236

"

Die Gleichheit

hofen, Werden, Essen- West, Trees, M.- Gladbach, Elber­ feld , Barmen, Hilden, Ratingen , Greversheim, Ober­Kassel und Düsseldorf . Zur Behandlung standen folgende Themata: Welche Garantien bietet die Zukunft dem deutschen Bolke?" und Muß die Frau und Mutter Sozialdemokratin sein?" In allen Versammlungen wurden Genossinnen in das Bureau ge­wählt, in einigen lag die Leitung in ihren Händen. Die Versamm lungen waren mit Ausnahme der in Velbert und Iserlohn gut besucht, einige sogar überfüllt, und hatten schönen Erfolg. Nicht nur die Zahl der Mitglieder der Partei vermehrte sich um einige Hundert, auch die des Metall- und des Bergarbeiterverbandes, und die lokale Arbeiterpresse wie die Gleichheit" erhielten neue Abonnenten. Die Neugewonnenen sind in der Hauptsache Frauen. Obwohl fast allen Versammlungen Gegner beiwohnten, trat nur hier und da einer in der Diskussion auf. In der Debatte, die sich in Hagen an den Vortrag schloß, wies Genosse Ludwig darauf hin, daß katholische Geistliche eifriger als je an der Verdummung der Proletarierinnen arbeiten. Am Orte sei seines Wissens in letzter Zeit ein Verein katholischer Mütter gegründet worden. Er charak terisierte die Art und Weise, wie in den firchlichen Organisationen, die nach den Versammlungsberichten in den konfessionellen Blättern große Erfolge haben, auf die Frauen und Mädchen eingewirkt wird, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Genoffinnen und Genossen den richtigen Schluß aus den mitgeteilten Tatsachen ziehen würden. In der Versammlung in Mörs wurden fast un­glaubliche Dinge aufgedeckt. Am 16. Februar d. J. wurde auf der Freibant das Pfund Fleisch zu 50 Pf. abgegeben. Es ging reißend ab, aber als die Käuferinnen es zu Hause auspackten, da zeigte sich, daß es verdorben war, mit Kot beschmutzt, von Ratten und Mäusen angefressen. Der überwachende Beamte erhielt den Auf­trag, dafür Sorge zu tragen, daß die Freibank in Zukunft kontrol liert und das Fleisch vor dem Verkauf amtlich geprüft und unter­sucht wird. Arbeitslosigkeit, schlechter Lohn und Feierschichten bringen die Proletarier am Niederrhein in die größte Not. Die Unterzeichnete hat Lohnbücher von Bergarbeitern gesehen, die auswiesen, daß diese, statt Verdienst nach Hause zu bringen, noch 49 Mt. auf die Zeche tragen mußten. Die Frauen im Rheinland und in Westfalen sind als Heimarbeiterinnen und Hausieres rinnen tätig und versuchen durch die Aufnahme von Kost- und Logisgängern etwas zu verdienen. Wie das Kost- und Logis gängerwesen auf die Familienverhältnisse wirkt, weist die Statistit über Ehescheidungen aus. Nach ihr ist die Ursache der Ehe scheidungen in jenen Gegenden häufig der Ehebruch aus Not. Was sagen die Retter der bürgerlichen Ehe- und Familienform zu dieser Illustration der geschlechtlichen Moral in dieser besten aller Welten? Marie Wackwig.

Im Stadtbezirk Hannover - Linden referierte die Unterzeichnete in neun öffentlichen Frauenversammlungen über das Thema: Die Stellung der Frau im wirtschaftlichen und politischen Kampfe." Da die Genofsinnen und Genossen gut vorgearbeitet hatten, waren sämtliche Versammlungen zahlreich besucht. Sie brachten der Partei einen Zuwachs von ungefähr 250 Mitgliedern und der Gleichheit" eine Anzahl neuer Leserinnen. Die Zahl der in Hannover - Linden organisierten Frauen hat nunmehr das zweite Tausend über­schritten. Hoffen wir, daß es dem regen Gifer und der opfer­freudigen Tätigkeit der Genofsinnen gelingt, recht bald auch die Biffer von 3000 zu überholen. In Bremen fanden zwei Ver sammlungen mit demselben Thema wie in Hannover statt. Sie waren weniger gut besucht, was vielleicht dem Umstand zu zuschreiben ist, daß sie in die Umzugstage fielen. Doch führten auch sie uns eine Anzahl neuer Mitkämpferinnen zu.

B. Selinger.

Auf Wunsch der Gaus und Ortsverwaltungen des Deutschen Textilarbeiterverbandes fanden im Monat März in den Gauen Süd, Sächsisches Erzgebirge und Sachsen - Vogtland insgesamt 14 öffentliche Versammlungen statt. Die durch die Jahreszeit bes dingten schlechten Wegverhältnisse und die durch die Krise hervor. gerufene Mutlosigkeit waren zweifellos Schuld daran, daß der Be­such fein regerer war. Interessante Tatsachen wurden in den Ver sammlungen festgestellt, die an anderer Stelle dieses Blattes mitgeteilt werden. Einige 50 Neuaufnahmen für den Textilarbeiterverband und die Gewinnung von vier weiblichen Mitgliedern für die Partei waren einstweilen das Resultat der Versammlungen. Hoffentlich gelingt es, diese Neuen in absehbarer Zeit für den Klassenfampf zu erziehen. Martha Hoppe.

