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Die Gleichheit

Sein Redner lehnte den sozialdemokratischen Antrag nicht ab, meinte aber, in manchen Gewerbeinspektionsbezirken, wie zum Beispiel in Essen, seien Assistentinnen überflüssig, da dort die Anzahl der ges werblich tätigen Frauen gering sei. Sollten die Herren vom Zentrum tatsächlich nicht wissen, daß im Königreich Krupp   viele Tausende Männer so erbärmlich entlohnt werden, daß die Frauen in großer Zahl zur Heimarbeit unter den elendesten Bedingungen gezwungen sind? Genosse Hirsch trat den Ausführungen des Zentrumsmannes entgegen und befürwortete eindringlich die Anstellung von Assi­stentinnen. Die Nationalliberalen brauchten den Lurus einer Ar­beiterfreundlichkeit à la Zentrum nicht, sie waren daher ganz und gar" mit den Ausführungen des Herrn Ministers einverstanden, daß der sozialdemokratische Antrag unausführbar und un­annehmbar sei. Der sozialdemokratische Antrag wurde schließlich der Kommission für Handel und Gewerbe überwiesen. Die Arbeite rinnen werden sich keinen Illusionen darüber hingeben, was das Dreillaffenhaus aus ihm macht.

ed. Eine zweite Beamtin für die Gewerbeaufsicht in Finnland  ist von dem Industrierat des Landes in Aussicht genommen. In Finnland   marschiert die Sozialreform schneller als in Preußen.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

I. K. Von der sozialistischen   Frauenbewegung in den Ver­ einigten Staaten  . Das nationale Frauenkomitee der Socialist Party( Sozialdemokratische Partei  ), welches im Mai vorigen Jahres auf dem nationalen Parteifongreß in Chicago   begründet wurde, ver­schickte an alle örtlichen Organisationen der Partei ein Rundschreiben, in welchem es die Bildung lokaler Frauenkomitees dringend empfahl. Es ist bereits damit begonnen worden, solche Komitees zu bilden, beren Aufgabe es sein wird, mehr Frauen zur Tätigkeit innerhalb der Partei heranzuziehen. Das nationale Frauenkomitee hat ferner eine Reihe von Flugschriften herausgegeben, die der sozialistischen  Agitation unter den Frauen dienen. Während das nationale Frauenfomitee und die lokalen Frauenkomitees auf diese Weise innerhalb der Partei tätig sind, wirkt eine andere nicht minder rege und viel versprechende Frauenorganisation außerhalb der Partei für dasselbe Ziel. Die Socialist Women's Society", welche vor acht Monaten ins Leben gerufen wurde, stellt es sich zur Aufgabe, hauptsächlich solche Frauen zu erfassen, die der Be wegung noch fernstehen und also nicht durch die Partei selbst er­reicht werden können. Der Verein wirkt hauptsächlich erzieherisch mittels Vorträgen, Vortragskursen, Diskussionen, Lesezirkeln usw. Der schon seit elf Jahren bestehende deutsche Sozialdemokra tische Frauenverein" hat sich unlängst mit der neuen Organi­fation zusammengeschlossen, und beide wirken nun vereint als ,, Socialist Women's Society", die zurzeit aus elf deutschen, sechs englischen und einer jüdischen Zweigorganisation besteht. Die Socialist Women's Society" hat an den Veranstaltungen zum nationalen Frauenstimmrechtstage regen Anteil genommen und be­reitet sich jetzt auf eine Demonstration zur internationalen Mai­feier vor.

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Die Frau in öffentlichen Aemtern.

m. st.

Die Tätigkeit der Frauen im Dienste der Gemeinde Char­ lottenburg   ist umfangreicher und vielseitiger, als sich dies mit dem üblichen Maß borussischen Unverstandes auf kommunalpolitischem Gebiet verträgt. Nach einer Mitteilung des Magistrats an die Stadtverordnetenversammlung wirkten in der Armenpflege von Charlottenburg   3 Frauen als Mitglieder der Arment̃ommission, 18 als Armenpflegerinnen, 6 als besoldete Kräfte in der Auskunfts­stelle und 1 als besoldete Oberin des Bürgerhauses. In der Waisenpflege waren Frauen tätig: 3 als beratende Mitglieder der Deputation für die Waisenpflege, 8 als Mitglieder der Pflege­stellen- und Kleiderprüfungskommiffion, 148 als Waisenpflegerinnen, 108 als Pflegerinnen des freiwilligen Erziehungsbeirats, 2 als be­foldete Angestellte im Pflegestellenwesen, 2 ebenfalls in der General­vormundschaft. Die Deputation für Gesundheitspflege hat in der Lungenkrankenfürsorge 5, in den Stellen für Säuglings fürsorge und Vorernährung 8 Schwestern angestellt; ehrenamtlich betätigen sich gerade in der Säuglingsfürsorge zahlreiche Frauen. Auf dem Gebiet des Schulwesens stehen die Dinge wie folgt: eine Lehrerin ist Mitglied der Schuldeputation, die Leitung der Mädchenfortbildungsschule ruht in der Hand einer Lehrerin, der Kindergarten hat ebenfalls weibliche Leitung, es amtiert eine Schul ärztin, Lehrerinnen sind mit der Aufsicht über die Haushaltungs­füchen betraut. Lehrerinnen und andere Frauen haben wiederholt an Beratungen und Besprechungen der kommunalen Verwaltung

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teilgenommen. Die Stadtverordnetenversammlung von Charlotten­ burg   hat im Herbst letzten Jahres eine noch weitere Heranziehung des weiblichen Geschlechts zur fommunalen Verwaltung beschlossen, der bündigste Beweis dafür, daß die Arbeit der Frauen sich be­währt hat. Trotzdem haben sich bis jetzt die wenigsten Gemeinden in Preußen und dem übrigen Deutschland   ein Beispiel an dem lobenswerten Vorgehen von Charlottenburg   genommen.

