Nr. 9
Die Gleichheit
und Knechtschaft gezwungen werden. Sonst könnte man auch sagen, daß Prometheus , indem er sich der neuen Ordnung widersetzt, kein Revolutionär, sondern ein Reaktionär wäre. Denn an und für sich ist die Ablösung eines alten Gesellschaftszustandes durch einen neuen eine Revolution, eine Umwälzung und bedeutet einen Fortschritt in der Entwicklung des Ganzen, mögen auch die einzelnen gerade Lebenden und von den Stürmen und Kämpfen einer solchen Umwälzungsperiode Getroffenen sie nicht als Fortschritt empfinden. Im allgemeinen gilt es, daß, wer sich der notwendigen Entwicklung widersetzt, ein Reaktionär ist. Aber in diesem besonderen Falle handelt es sich um die Verdrängung einer freiheitlichen Organisation der Gesellschaft durch ein System der Tyrannei, der Klassenherrschaft und Unterjochung. Und des Prometheus Widerstand richtet sich nicht gegen die notwendige Entwicklung, sondern gegen die Unterdrücker. Prometheus steht also nicht als Revolutionär einem Reaktionär gegenüber, ebensowenig kann er selbst Reaktionär sein, denn er bekämpft nicht das Neue überhaupt, sondern nur die besondere Form, in der es ihm entgegentritt, die Form der Knechtschaft. Er wendet sich als Unterdrückter gegen den Unterdrücker.
Dafür, daß er den neuen Machthabern sich widersetzt, daß er den Menschen gegen sie helfen will, wird er bestraft. Er fann erst erlöst werden, wenn der Gegensatz zwischen ihm und den neuen Göttern aufgehoben ist, das heißt, wenn die Macht des Zeus, also der neuen Gesellschaftsordnung, so fest begründet erscheint, daß die Titanen, das heißt Prometheus oder die Unterdrückten feinen Widerstand mehr leisten können. Also erst ,, mit dem Willen des Zeus ", durch Herakles , den sich unterwerfenden Menschen, den Sohn des Zeus, der neuen Ordnung, fann Prometheus von seinen Qualen erlöst werden.
Ebenso wie die Sage vom Feuerraub konnte auch die Jdee von der Erlösung des Prometheus , die sich daran knüpft, erst auf griechischem Boden entstehen, auf dem Boden der Klassen herrschaft. Zur Zeit der Gentilverfassung sind es lebens- und schaffensfrohe Naturgötter und-göttinnen, mit deren Dasein und Walten die Menschen sich die für sie bedeutungsvollen Erscheinungen der Natur und des Menschenlebens erklären: Werden und Vergehen, Geburt und Tod usw. Mit dem Auftreten der Klassenherrschaft beginnen aber gesellschaftliche Mächte ihren unheimlichen Einfluß auf das Leben. Unheimlich dünken diese Mächte und ihr Walten, weil ihre Ursache den Menschen noch unerkennbar ist, weil ihre unheilvollen Folgen, das Elend der Unterdrückten, die die große Mehrzahl bilden, wohl fühlbar, aber unerklärlich sind und gerade darum den Charakter der Götterwelt und der Mythen beeinflussen müssen. Die Erlösungsidee muß in den Mythus hineinkommen, als natürliche Reaktion gegen diese unberechenbaren Mächte, gegen die Unterdrückung; fie bildet sich mit der Erkenntnis, daß Troß und Auflehnung gegen die Unterdrücker das Massenelend nicht aus der Welt schaffen, daß die Menschen ohnmächtig sind gegen die gesellschaftlichen Mächte, die es hervorrufen. In der kommunistischen Gesellschaft gab es noch nicht solche übel und Dualen , aus denen heraus sich die Menschen nach Erlösung sehnten.
Wie ich schon andeutete, hat man von verschiedenen Seiten versucht, einen rein ideologischen Zusammenhang zwischen dieser Erlösungsidee und der christlichen zu konstruieren, von einer allgemein menschlichen Schuld zu sprechen, von der die Mensch heit in dem einen Falle durch Herakles , im anderen durch Christus erlöst werden soll. Davor muß man sich hüten. Beide Erlösungsideen haben nur das miteinander gemein, daß beide erst unter der Einwirkung der Klassenherrschaft sich bilden fonnten. Davon aber ist bei keinem Schriftsteller die Rede.
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Also erst im griechischen Kulturkreis, wo schon früh Warenproduktion und Warenhandel sich entwickelten, wo damit der Übergang aus der Gentilverfassung und ihrem Mutterrecht zur Staatsverfassung und dem Vaterrecht einsetzte und alle jene
Zum Beispiel bei Welder. Auch Wolzogen in seiner Einleitung spricht bon Herakles als von dem Heiland..., welcher die Pforte der Freiheit öffnete, durch die Vereinigung der gefallenen Menschen mit dem gnädigen Gott"
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übelstände hervorrief, von denen in der Prometheussage berichtet wird, konnte die Vorstellung von dem Feuerraub des Prome theus, seiner Bestrafung und Erlösung sich bilden.
Erst als der urwüchsige Kommunismus in der Klassenherr schaft seine Auflösung fand, konnte in der Gestalt des Feuer erzeugers der Typus des revolutionären Menschen, der erste Revolutionär geschaffen werden.
III.
Der Prometheus des Aeschylos .
Biel schärfer als in der Erzählung des Hesiod tritt in dem Prometheus des griechischen Dramatikers Aeschylos der Zu sammenhang hervor, den seine Darstellungsweise und seine Anschauungen mit der Entwicklung der griechischen Kultur haben. Was bei Hesiod nur in verworrenen und dunklen Zügen zum Ausdruck kommt, ist bei Aeschylos flare Erkenntnis, die, in großen und scharfen Umrissen ausgedrückt, der Wiedergabe der Sage eine besondere Wucht gibt. In voller, bewußter revo lutionärer Kraft steht Prometheus hier vor uns. Auch die Ver söhnung der Gegensätze am Schlusse, die Erlösung des Prome theus wird klarer begründet.
Aeschylos hat die Sage von Prometheus in einer Trilogie ( einem Kunstwerk in drei Teilen) behandelt, dem feuerbringenden, dem gefesselten und dem befreiten Prometheus. Nur der mittlere Teil ist erhalten, der gefesselte Prometheus ; aber wir erfahren darin so viel über die beiden anderen Teile, daß wir daraus ihren Inhalt erkennen können.
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Aeschylos führt die Gestalt der Themis ( die Göttin des Rechts und der Sitte, später auch die Mutter des Zeus ) als Mutter des Prometheus neu in den Mythus ein. Damit drückt er weit schärfer noch als Hesiod aus, daß wir in Prometheus den Ver treter der mutterrechtlichen Organisation der Gesellschaft, den Freund und Beschützer der mit ihr Unterdrückten vor uns sehen. Nach Bachofen gehört Themis zu den mütterlichen Mächten: Das stoffliche Muttertum gestaltet sich zur Idee einer höheren stofflichen Ordnung, der ältesten ins Naturale. Die Naturmütter werden die Trägerinnen der ersten menschlichen Ord. nungen, über deren Beachtung sie wachen, deren Verlegung sie strafen." Es ist auch bezeichnend, daß Themis , die MutterGöttin, die Vertreterin der friedlichen mutterrechtlichen Ent wicklung, nach dem Siege des Zeus durchaus nicht revolutionär, sondern zur Versöhnung mit dem Sieger geneigt ist. Nach ihrem Willen steht Prometheus erst auf der Seite des Zeus, da die Titanen seinen Rat nicht hören, mit Lift die Olympier zu überwinden. Als aber Zeus eine neue Ordnung einführen und das bisherige Menschengeschlecht, weil es roh und tierisch sei, ausrotten will, um ein besseres zu schaffen, widersetzt sich ihm Prometheus , der Freund der Menschen; er bringt ihnen das dem Hephästos entwendete Feuer. ( Hephästos, der Sohn des Zeus, verförpert ursprünglich die vulkanische Kraft des Feuers und ist später der göttliche Schmied, der im Olymp seine Werkstatt hat.)
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Hesiod rechtfertigte den Feuerraub des Prometheus nur damit, daß Zeus den Menschen das Feuer genommen hätte als Strafe für Prometheus ' Betrug. Dagegen ist die Begründung des Aeschylos viel klarer und verständlicher und drückt schärfer aus, daß es sich dabei um die Verdrängung einer sich auflösenden Gesellschaftsordnung durch eine neue handelt: Zeus will das alte Geschlecht ausrotten, um ein besseres zu schaffen.
Mit dem Feuer bringt Prometheus den Menschen die Kunst, lehrt sie die Schiffahrt und die Heilkunst und führt sie zu höherer Bildung. Zeus läßt das Menschengeschlecht nun bestehen, den Brometheus aber bestraft er für seine Widersetzlichkeit. Er läßt ihn durch Hephästos und seine Diener Kratos und Bia( Ge walt und Stärke) an einen Felsen im wilden Skythenland an schmieden. Okeanos und die Okeaniden kommen heran und raten dem Gefesselten zur Unterwerfung unter die Obmacht des
1 Mutterrecht, S. 65.
• Siehe über den friedlichen Charakter der Entwicklung besonders lange kommunistisch organisierter Völker: Bachofen , Das lytische Volt, Seite 40
bis 45.