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Die Gleichheit

Der Vorschlag der Novelle ist daher ganz unbrauchbar. Um den Auslegungskünften der in Unternehmerauffassungen bes fangenen Staatsanwälte und Richter einen Riegel vorzuschieben, gibt es nur einen einzigen Weg. Das wäre die flare Bestimmung, daß Handlungen, die auf Grund des§ 152 der Gewerbeordnung erfolgen, also in Ausübung des Koalitionsrechts, nicht unter den Erpressungsparagraphen gebracht werden dürfen. H. B.

Nr. 16

einen Mann ernährt. Die billigere Frauenarbeit hat die teure Arbeit der Männer aus dem Felde geschlagen.

Die Heimarbeiterinnen in der Fellzurichterei und Hasenhaarschneiderei Eppertshausen im Kreiſe Dieburg wohnen viele Heimarbeite

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Es ist eme alte Erfahrung, daß der Eintritt der Frau in einen Berufszweig fast ausnahmslos unter der Herrschaft der kapitalistischen Wirtschaftsweise eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen mit sich bringt, besonders aber eine Herabsetzung der Löhne. Die Frau ist genügsamer als der Mann, folglich muß sie sich nach der Anschauung des Unters nehmers mit geringerem Lohne begnügen, und zwar auch dann, wenn ihre Arbeit der des Mannes gleichwertig ist. Da sich die Frauen dem Verlangen des Arbeitgebers, billiger zu ar­beiten, fast immer gefügt haben, so hat ihre Verwendung viel­fach auch auf die Lohnhöhe der Männer ungünstig eingewirkt. Fällt das Auftreten der Frau auf dem Arbeitsmarkt noch mit der Einführung einer Maschine zusammen, die Kräfte spart, ist es hierdurch vielleicht gar begünstigt, so verschwinden zu weilen die Männer aus manchen Berufszweigen ganz, und eine Arbeit, die früher ausschließlich von ihnen verrichtet wurde, wird eine weibliche" Arbeit. Ein Beispiel für den Prozeß der Verdrängung der Männer durch Maschine und Frauenarbeit ist die Fellzurichterei und Hasenhaarschneiderei.

Bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurden in der Fellzurichterei und Hasenhaarschneiderei in Franks furt a. M. und dessen Umgebung, auf die fich die folgenden Ausführungen beziehen, nur Männer beschäftigt. Haarschneiden war damals ein Beruf, der in regelrechter Lehre während drei oder vier Jahren erlernt wurde. Die Arbeit war ausschließlich Handarbeit. Als Werkzeuge tamen in der Fellzurichterei zur Verwendung ein Stecken zum Ausklopfen der Felle und ein fleines gezacktes Messer, der Rizer; in der Haarschneiderei lediglich die Handschere, ein Instrument mit zwei breiten Schneiden. In der Fellzurichterei, die die Tierfelle vom Blut und Schmutz und den Balg von Fleischresten reinigt, haben die genannten einfachen Werkzeuge ihren Platz behauptet; das gegen wird das Abschneiden des Haares heute fast ausschließ lich von Maschinen besorgt.

Die Haarschneidemaschinen stammen aus England, wo sie in den fünfziger Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts in Gebrauch kamen. Im Jahre 1859 führte die heute noch be­stehende Firma Hutstoffwerte Attiengesellschaft", vormals C. F. Donner, die erste Haarschneidemaschine in Frankfurt a. M. ein. Fast gleichzeitig mit der Maschine wurden auch die weib­lichen Arbeitskräfte für die Haarschneiderei eingestellt. Die weiblichen Arbeitskräfte eroberten sich aber auch nach und nach die Arbeitsplätze in der Fellzurichterei. Nach etwas mehr als einem Jahrzehnt war die Handarbeit von Männern in der Haarschneiderei verschwunden, und seit zirka 36 Jahren ist die Maschine in allen Fabriken des Industriezweiges Herrscherin. Der Handarbeit ist in der Haarschneiderei nur das Beschneiden von Schwänzen, Füßen und kleinen Abfallstücken, die soge nannte Stückerschneiderei" verblieben, und sie wird von Frauen oder einigen invaliden Männern verrichtet. Und auch in der Fellzurichterei haben die Frauen die Männer fast ganz ver drängt; nur in zwei Orten der weiteren Umgebung von Frank­ furt a. M. finden wir noch Männer, frühere Haarschneider, als Zurichter tätig. Seit einigen zwanzig Jahren erlernt fein Mann mehr das Handwerk des Haarschneiders; der jüngste männliche Haarschneider in Kelsterbach a. M., wo diese Ars beiter früher sehr zahlreich vertreten waren, ist heute fast vierzig Jahre alt. Nach ihm hat niemand mehr den Mut gehabt, Haarschneider zu lernen, weil es fein Geschäft mehr ist, das

