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Die Gleichheit
reine Hohn! Die erwerbsunfähige junge Mutter muß ihr Kind allein ernähren, denn ihr Liebster im bunten Rocke besitzt ja nur seinen Sold, von dem für Alimente nichts abgezogen werden darf. Das verzweifelnde Mädchen, das sein Kind nicht zu ernähren imstande ist, das es der Not und dem Elend und dazu noch der Vers achtung der Gesellschaft preisgegeben sieht, soll sich gedulden", bis der Vater in besseren Vermögensverhältnissen ist. Es kann sich nicht gedulden und mordet sein Kind. Die wahre Verbrecherin ist da die Gesellschaft, die die Mutter eines unehelichen Kindes schutzlos dem Elend überliefert und das„ Soldatenliebchen" nicht einmal durch Zwang der Alimentenzahlung für den Vater so wenig schüßt wie andere uneheliche Mütter. Das Militär muß bevorrechtigt werden, damit es von dem„ Zivilistenpact" möglichst geschieden ist und eine zuverlässige Stütze der Ausbeutungswirtschaft bleibt. Bajonette und Kanonen sind ja die letzten„ Gründe", welche die Vortrefflichfeit dieser Wirtschaft erweisen sollen.
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Möchte das Gnadengesuch Erfolg haben, das die Geschworenen für die unglückliche Frida Helle an den König richteten. Wir wünschen es von Herzen. Allein mit diesem Erfolg ist es nicht getan. Das Gesetz bleibt bestehen, das den Soldaten ein Liebesprivileg" einräumt, und damit bleibt die Möglichkeit der Wiederholung eines gleich furchtbaren Falles. Fort daher mit einer Bestimmung, die den Mann ohne Verantwortung für sein Liebesleben läßt und nur dem Weibe die Folgen davon aufbürdet. Und her mit wirksamer, vorurteilsloser gesellschaftlicher Fürsorge für alle Mütter, die unehelichen wie die ehelichen!
Proletarierinnen landauf und landab! Genoffinnen! Kämpft für das Recht des armen Weibes, der armen Mutter. Organisiert euch, auf daß ihr eine Macht werdet im Staate und aufhört, bloß Objekte der Gesetzgebung zu sein. Gemeinsam mit den Männern eurer Klasse müßt ihr Gesetze und Einrichtungen erzwingen, die euch befreien von den Qualen, die ihr heute als Frauen und als Ausgebeutete zu erdulden habt, Geseze und Einrichtungen, die euch zu gleichberechtigten Menschen machen, die in reifer Kraft des Geistes und Charatters Verantwortlichkeiten übernehmen und tragen fönnen. M. W.
Frauenstimmrecht.
I. K. Der Verein für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts aller Großjährigen ohne Unterschied des Ge schlechts in England( Adult Suffrage Society) führt die Agitation für seine Programmforderung mit verstärkter Kraft weiter. Die legte Generalversammlung, über deren Verlauf wir bereits be= richteten, hat mit den Genossinnen Macpherson und Dora B. Montefiore nicht bloß ganz entschiedene Anhängerinnen des allgemeinen Wahlrechts, das heißt zielflare Gegnerinnen des bes schränkten Damenwahlrechts in die Leitung berufen, sondern auch sehr rührige, energische Rämpferinnen. Der Verein bemüht sich, alle gewertschaftlichen und sozialistischen Organisationen zu gemeinsamem systematischen Eintreten für das allgemeine Wahlrecht mobil zu machen. Zu diesem Zwecke regt er Versammlungen an, die von dem Gewerkschaftskartell und den Lokalvereinen der Unabhängigen Arbeiterpartei wie der Sozialdemokratischen Partei in den einzelnen Städten zusammen einberufen werden und Stellung zur Wahlrechtsforderung nehmen sollen. Des weiteren hat der Verein an alle Gewerkschaftskartelle Flugblätter verschickt, welche den reaktionären Charakter des beschränkten Damenwahlrechts aufzeigen und die Bedeutung des allgemeinen Wahlrechts aller Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts beleuchten. Die gewertschaftlichen und sozialistischen Organisationen werden außerdem aufgefordert, die Resolution zugunsten der Wahlrechtsreform anzunehmen, welche der lezte Jahreskongreß der Trade Unions gefordert hat, und deren Rückgrat das allgemeine Wahlrecht aller großjährigen Männer und Frauen bildet. Diese Resolution soll dem Ministerpräsidenten zugeschickt werden. Auch durch die Veröffentlichung und Verbreitung von Flugblättern, Broschüren usw. zugunsten des allgemeinen Wahlrechts sucht der Verein diese Forderung in immer größere Kreise zu tragen und insbesondere für sie die organisierten Arbeitermassen unter Führung der sozialistischen Parteien und der Gewerkschaften in den Kampf zu führen. Die Haltung und das Vorgehen der Adult Suffrage Society verdienen um so mehr Anerkennung und seitens der Genossinnen und Genossen tatkräftige Förderung, als die frauenrechtlerische Agitation für das Wahlrecht des weiblichen Geldsads die proletarischen Massen über die Bedeutung dieser Talimireform zu verwirren strebt und Unklarheit bis in die sozia listischen Kreise hineinträgt.
