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Die Gleichheit

Breslau . Am 15. Februar fand in der Gräbschener Vor­tadt die zweite regelmäßige öffentliche Frauenversammlung Ratt. Troß heftigen Schneewetters hatten sich über 150 Teilnehmer eingefunden, darunter auch einige Männer. Noch vor Beginn der Bersammlung ward lebhaft für die Gleichheit" agitiert. Nach der Eröffnung der Versammlung durch Genossin Hampel referierte Genosse Neumann- Hamburg über das Thema Die Frau und der Alkohol". Der Redner legte eingehend die Schädigungen dar, die der Alkohol den einzelnen Organen des Körpers, besonders den Nerven und dem Gehirn, zufügt. Durch statistisches Material bewies er, baß die Lernfähigkeit der Schüler durch Alkoholgenuß beeinträchtigt wird, und er knüpfte daran für die Mütter die Mahnung: Haltet jeden Tropfen Alkohol von euren Kindern fern! Wer seinen Kindern Alkohol gibt, begeht ein Verbrechen!" Weiter zeigte der Referent auf die zahlreichen im Rausch begangenen Vergehen und Ver brechen hin, von denen etwa 75 Prozent Sittlichkeitsverbrechen feten. Nicht mitgezählt wären bei diesen die viel zahlreicheren Fälle von Notzucht, deren sich betrunkene Ehemänner am eigenen Weibe schu dig machen. Der entfeßlichen Folgen wegen minderwertige Rachkommenschaft habe die Frau die Pflicht, sich dem anges trunkenen Manne zu verweigern. Die Gefahren, die der Alkohol­genuß für die Nachkommenschaft mit fich bringt, müßten jeden Klaffentämpfer veranlassen, auf ihn zu verzichten. Die nachwachsende Generation soll besser als die heutige imftande sein, den Befreiungs. tampf des Proletariats zu führen. Diese Erwägung wie die schweren materiellen Schäden, die der Alkohol über den Arbeiterhaushalt bringt, müssen besonders die Frauen zu seinen entschiedenen Gegne rinnen machen. Reicher Beifall lohnte den Redner, mit Protests rufen einiger Männer vermischt, die in der Diskussion in teilweise recht frauser Art ihrer gegnerischen Meinung Ausdruck gaben. Genossin Löbe erklärte, es habe sich in Breslau in puncto Alkohol genuß gegen früher schon manches dank der Arbeit von Partei und Gewerkschaft gebessert, doch zu tun bleibe noch viel. Genossin Seelig stimmte dem Referenten zu und meinte, daß dieser trotz aller Schärfe nicht zu viel behauptet habe. In seinem Schlußwort fegte sich Genosse Neumann mit den Einwänden auseinander, die gegen seine Ausführungen gemacht worden waren, und betonte, daß bie Selbsterziehung und Selbstzucht in der umstrittenen Frage des Alkoholgenusses eine gebieterische Pflicht sei.

Am 17. Februar fand die Generalversammlung des Sozial bemokratischen Vereins Breslau statt, in der Genossin Rauschens fels als Beisitzerin wiedergewählt wurde. Erwähnenswert ist ein von 27 Genossinnen unterzeichneter Antrag, der der Generalversamm­lung vorlag: den Beitrag der weiblichen Mitglieder von 10 Pf. auf 20 Pf. pro Monat zu erhöhen und ihnen dafür die Gleichs heit" gratis zu liefern. Die Verhandlung über den Antrag wurde vertagt und solle in der nächsten Mitgliederversammlung zusammen mit den Beratungen über den neuen Organisationsentwurf der Partei weitergeführt werden. Bemerkt sei noch, daß die Generalversamm­lung von weiblichen Mitgliedern gut besucht war. Pflicht einer jeden Genossin ist es, in der nächsten Mitgliederversammlung wie zu allen anderen Veranstaltungen der Partei zu erscheinen.

Rfls.

