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Die Gleichheit

meil Themis   ihm ja prophezeit hat, daß sein Befreier aus diesem Chebund hervorgehen soll. Sein Befreier aber, so schließt der gefesselte Titan, muß notwendig den Zeus stürzen, um ihn selbst erlösen zu fönnen.

Und doch, du fiolzer Zeus, bestehst du nicht! Ein Ehebündnis wirst du dir bereiten, Das dir das Zepter deiner Macht zerknickt!-. Und der Götter feiner

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Weist dir den Rettungsweg, als ich allein!" Prometheus  , der Weitschauende, der schon die Notwendigkeit erkannt hat, daß das Alte dem Neuen weichen muß( Seite 57), sieht in dem Triumph des Zeus   den Keim zu seiner Niederlage und Sturz, ohne die ihm die eigene Rettung nicht möglich er­scheint. Er ahnt noch nicht, daß der Triumph des Zeus   in einem Aufgehen der alten Organisation in der neuen bestehen wird, daß er also zugleich auf der Versöhnung der Gegensätze beruht, die auch seine Erlösung erst möglich machen wird durch " Herakles  , den sich unterwerfenden Sohn des Beus".

Das Bewußtsein aber, daß er, Prometheus  , jetzt der einzige ist, der um das Geheimnis von dem vermeintlichen Sturze des Beus weiß, steigert in ihm den revolutionären Trotz gegen den neuen Gott. Mit höhnenden, selbstbewußten Worten weist er dessen Boten, den Hermes ab, der durch Drohungen die Offen barung des Geheimnisses von ihm erzwingen will:

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Fleh! Bete! Krieche hin zum hohen Herrn! Ich acht' ihn doch für weniger als nichts!" Rann je ein Unterdrückter seinem Peiniger verächtlichere, trotzigere Worte hinwerfen? Alle Strafen, die Prometheus fürchterlich angedroht werden, fordern seinen Trotz nur noch mehr heraus. Mit ungeheurem Selbstbewußtsein und mit einer elementaren revolutionären Kraft schleudert er dem Unterdrücker triumphierend entgegen: Er fann mich doch nicht töten!" Das trotzige Bewußtsein des Unterdrückten, daß der Freiheits­brang des Menschen mächtiger und dauernder ist, als alle Formen der Unterdrückung, und daß er deshalb sie alle über dauern und überwinden wird, kann meines Dafürhaltens sieges­sicherer und stolzer nicht ausgedrückt werden!

Da Prometheus   das Geheimnis nicht verraten hat, wird der Revolutionär von seinem Geschick ereilt, er wird unter Donner und Blitz und mächtigem Getöse in den Tartarus gestürzt: ,, So, vom Gott gesandt,

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Dringt jäh der Sturz des Schreckens auf mich ein! D meiner Mutter heil'ge Macht! Ather, Lichtquell des Alls! Seht mich das Unrecht dulden!"-

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Also hier, am Schlusse der Tragödie, in dem Augenblick feines Sturzes wendet sich Prometheus an die Muttergottheit, deren Sohn er ist, und deren Unterdrückung durch die Vater gottheit er mit der vollen revolutionären Kraft seines Wesens verhindern wollte.

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Der dritte Teil der Trilogie handelte von der Erlösung des Prometheus. Bei Aeschylos   wird die Befreiung des Titanen nicht allein dadurch möglich, daß Herakles, der Nachkomme der Jo, den Adler tötet. Prometheus   kann vielmehr nur erlöst werden, wenn ein anderer sich für ihn opfert. Aeschylos läßt den Zentauren Chiron für ihn in den Tartarus gehen. Erst von dieſem freiwilligen Opfer ist die Versöhnung zwischen Zeus  und Prometheus  , zwischen der alten und neuen Ordnung, ab­hängig. Von einer solchen Versöhnung ist bei Hesiod   noch nicht die Rede. Es heißt bei ihm nur, daß Prometheus durch Herakles  nach dem Willen des Zeus befreit worden sei. Im älteren Mythus fonnte eben eine Versöhnung der Gegensätze noch nicht zum Ausdruck kommen, da die Gegensätze noch zu schroff und fühlbar waren. Den Unterdrückten mußten die neue Ordnung, die neuen Rechte und Gesetze als hartes Joch, als unbezwing liches, unabwendbares Verhängnis erscheinen, das den Gedanken an eine Selbsterlösung und Versöhnung nicht aufkommen ließ. Eine Geleichterung und Befreiung fonnte nur von der Seite des Siegers ausgehen, konnte nur durch seine Gnade erwartet werden.