Als Assistenzärztin am städtischen Elisabeth- Krankenhaus zu Aachen  , das unter der Leitung des Professors Dr. Wesener steht, ist mit dem 1. Januar d. J. Fräulein Dr. med. Danielevicz eingetreten. Dem Vernehmen nach stehen der Dame aus ihrer früheren ärztlichen Tätigkeit die besten Zeugnisse zur Seite. Bu nächst ist sie mit der Behandlung der Kinderkrankheiten be­

traut.

Eine offizielle Verteidigerin für jugendliche Angeklagte bei der Strafkammer zu Hamburg   ist zugelassen worden. Es ist Fräulein Dr. jur. Anna Schulz, Leiterin der Hamburger Zentrale für Jugendfürsorge. Die Vergehen Jugendlicher, die vor die Straffammer kommen, sind Urkundenfälschung, Betrug und Bettel.

Zum Mitglied des 168. Gemeindewaisenrats in Berlin  wurde von den städtischen Körperschaften Frau Hörnig ernannt, die Gattin eines Fabritarbeiters. Daß eine Proletarierin in Deutsch­ land   mit einem öffentlichen Amt betraut wird, ist noch seltener, als daß eine bürgerliche Frau ein solches erhält.

Frauenbildung.

Eine Frauenrechtsdebatte fand jüngst im weimarischen Landtag statt. Die Veranlassung hierzu gab ein Gesuch der Vereine Frauenbildung, Frauenstudium und Frauenwohl in Jena  , die um die Zulassung von Mädchen in die Oberreal­schule dieser Stadt ersuchten. Der Petitionsausschuß hatte den Antrag gestellt, das Gesuch in dieser Form abzulehnen, aber der Regierung als Material die in dem Gesuch enthaltene Forderung zu überweisen, Mädchen in die höheren Knabenschulen des Landes zuzulassen. Die Regierung zeigte sich in der Sache nicht besonders entgegenkommend. Die Zulassung von Mädchen in die höheren Knabenschulen, so erklärte ihr Vertreter, könne immer nur ganz ausnahmsweise einmal geschehen. Die Frage aber, eine dem Ge such entsprechende höhere Mädchenschule zu schaffen, sei noch nicht spruchreif. Eine der bestehenden höheren Mädchenschulen im Lande so auszubauen, daß sie Schülerinnen zum Universitätsstudium vor­bereiten könne, toste jährlich mindestens 15000 bis 20000 Mt. Eine solche Summe vermöge das kleine Großherzogtum bei der jetzigen Finanzlage nicht für ähnliche Zwecke aufzuwenden. Der freisinnige Lehrer, Abgeordneter Polz, strich darauf die Erfolge heraus, welche die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen erzielt haben. Als unser Ge nosse, Abgeordneter Baudert, darauf über die Bestrebungen der sozialdemokratischen Frauenbewegung sprach und betonte, daß diese sich in jeder Beziehung, bezüglich ihres Umfanges wie ihrer Erfolge mit allen bürgerlichen Gruppen der Frauenrechtlerinnen messen könne, mußte der Abgeordnete Polz diese Feststellung mit einem ,, Sehr richtig!" bestätigen. Obwohl im Verlauf der längeren De batte der Antrag gestellt wurde, die allgemeine Forderung auf Bu laffung von Mädchen zu den höheren Knabenschulen der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen, fand sich doch dafür eine ge= nügende Mehrheit im Landtägle nicht zusammen. Der Antrag war schon im Ausschuß von unserem Genossen Baudert gestellt worden. Zur Begründung hatte er darauf hingewiesen, daß es das er strebenswerte Ziel sein müsse, allen Mädchen, die nach einer höheren Bildung verlangen, auch Gelegenheit zu geben, sich eine solche anzueignen. Obwohl zurzeit noch nicht daran zu denken sei, daß die Töchter der arbeitenden Bevölkerung von den höheren Mädchenschulen einen direkten Vorteil hätten, trete er mit seinen Freunden aus prinzipiellen Gründen für die erhobene Forderung ein. Außer unseren drei Genossen Baudert, Beck und Leber stimmte nur ein Teil der liberalen Abgeordneten für deren positive Berücksichtigung. Der andere Teil der Liberalen ging mit den Agrarkonservativen zusammen. Dieser Ausgang ist erklärlich, wenn man sich vor Augen hält, daß im weimarischen Landtag bei der Mehrheit der Abgeordneten für Fraueninteressen kein Verständnis vorhanden ist, weil die Mehrheit agrarisch ist, und ein richtiger Agrarier nur für solche Vorlagen stimmt, bei denen er etwas bt. profitiert.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .