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Die Gleichheit
Wissenschaft, Vernunft, Pflicht, wenn sie gegen seine Geldbeutel interessen find!
So haben sie denn auch im Dreitlassenhause Preußens die preußische Finanzreform auf ihre Interessen zugeschnitten. Die Regierung wollte Zuschläge zur Einkommensteuer nur von 7000 Mt. Einkommer ab erheben die konservativ- nationalliberalzentrümliche Mehrheit des Dreiflassenparlaments setzte die Grenze bis auf 1200 mt. herab, und auch der Freifinn schloß sich an, nachdem sein Antrag gefallen war, bei 3000 Mt. haltzumachen.
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Die Spigelwirtschaft der preußischen Polizei wurde von der Sozialdemokratie beim Etat des Innern im Geldsacksparlament böse gegeißelt, was dem Minister v. Moltke zu dem Ausspruch Veranlassung gab, man habe nicht zu fragen, ob die Verwendung von Spigeln schön sei, sondern ob sie nötig sei. Natürlich bejahte er diese Frage, da die Sozialdemokratie auf Umstura sinne, ein Thema, das dann noch in einigen Reden diverser junkerlicher und bürgerlicher Scharfmacher mit viel Eifer, aber wenig Geschick ausgesponnen
wurde.
Als scharfer Gegner der Kolonialpolitik und als eifriger Anwalt der versflavten Schwarzen trat die Sozialdemokratie bei der Beratung des Kolonialetats im Reichstag auf.- Ihr Antrag auf Aufhebung der Gesindeordnung und Gewährung des Roalitionsrechts an die Landarbeiter wurde nach wütenden Reden der Konservativen, denen die sozialdemokratischen Sprecher energisch erwiderten, an eine Kommission verwiesen. Bei der Verhandlung eines polnischen Protestantrags gegen die Unterdrückung der Polen in Preußen trug die Sozialdemokratie das Ihrige zur Bloßstellung der preußischen Polenpolitik bei.
Die Arbeiterfeindlichkeit des Freisinns zeigt sich wieder einmal in Kiel . Dort hat der Magistrat den Erfolg der Sozialdemokratie bei den letzten Stadtverordnetenwahlen mit einer Wahlrechts= raubvorlage quittiert, die an die Stelle des gleichen, allerdings durch hohen Zensus beschränkten Wahlrechts das Dreiklassenwahl recht der altpreußischen Provinzen in seiner schlimmsten Form setzt. Es steht schon heute fest, daß freisinnige Stadtverordnete für die Verschlechterung des Wahlrechts stimmen und auf alle Protesterklärungen der freisinnigen Organisation pfeifen werden genau wie in Rixdorf.
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Im angeblich liberalen Oldenburg ist das Pluralwahlrecht vom Landtag endgültig beschlossen worden. Jeder Wähler erhält vom vierzigsten Jahre ab eine Zusatzstimme, eine Bestimmung, die zwar formell nicht gegen die Arbeiterklasse gerichtet erscheint, sie tatsächlich aber doch entrechtet, da das Durchschnittsalter des Proletariats niedriger ist als das der Bourgeofie.
Auf der Balkanhalbinsel sah es in diesen Wochen ein paar Tage lang wieder einigermaßen nach Krieg aus, da der Gegensatz zwischen dem durch Rußland ermutigten Serbien und Österreich sehr scharf geworden war. Indes hat Rußland vorläufig das ges fährliche Spiel doch nicht weiterzutreiben gewagt und auf allgemeines Verlangen der übrigen Mächte den Serben Mäßigung angeraten, was zunächst Erfolg gehabt hat.
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In der russischen Duma hat der Ministerpräsident Stolypin die Regierung von dem Brandmal der Verbindung mit dem Lockspizel Azew zu befreien versucht. Er bestritt, daß Azew Lockspizzel gewesen, daß er Attentate inszeniert, daß er mehr getan habe, als der Regierung Nachrichten zu liefern. Das Spigelwesen set natürlich notwendig darin ist Herr Stolypin also genau derselben Ansicht wie der preußische Polizeiminister v. Moltke- aber Lockspizzel beschäftige die ehrenwerte russische Polizei nicht. Den wahrheitsliebenden Minister genierte die gravierende Tatsache nicht, daß Azew gar nicht Vorsitzender der den Terror propagierenden Partei der Sozialrevolutionäre hätte sein können, wenn er nicht Attentate inszeniert hätte. Die reaktionäre Mehrheit der Duma ließ sich natürlich von dem zum Greifen deutlichen Tatbestand ebenfalls nicht anfechten. Nach einer Debatte, in der der sozial demokratische Sprecher die Schmach der Regierung mit flammenden Worten gegeißelt hatte, nahm die Duma eine Tagesordnung an, die die Erklärungen des Ministerpräsidenten als genügend und er schöpfend erachtete.
Gegen die Freiheit Finnlands hat der Barismus einen Schlag geführt. Der Landtag ist aufgelöst worden, weil er russische Übergriffe nicht stillschweigend hingenommen hat. Die russische Die russische Regierung plant eine Verschlechterung des Wahlrechts, um dann mit einem reaktionären Landtag die Selbständigkeit Finnlands und die finnische Sozialdemokratie niederzuknüppeln.
Bei der Adreßdebatte des englischen Unterhauses hat die Arbeiterfraktion einen Zusatantrag eingebracht, der bedauert, daß die Regierung feine wirksamen Maßregeln gegen die Arbeitslosigkeit vorschlage. Mehrere Redner der Fraktion begründeten
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ihn, andere sprachen gegen das Verlangen der Konservativen nach Schutzzoll und in bedingtem Sinne für gefeßliche Maßregeln gegen bas Oberhaus.
