Nr. 15 Die Gleichheit 235 64 bis 60 Stunden festgesetzt. Ein längerer als zehnstündiger Arbeitstag wurde nur für zirka 34000 Arbeiter, das sind etwa 6 Prozent der Gesamtheit der an den Tarifverträgen Beteiligten, vereinbart. Wenn man bedenkt, daß die Statistik des Reichsamts natur- gemäß nicht alle Tarifverträge erfassen kann, ivndcrn Lücken enthalten muß, wenn man weiter in Anschlag bringt, daß für eine nicht geringe Zahl der Arbeiter Verkürzungen der Arbeits­zeit ohne Abschluß eines Tarifvertrags erreicht worden sind, so kann gesagt werden, daß der Achtstundentag marschiert. über seine Berechtigung, Durchführbarkeit und Notwendigkeit herrscht unter Einsichtigen schon lange kein Streit mehr.' Die Rücksicht auf die Volksgesundheit fordert gebieterisch erhebliche Verkürzung der Arbeitszeit, denn nichts untergräbt die Ge- sundheit mehr, als dauernde Überanstrengung, und sie schädigt dadurch direkt den Wohlstand des Volkes, der nicht auf dem Gewinn Weniger beruht, sondern auf der Leistungsfähigkeit der Massen. Auch das Interesse des Staates erheischt die Be- schränkung der Arbeitszeit. Jeder Bürger ist berechtigt und verpflichtet, sich an der Verwaltung des Staates und seiner Organe zu beteiligen; dies richtig tun zu können, setzt voraus, daß jeder genügend Zeit hat, sich mit den Vorgängen des öffentlichen Lebens zu befassen, für die jeder verantwortlich ist, und gerade die Masse des arbeitenden Volkes mit Gut und Blut. Unsere Gegner behaupten oft, daß die sozialdemokratischen Arbeiter von ihrem Wahlrecht einen falschen Gebrauch machen, weil ihnen die Einsicht in die Dinge fehle. Nun gut, man schaffe durch Verkürzung der Arbeitszeit den Proletariern Ge- legenheit, sich noch besser mit den Angelegenheiten des Staates und der Gemeinde zu befassen, damit sie richtigen Einblick in den Zusammenhang unserer wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Zustände bekommen! Uns soll's recht sein. So notwendig und berechtigt der Achtstundentag ist, so gut ist er auch durchführbar. Zahlreiche Versuche haben ergeben, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit sehr oft nicht mit einer Minderleistung verbunden ist. Keine Industrie würde zugrunde gehen, wenn die Arbeitszeit allgemein verkürzt würde. Und deshalb kann das Proletariat mit Fug und Recht, aber auch mit dem Bewußtsein, daß seinem ernsten Wollen und rastlosen Kampf das Ziel nicht unerreichbar ist, am 1. Mai, den anderen zum Schrecken und sich zur Hoffnung, den Ruf erheben: Her mit dem Achtstundentag! H. Stimmrecht für wohlhabende Frauen. Am 30. März d. I. kam im preußischen Abgeordnetenhaus die Petition der bürgerlichen Frauenrechtlerin Frau Minna Schmidt- Bürkly zur Verhandlung. Sie fordert: Abänderung der Städte- ordnung; Einführung des kommunalen Stimmrechts für grundbesitzende beziehungsweise wirtschaftlich selb- ständige und steuerzahlende Frauen. Di« Negierung hatte die Absicht, dieses Ansuchen ohne jede Diskussion im Papierkorb verschwinden zu lassen. Doch der liberale Abgeordnete Fisch deck merkte, daß es sich dabei um ein Vorrecht für die besitzende Frau handelte, geeignet, die Macht der bürgerlichen Parteien zu stärken. Da die Mehrzahl der selbständigen und steuerzahlenden Frauen in den Städten wohnt, waren Konservative und Zentrum gegen die Petition, die ihrer Partei nur geringen Nutzen bringen konnte. Um aber diese Erzreaktionäre für das Damenwahl- recht zu gewinnen, betonte Herr Fischbeck, daßFrau Schmidt- Bürkly nicht daran denkt, in gewisse Extreme mancher Frauen- rechtlerinnen zu verfallen, sondern hier etwas verlangt für die Frau, nicht im politischen Organismus des Staates, sondern im wirtschaftlichen Organismus der Gemeinde." Aus diesem Grunde beantragte er, die Petition als Material zu überweisen, ein Antrag, der jedoch abgelehnt wurde. Genosie Hirsch erklärte, daß wir zwar nicht, wie die bürger- lichen Parteien, die Gemeinden als rein wirtschaftliche Ge- bilde betrachten,sondern in ihnen eminent politische Körper- schaften erblicken", aber daß er, wie es im stenographischen Bericht heißt, in der Petition«ine Annäherung an unseren Standpunkt sehe, indem er annehme, die Petentin verlange,die Städteordnung solle dahin ergänzt werden, daß nicht nur den grundbesitzenden, sondern allen selbständigen, allen steuerzahlenden Frauen das Stimmrecht gegeben wird." Infolge dieser Auffassung stimmten unsere Genossen