Nr. 8
Die Gleichheit
sprache an die Öffentlichkeit gebracht habe, und nennt die Worte des Kaisers absolut einwandfrei und sympathisch! Wahrlich, vom deutschen Bürgertum hat der Absolutismus nichts zu befürchten.
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Und dabei führt die Neujahrsansprache des Kaisers genau wie das Interview wiederum zu einer Verschlechterung unserer Beziehungen zum Ausland. Denn in dieser Aussprache war auch die Verlesung eines Artikels enthalten, den der ehemalige Chef des Generalstabs v. Schlieffen in der Deutschen Revue" veröffentlichte. Er handelt vom Krieg der Zukunft, enthält aber neben militärtechnischen Auseinandersetzungen auch markante politische Stellen, so die Säße, daß England unversöhnlicher Feind Deutsch lands sei, daß Deutschland , von den Mächten eingefreist, in for ciertem militärischen Rüsten seine Sicherheit suchen müsse usw. Mit dem Inhalt dieses Artikels hat sich nach den offiziellen Meldungen der Kaiser völlig einverstanden erklärt, was im Ausland erklärliches Unbehagen verursacht hat. Zwar hat nach einigen Tagen ein Dementi des Reichsanzeigers" gesagt, daß der Kaiser sich nur mit dem militärischen Inhalt des Artikels befaßt, die politischen Gedanken und Ausblicke aber gar nicht in Betracht gezogen habe. Dieses Dementi kommt aber zu spät und feine Versicherung flingt zudem sehr unwahrscheinlich, da in dem Schlieffenschen Artikel politische und militärische Gesichtspunkte durchaus nicht streng gesondert sind. Vom Vertrauensvotum der Generäle für den Kaiser, von der Spitze des Vorgangs gegen den Reichstag sagt das Dementi nichts. Das wird also nicht bestritten! Und trotzdem regt sich nichts im bürgerlichen Blätterwalde.
Eine andere bemerkenswerte Neujahrskundgebung hat der preu ßische Handelsminister Breitenbach erlassen. Er bezeichnet in einem Scherlblatte die Krise als eine Periode des Ausruhens", die notwendig sei, weil ein gesunder Körper der Ruhe bedürfe, um auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit zu bleiben. Diesem preußischen Bureaukraten erscheint also die Zeit, die dem Proletariat Not und Elend, Arbeitslosigkeit und Lohndruck bringt, als eine gar nicht unangenehme Periode gemächlichen, fräftesammelnden Ausruhens. Ein klassisches Zeugnis, daß unsere regierende Bureaukratie die Welt nur mit den Augen der Bourgeoisie sieht, daß die Leiden, des Proletariats ihr gar nicht recht zum Bewußtsein kommen.
Eine angenehme Neujahrsgabe war dem deutschen Volke die Zusammenstellung der Reichseinnahmen in den ersten acht Monaten des Rechnungsjahrs 1908/09. Die Einnahmen bleiben infolge der schlechten Wirtschaftslage, die den Konsum vermindert und so den Ertrag der Zölle und Verbrauchssteuern stark verringert, weit hinter den Ansätzen zurück, und so ergibt sich, daß das Jahr ein Defizit von 140 bis 150 Millionen zeitigen wird. Woraus weiter zu folgern ist, daß die vom Reichsschaßsekretär geforderten 500 Millionen neuer Steuern noch nicht ausreichen werden, um bei Fortdauer des jetzigen Systems die Reichsfinanzen einigermaßen in Ordnung zu bringen.
Dem Bundesrat soll in Kürze eine zweite Justiznovelle, eine Flickerei am Strafgesetzbuch zugehen. Sie stellt eine böse Gelegenheitsgesetzmacherei vor; hinter einigen fleinen, längst fälligen Vers besserungen verbirgt sich eine reaktionäre Ungeheuerlichkeit. Man könnte die Novelle die zweite Lex Eulenburg nennen, denn sie strebt, wie die auf Einschränkung der Offentlichkeit und Beschränkung der Beweiserhebungspflicht der Gerichte abzielenden Bestimmungen des neuen Strafprozeßordnungsentwurfs auch dahin, daß der„ guten Gesellschaft" solche bösen Enthüllungen, wie sie die Harden- Eulenburgprozesse brachten, fünftig möglichst erspart werden. Zu dem Zwecke sollen die Strafen für Beleidigungen verschärft und der Wahrheitsbeweis unterdrückt werden, wenn Tatsachen aus dem Privatleben, die kein öffentliches Interesse berühren, in Frage tommen. So soll der Kläger vor Kränkungen vor Gericht" be wahrt werden vom Rechte des Angeklagten ist keine Rede! Das böse Gewissen der herrschenden Klasse, die die Wahrheit über sich selbst als eine Gefährdung ihrer Herrschaft empfindet, spricht aus diesem reaktionären Anschlag. Ob die kleinen Verbesserungen, die die Novelle daneben enthalten soll( Milderung der Strafen für fleinen Diebstahl, Hausfriedensbruch usw., Einschränkung des Bes griffs der Erpressung, so daß fünftig nicht mehr ehrliche Arbeiter, die einem Unternehmer den Streit in Aussicht stellen, als eines ehrenrührigen Bergehend schuldig verurteilt werden können), Brauch bares bieten werden, bleibt abzuwarten, ebenso, ob die angekündigte Verschärfung der Strafen für Kindermißhandlung und Tierquälerei annehmbar sein wird. Kulturelle Hebung der Arbeiterklasse, Verbefferung der Arbeitsbedingungen, der Wohnungsverhältnisse und des Schulunterrichtes wirken diesen Roheiten jedenfalls besser entgegen als alle scharfen Strafen.