1 Nach den Angaben von Welder, Griechische Mythologie  , I, Seite 760 bis 768 über den Inhalt des dritten Teiles.

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Der Bedeutungswandel des Mythus  , der in Aeschylos  ' Drama Gestalt gewinnt, läßt erkennen, daß die Gegensätze zwischen der alten und neuen Gesellschaftsordnung sich immer mehr aus­geglichen haben, das heißt, daß die alte in der neuen auf gegangen ist. Prometheus   wird hier nun nicht nur befreit, sondern Zeus   und Prometheus sind versöhnt. Als Sühne gilt das Opfer des Zentauren Chiron, der nach Bachofen   als der Vertreter einer gereinigten Lehre, in dieser aber auch vorzüg lich als der Empfehler der Vater neben der Mutterliebe dar gestellt wird"."

Hier erkennen wir wieder den engen Zusammenhang der mythischen Darstellung mit den sich verändernden Zuständen der Gesellschaft.

Der Dichter hat, wir wissen nicht, ob bewußt oder unbewußt, den vorhandenen Stoff mit mächtiger Gestaltungskraft umgeformt. In seinem Werke hat der uralte Gott Prometheus   rein mensch­liche Züge gewonnen. Schon weht uns etwas von der Erkenntnis an, daß die Götter nicht allmächtig und ewig sind, daß der Mensch selbst seine Götter einsetzt und stürzt:

,, Neu herrscht ihr in der neuen Macht und wähnt Euch in der Burg der ew'gen Luft. Sab ich Von da nicht zwei Tyrannen schon gestürzt? Und diesen heut'gen seh ich's

Am schmählichsten und schnellsten. Meinst du etwa, Ich zittr' und bange vor den neuen Göttern? Gar weit, wahrhaftig, bin ich davon fern!"

Der gewaltige revolutionäre Geist, der die Menschheit be seelt und vorwärts drängt, kommt in dem Prometheus des Aeschylos zum erstenmal tlar zum Ausdruck.

Die Betrachtung der Tragödie des Aeschylos hat uns auch in allen ihren Einzelheiten gezeigt, wie die Jdeen und Vor­stellungen jener ältesten Mythen erst dann für uns lebendig und verständlich werden, wenn wir ihren Zusammenhang mit der Gesamtkultur zu erkennen suchen, wenn wir ihre Entwick­lung und ihren Bedeutungswandel aus der umwälzenden Praxis begreifen.

Ich möchte dieser Erkenntnisweise die eines älteren Forschers gegenüberstellen als Beispiel für den Unterschied der Methode ( Schluß folgt.) sowohl, als der durch sie erzielten Resultate.

Der Tertilarbeiterverband im Jahre 1908.

Das Jahr 1908 war für die deutschen Textilarbeiter ein Jahr der Entbehrungen und der bittersten Not. Schon in der zweiten Hälfte des Vorjahrs hatte die Krise eingesetzt. Aber noch waren es da nur die in der Hauptsache von den Ver einigten Staaten Ameritas abhängigen Zweige der Industrie, welche daniederlagen, so die Stickerei und Wirkerei Sachsens  . Das Jahr 1908 aber brachte einen geradezu beispiellosen Nieder­gang aller Branchen im ganzen Reiche. Die Märkte waren gesättigt, das Angebot von Waren überstieg bei weitem die Nachfrage, die Rohstoffe sanken rapid im Preis. Die Maschinen wurden zu Tausenden stillgelegt, die Arbeitszeit ganz erheblich verkürzt. Die Folge war ein bedeutender Rückgang des Ein­kommens der ohnehin targ entlohnten Arbeiter.

In Zeiten einer niedergehenden Konjunktur konzentriert sich notwendig die Gewerkschaftspolitik auf die Abwehr der Angriffe des Unternehmertums und die Linderung der infolge Arbeits­losigkeit, Krankheit und anderer Ursachen hervorgerufenen Not der Proletarier. Enorme Kraftleistungen wurden hierdurch im verflossenen Jahre auch dem Textilarbeiterverband auferlegt. Manche Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen hatten sich die Textilarbeiter in den Zeiten der Hochkonjunktur erkämpft. Troz außerordentlich hoch geschraubter Lebensmittelpreise ging das rücksichtslose Unternehmertum mit dem Einsetzen der Krise in vielen Betrieben fast aller Branchen mit Lohnreduktionen

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Bachofen  , Mutterrecht, Seite 305 und Seite 158. Aeschylos, Seite 57.