Die Sozialdemokratie Frankreich 3 hat bei mehreren Rammererfahwahlen starke Stimmenſteigerungen erzielt; zwei sozialistische Kandidaten gelangten in die Stichwahl.
In Ungarn treibt die Verfolgung der Arbeiterbewegung üppigste Blüten. Die Auflösungen von Gewerkschaften reißen nicht ab. Die Arbeiter lassen sich aber nicht entmutigen und finden immer neue Formen der Organisation. Das Gewerkschaftssekretariat hat dem Ministerium lezthin ganz unumwunden mitgeteilt, daß die Arbeiter Geheimorganisationen bilden werden.
Hollands Sozialdemokratische Arbeiterpartei hat zu Deventer am 13. und 14. Februar einen außerordentlichen Parteitag abgehalten, dessen Beschlüsse sich gegen die Kritik der Marristen an ben Handlungen der Parteileitung und der Kammerfraktion richten. Drei Redakteure der„ Tribüne", des populären Organs der Marristen, wurden ausgeschlossen, weil sie nicht nach dem Gebot der Parteitagsmehrheit die Herausgabe der„ Tribüne" einstellen wollten. Ehe die drei sich zu einer entsprechenden Erklärung entschlossen, wollten sie sich erst überzeugen, ob die Marristen tatsächlich volle Freiheit der Meinungsäußerung in dem vom Parteitag beschlossenen Wochenblatt haben werden, das eine Beilage des Zentralorgans von Het Volt sein und von Marristen im Einvernehmen mit der stärkeren ,, Het Volt"-Redaktion redigiert werden soll. Der Ausschlußbeschluß soll noch einer Urabstimmung unterbreitet werden. Bestätigt sie die Entscheidung, so wird eine Spaltung der Partei eintreten, da eine Minderheit sich auf die Seite der Tribüneredakteure gestellt und auf einer Konferenz bereits alles für die Gründung einer neuen Organisation vorbereitet hat. H. B.
Gewerkschaftliche Rundschau.
Die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterklasse zwingt die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen nicht allein in einen unerbittlichen, unermüdlichen Kampf gegen das Unternehmertum, das in seiner brutalen Ausbeutungs sucht nichts danach fragt, ob die Lebenslage der Proletarier herabgedrückt wird, sondern auch gegen den Staat. Ohne durch den Kampf der Ausgebeuteten gezwungen zu werden, geht der kapitalistische Staat auf keine noch so gerechtfertigte Forderung der Arbeiterklasse ein. Jede halbwegs einschneidende sozialpolitische Maßregel zugunsten des Proletariats stößt auf hartnäckigen Widers stand der Regierung und der bürgerlichen Parteien, und es bedarf des Aufgebots der Macht, die in den organisierten, zielbewußten Arbeitern ruht, um den jämmerlichen Karren der jämmerlichen deutschen Sozialreform Schritt für Schritt vorwärts zu stoßen. Freiwillig gewährt die heuchlerische Arbeiterfürsorge von oben auch nicht eine Bestimmung zum Schutze der Ausgebeuteten, wie sie den Interessen des Proletariats entspricht. Damit nicht genug. Auch die Tat und Unterlassungsfünden des Kapitalistenstaates auf anderen Gebieten fordern die schärfste Kritik und Gegenwehr der gewerkschaftlich organisierten Massen heraus. Wir weisen heute nur auf das Gebiet der Steuerpolitik hin, das sich augenblick lich in den Vordergrund des Interesses schiebt. Die Löcher, welche Militarismus, Flotten- und Kolonialpolitik in den Reichssäckel reißen, sollen wieder durch indirekte Steuern gestopft werden, die den Lebens bedarf der Werttätigen verteuern. Was bedeutet das für die Gewerkschafter? Jede indirekte Steuer läuft in ihrer Wirkung für die Proletarier auf eine Verkürzung des Lohnes hinaus, da durch sie die notwendigen Lebensmittel und geringen Genußmittel im Preise gesteigert werden. Sie nimmt also den Arbeitern und Arbeiterinnen, was diese dank ihrer Gewerkschaft an Lohnerhöhungen, an einer Verbesserung ihrer Lebenslage errungen haben. Gleichzeitig gibt es indirekte Abgaben, und die, welche die Regierung jetzt beans tragt, gehören zu ihnen, welche die Entwicklung, den Stand be stimmter Gewerbe schwer schädigen. Wir erinnern an das, was zur Frage der Finanzreform schon in diesem Blatte gefagt worden ist.
Zahlreiche Petitionen an den Reichstag lassen den von uns aufgezeigten Stand der Dinge erkennen. So drängt zum Beispiel eine Petition der Handlungsgehilfen auf die Einführung der Sonntagsruhe und des Achtuhrladenschlusses im Handelsgewerbe; die Massenpetition der Tabatarbeiter wendet sich gegen das Steuer attentat auf den Tabat; die Krankenkassen wehren sich gegen die neue Krankenkassennovelle, die ihnen das Selbstverwaltungsrecht rauben soll; dazu kommen noch die Eingaben kleiner Gruppen von Arbeitern und Arbeiterinnen, die in Vorbereitung sind. Die Berg arbeiter in den Stein- und Braunkohlenrevieren Deutschlands haben in 65 Versammlungen die neue Berggesegnovelle der Regierung