Die Arbeiten für die Fellzurichterei und Hasenhaarschneiderei werden zum Teil in Fabriken und teilweise in den Wohnungen der Arbeiter und Arbeiterinnen als Heimarbeit verrichtet. In den Fabriken sind ledige Arbeiterinnen tätig oder solche ver heiratete Frauen, deren Hauswesen von einer Verwandten be­sorgt wird, während die meisten Ehefrauen als Heimarbeite rinnen schaffen. In der hessischen Provinz Startenburg, besonders in Oberroden, Niederroden, Münster , Urberach und rinnen, die den unzureichenden Verdienst ihrer Männer durch ihren Erwerb erhöhen oder gar oft mit dem färglichen Lohn, den sie beziehen, eine ganze Familie ernähren sollen. Geht man in Oberroden am Winterabend spät durch die ruhigen Dorf, straßen, so fällt dem Fremden die große Anzahl erleuchteter Wohnungen auf; es sind die Behausungen der Stückerschneide rinnen", die vielfach die Nacht zur Erwerbsarbeit benutzen müssen, weil der Tag mit Arbeiten für Haushalt und Kinder pflege so ausgefüllt ist, daß nur wenig Zeit für andere Ver­richtungen übrigbleibt.

Die Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen in der Fellzu­richterei und in der Haarschneiderei sind außerordentlich un günstig. Trotzdem die Arbeit mit sehr erheblichen Gesundheits­gefahren verknüpft ist, sind die Löhne gering und ist die Ar­beitszeit lang. In der Fellzurichterei, die die Tierfelle trocken reinigt, entsteht ungeheuer viel Staub von Haaren und Sand, der aus den Fellen herausgeklopft wird. Die Luft in den Ar­beitsräumen ist immer dicht mit Staub und Haaren angefüllt; nicht nur die Kleider und unbedeckten Teile des Körpers werden hiervon beschmutzt, sondern Staub und Haare dringen auch durch die Offnungen der Kleider und erreichen so alle Körper teile; das schlimmste aber ist, daß durch Mund und Nase die Haare und der Staub in die Luftwege gelangen und die Ur sache schwerer Lungenerkrankungen und frühen Todes werden. Von älteren Haarschneidern wurde mir gesagt, daß man früher als Krankheit der Haarschneider die Schwindsucht bezeichnet habe, der sehr viele zum Opfer gefallen seien. Auch heute sind Erkrankungen der Atmungsorgane häufig, wenn auch die Zahl der davon Betroffenen zurückgeht. Zu diesem Resultat trägt wohl der Umstand bei, daß die Mädchen sehr oft nur wenige Jahre in der Fellzurichterei arbeiten; zum Teil mögen auch die in großen Fabriken eher durchzuführenden hygienischen Maß regeln günstig wirken. Daß aber trotz alledem die Arbeit mit großen Gesundheitsgefahren verknüpft ist, bestätigt die hessische Gewerbeinspektion für den Aufsichtsbezirk Darmstadt , die im Bericht für 1900 fagt:" Zu den die körperliche Entwicklung des weiblichen Organismus schädigenden Arbeiten gehört unter anderen im Aufsichtsbezirk Darmstadt die Beschäftigung in den Hadernsortieranstalten und Hasenfellzurichtereien. Der ständig bei den Arbeitsverrichtungen in diesen Anlagen in unmittel barer Gesichtsnähe entstehende Staub wird ununterbrochen ein geatmet und muß, falls nicht eine periodische oder dauernde Aufgabe der Arbeit eintritt, je nach der körperlichen Veran lagung der Arbeiterinnen, früher oder später zu Krankheiten, vornehmlich der Atmungswerkzeuge, führen."

Und im nächsten Jahre flagt derselbe Bericht:... doch verursachen gerade die ersten Arbeiten, welche mit den Hasen fellen vorgenommen werden, besonders das trockene Reinigen der Felle, eine starke Staubentwicklung, und die Luft in den Werkstätten ist mit Staub und feinen Haaren erfüllt,... und es sind der bei der Arbeit entstehende Schmutz und die Staub­luft schädlich wirkend."

Noch größere Gesundheitsgefahren als die Fellzurichterei birgt die Haarschneiderei in sich. Vor der Abtrennung des Haares werden die Tierfelle mit quecksilberhaltiger Beize be arbeitet. In den Fabriken ist zum Teil eine ärztliche Kontrolle der Arbeiter und Arbeiterinnen eingeführt, die aber die Ge sundheitsschädigungen natürlich nicht verhüten, sondern besten­falls frühzeitig erkennen und für Entfernung der Ursachen sorgen kann, das heißt die Erkrankten von der Arbeit fernhält.