mit Fischbeck und seinen Leuten dafür, die Petition als Material zu überweisen. Wie weit Frau Schmidt-Bürkly mit der Interpretation ihrer Petition einverstanden ist, mag dahingestellt bleiben. Wir jedoch müssen sie mit aller Schärfe zurückweisen. Wann und wo wäre von der Partei je die Forderung ausgestellt worden, daß den steuer- zahlenden, selbständigen Frauen allein das Stimmrecht ge- geben werde? Die Partei kennt nur ein Programm, das für Reich, Staat und Gemeinde die gleiche Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für alle Großjährigen ohne Unterschied des Besitzes ausstellt. Der letzte Jnter- nationale Sozialistische   Kongreß, der 1907 zu Stuttgart   tagte, hat die sozialistischen   Parteien aller Länder verpflichtet, für das all- gemeine Frauenwahlrecht einzutreten, und hat sich ausdrücklich mit der Ersten Internationalen Konferenz sozialistischer Frauen soli- darisch erklärt, welche nachdrücklichst jedes beschränkte Frauen« Wahlrecht alseine Verhöhnung und Verfälschung" des Prinzips der Gleichberechtigung zurückwies. Es kann nur einfalscher Zungenschlag" gewesen sein, der den Genossen Hirsch sagen ließ, daß wir das Wahlrecht für steuerzahlende und selbständige Frauen als eine Annäherung an unsere Forderungen betrachten, denn die Gewährung dieses Rechts bedeutet nichts anderes als die fort- dauernde politische Entmündigung der großen Masse der besitz- losen Frauen, als ein Privileg einer Minderheit. Genosse Hirsch würde sich mit dieser seiner Auffassung der von uns bekämpften Forderung des englischen Genossen Keir Hardie  nähern, der das zurzeit in England bestehende Wahlrecht, welches an Besitz und Einkommen usw. gebunden ist, auch auf die Frauen ausgedehnt wissen will. Was dabei herauskommt, haben die Ge- nossen Queich und I. Sachse in zwei Artikeln in derNeuen Zeit"(26. Jahrgang, 2. Band, Nr. 61, S. 909 und 917) dargelegt, hat dieGleichheit" wiederholt nachgewiesen. Dieses Wahlrecht hat zur Folge, daß von rund 12'/» Millionen großjähriger Engländer nur 7'/, Millionen das Wahlrecht besitzen und rund 6 Millionen oder 40 Prozent der mündigen männlichen Bevölkerung sind recht- los. Wenn nun 60 Prozent auch der großjährigen weiblichen Bevölkerung das Wahlrecht erhielten, so würde dadurch nur die Macht der besitzenden 5ilasse vermehrt werden. Sowohl Sachs« wie Queich   weisen die durch nichts erhärtete Behauptung des Genossen Keir Hardie   zurück, daß auch viele proletarische Frauen das beschränkte Wahlrecht erlangen könnten, und daß eine große Mehrheit der Arbeiterpartei für diese Forderung eintrete. Nicht bloß Kongresse der Sozialdemokratischen Partei, auch solche der Gewerkschaften und der Arbeiterpartei, zu deren parlamentarischen Führern Keir Hardie   gehört, haben wiederholt das beschränkte Frauenwahlrecht als ein Pluralwahlrecht der Besitzenden und als eine reaktionäre Maßregel verworfen und sich für das all« gemeine Wahlrecht ausgesprochen. In Deutschland   würden zwar manche unverheirateten Arbeite- rinnen in ihrer Eigenschaft als Steuerzahlerinnen das Wahlrecht erhalten, aber im weitaus überwiegenden Maße käme es den Frauen der bürgerlichen Klasse zugute. Vor allem aber: ein Wahlrecht für einzelne Schichten der Bevölkerung wirkt nicht als Etappe auf dem Wege zum allgemeinen Wahlrecht. Im Gegenteil: indem das Privileg des Wahlrechts für steuerzahlende Frauen die Wünsche bürgerlicher Schichten befriedigte und deren Macht stärkte, würde es gerade verhindern, daß das Wahlrecht auf alle Frauen ausgedehnt wird. Eine Zuerkennung des Wahlrechts an alle grundbesitzenden, selbständigen, steuerzahlenden Frauen in den preußischen Städten, wie die Petition der Frau Schmidt-Bürkly nach der Interpretation des Genossen Hirsch sie fordert, würde ausschließlich eine Stärkung der bürgerlichen Parteien, aber keineswegs eine Stärkung der Arbeiterklasse bedeuten! Sie schlüge dem Prinzip der Demokratie ins Antlitz und wäre stockreaktionär. Mathilde Wurm  . Aus der Bewegung. Von der Agitation. Im Auftrag der sozialdemokratischen Bezirksleitungen des Niederrheins sprach die Unterzeichnete in der Zeit vom 6. Februar bis ö. März in Haspe  , Sprakhövel, Langerfeld, Hagen  , Wald, Solingen  , Gräfrat  . Küppers- steg, Velbert  . Wülfrat, Cronenberg  , Remscheid  . Lüden- scheid, Iserlohn  , Metmann, Herdecke  , Altenhagen, Rons- dorf. Mörs  , Hohenemrich- Rheinhausen, Essen-Alten-