Noch vor furzer Zeit fonnte in Vegesack und Umgegend von einer Frauenbewegung kaum die Rede sein. Wohl waren einige Genossinnen politisch organisiert und beteiligten sich auch ab und zu an den Versammlungen, doch von einer regen Anteilnahme des weiblichen Geschlechts am öffentlichen Leben war wenig zu spüren. Die Frauen versteckten sich nur allzugern hinter ihrer Rechtlosigkeit und zogen sie als Entschuldigung dafür an, daß sie fich nicht um die politischen Vorgänge kümmerten. Für ihr Ver­halten mag auch der Umstand von Einfluß gewesen sein, daß thr Verständnis für politische Fragen entweder nicht genügend geweckt oder zu wenig gefördert worden war. Ähnlich wie in Begesack werden die Dinge überall liegen, wo das Selbstbewußt= fein der Frauen noch sehr schwach entwickelt ist, wo ihnen noch der Mut fehlt, Ansprüche und Rechte geltend zu machen. Diese Rück­ständigkeit hängt auch mit den schlechten wirtschaftlichen Berhält niffen und der überbürdung der Frauen mit Arbeiten zusammen. Ein Teil der hiesigen Frauen schafft in der Fabrik, ein anderer Teil ist so mit häuslichen Arbeiten aller Art belastet, daß ihnen faum Zeit zur geistigen Betätigung bleibt. Troy all der aufgezeigten Umstände hat ein erfreulicher Umschwung in betreff der öffentlichen Betätigung der Frauen eingesetzt. Zunächst taten sich in Vegesack einige Genofsinnen zusammen, die in treuer Pflichts erfüllung Leserinnen für die Gleichheit" au gewinnen fuchten. Durch fleißige Hausagitation erreichten sie das Biel . Erwähnt muß babei werden, daß auch die Genossen sich die redlichste Mühe geben, ber Gleichheit" in jedem Arbeiterheim Eingang zu verschaffen. Sehr bald zeigte fich die wohltätige Wirlung der Zeitschrift

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Nr. 12

lektüre. Nicht nur das Intereffe für spezielle Frauenfragen wurde geweckt, in erhöhtem Maße beteiligten sich auch die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen an den allgemeinen Parteiveranstaltungen. Nicht lange, und ein weiterer erfreulicher Fortschritt war zu verzeichnen: auch Frauen wurden mit Vorstandsämtern betraut. So fungieren jetzt in den einzelnen Ortsvereinen Frauen als zweite Vorsitzende, als Schriftführer und Kassierer. - Daß es den Genossinnen Ernst damit ist, sich grundlegendes Wissen anzueignen, bewies der vor kurzem hier abgehaltene Unterrichtstursus des Genossen Dr. Dunder über Die Entwicklungsstufen des Wirtschaftslebens". Von den 182 Teilnehmern waren 20 Frauen, die mit regstem Interesse während der acht Unterrichtsabende den Ausführungen des Vor tragenden folgten. Diese begrüßenswerte Tatsache gewinnt noch mehr an Bedeutung, wenn man berücksichtigt, daß ein Teil der Frauen größere Wegstrecken zum Unterrichtslokal zurückzulegen hatten. Im Anschluß an den Kursus werden nunmehr in den einzelnen Distrikten Lese- und Diskutierabende eingerichtet, an denen fich hoffentlich auch die Frauen beteiligen werden. Neben diesen Abenden finden allmonatlich zusammentünfte der Genossinnen statt, in denen grundlegende Broschüren gelesen und belehrende Vorträge gehalten werden. Nun, da so rüstig die Aufklärung der Frauen betrieben wird, ist zu hoffen, daß in einiger Zeit ein Stamm opferwilliger und geschulter Genosünnen heranwächst, die unsere Ideen in weitere Kreise tragen werden. In nächster Zeit findet im 18. hannoverschen Reichstagswahlkreis eine Ersatzwahl statt, bie den Genossinnen genügend Gelegenheit geben wird, sich in der Agi­tation zu betätigen. An dieser Stelle sei den Genofsinnen zugerufen: Haltet das Errungene fest und fämpft gemeinsam mit den männ lichen Klassengenossen jederzeit für die Jdeale des Sozialismus. Johanna Reize

