wir die Prometheussage der Griechen näher kennen. Die Einzelheiten, die er berichtet, sind für diese Betrachtung so wichtig, daß sie angeführt werden mögen:" Als nach der Besiegung der Titanen die Olympier 1 Bachofen, Mutterrecht, Seite 40.
Zitiert nach Lübker, Reallerifon des flaffischen Altertums, Zitat aus Hesiod , Theogonie , und Welder, Griechische Mythologie , Seite 248.