Vom Kampf um das Damenwahlrecht in England. Der Wiederzusammentritt des englischen Parlaments gab den bürger
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lichen Frauenrechtlerinnen Gelegenheit zu einer Kundgebung für das reaktionäre Damenwahlrecht. Die sogenannten Suffragettes demonstrierten vor der Amtswohnung des Ministerpräsidenten A3quith. Die Damen wurden von der Polizei zerstreut, welche 20 von ihnen festnahm. Das Gericht verurteilte die verhafteten Demonstrantinnen zu der üblichen Strafe von 2 bis 5 Pfund Sterling oder zwei Wochen bis einen Monat Gefängnis. Fast sämt liche Verurteilte wählten im Interesse der Agitation für ihre Forde rung das Gefängnis. Die frauenrechtlerischen Rundgebungen im Parlament haben den Generalstaatsanwalt veranlaßt, im Unterhaus einen Gesezentrourf einzubringen, welcher Demonstrationen daselbst vereiteln soll. Der Entwurf sieht vor, daß Störungen im Parlament, die von Nichtabgeordneten verursacht werden, als Bes leidigungen zu bestrafen sind.
Fürsorge für Mutter und Kind.
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Schuh den schwangeren und gebärenden Frauen! Immer lauter, immer dringender wird diese Forderung erhoben. Wird die Kommune, wird der Staat dem Notschrei Gehör geben? Der Staat, der voll der klaffendsten Widersprüche es mit seiner Logit vereinbar findet, in scheinbarer Fürsorge für das keimende Leben auf die Abtreibung der Frucht eine Mindeststrafe von 6 Monaten Gefängnis und eine Höchststrafe von 5 Jahren Zuchthaus zu sehen, und der es gleichwohl zuläßt, daß gebärende Frauen in ihrer schweren Stunde hilf- und obdachlos umherwandern, bis sie an irgend einer Schwelle erschöpft zusammenbrechen. Man dente: in der Haupt stadt desselben Staates, der dünkelhaft auf seine ,, idealen" Wohlfahrts. einrichtungen pocht, dessen satte Anhänger vom Minister bis hinab zu den frommen Zentrumsleuten preußische Rechtspflege und Sozialpolitik in den Himmel heben: in Berlin , irrt ein armes verlassenes Dienst mädchen in Geburtswehen stundenlang vergebens von Krankenhaus zu Krankenhaus, überall jammernd um Obdach und Beistand flehend. Im Asyl des Bundes für Mutterschuh", wohin die Armste sich zuerst gewandt hatte, ist kein Plaz mehr frei. Die Kreißende wird im Automobil nach dem Charlottenburger Krankenhause geführt und dort echt preußisch abgewiesen, weil sie nicht. orts zuständig ist. Man schickt sie, wieder im Automobil, in dem sie jammernd fniet, nach dem Krankenhaus Westend. Hier gibt es feine Entbindungsanstalt, darum zurück mit ihr ins Charlotten burger Krankenhaus. Endlich wird das zu Tode erschöpfte Weib von einer Unfallstation aufgenommen, wo es nach kurzer Zeit ein Kind zur Welt bringt einen fünftigen Staatsbürger". Dieser Fall, der dem Bunde für Mutterschutz" Anlaß zu einer Protestversammlung gab, steht nicht vereinzelt da. Ein Dienstmädchen, das von den Eltern verstoßen war und vonder Herrschaft unmittelbar vor der Geburt auf die Straße gesetzt wurde, irrt in Wind und Wetter, einem gehegten Wilde gleich, umher, bis es endlich auf der Schwelle des Mutterschutzheims zu sammenbricht und in schmutzigen, durchnäßten Kleidern einem Kinde das Leben schenkt. Ein schweres Kindbettfieber war die Folge.... Eine Frau, bei der man die Geburt im Krankenhaus fünstlich zu beschleunigen versucht hatte, wird, als sie zu der vorgeschriebenen Zeit nicht niederkommt, ohne Geldmittel auf die Straße gesetzt, obwohl die Geburt schon eingeleitet war. Die Zahl der Frauen ist wahrlich nicht klein, die auf ähnliche Weise einen Vorgeschmack von der Wertung und Fürsorge bekommen, welche die bürgerliche Gesellschaft dem Menschenleben angedeihen läßt. Die Schuld an so schmählichen Zuständen trifft weder einzelne Personen, noch In stitutionen, sondern die ganze bürgerliche Gesellschaft. Auf Gegen. säge und Widersprüche aufgebaut, hat sie nicht allein Lüge, Heuchelei und Halbheit im Gefolge, sie scheint auch zuweilen mit Blindheit geschlagen. Sie will nicht einsehen, daß Kinder, die dank der sozialen„ Fürsorge" unter Umständen wie die geschilderten die beste aller Welten erblicken, wenn sie heranwachsen und denken lernen, zu zielbewußten Kämpfern gegen die Ordnung oder richtiger Unordnung der Gesellschaft werden müssen. Neben der Furcht vor dem immer wachsenden Heere ihrer überzeugten Feinde ist es nicht in letter Linie die Sorge um das gute Kanonen- und Maschinenfutter, die die bürgerliche Gesellschaft zu Zugeständnissen an die Forderung der Fürsorge für Mutter und Kind zwingt. Diese Forderung steht auf der Tagesordnung des öffentlichen Lebens und wird nicht mehr von ihr verschwinden. Schließt die Reihen, Genossinnen! Kämpft für euer Recht als Mutter, fämpft für das Recht eurer Kinder, vereinigt euch zum Rufe: Heraus mit dem Schwangeren- und Wöchnerinnenschuh!
ed.