Adelheid Zeh- Lechhausen+

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Einen herben Verlust hat die Frauenbewegung erlitten. In Lechhausen ist eine unserer Besten durch den unerbittlichen Tod vom Kampfplaz abgerufen worden. Unsere Adelheid wie Ge nossin Zeh von den Genossen und Genoffinnen Lechhausens und Augsburgs gern genannt wurde hat für immer die Augen ge schlossen. Geboren im Dezember 1869 als Proletarierkind, lernte Genoffin Zeh von zartester Jugend an die Leiden derjenigen tennen, die dant unserer Wirtschaftsordnung Arme, Enterbte find, für die es in dieser besten der Welten viel Plagen und wenig Freuden gibt. Als zehnjähriges Kind entriß ihr der Tod die geliebte Mutter. Hatte Adelheid vorher schon manche schwere Stunde gekostet, so war nun unter fremden Menschen ein noch härteres Los ihr Teil. Bei schwerer Arbeit und schmaler Kost wuchs sie heran. 1890 fam fie nach Lechhausen und schlug sich recht und schlecht als Fabrik arbeiterin durch. Der Lebensbund, den sie 1896 mit dem Mann ihrer Wahl schloß, war ein gemeinsamer Kampf um die Eriftens und für die Befreiung des Proletariats. Und trotz aller schweren Stunden, welche die Not und ihre Begleiterin Krankheit den beiden brachte, war die Ehe glücklich, eine echte, rechte Proletarierehe, die zwei einsichtige, herzensgute, strebende Menschen vereinte und ihre höchste Weihe durch das harmonische Wirken im Dienste ber sozialistischen Ideen erhielt.

Die Opferfreudigkeit und Lauterkeit, der nimmerrastende Eifer, furz, all die trefflichen Eigenschaften, welche Genossin Zeh bei der Arbeit und im Kampfe für die Erlösung des Proletariats aus Ausbeutung und Knechtschaft betätigte, erwarben ihr zusammen mit ihrem offenen ehrlichen Wesen und ihrer großen Zuverläfftg­keit die ungeteilte Achtung der Genossen und Genossinnen. Unsere Adelheid wurde 1905 von den Lechhauser Genossinnen als Bers trauensperson gewählt. Und trog der schlechten, mangelhaften Schulbildung, die sie genossen, verstand sie es meisterhaft, eine Kerntruppe von Genossinnen um sich zu scharen und mit der Jdee des Sozialismus zu erfüllen. Aus Dankbarkeit für die aufopfernde Tätigkeit betrauten die Genoffinnen ihre Adelheid wieder und wieder mit ihrer Vertretung zu wichtigen Tagungen, so zu den Konferenzen der deutschen Genossinnen in Mannheim 1906 und in Nürnberg 1908 und der bayerischen Frauenkonferenz 1907. Jeder, der Gelegen­heit hatte, diese schlichte Proletarierin fennen zu lernen, schähte und liebte fie. Trotz der schmerzhaften Krankheit des Rheumatis mus, die an ihren Kräften zehrte, widmete fie alle freie Zeit, die die kapitalistische Fron ihr ließ, dem proletarischen Klassenkampf, dessen hohes Ziel ihr Herz bewegte. Auch in religiösen Dingen hatte sich Genoffin Zeh zu vollständiger Freiheit der Anschauung durchgerungen. Aus eigenster freier Entscheidung und von dem Bewußtsein beseelt, daß jeder sein eigener Richter darüber sein müsse, wie er gelebt und gehandelt, wies sie die Beichte zurück.