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In Sachsen haben die geborenen Gesetzgeber der Ersten Kammer endlich ein neues Wahlunrecht zusammengebraut, auf das auch die
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Konservativen und nationalliberalen Reaktionäre der Zweiten Kammer sich vereinigen wollen. Es ist ein dreistufiges Pluralwahlrecht, das die Entrechtung des sächsischen Proletariats in anderer Form tonservieren soll.
Die Balkankrise wies in den letzten Wochen eine gefährliche Vers schärfung auf ein friegerischer Konflikt zwischen Serbien und Österreich schien infolge einer herausfordernden Rede des serbischen Ministers Milowanowitsch dicht bevorzustehen. Die atute Gefahr ist durch eine Rückzugserklärung des serbischen Ministers beseitigt, indes ist die Lage noch sehr gespannt. Hinter Serbien und Montes negro steht Rußland , das seinen Balkanfonkurrenten Österreich vers drängen will. Es stüßt sich dabei auf sein Bündnis mit Frank reich und sein Einvernehmen mit England. England, das die Bes seitigung des deutschen Einflusses erreichte, nachdem die türkische Revolution die Reaktion gestürzt hat, der die deutsche Regierung sich bis zum letzten innig verbunden hatte, schürt den Zwiespalt zwischen der Türkei und Österreich , um dem letteren zu beweisen, daß es ohne England nichts erreichen kann, und es so von Deutsch land loszulösen, das dann völlig isoliert wäre. Wegen dieser Verquickung der Baltanangelegenheiten mit den Interessen der Großmächte ist die Gefahr eines Weltkriegs so nahe gerückt, und das Proletariat aller Kulturstaaten hat jetzt doppelten Anlaß, die Kriegspolitifer energisch zu kontrollieren und zu bekämpfen. Erfreulicher weise ist die Stimme der Sozialdemokratie auch in Serbiens Parla. ment gehört worden. Der einzige Sozialdemokrat der Stupfchtina, Genosse Kazlevovic, hat mutig gegen die Kriegshezze protestiert.
Die ungarische Sozialdemokratie hat in Budapest und Klausen burg einen 24 stündigen Protestgeneralstreit gegen die Verfolgung der Gewerkschaften durchgeführt, deren zwei, die der Metallarbeiter und der Tischler, durch die ,, freiheitliche" Regierung aufgelöst wurden.
Frankreich sab zum Jahreswechsel zwei ungefährliche, Attens tate" auf den Präsidenten der Republik und den Ministerpräsi= denten. So unbedeutend die Vorfälle an sich sind, so zeigen sie doch, daß die Agitation der Nationalisten und Königlichen nicht ftille steht. Der Attentäter Mathis, der Fallières den Bart zauste, ist Mitglied eines gelben Streitbrechervereins; die gelbe Verräter schar dient also in Frankreich wie in Deutschland sowohl den wirts schaftlichen Interessen der Unternehmer wie den politischen der Reaktionäre. Bei den Senatswahlen hat die Regierung billige Triumphe erfochten. Der Senat hat jetzt wie die Kammer eine radikale Mehrheit. Die geeinten Sozialisten haben bei dem schlechten Wahlrecht, das für diese parlamentarische Bremseinrichtung be steht, fein Mandat erringen können.
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Gewerkschaftliche Rundschau.
Deutschlands Scharfmachern gebührt der unbeneidete Ruhm, im wirtschaftlichen Kampfe die strupellosesten Mittel anzuwenden. Vergleichende Zahlen über 2ohnkämpfe und Aussperrungen in Amerita und Deutschland zwei auf dem Weltmarkte als gleichwertig geltenden Konkurrenten beweisen dies. Was den Umfang der Streiks betrifft, so ist Amerita Deutschland weit voraus. Die Zahl der Personen, die in den Jahren 1900 bis 1904 an den Kämpfen beteiligt waren, betrug in Amerika 500000 bis 600000, in Deutschland etwa nur 50000 bis 100 000. Aber während die Zahl der Aussperrungen mit den daran beteiligten Personen in Amerifa eine fallende Tendenz zeigt, ist für Deutschland eine steigende Tendenz zu verzeichnen. Die absoluten Zahlen sind sogar für Deutschland höher als für die Vereinigten Staaten . Vom viels gepriesenen Fortschritt des sozialen Friedens ist somit bei uns zu lande wenig zu spüren. Das vorliegende Zahlentatsachenmaterial weist vielmehr darauf hin, daß das deutsche Unternehmertum fich der brutalsten Kampfmittel bedient, daß es dem Klassenkampf schärfere Formen gibt. Wir haben dies in den letzten Nummern durch Tatsachen bewiesen. Sei's drum! Die deutsche Arbeiter klasse, die schon auf mancher schweren Kampfbahn vorwärts geschritten ist, wird auch die Aushungerungspraxis der Kapitalgewaltigen zu überwinden wissen. Der Zusammenschluß in ihren Organisationen ist das Mittel dazu, denn er verleiht Macht. Man heulmeiere uns aber nichts von unseren ewig streitluftigen" deutschen Arbeitern vor, die den sozialen Frieden gefährden; man bejammere nicht unsere braven friedliebenden Unternehmer, die tein Wässerchen der sozialen Harmonie trüben! Die angeführten Zahlen beweisen, und Tatsachen sind harte Dinger, die sich nicht wegschwadronieren lassen.
Der Ausstand in den Mannheimer Strebelwerken ift nach einem unliebsamen Zwischenfall beendet worden. Die