In einer gut besuchten Mitgliederversammlung des sozialdemo fratischen Vereins Klöße( Altmark ), zu der 100 Gäfte ungefähr 70 Frauen und 30 Männer- durch Zettel eingeladen worden und auch erschienen waren, referierte Genossin Bollmann- Halberstadt über

Nr. 15

das Thema Die Frau im wirtschaftlichen und politischen Leben". Daß jetzt auch hier die proletarischen Frauen gewillt sind, energisch ihre frühere Gleichgültigkeit gegen das öffentliche Leben abzuschütteln, bewies der lebhafte Beifall, den die Rednerin erntete. Neun der Anwesenden, darunter 7 Frauen, traten der Partei bei, der nun­mehr in Klöße 13 männliche und 10 weibliche Mitglieder angehören. Bei der Überfüllung des Lokals war es nicht möglich, mehr Auf­nahmen zu machen. Durch Hausagitation, zu der um die Unter­stüßung der Genossen und Genossinnen gebeten wird, sollen weitere Mitglieder geworben werden. Die Versammlung, die bei einem Gastwirt in zwei fleinen Zimmern stattfand, weil die Arbeiter keinen Saal im Ort bekommen, war die erste in Klötze , der Frauen bei­wohnten. Hoffentlich wird sie den Proletarierinnen zum Bewußtsein gebracht haben, daß in den politischen und gewerkschaftlichen Dr ganisationen der Platz aller Frauen ist, die, von Sorge und Ent­behrungen gedrückt, eine bessere Zukunft ersehnen. M. J.

Politische Rundschau.

Die türkische Revolution ist in eine neue Phafe getreten. Die Gegenrevolution hat ihr Haupt erhoben. Die Armee, die unter der Führung der europäisch gebildeten Offiziere das alte Regiment gestürzt hat, ist plötzlich zum Werkzeug einer neuen Umwälzung geworden. Die Konstantinopeler Regimenter haben gegen ihre jungtürkischen Offiziere gemeutert, Konstantinopel in ihre Gewalt gebracht und das jungtürkische Kabinett zum Rück­tritt gezwungen. Die Häupter der Jungtürken sind bis auf einige, die der Wut der Truppen zum Opfer fielen, geflohen oder müssen sich versteckt halten. Ob dieses Ereignis den Beginn einer neuen Reaktionsperiode bedeutet, läßt sich noch nicht ermessen, da sich in Makedonien das Jungtürkentum zum Gegenstoß rüstet. Die Truppen des Korps von Saloniti find ihm bis jetzt treu geblieben und es scheint, als ob sie in Kürze mit den Meuterern in der Hauptstadt zusammenstoßen werden. Ein Urteil über die Aussichten der Jung­ türken , ist sehr schwer zu gewinnen. Soviel ist sicher, daß die Re­volte in Konstantinopel sowohl von den Reaktionären, den Alt­türken, wie von den Liberalen geschürt wurde. Die Liberalen unterscheiden sich von den streng zentralistisch gesinnten Jungtürken , bie die verschiedenen Nationalitäten in eine ottomanische aufgehen lassen möchten, in der das türkische Element überwiegt, durch die Forderung der Dezentralisation des Staates. Die einzelnen Landes­teile sollen nach ihnen ein hohes Maß von Selbständigkeit er­halten und den verschiedenen Nationalitäten soll freie Entwicklung gewährleistet werden. Dieser Partei gehören daher die meisten Bertreter der christlichen Nationalitäten an. Aus Haß gegen die Jungtürfen, die ein terroristisches Regiment mit Geheimtomitees, Spionage und anscheinend auch politischen Attentaten führten, weil sie sich als eine Minderheit in unsicherer Stellung fühlten, haben die Liberalen an der Inszenierung der Revolte mitgewirkt. In der Hauptsache aber sind die Alttürken die treibende Kraft gewesen. Schon seit längerer Zeit hatten sich die Elemente, die durch die angekündigten und begonnenen Reformen in ihren Interessen be­droht wurden, in einer Organisation zusammengefunden: entlassene Offiziere und Beamte, die durch die Günstlingswirtschaft des alten Regimes zu ihren Posten gekommen waren, die niedere Geistlichkeit und die zahlreichen Theologiestudenten, die für ihre Pfründen fürchteten usw. Die Truppen, die bisher wenig von den Früchten der Revolution gesehen haben, die zudem erbittert waren, weil die Jungtürlen einige für besonders zuverlässig geltende Truppenteile bei der Soldzahlung bevorzugt hatten, fonnten fie leicht durch die Vor­spiegelung gewinnen, daß die Maßregeln der Jungtürken den heiligen Glauben bedrohten. Die Masse der Bevölkerung hat bei dem ganzen Ereignis den passiven Zuschauer gemacht, wie schon bei der sieg­reichen Revolution des Juli 1908. Wie sie zu den Parteien steht, ist nicht zu erkennen. Jedenfalls haben die Jungtürfen wenig ge­tan, um die Interessen der breiten Masse mit der Verfassung zu verknüpfen. Daran verhinderte sie ihre Klassenstellung fie stehen als die Intelligenz" den Besitzenden viel näher als den Schichten der Handwerker, Proletarier und Bauern. Daran verhinderte sie aber auch die große Schwierigkeit ihres Werfes; die alten Miß­stände sind mit den Interessen bestimmter Schichten verbunden, und vor allem fehlte es an Geldmitteln, um Reformen durchzu­führen. Die Bauernschaft ist mit Steuern überlastet, eine tapital­träftige Bourgeoisie fehlt. Dabei fosteten die Rüstungen, die wegen des Konfliktes mit Österreich und Bulgarien erfolgten, viel Geld. Und das schwierige Wert der Reform wurde noch kompliziert durch den Umstand, daß die starten religiösen Vorurteile der Mo­hammedaner geschont werden mußten, und daß bei der Verschieden­

-